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Laporan negara

Der deutsch-französische Ministerrat inmitten der unberechenbaren „rentrée politique“ in Frankreich

dari Anja Czymmeck, Max Willem Fricke

Wie der deutsch-französische Motor ohne französisches Benzin funktionieren soll

Am Freitag, dem 29. August 2025, kamen die deutschen und französischen Kabinettsmitglieder in Toulon zum 25. deutsch-französischen Ministerrat zusammen. Bereits am Vorabend wurde das Treffen durch ein gemeinsames Abendessen zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und Staatspräsident Emmanuel Macron in dessen Sommerresidenz Fort Brégançon eingeleitet. Seit dem Amtsantritt von Friedrich Merz hat die deutsch-französische Abstimmung – sowohl symbolisch als auch inhaltlich – spürbar an Dynamik gewonnen. Dies ist ein bedeutendes Signal angesichts der zahlreichen Herausforderungen, denen sich beide Länder gegenübersehen. Internationale und europäische Krisen wie der Konflikt im Gazastreifen, der Krieg in der Ukraine sowie die bilaterale Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich prägen derzeit das Verhältnis zwischen Berlin und Paris. Die Ergebnisse und Ankündigungen des Ministerrats haben die inhaltliche Koordination weiter konkretisiert. Gleichzeitig fällt das Treffen in eine Phase politischer Unsicherheit in Frankreich. Das für den 8. September angekündigte Misstrauensvotum, initiiert von Premierminister François Bayrou, wird entscheidend dafür sein, ob die gemeinsamen Prioritäten kurzfristig und mittelfristig umgesetzt werden können. Die Zeit drängt: Prognosen deuten darauf hin, dass spätestens mit der französischen Präsidentschaftswahl 2027 – möglicherweise aber auch schon infolge vorgezogener Neuwahlen – das politische Zeitfenster für substanzielle deutsch-französische Initiativen auf bilateraler, europäischer und internationaler Ebene sich schließen könnte.

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Deutsch-französischer Ministerrat in Toulon

Unter der Leitung von Bundeskanzler Friedrich Merz und Staatspräsident Emmanuel Macron, begleitet von weiteren Mitgliedern beider Regierungen, hat der deutsch-französische Ministerrat in Toulon getagt. Im Mittelpunkt der Beratungen standen die deutsch-französische Kooperation im Bereich der Wirtschafts- und Energiepolitik[1]. Zugleich tagte auch der deutsch-französische Sicherheits- und Verteidigungsrat[2] und konkrete Maßnahmen im Bereich Kulturpolitik und grenzüberschreitender Zusammenarbeit wurden diskutiert.

 

Wirtschafts- und Energiepolitik

Als Ergebnis der Beratungen zur Wirtschafts- und Energiepolitik wurde ein Dokument verabschiedet, das zahlreiche Leuchtturmprojekte umfasst – ein deutliches Zeichen für die strategische Ausrichtung der bilateralen Partnerschaft. In diesem Dokument bestärken Deutschland und Frankreich ihren Willen, ihre Zusammenarbeit zu stärken, um eine wettbewerbsfähige, sichere und klimaneutrale europäische Energieversorgung zu fördern.

 

Deutschland und Frankreich unterstützen die Prüfung eines neuen Strom-Interconnectors und planen bis 2026 gemeinsam mit Polen eine Studie zur Optimierung von Netzinvestitionen und Versorgungssicherheit. Zudem engagieren sie sich für den Südwestlichen Wasserstoffkorridor (H2Med und HY-FEN) und beabsichtigen Gespräche mit Spanien, Portugal und der EU zur Risikominderung. Beide Länder setzen sich für eine faire CO₂-Bilanz von Batterien ein, wollen regulatorische Hürden abbauen und bis 2040 eine gemeinsame Energiearchitektur entwickeln, die Investitionssicherheit und Technologievielfalt gewährleistet.

