Publicador de contenidos

Título individual

Die politische Lage in Chile – Christdemokraten entwickeln neues Selbstbewußtsein

de Dr. Helmut Wittelsbürger
Die innenpolitische Entwicklung ist von zunehmenden Spannungen und Verwerfungen innerhalb der Regierungskoalition gekennzeichnet. Staatspräsident Ricardo Lagos (PPD) hat trotz seiner nach wie vor hohen persönlichen Popularität nicht verhindern können, daß die Friktionen und Konflikte zwischen den vier Koalitionsparteien der “Concertation” zu einem großen Ansehensverlust der Regierung führen. Zahlreiche Skandale sorgen für hohen Zuspruch der chilenischen Wählerinnen und Wähler für die beiden Oppositionsparteien der “Alianza por Chile”, der rechtskonservativen “Unión Democrática Independiente” und der Mitte rechts Partei, der “Renovación Nacional”. Über 50% der Chilenen sehen in dem wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten der Opposition für die Wahlen 2005, Joaquín Lavín, zur Zeit Bürgermeister von Santiago, den nächsten Staatspräsidenten.

Publicador de contenidos

Compartir

Das „Concertationsmodell“ entstand aus der Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte für den Sieg beim Plebiszit 88 gegen General Pinochet. Seit den ersten demokratischen Wahlen 1989 stellen die in der „Concertation“ zusammenarbeitenden vier Parteien (Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, und radikale Sozialdemokraten) bereits die dritte Regierung. Zwei christlich demokratischen Staatspräsidenten Aylwin und Frei regierten bis 99; seit den Wahlen 2000 steht die dritte Concertations-Regierung unter der sozialistischen Präsidentschaft von Ricardo Lagos.

Die Regierungsgeschäfte für Staatspräsident Lagos sind schwierig geworden. Innerhalb der Regierungsparteien haben sich die Spannungen verschärft. Insbesondere die Christdemokraten beklagen seit 2001 (bereits unter dem Parteivorsitzenden Hormazábal), daß der Regierungschef zu wenig Rücksicht auf die internen Kräfteverhältnisse innerhalb des Regierungslagers nimmt. Daran hat auch die im Januar 2002 und im März 2003 vollzogene Kabinettsumbildung wenig geändert. Verschiedene Kräfte innerhalb dieser Koalitionsparteien sehen die “Concertation” als ein erschöpftes Regierungsmodell und geben diesbezügliche Erklärungen öffentlich ab. Daher versucht Staatspräsident Lagos die Regierungsfähigkeit durch Schulterschlüsse mit den Parteien der parlamentarischen Opposition sicherzustellen. Dies verstärkt die schwelenden Konflikte der die “Concertation” bildenden vier Parteien innerhalb und untereinander.

Bedingt durch ein binominales Mehrheitswahlrecht (eingeführt von der Militärregierung mit Verfassungsrang) bilden sich in Chile zwei Blöcke als Ergebnis von Urnengängen heraus. Dies widerspricht der traditionellen Dreiteilung der Wählerpräferenzen in „Links, Mitte und Rechts“, die sich bei den im Lande abgehaltenen demokratischen Wahlen vor der Militärdiktatur immer herausbildeten.

Für die in Chile deshalb so notwenige Änderung des Wahlrechts fand sich bisher keine Interessenkoalition. Vor diesen Hintergrund setzt die neue Parteiführung (der Vorsitzende der PDC ist seit Januar 2002 im Amt) auf eine Rückgewinnung der politischen Mitte.

In der Außenpolitik konnte das Land seine Positionierung in den internationalen Beziehungen und seine Stellung als Musterknabe innerhalb der lateinamerikanischen Region festigen. Die im Vergleich zu den Nachbarländern relativ stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung veranlaßten vor allem die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, Zeichen für die Bedeutung ihrer Außenbeziehungen zum lateinamerikanischen Subkontinent an außergewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen mit Chile festzumachen. Damit prämierten die wichtigsten Handelsblöcke (USA und Europa) den erfolgreichen wirtschafts-, sozial und demokratiepolitischen Entwicklungsweg des Landes seit der Redemokratisierung vor zwölf Jahren. Die für die Handelspolitik, die entwicklungspolitische Zusammenarbeit und die politischen Beziehungen zwischen Chile und den Staaten auf den wichtigsten Exportmärkten ausgehandelten bilateralen Rahmenbedingungen sollen zugleich Ansporn für weitere Länder in Lateinamerika sein, sich am Beispiel einer sozialverträglichen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik in Chile zu orientieren.

Die Architektin dieser Abkommen auf chilenischer Seite, die christdemokratische Außenministerin Soledad Alvear zählt daher zu den beliebtesten und populärsten Politikern des Landes.

Situation der christlich demokratischen Partei

Am 25. Januar 2002 wurde der 58-jährige Adolfo Zaldívar Larraín mit knapp 53% der Delegiertenstimmen mit seiner Liste gegen zwei weitere Kandidaten im ersten Wahlgang auf dem Parteitag der DC zum neuen Vorsitzenden gewählt. Im Dezember 2001 erlebte die Partei bei den chilenischen Parlamentswahlen ein Waterloo. Sie verlor 14 Abgeordnetensitze und zwei Senatorenposten und mußte die langjährig behauptete Stellung als stäkste Partei Chiles an die rechtskonservative Unión Democrática Independiente (UDI) abgeben.

