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Blickpunkt Ukraine

Einstellungen der Kirchen und religiösen Gemeinschaften zur Covid-19-Pandemie in der Ukraine

з Oleksandr Zajets

BLICKPUNKT: UKRAINE. Perspektiven aus einem europäischen Land

Bislang hat die Ukraine die Herausforderungen durch die neuartige Corona-Pandemie vergleichsweise glimpflich überstanden. Mit Stand vom 18. Juni 2020 waren rund 34.000 laborbestätigte Fälle und 966 Todesopfer durch Covid-19 zu beklagen. Durch frühzeitige Shutdown-Maßnahmen konnte zunächst Schlimmeres vermieden werden, auch wenn in jüngster Zeit – nach Beendigung vieler Beschränkungen – die Zahlen wieder ansteigen. Ein besonderes Augenmerk verdient im Falle der Ukraine der Umgang der Kirchen und Religionsgemeinschaften mit der Pandemie. Die staatlichen Einschränkungen zur Gesundheitsprophylaxe fielen zeitlich mit einigen wichtigen religiösen Festtagen zusammen. Darüber hinaus waren die Reaktionen auf die Einschränkungen unter den Glaubensrichtungen uneinheitlich. Insbesondere bei den beiden großen orthodoxen Kirchen in der Ukraine zeigten sich Unterschiede. Oleksandr Sajez vom Institut für Religionsfreiheit in Kiew beschreibt in seinem Beitrag den Umgang der ukrainischen Religionsgemeinschaften mit der Pandemie im Wechselspiel mit Behörden und Gesellschaft.

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Die Covid-19-Pandemie wirkt auf verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Ukraine, u.a. auch auf die Religionen. Zeitlich traf sie mit dem jüdischen Pessach, dem christlichen Ostern, aber auch mit dem Beginn des muslimischen Monats Ramadan zusammen. In diesem Artikel wird die Reaktion der Kirchen und religiösen Gemeinschaften auf verschiedene Aspekte der staatlich-kirchlichen und gesellschaftlich-religiösen Beziehungen im Kontext der Covid-19-Epidemie in der Ukraine dargestellt.


Kommunikation der Regierung mit der Gesellschaft
Zum ersten Mal wurde die ukrainische Gesellschaft mit dem neuartigen Coronavirus im Februar 2020 konfrontiert, als eine Gruppe ukrainischer Bürger nach ihrer Rückkehr aus China zur prophylaktischen Überwachung in Nowi Sanschary (Oblast Poltawa) untergebracht wurde. Dies führte zu Protesten der lokalen Einwohner, die auch durch unzureichende Kommunikation zwischen Regierung und Gesellschaft hervorgerufen wurden: Die bereits seit einigen Wochen durch reißerische Nachrichten zum neuartigen Coronavirus verunsicherte Bevölkerung vor Ort fühlte sich in ihrer eigenen Gesundheit bedroht. Offenkundig hatten staatliche Stellen die Ungefährlichkeit der vorbeugenden Quarantäne-Unterbringung für die lokale Bevölkerung nicht ausreichend erläutert, ebenso wie manche anderen Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung [1]. Später verbesserte sich die Kommunikation der Regierung mit der Gesellschaft, unter anderem mit religiösen Gemeinschaften. Dennoch ähnelte der neue Ansatz oft weiterhin einer Einbahnstraße, da weiterhin hauptsächlich in Form von Mitteilungen und Videoaufrufen der Regierung kommuniziert wurde.
Den Kirchen und religiösen Gemeinschaften fehlte ein Dialog mit der Regierung hinsichtlich geistlicher Bedürfnisse von Bürgern im Kontext der Quarantäne. Allerdings gab es Beratungen der Leitung der Nationalpolizei mit Mitgliedern des Allukrainischen Rates der Kirchen und religiösen Gemeinschaften (nachfolgend Kirchenrat) in Form von Videokonferenzen, wobei in Bezug auf Einschränkungen religiöser Veranstaltungen der Regierung Klarheit und Systematik fehlten. Dieser Mangel ist teilweise auf das längere Fehlen eines Fachministers zurückzuführen, denn das abermals umstrukturierte Ministerium für Kultur und Informationspolitik der Ukraine fungierte drei Monate lang ohne einen amtierenden Minister. Darüber hinaus befindet sich der Staatliche Dienst für ethnische Politik und Gewissensfreiheit erst in der Aufbauphase, so dass die persönlichen Anstrengungen seiner Vorsitzenden Olena Bohdan etwas beschränkt waren. Dieser neue Staatsdienst dient als zentrale Behörde für Religion und nationale Minderheiten in der Ukraine. Ihre Tätigkeit wird durch den Minister für Kultur und Informationspolitik beaufsichtigt. Allerdings sei betont, dass die Empfehlungen des Kulturministeriums zu den Ostergottesdiensten während der Quarantäne für die religiösen Gemeinschaften hilfreich waren [2]. Als Folge des fehlenden Dialogs zwischen Kirchen und Regierung war im angekündigten Fahrplan der Regierung zur schrittweisen Aufhebung der Quarantäne zunächst nichts über die Wiederaufnahme der Tätigkeiten von Gottes- und Gebetshäusern zu finden [3].