 

Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und Handelsherausforderungen betonen beide Länder die Bedeutung einer engeren Zusammenarbeit. Dazu wird ein strukturierter deutsch-französischer Dialog eingerichtet, der zweimal jährlich abwechselnd in beiden Ländern stattfinden soll. Der Dialog fokussiert sich auf Handelsabkommen, faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen und die effiziente Umsetzung der europäischen Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie soll durch Reformen des CO₂-Grenzausgleichssystems, flexible Strompreise für energieintensive Branchen und gemeinsame Leitmärkte gestärkt werden. Besonderes Augenmerk gilt der Batterieproduktion, unter anderem durch den „Battery Booster und das deutsch-französische Forschungsprojekt HIPOBAT für Hochleistungs-Festkörperbatterien, sowie der Sicherung kritischer Rohstoffe. Zudem wollen beide Länder ihre Zusammenarbeit in strategischen Industriebereichen wie Halbleitern und Künstlicher Intelligenz intensivieren, um eine nachhaltige Industrieinfrastruktur in Europa aufzubauen.

 

Zur Stärkung der digitalen Souveränität Europas setzen Deutschland und Frankreich auf gemeinsame Projekte in Spitzentechnologien wie KI, Quantencomputing, Cloud-Infrastrukturen und Raumfahrt. Sie engagieren sich im Important Projects of Common European Interest (IPCEI)-Next Generation Cloud Infrastructure and Services-AI-Projekt und fördern den Austausch von Expertinnen und Experten im Bereich Hochleistungsrechner. Für die Raumfahrt soll eine gemeinsame Roadmap erarbeitet und 2026 in Frankreich ein internationaler Weltraumgipfel geplant werden, mit dem Ziel, Europas technologische Führungsrolle langfristig zu sichern. Ein Gipfel zur digitalen Souveränität ist für den 18. November 2025 in Berlin angesetzt, an dem die EU-Kommission, Mitgliedstaaten und Wirtschaftsvertreter teilnehmen. Parallel wollen beide Länder die Cloud-Souveränität stärken, den Schutz sensibler Daten verbessern und Risiken bei Multi-Cloud-Strategien minimieren. Außerdem fördern sie die Vereinheitlichung digitaler Arbeitsplätze und öffentlicher Infrastrukturen sowie die Nutzung digitaler Werkzeuge. Gemeinsam setzen sie sich für eine Vereinfachung des EU-Rechtsrahmens insbesondere in den Bereichen KI, Cyber- und Datenpolitik ein.

 

Frankreich und Deutschland streben eine tiefere Integration des europäischen Binnenmarkts an, indem sie das EU-Regulierungsumfeld vereinfachen und bürokratische Hürden abbauen. Ziel ist es, Unternehmen aller Größen das grenzüberschreitende Wachstum zu erleichtern, unter anderem durch die Einführung einer EU-weiten Unternehmensrechtsform, die nationale Fragmentierung reduziert, ohne soziale Standards zu gefährden. Zudem setzen sich die Länder für fairen Wettbewerb innerhalb der EU und gegenüber Drittstaaten ein, unter anderem durch Anpassungen bei Fusionskontrollen und die konsequente Umsetzung des Digital Services Act.

 

Im Bereich Arbeitsmarkt und Sozialpolitik wollen Deutschland und Frankreich die Zusammenarbeit vertiefen, um Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Der erste deutsch-französische Sozialgipfel fand im Juli 2025 in Berlin statt und soll 2026 in Frankreich fortgesetzt werden. Eine gemeinsame Expertengruppe zur Zukunft der Arbeit arbeitet an einem Arbeitsplan für 2025, der unter anderem das EU-„Fair Labour Mobility Package“ umfasst.

 

Schließlich engagieren sich beide Länder, um Europas enormen Investitionsbedarf zu decken und eine echte Spar- und Investitionsunion zu schaffen. Initiativen wie die im Juli 2025 gestartete FIVE-Initiative fördern die Entwicklung tieferer und liquider Kapitalmärkte. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Finanzminister soll bis Ende 2025 einen Bericht zur Verbesserung des regulatorischen Rahmens für Start-up- und Scale-up-Finanzierungen vorlegen. Zudem unterstützen sie Maßnahmen zur Förderung von Verbriefungen mit dem Ziel, bis Ende 2025 eine Ratsposition zu erreichen.