Adolfo Zaldívar, der zum wirtschaftsfreundlichen Flügel innerhalb der Partei gehört, steht einer bedingungslosen Zusammenarbeit mit den Linksparteien (PS und PPD) innerhalb der seit 1990 bestehenden „Concertation“ kritisch und skeptisch gegenüber. Er traf in seiner Bewerbungsrede für das Amt des Parteivorsitzenden am besten die Stimmung der Delegierten. Durch die langjährige Zusammenarbeit innerhalb der drei “Concertations”- Regierungen habe sich das eigenständige Profil der Christdemokratie verwischt. Die chilenischen Wählerinnen und Wähler könnten nicht mehr erkennen, für was die DC stehe und wie sie sich in der Formulierung politischer Antworten von den anderen “Concertations “-Parteien unterscheide. Dem müsse in den verbleibenden zweieinhalb Jahren, bis zu den Gemeinderatswahlen 2004, entschieden entgegengetreten werden. Die Partei müsse wieder Eigenständigkeit entwickeln. Dies könne nur durch klare Abgrenzung von extremen Positionen sowohl auf der linken wie der rechten Seite des pluralistischen chilenischen Spektrums geschehen. Die DC sei eine Partei des Zentrums. Dies müsse in Zukunft deutlich herausgestellt werden.

November und Dezember 2002 war es zu heftigen parteiinternen Auseinandersetzungen gekommen. Ein Bestechungsskandal im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge wurde durch die Medien entdeckt und denunzierte fünf Abgeordnete, die angeblich Beschleunigungsgelder von einer privaten Firma erhielten, die im Auftrag des Ministeriums für öffentliches Auftragswesen handelte. Ohne staatsanwaltliche Ermittlungen abzuwarten und ohne der zuständigen chilenischen Justiz Zeit für eventuelle Anklagen und Prozesse zu geben, beantragte der Parteivorsitzende bei den zuständigen Parteigremien den sofortigen Ausschluß der beiden in den Skandal verwickelten christdemokratischen Abgeordneten aus der Partei. Diese drastische Maßnahme wurde von vielen christdemokratischen Politikern als Vorverurteilung empfunden und rief in der Öffentlichkeit ausgetragene Kritik an Adolfo Zaldívar und seiner Führungsmannschaft hervor.

Die Parteibasis jedoch betrachtete diese Entscheidung mit großer Genugtuung, insbesondere da PS und PPD, von denen drei Abgeordnete ebenfalls beschuldigt wurden, nicht in der gleichen rigorosen Art und Weise sich dieses Problems entledigten. Die chilenische Christdemokratie hat moralische Größe gezeigt und verdeutlicht, daß ihre Prinzipien nicht nur in Sonntagsreden verkündet werden. Zwischenzeitlich hat eine zuständige juristische Prüfinstanz den fünf in den Skandal verwickelten Abgeordneten ihre Immunität entzogen und damit die Justiz in die Lage versetzt, ein ordentliches Gerichtsverfahren einzuleiten. Die zunächst als Vorverurteilung angesehene Entscheidung des Parteivorsitzenden wurde auf diese Weise im Nachhinein als opportun bestätigt.

Noch größer war die Aufregung, als die wichtigste Tageszeitung des Landes “El Mercurio” Adolfo Zaldívar mit den Worten zitierte, die „Concertation“ sei beendet. Natürlich hatte der Vorsitzende das so nicht gesagt. Der Mercurio, der dem rechten politischen Spektrum in Chile nahesteht, betreibt seit Beginn der Redemokratisierung eine Kampagne gegen die Christdemokratie. Es paßte daher in die Strategie von Redaktion und Herausgebern, Unfrieden durch halbrichtige Zitate innerhalb der regierenden Koalitionsparteien zu säen.

Was Adolfo Zaldívar ausdrückte und meinte, fand in großen Teilen der Partei Unterstützung: Präsident Lagos regiere zu eigenmächtig, ohne die Kräfteverhältnisse der Koalitionsparteien untereinander in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die DC fühle sich bei wichtigen politschen Regierungsentscheidungen nicht genügend konsultiert. Die jetzige Parteiführung sehe darüberhinaus in der momentanen Zusammensetzung des Kabinetts ihre Interessen zu wenig vertreten.

Die Kritik am politischen Management der „Concertation“ wurde von einigen Kreisen in der Partei als Aufkündigung des Regierungsbündnisses durch ihren Vorsitzenden interpretiert, ohne daß die Parteiführung eine gangbare Alternative für andere Koalitionsformen zur Regierungsbildung in Chile anbieten könne und damit wurde Präsident Zaldívar mit dem Vorwurf der Zerstörung der Regierungsfähigkeit der “Concertation” konfrontiert.

