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Veranstaltungsberichte

Ethische Orientierung in der Netzpolitik

von Dr. Karlies Abmeier

Alles neu durchdenken unter Beachtung bisheriger Maxime

Bei der Tagung „Ethische Herausforderungen im Web 2.0“ in der Reihe „Sozialethik konkret“, einer Kooperation der Katholischen Akademien Essen und Münster und der Konrad-Adenauer-Stiftung, ging es darum zu erkennen, welche Veränderungen sich für das gesellschaftliche Zusammenleben aus der inzwischen fast alle Lebensbereiche durchdringenden Digitalisierung ergeben und wie das ethisch zu bewerten ist.

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In einem ersten Impuls erklärte Pascal Schöttle von Institut für Wirtschaftsinformatik in Münster die technischen Voraussetzungen der digitalen Vernetzung und betonte, dass das Internet aufgrund seiner technischen Komponenten datenschutzfeindlich sei. Dabei unterschied er zwischen Daten, die Organisation erheben, und solchen, die Menschen freiwillig zur Verfügung stellen. Privatsphäre sei das Recht, selbst bestimmen zu können, was über einen in Umlauf gebracht werde, Transparenz sei als das Gegenteil von Privatsphäre aufzufassen. Besonders eindrucksvoll war eine Graphik, die zeigte, wie viele Spuren jemand hinterlässt, wenn er nur wenige Minuten im Internet surft.

"Neuaufsatz aller Systeme"

Im Kommentar zu dieser Übersicht hob die Ethikerin Dr. Jessica Heesen auf den Wandel der Wahrnehmung von Privatheit seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur informationellen Selbstbestimmung 1983 ab. Ständige Beobachtung ziehe eine Disziplinierung nach sich, die die Entfaltung des einzelnen und des Gemeinwohls behinderten, so dass sich gesellschaftliche Selbstorganisation schwerer etablieren lasse. Sie sah Privatsphäre als eine Ressource gegen fremdbestimmte Handlungen. Deswegen sei Privatsphäre mehr als nur Datenschutz, sie sei eine Sphäre der Autonomie. Die Social-Media Beraterin Nicole Simon, die als Sachverständige Mitglied in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages war, räumte mit der fehlerhaften Grundannahme auf, Firmen wollten Menschen ausspionieren. Firmen wollten Geld verdienen und würden deswegen Daten erheben. Sie warnte vor einer zu kleinteiligen Diskussion über Einzelaspekte und forderte einen „Neuaufsatz aller Systeme“. Doch müsse man sich an das grundsätzlich Wertvolle erinnern und es in eine neue Zeit übertragen. Moralisch integre Menschen mit Zukunftsvisionen müssten die Entwicklung vorantreiben, die zu neuen Erkenntnissen führten, und dabei beispielgebend leben.

Bei der Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen einer Einflussnahme auf das Internet aus juristischer Sicht hob Professorin Franziska Boehm darauf ab, dass Staat, Unternehmen, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft regulierend in das Internet eingriffen, etwa durch Netzsperren oder Drosselung der Geschwindigkeiten. Dabei hinke das Recht immer der Technik hinterher. Lösungsansätze sah sie in der Begrenzung der Macht von Unternehmen, dem Einfluss der Zivilgesellschaft und einem europäischen Engagement, das sich mehr als starker ökonomischer Faktor begreifen und seine Rolle gegenüber den USA ausfüllen müsse.

Die Kirchenrechtlerin Professorin Judith Hahn plädierte dafür, Regulierungsmaßnahmen nur sehr zurückhaltend einzusetzen. Zur Frage der Legitimation von Maßnahmen und ihrer Akzeptanz griff sie auf den Spruch des mittelalterlichen Kirchenrechtlers Gratian zurück, das alles, was alle angehe, auch von allen gebilligt werden müsse. Für eine Einigung über das Verhalten im Internet und die Netzpolitik setzte sie auf die Zustimmung der Zivilgesellschaft. Tobias Wangermann, Leiter der Stabsstelle Beratungsmanagement in der Konrad-Adenauer-Stiftung, betonte die Notwendigkeit einer Balance von Freiheit und Sicherheit. Das Verhältnis von Bürger und Staat sei unter den Bedingungen des Internets neu auszuhandeln. In den globalen Netzen seien die Machtfragen nicht geklärt. Das erweise sich dann besonders problematisch, wenn unterschiedliche Positionen in Einzelpunkten bestünden.