 

Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Deutschland und Frankreich sind überzeugt, dass eine erhebliche Erhöhung der Verteidigungsinvestitionen sowie eine engere Zusammenarbeit auf EU-Ebene die europäische Verteidigungsindustrie stärken und damit die europäische Sicherheit verbessern werden. Sie unterstützen deshalb ambitionierte EU-Initiativen, die finanzielle Anreize schaffen, um Fähigkeiten zu fördern, die in Europa entwickelt und hergestellt werden, und um kritische Fähigkeitslücken im Einklang mit den Zielen der NATO zu schließen. Zudem betonen beide Länder die wichtige Rolle von NATO und EU und streben an, die Zusammenarbeit zwischen diesen Organisationen weiter zu vertiefen, um den Mehrwert für die europäische Sicherheit zu erhöhen. Im Bereich der Nuklearfragen hat Deutschland die Einladung Frankreichs zu einem strategischen Dialog angenommen, um gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsziele enger miteinander zu verbinden.

 

Enttäuschend ist jedoch, dass die Diskussionen um das Future Combat Air System (FCAS), ein neuralgischer Punkt bilateraler Spannungen und angesichts der Bedeutung der europäischen Verteidigungsfähigkeit besonders wichtig, nicht im Mittelpunkt standen. Ursprünglich war angekündigt worden, dass bis zu diesem Ministerrat eine Entscheidung fallen sollte. Macron und Merz hatten ihre Verteidigungsminister Pistorius und Lecornu beauftragt, bis Ende August 2025 Klarheit über das weitere Vorgehen mit der Industrie zu schaffen. Eine finale Entscheidung wurde nun jedoch erst für Ende des Jahres angekündigt. Frankreich, insbesondere durch das Unternehmen Dassault Aviation, das sich als führendes Unternehmen im Bau von Kampfflugzeugen sieht, fordert aus Effizienzgründen eine größere Führungsrolle von 80 %, während Deutschland mit Airbus Defence paritätische Strukturen fordert. Das Luftkampfsystem FCAS soll ab 2040 einsatzfähig sein und den Eurofighter ersetzen. Der politisch-strategische Druck ist groß: Ein Scheitern des Projekts könnte auch das Schicksal des eng verknüpften MGCS-Projekts (Main Ground Combat System), das den Kampfpanzer der Zukunft entwickeln soll, besiegeln. Beide Programme gelten als Schlüssel zur strategischen Autonomie Europas – ein zentrales Anliegen Macrons seit 2017.

 

Deutschland und Frankreich wollen ihre sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit in strategischen Bereichen intensivieren. Im Rahmen der European Long Range Strike Approach (ELSA)-Initiative wird die Abstimmung zu Deep Precision Strike (DPS) fortgeführt. Zudem soll die Nutzung europäischer Mittel und internationaler Expertise im Weltraumbereich optimiert werden. Ein zentrales Projekt ist die deutsch-französische Frühwarninitiative JEWEL, die ein weltraumgestütztes Raketenfrühwarnsystem (ODIN’s-EYE) und ein Netzwerk bodengestützter Radare umfasst. Eine Absichtserklärung und erste Umsetzungsvereinbarungen stehen kurz bevor. Die europäische Lufttransportkapazität wird ebenfalls weiterentwickelt, wobei das erfolgreiche A400M-Programm als Grundlage dient.

 

Ein weiteres Ziel ist ein bilaterales Innovationsprogramm im Verteidigungsbereich, das europäische Förderinstrumente nutzt und private Investitionen erleichtert. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll Rüstungskooperationen fördern und neue Partnerschaften vorantreiben. So wollen beide Länder ihre Verteidigungstechnologien in multilateralen Initiativen ausbauen.

 

Zur Ukraine verurteilen sie Russlands Angriffe und wollen zusätzliche Luftabwehrsysteme liefern. Gemeinsam mit NATO, EU und Partnern wird militärische Unterstützung, Ausrüstung, Industriekooperation und Ausbildung ukrainischer Piloten verstärkt. Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Stabilisierung der Schwarzmeerregion werden geprüft.

 

Absichtserklärung zur deutsch-französischen Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Medien und der Bekämpfung von Desinformation

Mit einer Absichtserklärung[3] im Bereich der Kultur wird ein neuer Impuls zur Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit und zur Stärkung des europäischen Zugehörigkeitsgefühls gegeben. Ziel ist eine koordinierte Reaktion auf Informationsmanipulation und ausländische Einmischung im Medienbereich.