Eine Gruppe von zehn Dissidenten (Abgeordnete, Senatoren und andere DC-Spitzenpolitiker) reagierten mit einem Manifest, das breit über die Medien gestreut wurde und zum Ziel hatte, an der „alternativlosen Concertation” festzuhalten. Diese Gruppe setzte sich damit an die Spitze einer erklärten Gegnerschaft zum jetzigen Parteivorsitzenden.

Adolfo Zaldívar lenkte ein und bildete ein Gremium von acht Politikern aus den Koalitionsparteien, das neue Bedingungen und Strategien zur Dämpfung des Ansehensverlustes der Regierung erarbeiten soll. Mittlerweile gibt es keinen Zweifel mehr, daß die christdemokratische Parteiführung an der “Concertation” zumindest bis nach den Gemeinderatswahlen 2004 festhalten will. Mit einer konstruktiv kritischen Unterstützung von Staatspräsident Ricardo Lagos durch die DC bis Oktober 2004 kann gerechnet werden.

Die polarisierenden Aktionen und öffentlichen Auftritte von Adolfo Zaldívar haben der Parteibasis neues Selbstwertgefühl vermittelt. Lange war die Motivation und die Bereitschaft zum Engagement bei den Mitgliedern und Ortsverbandsvorsitzenden für das gemeinsame christdemokratische Politikverständnis nicht mehr gegeben. Ein Ruck geht durch die Partei und ihre Anhänger. Nach dem Motto “leg Dich quer, dann bist Du wer” hat es Adolfo Zaldívar in nur 18 Monaten vermocht, der Partei neues Selbstbewußtsein zu geben und verloren gegangene Wählerschichten für christdemokratische Positionen neu zu interessieren.

Mit Blick auf die Kommunalwahlen und seiner notwendigen Wiederwahl 2004 kämpft er entschieden um Geschlossenheit und erreicht in zunehmendem Maße, als stärkste Kraft innerhalb der “Concertations-Parteien“ wieder wahrgenommen zu werden. Die Parteibasis dankt ihm dies durch großen Zuspruch und Unterstützung.

Laut neuesten Umfragen liegt die PDC wieder als stärkste Partei vor der rechtskonservativen UDI. Der Zuspruch zu den Christdemokraten ist größer als die Summe der Wahlabsichten für die Linksparteien zusammen. Sollte es Adolfo Zaldívar gelingen, bei den Gemeinderatswahlen stärkste Partei zu werden, eröffnet dies Optionen für neue Regierungskoalitionen nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Dezember 2005.

Die sehr frühe Benennung des Präsidentschaftskandidaten der Opposition (2000) für die Wahlen im Dezember 2005 hat im Zeitablauf zu einem Ansehensverlust des amtierenden Bürgermeisters von Santiago (Joaquín Lavín, UDI) geführt. Sollte es dem „Concertationsblock“ gelingen, bei den Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen im Oktober 2004 deutlich besser abzuschneiden als der Block „Alianza por Chile“ (RN und UDI), wird wohl die Präsidentschaftskandidatur von Herrn Lavín Schaden nehmen und zur Disposition stehen. Der Zusammenhalt zwischen UDI und RN ist nur so lange gesichert, wie ein Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen 2005 von Herrn Lavín wahrscheinlich ist. RN möchte sich zu gerne aus der festen Umarmung der UDI lösen.

Das Wahlziel von Herrn Zaldívar, wieder stärkste Partei beim Urnengang im Oktober 2004 zu werden und einen größeren Anteil der Wählerstimmen für den PDC zu erhalten als PS, PPD und PRSD zusammen, ist ehrgeizig. Sollte ihm dies jedoch gelingen, eröffnet sich mit dem gleichzeitigen Niedergang der Kandidatur von Herrn Lavín eine mögliche Annährung zwischen PDC und RN. Die Bildung eines Mitte-Rechts Blocks, der sich von den linken politischen Kräften (PS, PPD und Kommunisten) und von der rechtskonservativen UDI absetzt, entspräche den traditionellen Wählerpräferenzen der Chilenen und hätte Chancen, als stärkste Kraft aus den Wahlen im Dezember 2005 hervorzugehen.

Diese Strategie ist nicht unumstritten. Die Gruppe der Dissidenten mit ihrer erklärten Gegnerschaft zur momentanen Parteiführung will auch für den Urnengang 2005 am „Concertationsmodell“ festhalten. Wenig Zweifel bestehen, daß bei einer vierten „Concertationsregierung“ der Präsidentschaftskandidat ein Christdemokrat wäre. Hierfür werden bereits im Vorfeld drei Namen gehandelt, die jedoch nur als „Concertationskandidaten“ Chancen hätten (die Außenministerin Soledad Alvear, der ex-Präsident Eduardo Frei und der amtierende Wohnungsbauminister Jaime Ravinet).

Ein Ausscheren aus der Concertation und die Bildung eines möglichen Mitte-Rechts-Blocks wäre für Adolfo Zaldívar selbst die einzige Chance, als Kandidat der DC für die Präsidentschaftswahlen im Dezember 2005 antreten zu können.

Publicador de contenidos

comment-portlet

Publicador de contenidos