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Die Universität im Zentrum der religiösen Identitätskrise Tunesiens

de Klaus D. Loetzer, Philipp Trösser

Ein Hintergrundbericht

Am Abend des 05.01.2012 ging eine Episode zu Ende, die in den letzten Monaten zum Symbol für Tunesiens Identitätskampf zwischen Säkularität und Islam geworden war. Seit dem 28.11.2011 hatten Salafisten die Universität von Manuba nahe bei Tunis besetzt und Unterricht unmöglich gemacht. Salafisten repräsentieren Islamismus in seiner radikalsten Form und möchten die bisher relativ moderne tunesische Gesellschaft nach dem Vorbild Saudi-Arabiens und dessen Moralität umkrempeln.

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Unter Bourguiba und Ben Ali unterdrückt

Unterdrückt unter Zine Ben Ali und Habib Bourguiba, sind salafistische Strömungen in der Gesellschaft seit der Flucht Ben Alis präsenter geworden und vor allem seit den Wahlen vom 23.10.2011 für ihr Weltbild verstärkt eingetreten. Aus diesen Wahlen ging die Mehrzahl der säkularen und linken Parteien ganz klar als Verlierer hervor, während die "moderat" islamistische Partei Ennahdha als weitaus stärkste Kraft in der Verfassungsgebenden Versammlung vertreten ist und damit neben dem Premierminister auch die meisten und wichtigsten Regierungsposten besetzt. Salafistische Parteien waren selbst nicht bei den Wahlen vertreten, haben sich jedoch durch den durch En-nahdha symbolisierten Bruch mit der säkularen Vergangenheit Tunesiens in ihren Bestrebungen gestärkt gefühlt.

Insofern ist die durch das Eingreifen der neuen Regierung geschehene Aufhebung des Salafisten-Sitzstreiks von großem symbolischen Wert. Nach optimistischer Interpretation bedeutet dieser Akt, dass sich Tunesien unter der Führung Ennahdhas zwar mehr und mehr als muslimisches Land versteht, dass dies jedoch nur in den durch die weit fortgeschrittene Säkularisierung der tunesischen Gesellschaft gegebenen Grenzen geschieht bzw. möglich ist.

Die Fakten zur Blockade

Am 28.10.2011, ungefähr zu dem Zeitpunkt als Ennahdhas Wahlsieg bekannt wurde, erschienen die ersten vollständig verhüllten Studentinnen, dem "Niqab", in der Universität von Manuba. Diese Verhüllung, zunehmend in der tunesischen Gesellschaft anzutreffen, soll zum einen die tiefe Religiosität zeigen und zum anderen vor den "beschmutzenden Blicken des männlichen Geschlechtes" schützen. Nach kurzer Beratung waren sich Rektor und Fachrat einig, das Tragen des Niqab auf dem Campus zu erlauben, in den Unterrichtsräumen und bei Klausuren jedoch zu untersagen. Die Begründung ergibt sich daraus, dass sie die Identifikation und auch die Interaktion zwischen Lehrkörper und Studentin verhindere. Es wird geschätzt, dass in ganz Tunesien nur etwa 60 Studentinnen auf das Tragen des Niqab bestehen, in Manuba waren es nur zwei. Nach der "tunesischen Revolution" fordern im ganzen Land verschiedene Bevölkerungsgruppen bis dato nicht dagewesene Rechte ein, so auch in diesem Falle. Am 28.11.2011 besetzten etwa 100 Salafisten – in ihrer großen Mehrzahl nicht Stu-denten dieser Universität – deren Eingangs-halle und verhinderten damit den Unterricht. Sie verfügten über große Lautsprecher, über die sie die Texte des Koran erschallen ließen und über die nächsten Wochen stellten sie auch mehrfach ihre Gewaltbereitschaft erneut unter Beweis. Sie forderten die Zulassung des Niqabs in Unterrichtsräumen und bei Klausuren, die Einrichtung eines Gebetsraumes im Innern der Universität und – auch wenn sie dies nur in Abwesenheit der Presse vorbrachten – geschlechtergetrennten Unterricht. Die Atmo-sphäre war sehr angespannt zwischen Sala-fisten, Universitätspersonal und anderen, vor allem über den Unterrichtsausfall verärgerte Studenten.