 

Konkret umfasst das Engagement zwei Projekte: die Unterstützung von ARTE als führende europäische audiovisuelle Plattform mit Inhalten in allen EU-Sprachen zur Förderung europäischer Werte sowie die gemeinsame Aktion von France Médias Monde und Deutscher Welle zur Stärkung eines „demokratischen Schutzschilds“ für verlässliche Informationen über die EU hinaus. Eine ab September einberufene deutsch-französische Arbeitsgruppe koordiniert die Umsetzung und fördert dauerhafte europäische Finanzierungen.

 

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit setzen Deutschland und Frankreich neue Impulse, wie eine gemeinsame Erklärung[4] der Europaminister Benjamin Haddad und Gunther Krichbaum verdeutlicht. Ziel ist es, die Lebensrealität der Grenzgänger zu verbessern und das europäische Zugehörigkeitsgefühl zu stärken.

 

Konkret soll die gemeinsame Förderung der Berufsausbildung Jugendlicher durch das 2023 vereinbarte Lauterburg-Abkommen bis Herbst vollständig umgesetzt werden. Zudem werden junge Talente im grenzüberschreitenden Journalismus unterstützt, um Medienkompetenz zu stärken und Desinformation entgegenzuwirken.

 

Die grenzüberschreitende Mobilität soll erleichtert werden, unter anderem durch die Prüfung digitaler Lösungen im grenzüberschreitenden Schienenverkehr sowie die Verbesserung priorisierter Verkehrsverbindungen. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Grenzgänger wird durch bessere Informationsangebote verbessert, einschließlich der möglichen Einrichtung eines Gesundheitskorridors.

 

Im Einklang mit den Empfehlungen des Letta-Berichts wollen beide Länder die Vertiefung des europäischen Binnenmarktes fördern. Die wirtschaftliche Dynamik der Grenzregion basiert besonders auf der Entsendung von Arbeitnehmern, die jedoch zu häufig durch komplexe Regelungen erschwert wird. Deshalb sollen im Herbst alle relevanten Akteure zusammenkommen, um die Verfahren im Arbeitsrecht und der Sozialversicherung transparenter zu machen.

 

Darüber hinaus wird das Engagement zur Nutzung grenzüberschreitender Geothermie-Potenziale gestärkt, wobei die Bevölkerung über die Vorteile und Auswirkungen dieser nachhaltigen Technologie besser informiert werden soll.

 

Ein „grenzüberschreitender Reflex“ bei der Gesetzgebung soll helfen, bürokratische Hürden und Belastungen für die Bewohner der Grenzregionen zu vermeiden. Grenzüberschreitende Folgenabschätzungen und koordinierte Stellen im Rahmen der EU-Verordnung BRIDGEforEU sollen Probleme frühzeitig erkennen und Lösungen auf regionaler oder nationaler Ebene ermöglichen.

 

Insgesamt streben Frankreich und Deutschland an, mit ihrer engen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein Vorbild für andere europäische Grenzregionen zu sein und die Grenze als verbindende Brücke zu gestalten.

 

Ob und in welchem Umfang die Beschlüsse des deutsch-französischen Ministerrats tatsächlich Realität werden, hängt sowohl von der Umsetzung der angekündigten Maßnahmen als auch maßgeblich von der politischen Entwicklung in Frankreich ab. Zwar wurden zahlreiche Vorhaben benannt, doch mangelt es bislang an klaren Angaben zu den jeweiligen Umsetzungshorizonten. Darüber hinaus dürfte das bevorstehende Misstrauensvotum in der französischen Nationalversammlung – ebenso wie die damit verbundenen politischen Szenarien, insbesondere eine mögliche Auflösung der Abgeordnetenkammer und anschließende Neuwahlen – erheblichen Einfluss auf die Realisierung der vereinbarten Prioritäten haben.

 

Misstrauensvotum und Haushalt 2026

Am Montag, dem 25. August, hat der französische Premierminister François Bayrou eine mit Spannung erwartete Pressekonferenz abgehalten. Entgegen den Erwartungen, Änderungen an seinem Mitte Juli angekündigten und stark umstrittenen Sparpaket vorzunehmen – darunter die Abschaffung von zwei Feiertagen und Einsparungen in Höhe von 43,8 Milliarden Euro für das Haushaltsjahr 2026 – kündigte Bayrou stattdessen an, am 8. September während einer außerordentlichen Parlamentssitzung die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Eine drastische Entwicklung, die aber wohl eine Reaktion auf die sich über den Sommer aufgebauten Spannungen ist.

