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Veranstaltungsberichte

Ein neues ökonomisches Entwicklungsmodell für Tunesien

Symposium über das nationale Programm der großen Reformen 2016-2020

Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die Vereinigung Tunesischer Absolventen Deutscher Universitäten (VTADU) und der Verband tunesischer Ingenieure (Ordre des Ingénieurs Tunisiens, OIT) haben am 2. April 2016 in Tunis gemeinsam eine Konferenz veranstaltet, um über das nationale Programm der großen Reformen 2016-2020 sowie die Rolle, die den tunesischen Ingenieuren bei der ökonomischen Entwicklung des Landes obliegt, zu diskutieren.

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Fünf Jahre nach der Revolution von 2010-2011 erlebt Tunesien eine persistente Wirtschaftskrise und der Aufschwung bleibt ein unerreichtes Ziel. Ungeachtet der bisherigen Bemühungen der Regierung muss sich Tunesien weiterhin den zahlreichen politischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen stellen. Hierfür hat der Beirat der ökonomischen Analysen (Conseil des Analyses Économiques, CAE) das « Programme national des Réformes Majeures » (PNRM) ausgearbeitet, womit eine verantwortliche Regierungsführung, ökonomische Prosperität und soziale Gerechtigkeit erreicht werden sollen.

Zum ersten Mal wurde über dieses Programm während dieser Konferenz öffentlich debattiert. Dies war einerseits eine Gelegenheit, um die Zielsetzungen des Programms zu präsentieren, anderseits, um eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Berufsverbände und insbesondere der Ingenieure bei der Konkretisierung der Reformen und bei der Konzeption eines neuen Entwicklungsmodells zu initiieren.

Das Symposium wurde mit den Grußworten von Oussama Khriji, Präsident des OIT, Mohamed Rabah, Präsident der ATDUA, und Edmund Ratka, Projektassistent der Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnet. Khriji und Rabah haben beide die Rolle der Ingenieure bei der Verwirklichung der Reformen betont; Ratka hat seinerseits darauf hingewiesen, dass durch die deutsche Erfahrung bekannt ist, dass wichtige Reformen gerade in Krisenzeiten eingeleitet werden sollten und könnten.

Der erste Teil der Konferenz begann mit einer Rede von Tawfik Rajhi, Staatsminister und Präsident des CAE. Rajhi hat auf die drei Hauptprobleme, die die tunesische Wirtschaft lähmen, hingewiesen, nämlich die regionalen Disparitäten, die Arbeitslosigkeit und die soziale Ungleichheit. Die Ausarbeitung eines neuen ökonomischen Entwicklungsmodells durch die im nationalen Programm vorgesehenen Reformen ist aus seiner Sicht unabdingbar, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die Staatsschulden zu reduzieren und die Investitionen und das zurzeit bei 1,3 % liegende Wirtschaftswachstum zu steigern. Die großen Reformen, die laut Rajhi unbedingt durch sektorale Reformen ergänzt werden müssen, zielen auf folgende Aspekte ab:

  • eine verantwortliche Regierungsführung,
  • eine arbeitsgenerierende und dynamische Wirtschaft,
  • die Entwicklung der humanen Ressourcen und die soziale Inklusion,
  • die regionale Entwicklung und schließlich
  • eine grüne Wirtschaft.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils der Konferenz stand Walid Belhaj Amor, Präsident von „Tunis Forum“ und Mitglied des Vorstands des „Institut Arabe des Chefs d’Entreprises“ (IACE). Belhaj Amor sah das Hauptproblem Tunesiens in der auf Niedriglöhne und niedrigen Qualifikationen basierten Wirtschaft, die er als „low-cost“ bezeichnet. Diese vom „ancien régime“ etablierte Wirtschaft sei die Ursache der bisher unzureichenden Schaffung von Arbeitsplätzen, der auf Distribution von Privilegien basierenden Politik und der Marginalisierung der Berufsverbände, insbesondere jenem der Ingenieure.

Was das PNRM anbelangt, betrachtete Belhaj Amor die in ihm verzeichneten Reformen, die aus seiner Sicht fast ausschließlich ökonomisch sind, als ungenügend. Er kritisierte die mangelnde Vertretung der Ingenieure im CAE, der für die Ausarbeitung des nationalen Programms zuständig war. Belhaj Amor sprach sich seinerseits für die Reform der öffentlichen Verwaltung aus. Zentral ist seiner Meinung nach die klare Definition der Befugnisse von Ministern, um der Machtzentralisierung und den damit einhergehenden Interessenkonflikten entgegenzuwirken.

Die Rolle, die den tunesischen Ingenieuren im Prozess der ökonomischen Entwicklung des Landes obliegt, sei aufgrund ihrer globalen Perspektive und ihres cartesianischen Geists von zentraler Bedeutung. Belhaj Amor sieht demzufolge im „re-engineering der öffentlichen Verwaltung“ die „Mutter aller Reformen“.

Ein konkreter Vorschlag für die Inklusion der Ingenieure im Prozess der Wiederbelebung und Entwicklung der tunesischen Wirtschaft und die Konsolidierung ihrer Legitimität als Berufsverband wurde von Abdesettar Housni, dem Generalsekretär des OIT, gemacht. Dabei handelte es sich um die Schaffung einer Denkfabrik, die die politischen Akteure sensibilisieren und ermutigen soll, ihre Entscheidungen zu „verwissenschaftlichen“, junge Unternehmer und Ingenieure in ihren Projekten finanziell zu unterstützen sowie eine strategische Vision von Wissenschaft zu entwickeln und das Produktionssystem zu modernisieren.

Die Konferenz, an der über 90 Personen teilgenommen haben, wurde mit einer lebhaften Diskussion über die Tragweite des nationalen Programms der großen Reformen und die künftige Rolle der Berufsverbände bei der Konzeption und Implementierung eines neuen ökonomischen Entwicklungsmodells für Tunesien am Beispiel der Ingenieure beendet. Trotz der bestehenden Divergenzen zwischen der Herangehensweise der Ökonomen und die der Ingenieure hat Chokri Aslouje (VTADU), der Moderator der Debatte, auf die Komplementarität der Ansätze hingewiesen und betont, dass alle Berufsverbände im Entwicklungsprozess Tunesiens inkludiert und in ihrer Spezifizität aufgewertet werden müssen.

Autor: Tarek Omar Khaznadar

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Dr. Holger Dix

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Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Subsahara-Afrika, Interimsleiter des Auslandsbüros Südafrika

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