Grußwort des Pfarrers Gottfried Keindl:
Keindl bedankt sich dafür, dass der Einladung so viele gefolgt sind. Mombach sei nicht nur das Herz der Karnevalshochburg Mainz, sondern auch das Herz des Industriegebietes. Von den 13.000 Einwohnern sind 37% Migranten, die Arbeitslosendichte betrage 7%. Daher seien sozialpolitische Themen gerade für Mainz Mombach wichtig und das Andenken an Ketteler liege ihm besonders am Herzen. Ketteler sagte einst vor der Frankfurter Nationalversammlung: „Bitte bauen sie in Deutschland ein Haus in dem wir alle leben können.“ Das Thema ist Freiheit und Gleichheit! Soziale Gerechtigkeit als Grundlage unserer Demokratie im Rahmen der sozialpolitischen Vortragsreihe, in der schon Prof. Dr. Bernhard Vogel, Dr. Frank-Walter Steinmeier, Prälat Dietmar Giebelmann, Julia Klöckner, Rainer Brüderle und Malu Dreyer gesprochen haben. „An Werte zu glauben ist nur etwas für Schwache“, so gibt der Autor Mark Simons in der FAZ vom Samstag die Position der Menschen in Russland und dem Osten dem Westen gegenüber wieder. Der christliche Gott der Barmherzigkeit und Nächstenliebe sei ein Gegenentwurf dazu. Demokratische Grundwerte werden durch diese Haltung karikiert. Putins und Erdogans Macht und Handeln gehen gegen unsere Vorstellungen von Demokratie. Dass Familien zerfallen wird heute schon fast als normal betrachtet, die Regelungen zum Schutz des ungeborenen Lebens werden gelockert und in Belgien wird aktive Sterbehilfe nun auch für Kinder zugelassen. Hier sei Handeln gefragt, so Keindl. Es fände in Deutschland eine Umwertung der Werte statt, ob die dann besser werden oder mehr Freiheit und Gleichheit bringen, sei jedoch fraglich.
Dr. Moerschel begrüßt die Gäste, insbesondere Annegret Kramp-Karrenbauer, Heinz-Herrman Schnabel und als Moderatorin Dr. Simone Schelberg. Die Teilnahme am Forum beweise die Unterstützung Kettelers. Sein politisches Handeln mache Ketteler zum Vorbild, seinem Vorbild entsprechend sei die CDU seit 1945 aufgebaut worden: dieser Idee fühlt sich Dr. Moerschel verpflichtet und setzt sich im Sinne Kettelers für das industriell geprägte Mainz-Mombach ein, er will zum sozialen Leben in Mombach beitragen. Auch für ihn persönlich sei Ketteler ein Vorbild für ihn, so Moerschel, Ketteler habe sich eingemischt, er war Politiker, Verfechter von Gerechtigkeit und Solidarität, war Abgeordneter des Paulskirchenparlamentes, Mitglied des Deutschen Reichstages, Mitbegründer der Katholischen Soziallehre, und das Forum wolle das alles diskutieren und weitertragen, es lädt Politiker zum Gespräch, die sich sozial verpflichtet fühlen, so zum Beispiel Annegret Kramp-Karrenbauer. Im Saarland kenne sie jedes Kind, sie engagierte sich in ihrer Heimatstadt, ist seit 1999 Mitglied des saarländischen Landtages, war parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, war Ministerin für Inneres uns Sport im Saarland, ist Landesvorsitzende der CDU Saarland und seit 2011 Ministerpräsidentin des Saarlandes. Sie ist dafür bekannt, unbequeme politische Positionen beherzt zu vertreten, sich nicht zu verbiegen. Ihr Markenzeichen: zur richtigen Zeit den und aufzumachen für eine Politik des gerechten Ausgleichs. Sie ist begeisterte Karnevalistin, tritt auch mal als Putzfrau auf und lässt keinen Karneval aus. Wir freuen uns auf ihren Vortrag Freiheit und Gleichheit! Soziale Gerechtigkeit als Grundlage unserer Demokratie, auf die anschließende Diskussion und danken Herzlich allen freiwilligen Helfern!
Annegret Kramp-Karrenbauer:
Wie Mainz-Mombach ist auch das Saarland stark industriell geprägt und hat einen hohen Anteil an Migranten, vor allem aus Italien und der Türkei. Die saarländische CDU hatte schon immer eine Sonderrolle in der CDU, schon unter Franz Josef Röder war sie immer ausgesprochen christsozial, positionierte sich am linken Rand der CDU weil die Wähler meist aus der Arbeiterschaft kamen. So passierte viel christliche Gewerkschaftsarbeit und Interessensvertretung der Arbeitnehmerschaft die Arbeit der saarländischen CDU. Bischof Ketteler ist auch im Saarland ein Begriff, so gibt es zum Beispiel Ketteler-Siedlungen.