 

Der Plan Bayrou und die Reaktionen

Unter dem Motto „Der Moment der Wahrheit“ stellte Premierminister François Bayrou Mitte Juli seine Haushaltspläne für das Jahr 2026 sowie einen mehrjährigen Sanierungspfad für die öffentlichen Finanzen vor. Ziel ist es, das Haushaltsdefizit bis Ende 2026 von erwarteten 5,4 % auf 4,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken. In den Folgejahren soll das Defizit weiter zurückgehen: auf 4,1 % im Jahr 2027, 3,4 % im Jahr 2028 und schließlich 2,8 % im Jahr 2029. Damit würde Frankreich wieder unter die von der Europäischen Union festgelegte Defizitgrenze von 3 % fallen. Insgesamt sind für das Jahr 2026 Einsparungen in Höhe von 43,8 Milliarden Euro vorgesehen. Besonders umstritten ist dabei die geplante Abschaffung von zwei Feiertagen – Ostermontag und dem 8. Mai –, mit der allein 4,6 Milliarden Euro eingespart werden sollen. In mehreren YouTube-Videos versuchte Bayrou im Sommer, die französische Öffentlichkeit für kurzfristige Einschnitte zu sensibilisieren, doch die Reaktion war überwiegend ablehnend.

 

Die geplante Feiertagsstreichung stieß auf breite und heftige Kritik – sowohl in der Zivilgesellschaft als auch bei Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden sowie in der politischen Opposition. Laut einer Umfrage des Instituts Ifop vom 17. Juli unterstützen lediglich 23 % der Französinnen und Franzosen die Maßnahme. Zustimmung findet sich nur unter den Anhängern der Präsidentenpartei Renaissance, von denen 57 % zustimmen. Arbeitnehmerverbände befürchten, dass Beschäftigte mehr arbeiten müssen, ohne dafür zusätzlich entlohnt zu werden, was ihre Kaufkraft verringere. Langfristig, so ihre Einschätzung, werde die Maßnahme der französischen Wirtschaft kaum nutzen. Auch Arbeitgeberverbände äußerten Bedenken: Zusätzliche Arbeitstage würden nicht in allen Branchen zu mehr Umsatz oder höherer Produktivität führen. Besonders betroffen wären Bereiche wie der Tourismus, die stark vom Feiertagsgeschäft leben.

 

Auch in der Politik regte sich deutlicher Widerstand. Mathilde Panot, Fraktionsvorsitzende der linkspopulistischen La France Insoumise, sprach von einer „Kriegserklärung an den sozialen Frieden“ und kündigte umgehend einen Misstrauensantrag gegen die Regierung an. Die Kommunistische Partei verurteilte insbesondere, dass Bürgerinnen und Bürger zu unbezahlter Arbeit gezwungen würden. Marine Tondelier, Fraktionsvorsitzende der Grünen, äußerte sich empört und stellte infrage, wie es zu rechtfertigen sei, gerade jenen Tag – den 8. Mai – abschaffen zu wollen, an dem an den Sieg über den Nationalsozialismus erinnert werde. Sie kritisierte zudem, dass nun die Bürgerinnen und Bürger die Rechnung für „sieben Jahre Macronismus und 1.000 Milliarden Euro Schulden“ zahlen müssten. Auch die Sozialistische Partei, die das Haushaltsbudget 2025 im Februar noch unterstützt hatte, kündigte an, dem aktuellen Entwurf nicht zustimmen zu können.

 

Auch der rechtspopulistische Rassemblement National kündigte offen einen möglichen Sturz der Regierung an. Der Parteivorsitzende Jordan Bardella sprach von einer Maßnahme, die eine Provokation darstelle – ein direkter Angriff auf die Geschichte, die Wurzeln und das Frankreich der Arbeit. Marine Le Pen kündigte ebenfalls an, einen Misstrauensantrag einzubringen, sollte Bayrou nicht von den geplanten Maßnahmen abrücken. Diese Reaktionen unterstreichen die starke Position des Rassemblement National in der Nationalversammlung. Zwar hatte die Partei im Februar das Budget noch im Sinne der staatlichen Stabilität mitgetragen – obwohl zentrale Forderungen wie die Entkoppelung der Renten von der Inflation oder die Erhöhung des allgemeinen Steuerniveaus nicht erfüllt worden waren –, doch ein ähnlicher Kompromiss scheint diesmal ausgeschlossen.