Kompromissbereitschaft der Uni nicht honoriert

Es zeigte sich schnell, dass die Verwaltung der Universität im Hinblick auf die Einrichtung eines Gebetsraumes durchaus zu Kompromissen bereit war – nicht jedoch was das Niqab betrifft. Auch weigerte sich Rektor Habib Kazdaghli zunächst, das Prob-lem durch eine Intervention von Sicherheitskräften zu lösen, die traditionell ohne Anforderung des jeweiligen Rektors nicht auf dem Campus eingreifen dürfen. Diese Position änderte sich jedoch nach Gewaltanwendung von Seiten der Salafisten am 06.12.2011. Die Übergangsregierung unter Béji Caïd Essebsi kam jedoch dem Gesuch des Rektors auf das Entsenden von Sicherheitskräften nicht nach. Auch die neue Regierung ging dem Problem zunächst aus dem Weg und qualifizierte es als "universitätsintern". Das ist schwer nachvollziehbar, da die in der Regierung dominierende Ennahdha Partei auch Befürworter von strikter islamischer Moralität beinhaltet. Die Regierung geriet jedoch im Anschluss an die Stellungnahme ihres neuen Innenministers, Ali Laârayedh (Ennahdha), der als sehr gemäßigt gilt, in Zugzwang, der sich am 26.12.2011 für "null Toleranz gegenüber jeglichem Individuum, welches die Sicherheit der Bürger bedroht ... oder Personen am Betreten von Verwaltungsgebäuden oder ähnlichen Einrichtungen hindert", aussprach. Als das Ministerium für Höhere Bildung unter Moncef Ben Salem (Ennahdha), der als strikt gilt, im Folgenden immer noch nicht auf das Anliegen des Rektors der Universität von Manuba antwortete, fanden sich Studenten, Eltern, Gewerkschaftsvertreter und Personal der Fakultät am 04.01.2012 vor dem Ministerium zu einem friedlichen Sitzstreik ein, um sich Gehör zu verschaffen. Moncef Ben Salem scheint jedoch das Gespräch verweigert zu haben. Im weiteren Verlauf kam es dann zu Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte, als Protes-tierende versuchten, sich Zugang zum Ministeriumsgebäude zu verschaffen. Die Situation erschien paradox: Die Sicherheitskräfte wendeten Gewalt gegen friedliche Studenten, Professoren und Pressevertreter an, ließen gewaltbereite Salafisten jedoch unbehelligt.

Neue Regierung handelt nach anfänglichem Zögern

Bevor dies die gerade erst eingesetzte Re-gierung in eine ernsthafte Krise stürzen konnte, beschloss diese dann doch noch, schnell zu reagieren. Am Abend des 05.01.2012 kamen Vertreter der Regierung, der Universitätsverwaltung sowie andere beteiligte Parteien zu einem Kompromiss und die Salafisten räumten das Gebäude – während Sicherheitskräfte sich eingreifbereit vor der Universität postierten. Den Salafisten wurde die Einrichtung eines Gebetsraumes im Innern der Fakultät zugestanden, sowie ihr Recht den Sitzstreik fortzusetzen – nur eben nicht in einer Weise oder an einem Ort, der die Aktivität der Universi-tät stören könnte. Dieser Kompromiss erinnerte sehr an einen bereits früher von Rektor Habib Kazdaghli unterbreiteten Vorschlag, der jedoch von den Salafisten zu-rückgewiesenen worden war.

Fazit: Salafisten testen ihre Grenzen aus

Rückblickend lässt sich zusammenfassen, dass die Besetzung der Universität von Manuba ein Versuch salafistischer Strömungen – eine klare Minderheit in der tunesischen Gesellschaft – war, dem Rest der Gesellschaft ihre Moralität aufzuzwingen. Die Geschehnisse in Manuba sind dabei kein Einzelfall. In anderen Universitäten ist ähnliches vorgekommen. Auch außerhalb der Universitäten haben radikal-islamistische Gruppen mit aggressiven Akten bis hin zu Körperverletzung auf ihrer Meinung nach Verstöße gegen muslimische Sittlichkeit oder ketzerische Handlungen reagiert. Etwa Übergriffe gegen angeblich unpassend gekleidete Lehrerinnen, oder auch der Brandanschlag auf den Sitz von Nessma TV im Anschluss an die Ausstrahlung des Films "Persepolis", in dem in einer Szene Allah als alter Mann dargestellt wird. Dem Chef von Nessame TV wurde mit dem Tode gedroht.

Es ist nicht ganz klar, warum gerade die Universität von Manuba sich derart zum Brennpunkt in der religiösen Identitätskrise Tunesiens entwickelt hat, man munkelt jedoch, dass dies an der Person des Rektors liege, der aktives Mitglied der "Gesellschaft zu Geschichte der Juden Tunesiens" ist, und den gewisse Interessengruppen zu de-legitimisieren versuchen.

Auf jedem Falle veranschaulicht diese Episode die Gratwanderung, die auch Ennahdha bewältigen muss, um die verschiedenen ideologischen Strömungen in ihrer Partei und in ihrer Wählerschaft zufriedenzustellen. Ennahdha bezeichnen sich als "moderate" Islamisten und versuchen Islamophobie sowohl in der tunesischen Gesellschaft, als auch unter den Außenhandelspartnern des Landes, entgegenzuwirken. Es wird sich zeigen müssen, ob vor allen Dingen säkulare Tunesier ihr jetzt mehr Vertrauen schenken werden, oder ob ihr Handeln in dieser Affaire nur als "zu wenig, zu spät" angesehen werden wird.**

Mit-Autor Philipp Trösser ist Praktikant am KAS-Büro Tunis

    • Die offiziellen Ergebnisse der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung kaschieren, dass bezogen auf die Gesamtwählerschaft von 7,6 Mio, weniger als 20 % für Ennahdha gestimmt haben.

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