Einschränkung religiöser Massenveranstaltungen
Eine allgemeine Quarantäne wurde in der Ukraine am 12. März 2020 eingeführt, d.h. nachdem die ersten Fälle von Covid-19-Erkrankungen registriert worden waren. Zunächst ging es in der Verordnung des Ministerkabinetts der Ukraine „Über Maßnahmen gegen die Ausbreitung der akuten Atemwegsinfektion Covid-19 in der Ukraine, bedingt durch das Coronavirus SARS-CoV-2“ vom 11. März 2020 um Einschränkungen für Massenveranstaltungen mit über 200 Personen. Später wurde die Höchstanzahl von Teilnehmern solcher Veranstaltungen auf 10 Personen reduziert und in der Fassung der Verordnung vom 6. April 2020 wurden alle Veranstaltungen, darunter die religiösen, komplett verboten [4]. Mit der Lockerung der Quarantäneeinschränkungen begann die Regierung ab dem 11. Mai 2020, wobei der öffentliche Personennahverkehr in den Städten sowie der zwischenstädtische Bus- Flug- und Eisenbahnverkehr nach wie vor verboten blieb. Damit dauerte die Quarantäne in der Ukraine de facto zwei Monate lang, da die Lockerungen nur sehr begrenzt ausfielen.
In der ersten Quarantänewoche waren Gottesdienste in Kirchen und Gebetshäusern mit maximal 200 Personen erlaubt. Anschließend wurde die Teilnahme auf 10 Personen reduziert und die Gottesdienste wurden auf den Onlinebetrieb in Form von öffentlichen Internet-Übertragungen oder Videokonferenzen umgestellt. Dabei wurden die eigentlichen Gottesdienste in Kirchen und Gebetshäusern nicht verboten und die Kirchen wurden während der Quarantäne – mit einigen Ausnahmen – auch nicht geschlossen. Allerdings wurden Maßnahmen gegen große Menschenansammlungen ergriffen: Nicht mehr als zwei Gläubige durften gleichzeitig ins Gotteshaus, kleinere Kirchen durfte nur eine Person (neben dem Geistlichen) betreten.
Die Werchowna Rada, das Parlament der Ukraine, verabschiedete im März 2020 einige Gesetze, mit welchen sie die verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Verantwortung für die Verletzung von Quarantäne-Regeln, Hygienenormen und sanitärepidemiologische Regeln verschärfte. So betrug die Geldstrafe für den Quarantäneverstoß zwischen 17.000 und 32.000 Hrywnja (circa 500 bis 1.000 Euro) [5]. Während Menschenrechtler die Regierung für die Einschränkung von Rechten und Freiheiten der Bürger kritisierten, da diese ohne Einführung des Notstands verfassungswidrig seien, hatten die Kirchen und religiösen Gemeinschaften Verständnis für diese notgedrungenen Maßnahmen, da schnelles Handeln dringend erforderlich war [6].