 

Der Vorsitzende der Fraktion Les Républicains, Laurent Wauquiez, dessen Partei mit mehreren Ministern in der Regierung vertreten ist, zeigte sich grundsätzlich offen gegenüber dem Haushaltsplan und lobte den Versuch, in einer schwierigen Lage tragfähige Lösungen zu finden. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass der Plan „nicht perfekt“ sei, und kritisierte insbesondere die starke Belastung der arbeitenden Bevölkerung sowie den übermäßigen Rückgriff auf Steuererhöhungen.

 

Unabhängig davon formierte sich daraufhin in den sozialen Netzwerken immer mehr Aufrufe zu einem Generalstreik am 10. September, um gegen die geplanten Haushaltskürzungen zu protestieren. Diesen Aufruf unterstützte insbesondere La France Insoumise vehement. Manuel Bompard, Generalsekretär der Partei, erklärte: „Die Hauptforderung ist, dass der vor dem Sommer angekündigte Bayrou-Plan zurückgezogen wird. Um die Umsetzung dieses Plans zu verhindern, muss der Kampf auf allen Ebenen geführt werden.“ Zuvor hatte bereits Jean-Luc Mélenchon dazu aufgerufen, sich der Bewegung anzuschließen und das Land lahmzulegen.

 

Angesichts der sich zuspitzenden politischen und gesellschaftlichen Lage entschied sich Premierminister Bayrou wohl nun dafür, die Vertrauensfrage zu stellen um genau diesen Entwicklungen zuvorzukommen. Statt sich im September und Oktober wochenlangen Straßenprotesten und parlamentarischen Debatten auszusetzen, setzt er nun alles auf eine klärende Abstimmung im Parlament.

 

Bayrous Kalkül auf Grundlage des Artikels 49.1 der Verfassung

Tatsächlich geht es bei der klärenden Abstimmung am 8. September nicht um eine inhaltliche Debatte über konkrete Maßnahmen des Haushaltsplans, sondern um eine Vertrauensfrage, die Premierminister Bayrou auf Grundlage von Artikel 49.1 der französischen Verfassung stellt. Dieser Artikel erlaubt es dem Premierminister, die Regierung auf Basis eines Programms oder einer allgemeinen politischen Erklärung zur Abstimmung zu stellen. Doch genau ein solches Programm oder eine umfassende politische Erklärung legt Bayrou nicht vor. Vielmehr zielt die Abstimmung darauf ab, eine politische Klärung herbeizuführen: nämlich die Feststellung, dass das Parlament die Haushaltslage als dringlich anerkennt und bereit ist, die Regierung in dieser Ausnahmesituation zu stützen. Oder wie es Bayrou einen Tag später ausdrückte: dass man sich zwischen „Chaos und Verantwortung“ entscheiden muss.

 

Mit „man“ scheint Premierminister Bayrou vor allem die linke und rechte Opposition zu meinen, die er bereits während seiner Pressekonferenz am 25. August eindringlich dazu aufforderte, die „Schwere der Gefahr für die Nation“ anzuerkennen und zu akzeptieren, dass harte Maßnahmen notwendig seien, um Frankreich vor einer tiefgreifenden Finanzkrise und einer drohenden Überschuldung zu bewahren. In seiner Ansprache betonte Bayrou, dass Frankreich sich in sehr beunruhigenden Zeiten befinde, die eine dringende politische Klärung erforderten. Erst nach dieser Klärung, so seine Ankündigung, wird die Debatte über konkrete Kürzungen und steuerpolitische Maßnahmen folgen. Alle Haushaltsvorschläge – sowohl seine eigenen als auch die der Opposition – würden dann „zur Diskussion stehen“.

 

Bayrou wird bis zur Abstimmung am 8. September versuchen, die politische Diskussion selbst zu führen – im direkten Austausch mit jenen Oppositionsparteien, die noch zu Gesprächen bereit sind. Da es bis dahin keine formelle Debatte im Parlament geben wird, bleibt ihm nur, die Parteien davon zu überzeugen, ihm zunächst das Vertrauen auszusprechen, bevor anschließend über konkrete Maßnahmen diskutiert werden kann. Doch genau hier fährt Bayrou, Stand heute, gegen eine Wand – eine Wand, die er sich mit den bereits Mitte Juli angekündigten Einschnitten selbst gebaut hat. Das Vertrauen von Parteien, die er möglicherweise noch hätte umstimmen können – wie etwa die Sozialistische Partei, die im Februar 2025 dem Haushaltsplan für das laufende Jahr zugestimmt hatte – oder zumindest eine Enthaltung des Rassemblement National bei der Abstimmung, scheint diesmal außer Reichweite. Erste Reaktionen nach der Pressekonferenz lassen kaum Spielraum für politische Kompromisse erkennen.

