Publicador de contenidos

Título individual

Bericht zu politischer Gefangenschaft und Folter «Wunden heilen»

de Tina Sattler
Mit dem Ziel «Wunden zu heilen, statt sie wieder zu öffnen» gab Chiles Staatschef Ricardo Lagos am 28. 11. 2004 den Bericht der Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura bekannt. Dieses historische Dokument markiert mit den Worten des Präsidenten einen «einzigartigen Höhepunkt des Prozesses der Versöhnung». Dieser Prozess begann bereits unter den Präsidenten Patricio Aylwin, mit dem Einsetzen der Comisión Rettig, und Eduardo Frei mit dem «Runden Tisch».

Publicador de contenidos

Compartir

«No hay mañana sin ayer» war die Grundlinie von Chiles Präsident Ricardo Lagos in seiner Erklärung zu den Menschenrechten am 12. August 2003. Das «Schweigen der Vergangenheit zu brechen» war demnach auch das erklärte Ziel der Nationalkommission zu politischer Gefangenschaft und Folter, welche diese Menschenrechtsverletzungen während der Zeit der Militärregierung aufdecken sollte.

Sechs Monate lang befragten die Kommission und ihre Mitarbeiter 35.868 Personen nach strengen Kriterien und verglichen die Informationen mit den Unterlagen von staatlichen Institutionen, Militär und internationalen Organisationen. Die Aussagen von 27.255 Personen (76 Prozent) wurden demzufolge akzeptiert.

Die Kommission kommt in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass «politische Gefangenschaft und Folter eine systematische Staatspolitik der Militärregierung darstellten».

Das Militär und die Polizei seien in jedem ihrer Bereiche aktiv an massiven Festnahmen, Misshandlungen und Folterungen beteiligt gewesen. In fast allen militärischen Einrichtungen habe es Folterungen gegeben, aber auch in öffentlichen Einrichtungen wie Sportstadien, Schulen, Kulturzentren, Schiffen u.a..

Wie der Bericht beschreibt, sei die DINA in der Zeit von 1974 bis 1977 der Hauptakteur bei Festnahmen und Folterungen gewesen, die sich in erster Linie gegen militante politische Akteure oppositioneller Gruppierungen richteten.

Von Dezember 1977 bis März 1990 habe hingegen die CNI als hauptsächliches Repressionsorgan versucht, die politische Willenskundgebung breiter Bevölkerungsgruppen zu unterdrücken.

Die systematische, institutionelle Ausübung von Folter sei, so der Bericht, nur dadurch möglich gewesen, dass die Militärregierung die rechtsstaatlichen Prinzipien aussetzte und die Staatsmacht in ihren Händen konzentrierte. Durch den Rückzug des Justizwesens, insbesondere des Obersten Gerichtshofes, seien die Opfer wehrlos den Menschenrechtsverletzungen durch Vertreter der Staatsgewalt ausgesetzt gewesen. Über die Verhängung des Ausnahmezustandes über längere Perioden habe allein die Junta entschieden, «da keine demokratischen Kontrollelemente mehr bestanden».

Auf diese Weise habe auch die chilenische Presse durch ihre freiwillige oder erzwungene Kolaboration mit der Militärregierung zu den Verletzungen der Menschenrechte beigetragen.

Der Bericht weist mehrfach darauf hin, dass viele Chilenen die Ausübung von Folter bis heute abstreiten, während die Opfer vielfach aus Gründen der Würde geschwiegen haben.

In ihren Aussagen berichteten sie nun u.a. von Schlägen, Verletzungen durch Feuer oder ätzende Mittel, Elektroschocks, Todesdrohungen und Erniedrigungen. Fast alle der 3.399 Frauen, die vor der Kommission aussagten, bezeugten sexuelle Gewalt. 88 Minderjährige unter 12 Jahren wurden dem Bericht zufolge gefoltert.