Freiheit und Gleichheit, soziale Gerechtigkeit ist die Grundlage unserer Demokratie. Der Leitkommentar der FAZ vom Wochenende, der vorhin erwähnt wurde, ist eine klassische Fehleinschätzung, denn die Orientierung an Werten fordert Kraft und Rückgrat, im Zweifelsfall auch die Konsequenzen für die Durchsetzung der Werte zu tragen ist wichtig. Was auch immer aus Sicht Russlands und Asiens eine Frage der Stärke ist, auch im Blick auf den Krim-Konflikt, gibt es am Ende des Tages nur die Frage, ob wir bereit sind unserer Bekenntnis zur Demokratie Taten folgen zu lassen, ob wir bereit sind, nicht nur über Sanktionen zu sprechen, sondern sie auch durchzusetzen. Und da fehlt es noch an gesellschaftlicher Diskussion, denn die Fragen, die die Diskussion um den Krim-Konflikt am stärksten prägen lauten: was bedeutet das für uns? Wie wirkt sich das auf uns aus? Die Frage der Orientierung an und Bekenntnis zu Werten ist eine Frage der Konsequenz. Auch Gespräche über Freiheit und Gleichheit müssten sich im Jahr 2014 eigentlich erübrigen, doch obwohl die individuelle Freiheit heute groß ist und gemessen am Budget die Ausgaben für soziale Absicherung hoch sind, macht sich bei vielen das Gefühl breit, nicht frei zu sein, gebunden zu sein, gezwungener als frühere Generationen, das Gefühl dass es nicht gerechter zugeht. Mehr Gleichheit ist nichts Automatisches. Meine Fragen sind, was bedeutet Freiheit im Jahr 2014? Woher kommt dieser Widerspruch? Heute wird Freiheit von der Gesellschaft oft als Freiheit von definiert. Freiheit von der Pflicht, etwas zu tun, von gesellschaftlichen Vorhaben, vor allem als Frau. Früher war die Frage, was eine Frau macht, wie sie lebt, wie sie ihr Leben gestaltet, eine Frage der gesellschaftlichen Konventionen, die Rolle der Frau war klar definiert. Heute ist das nicht mehr der Fall und trotzdem haben viele Frauen das Gefühl, gefangen zu sein. Widmen sie sich ihren Kindern, sind sie Heimchen am Herd, bringen sie Kinder und Karriere unter einen Hut, sind sie Rabenmütter. Für mich ist die Definition von Freiheit nicht Freiheit von sondern Freiheit für oder Freiheit zu. Um es deutlicher zu formulieren: wir haben als Individuen und als Gesellschaft die Freiheit und die Verantwortung etwas zu tun, wir können etwas tun. Das Materielle Umfeld unserer Kinder macht heute alles möglich – man denke nur an moderne Kommunikationswege – aber was wirklich wichtig ist, ist Kinder so zu erziehen, dass sie mit den Möglichkeiten und mit der Freiheit auch umgehen können. So kommt für mich zu dem Begriff Freiheit auch der Begriff Verantwortung. Auch die Verantwortung, in dieser Zeit, wo für den einzelnen alles möglich ist, Kinder dazu zu erziehen, dass sie die Verantwortung haben, die Freiheit für sich zu übernehmen. Und sich für das Richtige zu entscheiden. Und dann müssen wir es auch aushalten und ertragen können, dass die Menschen die Freiheit haben und sie sich nehmen, etwas zu tun, was wir vielleicht für falsch halten, und auch die Konsequenzen für diese Freiheit selbst tragen. Doch nicht nur unsere Gesellschaft ist non Freiheit und Verantwortung geprägt, auch unsere Wirtschaft ist es. Heute Morgen war ich in Paris auf einer Fachkonferenz zum Thema Ausbildungssysteme in Deutschland und Frankreich. Der gravierendste Unterschied ist die Freiheit und Verantwortung auf deutscher Seite. Junge Menschen auszubilden ist die Freiheit und die Verantwortung der deutschen Unternehmen, und es liegt in ihrem eigenen Interesse. Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist partnerschaftlich und es ist keine regulierende Einmischung des Staates erwünscht. Das Gegenteil davon ist das französische Modell, wo Unternehmer sich nicht in der Pflicht sehen, wo Gewerkschaften nicht in Anspruch nehmen, eine Sozialpartnerschaft mit dem „Patron“ einzugehen, und auch der Staat organisiert keine Vermittlung von Praktika und Ähnlichem. Im Saarland haben wir ein demographisches Problem, in Lothringen beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 25%. Warum ist es nicht möglich, dass junge Menschen nach Saarland kommen, und dort eine Ausbildung machen? Der Grund dafür liegt in den unterschiedlichen Grundauffassungen unserer dualen Ausbildung. Für Frankreich und andere Nachbarländer ist eine kulturelle Übersetzung gefragt. Freiheit ist auch in dieser Hinsicht ein wichtiges Thema. Was macht einen Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit aus? Doch in der politischen Diskussion ist dieses Thema in Verruf geraten, eben weil viele sich mit diesem Thema schmückten und Freiheit als Freiheit von