Einstellung der Kirchen zur Quarantäne

Bereits am Anfang der Quarantäne, am 13. März 2020, behandelte der Allukrainische Kirchenrat auf seiner außerordentlichen Sitzung mit dem stellvertretenden Gesundheitsminister der Ukraine Fragen rund um die Einschränkungen für religiöse Massenveranstaltungen [7]. Der Kirchenrat ist die größte interreligiöse überkonfessionelle Organisation der Ukraine, der Orthodoxe, Katholiken, Unierte (griechische Katholiken), Protestanten, Muslime und Juden angehören. Insgesamt sind hier ca. 95 % aller Gläubigen der Ukraine vertreten.
Als Ergebnis dieser außerordentlichen Sitzung wurde ein Aufruf ans ukrainische Volk hinsichtlich der Vorbeugung der Coronavirus-Ausbreitung ausgearbeitet und veröffentlicht. Unter anderem rief der Kirchenrat die Menschen auf:
• die Quarantänemaßnahmen verständnis- und verantwortungsvoll wahrzunehmen;
• nicht in Extreme zu verfallen: nicht in Panik zu geraten, aber auch die Gefahr nicht zu ignorieren;
• Empfehlungen von Fachleuten in Bezug auf die Regeln der persönlichen Hygiene und des Verhaltens unter Menschen einzuhalten;
• Liebe, Verständnis, Toleranz, Mitleid und Hilfe gegenüber Menschen zu zeigen, die gegen die Krankheit kämpfen [8].
Am 25. März 2020 initiierte der Kirchenrat ein gemeinsames Gebet und Fasten für die Ukraine, an dem Vertreter verschiedener Kirchen und religiöser Gemeinschaften teilnahmen. Das Ziel dieses spirituellen Ereignisses war es, sich „an den Höchsten zu wenden mit einem Gebet für den Schutz von Leben und Gesundheit aller Menschen, für Hilfeleistung bei der Pandemiebekämpfung, für die Ärzte und alle, die den Nächsten hingebungsvoll dienen, für die Heilung der Kranken sowie für Weisheit und Umsicht bei der Umsetzung praktischer Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in der Ukraine und weltweit“ [9].
Angesichts der Einführung der Quarantäne in der Ukraine veröffentlichten die Kirchen und religiösen Gemeinschaften, unter anderem die Orthodoxe Kirche der Ukraine (die 2018 aus dem Zusammenschluss der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche entstanden ist), die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche, die Römisch-Katholische Kirche und die Protestantischen Kirchen Empfehlungen für ihre Gläubigen, um auf die Präventionsmaßnahmen gegen die weitere Ausbreitung von Covid-19 hinzuweisen [10]. Religiöse Führungspersönlichkeiten riefen ihre Gemeinden auf, die Quarantäneregeln einzuhalten und das Osterfest zu Hause zu feiern.
Die Position der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats wich allerdings vom Aufruf der anderen genannten Kirchen ab. Obwohl auch diese Kirche ihren Gläubigen gewisse Empfehlungen zur Quarantäne gegeben hatte, war eine leichtsinnigere Einstellung zur Gefährdung durch Covid-19 zu verzeichnen. Die Kirchenleitung rief die Gemeinden nicht auf, die Osterfeier zu Hause zu begehen, ihre Pfarrer trafen keine Maßnahmen, um Menschenansammlungen neben und in den Gotteshäusern zu vermeiden, während manche Kirchenvertreter die Quarantäneeinschränkungen sogar ganz ablehnten und die Menschen aufriefen, die Kirchen zu besuchen und die Kommunion zusammen mit Kleinkindern zu empfangen [11]. Dies führte schon vor dem orthodoxen Osterfest am 19. April zum Ausbruch der Krankheit im weltbekannten Kiewer Höhlenkloster, wodurch es bereits Mitte April 2020 von der Stadtverwaltung zwangsläufig geschlossen und der Zutritt für Besucher beschränkt wurde [12]. Ein Großteil der Mönche des Klosters hatte sich infiziert. Etwas später musste die Regierung auch das Mariä-Entschlafens-Kloster in Potschajiw schließen, das ebenfalls von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats verwaltet wird [13].