Hergebrachte Machtstrukturen durchbrechen

Das Abendgespräch über neue Partizipationsmöglichkeiten in der Politik drehte sich um neue technische Möglichkeiten, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen und politische Interessen zu organisieren. Zwar sei eine stärkere Teilhabe an politischen Prozessen zu begrüßen, aber es gälten auch die Grundsätze der Repräsentativität in der Politik. Das Internet eröffne Möglichkeiten, hergebrachte Machtstrukturen zu durchbrechen. Die neuen Wege scheinen einer pluralen Gesellschaft angemessen, doch ergeben sich widersprüchliche Beobachtungen. Stichworte für das Funktionieren einer demokratischen Willensbildung sind Identifizierbarkeit und Qualität einer langfristigen Arbeit gegenüber der Quantität einer hohen Anzahl von Tweets.

Professor Christoph Bieber befasste sich mit den gesellschaftlichen Konflikten, die in der Netzpolitik aus der Diskrepanz zwischen Onlinern und Offlinern bestehe. Noch gravierender sei aber die Kluft zwischen denen, die die vorgegeben Pfade nur anwenden und denen, die Programme schreiben und Code verändern könnten. Hinsichtlich der Perspektiven bemerkte er, dass inzwischen alle Parteien die Chancen des Internets nutzten, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Diskussionsstoff böten die Fragen der Vorratsdatenspeicherung, Netzneutralität und Liquid Democracy.

Marvin Bender vertiefte die Frage der digitalen Spaltung, die bei den Nutzern entlang der Kriterien Alter, Bildung und Geschlecht verlaufe. Grundkonflikte bestünden bei Regulierungsversuchen und Fragen der Privatsphäre. Dr. Clemens Maria Schuster setzte bei dem Zugang zu Information auf eine mediale Alphabetisierung für das Internet, die er mit dem Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen gleichgesetzte. Daten seien nutzlos, solange sie nicht strukturiert seien. Um zu wissen, wie die Welt funktioniert, müsse man die Sprache der Codes kennen. Diskutiert wurde, ob sich aus den unterschiedlichen Zugängen zum Netz auch eine Kluft in den Wertvorstellungen ergebe.

Authentizität

Im Sinn einer Selbstvergewisserung stellte Professor Alexander Filipović die Frage nach der Ethik in der Onlinekommunikation – nach der Veränderung für den Menschen und die Kultur. Zur Aktualisierung von Prinzipien wählte er den Begriff der Authentizität. Er erlaube gesellschaftliche Zusammenhänge daraufhin zu überprüfen, ob eine wahrhaftige Kommunikation möglich sei. Dr. Nikolai Horn von der Akademie für Sozialethik und öffentliche Kultur plädierte für die bisher üblichen Grundsätze der Kommunikation. Auch in der digitalen Welt stehe hinter jedem Profil ein Mensch. Deswegen stellte er den Grundsatz auf, dass auch in Netz gemäß der Maßstäbe gehandelt werden müsse, die auch im analogen Leben gelten. Online und Offline - es gebe nur eine Welt.

Der Ökonom Eric Meyer betonte, dass jeder Verantwortung übernehme, wenn er identifizierbar sei. Er machte auf die Flüchtigkeit von Informationen und die Problematik von Eigentumsrechten aufmerksam. Als weiterführend wurden in der Diskussion der Begriff der Leibhaftigkeit empfunden, weil er eine Enthemmung verhindere. Das Web 2.0 müsse in unserer Welt ankommen, in der das Internet ein Werkzeug sei.

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