 

Reaktionen und mögliche Szenarien

Genau diese Stimmen würde Bayrou benötigen, um das Vertrauen des Parlaments zu gewinnen. Dafür braucht er eine einfache Mehrheit – normalerweise 289 von 577 Sitzen. Da der Verfassungsrat Mitte Juli die Wahl von drei Abgeordneten annulliert hat, sind aktuell nur 574 Sitze besetzt, was die erforderliche Mehrheit auf 288 Stimmen reduziert. Bayrou kann sich jedoch lediglich auf die rund 210 Stimmen des sogenannten socle commun (Regierungsallianz) stützen. Um die Vertrauensabstimmung am 8. September zu überstehen, ist er daher auf eine günstige Kombination aus massiven Stimmenthaltungen, Abweichungen aus der Opposition oder beidem angewiesen.

 

Die Partei Rassemblement National hat inzwischen unmissverständlich Stellung bezogen und angekündigt, Bayrou diesmal das Vertrauen zu entziehen – auch eine Enthaltung wird ausgeschlossen. Gleiches gilt für La France Insoumise, die Kommunistische Partei und die Grünen. Auch die Hoffnung, dass die Sozialistische Partei mit ihren 66 Sitzen erneut Unterstützung leisten könnte, wie bereits bei den Haushaltsverhandlungen im Februar 2025, wurde schnell zunichtegemacht. Parteichef Olivier Faure erklärte, es sei „unvorstellbar“, dass seine Partei der Regierung Bayrou das Vertrauen aussprechen werde. Bayrous letzte verbleibende Option scheint darin zu bestehen, zumindest einen Teil der sozialistischen Abgeordneten sowie etwa zwanzig der 34 unabhängigen Parlamentarier davon zu überzeugen, sich nicht nur zu enthalten, sondern aktiv für eine Regierung zu stimmen, der viele von ihnen kritisch gegenüberstehen. Doch auch innerhalb der Regierungsallianz gibt es Vorbehalte – insbesondere gegenüber der geplanten Abschaffung zweier Feiertage. Dennoch betonte Gabriel Attal, ehemaliger Premierminister und heutiger Partei- und Fraktionsvorsitzender der Präsidentenpartei Renaissance, dass eine Zustimmung zur Vertrauensfrage im Sinne der Stabilität des Landes notwendig sei und die Partei geschlossen für Bayrou stimmen werde. Trotzdem verdichten sich die Anzeichen, dass Bayrou am 8. September das Vertrauen des Parlaments verlieren wird. In diesem Fall wären Szenarien wie eine erneute Auflösung der Nationalversammlung oder sogar ein Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron denkbar, den dieser aber in Interviews bisher stets ablehnte.

 

Premierminister François Bayrou erklärte bereits in seiner Pressekonferenz am 25. August, dass eine erneute Parlamentsauflösung ein denkbares Szenario bleibe. Auch der Rassemblement National bezieht klar Stellung: Marine Le Pen und Parteichef Jordan Bardella forderten Emmanuel Macron offen dazu auf, sich zwischen Neuwahlen und einem Rücktritt zu entscheiden, um Frankreich aus der politischen Sackgasse zu führen. Macron selbst hat bislang jedoch ausgeschlossen, die Nationalversammlung erneut aufzulösen. Während die linken Parteien – Sozialisten, Kommunisten und Grüne – eine Auflösung des Parlaments grundsätzlich für vermeidbar halten, bereiten sie sich dennoch bereits auf einen möglichen Wahlkampf vor. La France Insoumise geht noch einen Schritt weiter: Jean-Luc Mélenchon kündigte an, am 23. September ein Amtsenthebungsverfahren gegen Emmanuel Macron einzuleiten – ein symbolischer Akt, der politisch motiviert ist, aber faktisch kaum Aussicht auf Erfolg hat. Die zentrale Forderung der Linken bleibt unverändert: Emmanuel Macron solle endlich einen Premierminister oder eine Premierministerin aus ihren Reihen ernennen. Diese Forderung stützt sich auf das Argument, dass die Linke nach den Parlamentswahlen im Sommer 2024 über eine parlamentarische Mehrheit verfüge und somit ein legitimes Anrecht auf die Regierungsführung habe.