Religiöse Feiertage unter den Bedingungen der Quarantäne
Der Kirchenrat veranstaltete mehrere Online-Meetings mit der Leitung der Nationalpolizei der Ukraine, um Ansätze zur Durchführung von Gottesdiensten an Feiertagen unter den Bedingungen der Quarantäne auszuarbeiten und sich auf die Gottesdienste mit minimaler Präsenz von Gläubigen in den Kirchen vorzubereiten [14]. Darüber hinaus traf sich der Leiter der Nationalpolizei mit einzelnen religiösen Führungspersönlichkeiten und Vertretern der Orthodoxen Kirche der Ukraine, der Ukrainischen Griechisch-Katholische Kirche, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat), der Römisch-Katholischen Kirche sowie der Geistigen Verwaltung der Muslime in der Ukraine. Im Vorfeld des Osterfestes traf sich auch der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, mit den Leitern der größten Kirchen. Dazu zählten Metropolit Epiphanius (Orthodoxe Kirche der Ukraine), Großerzbischof Swjatoslaw (Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche) und Metropolit Onufrij (Ukrainisch-Orthodoxe Kirche - Moskauer Patriarchat), um mit ihnen verschiedene Aspekte des Begehens des Festtages unter den Quarantäne-Bedingungen zu erörtern. Bei diesen Treffen wurde die Umsetzung der Initiative „Ostern zu Hause“ vereinbart. Damit sollten die Ostergottesdienste von zentralen TV-Sendern übertragen werden.
Die jüdischen Gemeinschaften trafen im März 2020 die Entscheidung, die Synagogen für religiöse Veranstaltungen zu schließen und organisierten die Durchführung von Gebeten zu Hause. Das Pessach-Fest beging die jüdische Gemeinde der Ukraine nach ihren Traditionen und Vorschriften im heimischen Familienkreis.Am 12. April 2020 feierten die Römisch-Katholische Kirche und einige Protestanten das christliche Ostern. Am gleichen Tag begingen die Orthodoxen und griechischen Katholiken den Einzug Jesu in Jerusalem (Palmsonntag). Nach Berichten des Innenministeriums fanden an diesem Tag insgesamt 14.000 Gottesdienste statt, an denen beinahe 127.000 Bürger teilnahmen [15]. Größtenteils gingen die religiösen Veranstaltungen unter Einhaltung eingeführter Einschränkungen vonstatten. Jedoch wurden Verstöße gegen die Quarantäneregeln in einigen Gotteshäusern der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) festgestellt, insbesondere in den Oblasten Riwne, Tscherniwzi, Mykolajiw, Poltawa und anderen. In einem Kommentar für Radio Liberty wies der Innenminister der Ukraine, Arsen Awakow, am 13. April darauf hin, dass die Polizei in einigen Fällen Ermittlungen wegen Ordnungswidrigkeiten gegen Kirchenvertreter eingeleitet hatte und eine Reihe weiterer Verwaltungsverfahren prüft [16].
Am 19. April 2020 wurde dann das Osterfest nach dem Julianischen Kalender gefeiert. Nach Polizeimitteilungen gab es in den meisten Gotteshäusern keine Verstöße. Jedoch wurden 19 Fälle der Nichteinhaltung von Quarantäneeinschränkungen in 13 Oblasten der Ukraine registriert, zu welchen Ermittlungen und fünf Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eingeleitet wurden. Dabei wurden alle diese Regelverstöße in den Gotteshäusern der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) festgestellt [17]. Die meisten Zuwiderhandlungen registrierte die Polizei im Mariä-Entschlafens-Kloster Potschajiw (Oblast Ternopil) und im Kloster des heiligen Entschlafens der Gottesgebärerin in Swjatohirsk (Oblast Donezk). Es wurden administrative Verfahren gemäß Art. 325 des Strafgesetzbuches der Ukraine eingeleitet, wo Verstöße gegen Hygienevorschriften und Normen zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten und Massenvergiftungen geregelt sind [18].
Laut der Nationalpolizei wurden landesweit Ostergottesdienste in 13.658 Gotteshäusern durchgeführt. Daran beteiligten sich fast 130.000 Bürger, das heißt weniger als 2 Prozent im Vergleich zu den 7 Millionen Gläubigen, welche die Gotteshäuser zu Ostern 2019 besucht hatten. Dies zeugt von der kolossalen Informationsarbeit, die Kirchen und religiöse Gemeinschaften verschiedener Konfessionen in der Ukraine geleistet hatten, um ihre Kirchgänger und die Gesellschaft im Ganzen unter den Bedingungen der Coronavirus-Epidemie zu schützen.