etwas definiert haben, und Freiheit nicht als Freiheit und Verantwortung gesehen haben. Freiheit im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft kann nie nur eigene, individuelle Freiheit sein, sondern muss immer mit Verantwortung gepaart sein. Es dürfen nicht nur eigene Unternehmensziele im Fokus stehen, sondern auch die Frage, was bedeutet das für meine Umgebung und Gesellschaft. Die beste Situation ist natürlich, wenn beides zusammenkommt, der eigene Wunsch, das Unternehmensziel und ein positiver Effekt auf die Allgemeinheit, auf den Arbeitsmarkt und die Demographie. Heute engagieren sich Unternehmen stärker, sie sind diejenigen, die nach jungen Menschen suchen, die bereit sind einzusteigen, eine Ausbildung zu machen, sie werben und bemühen sich ihre Mitarbeiter zu halten. Vor Jahren war das noch anders. Die Diskussion um die Ausbildungsabgabe, als die großen Konzerne in zunehmendem Maße nicht mehr ausbilden wollten. Wären wir darauf eingegangen, wäre es fatal, doch im Blick auf unsere Werte haben wir immer darauf hingewiesen, dass wir nicht auf die Ausbildungsabgabe setzen und auf die Verantwortung der Unternehmen gepocht. Das Bewusstsein für das Allgemeinwohl, nicht nur das eigene Interesse, brauchen wir und zwar nachhaltig. Die deutsche Demokratie und soziale Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg steht in engem Zusammenhang mit dem Gelingen des Wohlstand-für-Alle-Prinzips. Dadurch sind die Mächte der Mitte stark geworden. Daher ist das Vertrauen, dass die Menschen in Deutschland hatten, wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es auch mir gut. Dieses Grundvertrauen muss bestehen bleiben. Und wenn man die persönliche Situation von der Wirtschaft abkoppelt, dann geht dieses Vertrauen verloren. Ich erinnere mich an eine Diskussion über die soziale Verpflichtung der Unternehmer. Am morgen des zweiten Tages erschien in der Zeitung eine Schlagzeile darüber, dass die Deutsche Bank soundso viele Mitarbeiter entlässt. Und damit war die Diskussion vergessen, weil deutlich wurde, dass diese Konferenzen keinen Unterschied machen, sie haben keinen Einfluss auf einen Konzern wie die Deutsche Bank. Solche Zusammenhänge müssen geachtet werden. Es darf auch nicht sein, dass es in einer Gesellschaft, in der wir auf Tariffreiheit setzen, und Tarifverträge gut funktionieren auch Lücken gibt, und wir es dulden, dass Menschen trotz einer guten Ausbildung und Vollzeitbeschäftigung nicht in der Lage sind, eine Familie zu ernähren. Das erschüttert das Vertrauen in den Staat und das System. Wir brauchen Lohnuntergrenzen, der Mindestlohn muss besprochen werden. In der Konsequenz müssen wir bereit sein, zum Beispiel im Einzelhandel als Endverbraucher höhere Preise zu zahlen. Wir müssen bereit sein, dafür Verantwortung zu tragen. Welche Bedeutung hat das für uns? Es wäre falsch und stünde im Widerspruch zu unseren historischen Erfahrungen eine Gleichheit im Sinne der Gleichheit im Ergebnis anzustreben. Es wird nie eine Gesellschaft geben, in der wirklich alle gleich sind, am ende des Tages wird es, wie Orwell es formuliert haben, immer jemanden geben, der etwas gleicher ist als andere. Gleichheit ist eine Gleichheit der Chancen, jeder muss die Möglichkeit haben, aus seinen Anlagen und seinen Talenten das Beste machen zu können, wenn er es will. Ein wichtiger Aspekt dieser Chancengleichheit ist der Bildungserfolg von Kindern, wir dürfen Kinder nicht wegen ihres Elternhauses in Schubladen stecken, sondern auch ihnen die gleichen Chancen ermöglichen. Vielmehr müssen wir Familien viel früher bei Erziehung Förderung unterstützen und stärken. Das kann und soll der Staat auch nicht alleine organisieren, dazu muss auch im Bereich Ehrenamt viel beigetragen werden. Zum Thema Inklusion muss man berücksichtigen, dass im Fokus das einzelne Kind stehen sollte. Inklusion ist nicht automatisch das Beste für alle. Was der Staat sicherstellen muss, ist dass für jedes Kind die bestmögliche Betreuung zur Verfügung steht. Aber auch Generationengerechtigkeit ist ein wichtiger Aspekt dieser Thematik. Menschen jenseits der 50 das Gefühl geben, sie werden nicht mehr gebraucht, Müttern, die sich ihren Kindern gewidmet haben den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erschweren, ist nicht das richtige Signal. Aber Freiheit geht nicht nur im nationalen Kontext mit Verantwortung einher, sondern auch im internationalen. Wir müssen unsere Werte nach Außen tragen und bereit sein, sie durchzusetzen. Die Demokratie, Freiheit und Gleichheit sollten unser wichtigster Exportschlager sein.