Diese Erfahrungen stellten einen Bruch im Leben der Opfer und ihrer Familien dar, deren psychische, physische und soziale Folgen sich bis heute auswirken. Die Stigmatisierung führte in vielen Fällen zum wirtschaftlichen Ruin der Familie. Zudem veränderten die Menschenrechtsverletzungen «… die historischen Modelle der zivilen und bürgerlichen Partizipation sowie das Vertrauen der Personen untereinander und zu den Institutionen», so der Bericht.

Die Kommission schlägt deshalb Reparationsleistungen auf individueller, kollektiver und institutioneller Ebene vor. Gemäß diesen Empfehlungen bestätigte Lagos die Einrichtung eines Instituto Nacional de Derechos Humanos, die Bereitstellung einer lebenslangen Rente von monatlich 112.000 Pesos sowie Beihilfen für Bildung, Wohnung und Gesundheit. Bis zum 31. Januar 2005 soll das Projekt vom Kongress verabschiedet werden.

Am wichtigsten sei jedoch die öffentliche Anerkennung der Betroffenen als Opfer von Unrecht. Das «Desinteresse, die Ungläubigkeit und die Verleugnung der Gesellschaft hinsichtlich der Existenz der Menschenrechtsverletzungen» habe bisher die Folgeschäden für Opfer und Gesellschaft verstärkt. Präsident Lagos bezeichnete deshalb die Arbeit der Kommission als den «wichtigsten Akt der Wiedergutmachung».

Auch die Oppositionskoalition Alianza por Chile erklärte ihre Unterstützung des Berichtes sowie der Reparationen. Allerdings kritisierten die rechten Parteien, dass der Bericht den politischen Kontext, in dem die Gewalt entstanden sei, vernachlässige. Die Schuld läge auch bei der politischen Linken, welche zwischen 1970 und 1973 die Gewalt als Mittel des politischen Handelns eingeführt und die Gegengewalt provoziert hätte.

Da Schuld individuell sei, lehne die Alianza por Chile eine kollektive Bitte um Verzeihung ab.

Emilio Cheyre, der Oberkommandierende des Heeres, hält hingegen die Geste des «mea culpa» aufrecht und bezeichnet die Schuld als «institutionell». Die Armada ihrerseits bekannte sich erstmals zur Existenz von Folter. Auf dem Schulschiff Esmeralda sei dem Bericht zufolge an 12 Tagen von einer externen Einheit gefoltert worden, erklärte Admiral Miguel Angel Vergara. Man erwäge derzeit, die Esmeralda aus dem Verkehr zu ziehen.

Organisationen ehemaliger Militärs sprachen dem Dokument jedoch jede Legitimation ab. Der Bericht sei unilateral und verkenne die politische Situation. Bei den Ereignissen des 11. September 1973 habe es sich um eine Revolution mit Opfern auf beiden Seiten gehandelt, um einen Bürgerkrieg im Land zu verhindern.

Der Bericht betont hingegen, es sei nicht seine Aufgabe «die verschiedenen Faktoren aufzudecken, die … zum Bruch der Demokratie in Chile geführt haben. Die Kenntnis des Prozesses, der in den 11. September 1973 mündete, rechtfertigt nicht die spätere massive Verletzung der Menschenrechte».

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International würdigten zwar die Bedeutung des Berichts, bezeichneten aber die Reparationen als «unzureichend». Zudem forderten sie die Anullierung des Amnestie-Gesetzes sowie die Verurteilung der Folterer gemäß der internationalen Menschenrechtskonventionen.

Präsident Lagos erklärte hingegen explizt, die Verurteilung der Personen, die gefoltert haben, sei nicht Aufgabe des Berichtes.

Chile wolle vielmehr das Unrecht der Opfer wiedergutmachen, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen und in eine versöhnte, demokratische Zukunft zu blicken.

Publicador de contenidos

comment-portlet

Publicador de contenidos