Falschmeldungen über die Kirchen
Am Vorabend und nach der Begehung des Osterfestes durch Christen der verschiedenen Konfessionen gaben Vertreter des Gesundheitsministeriums der Ukraine Erklärungen ab, wonach es nach den Ostergottesdiensten zu einem weiteren Ausbruch von Covid-19 in der Ukraine kommen könnte. So betonte der Gesundheitsminister Maxim Stepanow am 19. April 2020: „Im Gesundheitsministerium stellt man einen Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Neuinfektionen in den letzten Tagen und der Nichteinhaltung der Empfehlungen, am Palmsonntag zu Hause zu bleiben, her“ [19]. Am 23. April führte der Minister dann abermals einen Anstieg der Fallzahlen auf die “Massenverletzungen der Quarantäne, die in den Feiertagen zu verzeichnen waren,” zurück [20].
Jedoch entsprachen solche Aussagen des Ministers nicht unbedingt der Wirklichkeit. Unter anderem widersprachen sie offiziellen Mitteilungen der Nationalpolizei über wesentlich geringere Zahlen von Gottesdienstbesuchern. Zudem wurde in den Erklärungen des Gesundheitsministers die Tatsache nicht berücksichtigt, dass gerade in jenen Tagen die Anzahl der landesweiten Coronavirus-Tests stieg. Mehr noch: Die Prognosen von Vertretern des Gesundheitsministeriums über einen Coronavirus-Ausbruch in der Ukraine nach den religiösen Feiertagen bestätigten sich nicht. Damit verbreitete das Gesundheitsministerium mit seinen Erklärungen Falschmeldungen in der Gesellschaft über angebliche Massenverstöße während der Ostergottesdienste, indem es alle Kirchen pauschal der Quarantäne-Verletzung bezichtigte, ohne konkrete Zuwiderhandlungen benannt zu haben.
In der Tat wurden die Tatsachen des Verstoßes gegen die Quarantäne am Palmsonntag (12. April) und zu Ostern (19. April) durch die Nationalpolizei vor allem in den Gotteshäusern der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) registriert, unter anderem im Mariä-Entschlafens-Kloster Potschajiw und im Kloster des heiligen Entschlafens der Gottesgebärerin. Der Objektivität halber muss man jedoch darauf hinweisen, dass im Großteil der Gotteshäuser der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) die Gottesdienste ebenfalls ohne Verstöße abgehalten worden waren.
Allem Anschein nach traf die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat) im Gegensatz zur Orthodoxen Kirche der Ukraine und zur Griechisch-Katholischen Kirche der Ukraine nicht alle notwendigen Maßnahmen, um ihre Gläubigen zur Begehung des Osterfestes zu Hause zu motivieren.
Interessanterweise hatte der Patriarch von Moskau und der ganzen Rus und damit das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill I., ebenfalls die Gläubigen aufgerufen, das Osterfest im Familienkreis zu feiern und auf Gottesdienstbesuche bis zum Ende der Bedrohung durch die Pandemie zu verzichten. Jedoch handelte die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat), die Kyrill I eigentlich untersteht, anders. Ihre Leitung war der Ansicht, dass für die Menschen, die zu Ostern einen Gottesdienst besuchen möchten, dies auch möglich sein sollte.