 

François Bayrou äußerte sich am 27. August erneut in einem Fernsehinterview. Dabei forderte er die politischen Parteien auf, ihn ab Montag, dem 1. September, zu Gesprächen zu treffen, um vor der bevorstehenden Abstimmung noch Verhandlungen zu führen. Auf die Frage des Journalisten, warum diese Gespräche nicht bereits früher stattgefunden hätten, entgegnete Bayrou trocken: „Weil sie im Urlaub waren.“ Anschließend fügte er hinzu, dass er ab dem 1. September bereit sei, alle Gesprächswilligen zu empfangen – vorausgesetzt, es bestehe tatsächlich Interesse an einem Dialog. 

 

Stand 1. September haben La France Insoumise und die Grünen diese Treffen abgelehnt und kündigten klar an, der Regierung nicht das Vertrauen auszusprechen. Sie werfen Bayrou vor, zu spät und ohne Kursänderung das Gespräch zu suchen. Die Parti Socialiste nimmt an den Gesprächen teil, um eine alternative politische Linie vorzuschlagen, will aber ebenfalls Bayrou nicht unterstützen. Auch die Kommunisten schlagen das Vertrauen aus und fordern ein neues Regierungsbündnis. Der Rassemblement National will sich zwar mit Bayrou treffen, macht aber deutlich, dass er ihn nicht unterstützen wird. Die Partei fordert Neuwahlen oder seinen Rücktritt.  Die Regierungsparteien (Renaissance, Horizons, Mouvement Démocrate) und einige Vertreter der Républicains unterstützen Bayrou und wollen die politische Stabilität wahren, auch wenn es innerhalb der Républicains kritische Stimmen gibt.

 

Fazit

Frankreich steht vor einem politisch angespannten Herbst, dessen Ausgang derzeit schwer vorhersehbar ist. Zwar bleibt der deutsch-französische Ministerrat als zentrales Instrument der deutsch-französischen Beziehungen bestehen, doch würde sich bei einem französischen Regierungswechsel die Besetzung ändern. In diesem Kontext ist ungewiss, ob die derzeitige positive Dynamik des Ministerrates bestehen bleibt. Auch wenn davon auszugehen ist, dass zentrale politische Akteure – namentlich die führenden Persönlichkeiten Merz und Macron – ihre Positionen behalten, ist die personelle Kontinuität in den Schlüsselressorts entscheidend für die Umsetzung der ambitionierten Beschlüsse des Ministerrates. Angesichts des begrenzten Zeitfensters bis spätestens 2027 steht viel auf dem Spiel: Gelingt es den Regierungen nicht, konkrete Fortschritte im Sinne einer gestärkten europäischen Souveränität zu erzielen, besteht die Gefahr, dass populistische Kräfte weiter an Einfluss gewinnen. In einem solchen Szenario könnte die öffentliche Wahrnehmung zunehmend zugunsten nationalstaatlicher Lösungsansätze kippen, was die Handlungsfähigkeit der EU erheblich einschränken würde.

 

[1]https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975228/2382172/c66956885b760592bbe25810ff81cb5e/2025-08-29-dt-fr-wirtschaftsagenda-data.pdf?download=1

[2]https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975228/2382288/181c90bcf14b86289654d55dcf6f3b02/2025-08-29-dt-fr-sicherheit-verteidigung-data.pdf?download=1

[3]https://www.culture.gouv.fr/fr/presse/communiques-de-presse/25e-conseil-des-ministres-franco-allemand-signature-d-une-declaration-d-intention-sur-la-cooperation-franco-allemande-en-matiere-de-soutien-aux-m

[4]https://www.auswaertiges-amt.de/resource/blob/2732682/6dd7b17f47bccae71b7ad4ce5628dfae/250829-aktionsplan-zur-grenzueberschreitenden-zusammenarbeit--data.pdf

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Leiterin des Auslandsbüros Frankreich
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