Wahrscheinlich hat diese besondere Position der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) mit persönlichen Einstellungen der Spitze dieser Kirche zu tun, die bestrebt ist, ihren Konservatismus und den Unterschied zur Orthodoxen Kirche der Ukraine (deren Autokephalie das Moskauer Patriarchat nicht akzeptiert) und zur Griechisch-Katholische Kirche der Ukraine zu zeigen. So sollten alle sehen: die Kirche des Moskauer Patriarchats steht an der Seite ihrer Gläubigen, während alle andere Konfessionen zu Ostern leere Kirchen vorzuweisen hatten. Es gibt dabei Anzeichen, dass in die Gotteshäuser der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) bis zu 850.000 Menschen kommen sollten. So viele Schutzmasken hatte am 14. April 2020 der Parlamentsabgeordnete und Geschäftsmann Vadym Nowynsky, der die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats regelmäßig mittels seiner eigenen Wohltätigkeitsstiftung unterstützt, dieser Kirche übergeben – und zwar für „Gläubige, die entscheiden werden, an den feierlichen Gottesdiensten teilzunehmen“ [21].
Derzeit gibt es keinerlei Erkenntnisse darüber, dass Moskau der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) Anweisungen gegeben hatte, die Quarantänemaßnahmen zu ignorieren. Gleichzeitig verbreitete der durch antiukrainische Einstellungen bekannte russische TV-Sender und YouTube-Kanal „Zargrad“, der Entwicklungen in Russland und weltweit aus Sicht der russischen Orthodoxie beleuchtet, Aufrufe gegen die Begehung des Osterfests zu Hause. So kritisierte der Moskauer Präpositus Andrej Tkatschow die Position der ukrainischen Regierung und bezeichnete deren Aufruf, zu Hause zu bleiben, als Zerstörung der Grundlagen des Glaubens [22].
Der deutliche Unterschied zur Position der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) zu den anderen Kirchen kann auch damit erklärt werden, dass dem Moskauer Patriarchat viele ältere und konservative Gläubige angehören, die teilweise „apokalyptische“ Einstellungen pflegen (z. B.: die Quarantäne sei eine Verschwörung gegen die Kirchen, daher sollte man statt der Selbstisolierung seine Treue gegenüber der Kirche zeigen). Die weiteren Entwicklungen (Erkrankungen im Kiewer Höhlenkloster und anderen Gemeinschaften der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat), Schließung einiger Klöster aus Quarantänegründen, Positionen anderer Kirchen und der Regierung, etc.) führten dazu, dass sich die Anzahl der Gottesdienstbesucher zu Ostern insgesamt in Grenzen hielt.
Die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche, die Römisch-Katholische Kirche, Protestanten, Juden und Moslems zeigten eine verantwortungsvollere Einstellung gegenüber der Gefahren durch Covid-19. Religiöse Akteure anderer Konfessionen und die ukrainische Gesellschaft im Allgemeinen akzeptierten die Quarantäne-Einschränkungen und trafen notwendige Präventionsmaßnahmen. Zusammenfassung
Zu den Hindernissen für eine Konsolidierung der verschiedenen Anstrengungen der Regierung und der Gesellschaft zur Bewältigung der Coronavirus-Epidemie zählten nicht nur eine leichtsinnige Einstellung zur Epidemie seitens einiger gesellschaftlicher Gruppen, sondern auch eine Überspitzung der Covid-19-Gefahr durch Regierungsbeamte und die kalkulierte Verbreitung von Ängsten in der Gesellschaft [23].
Dabei war die pauschale Beschuldigung religiöser Gruppen durch manche Beamte für das Aufkommen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Regierung und Gesellschaft nicht hilfreich. Stattdessen hätte man konkrete Problemfälle benennen können. So allerdings war ein fehlender Dialog zwischen dem Staat und den Gemeinden ein bedeutender Störfaktor für eine Verständigung und ein effizientes Zusammenwirken.
Nichtsdestotrotz ist in den letzten Monaten klargeworden, dass für die Bewältigung der Herausforderungen der Gegenwart ein großes Potential in einer Kooperation zwischen Regierung und Gesellschaft, unter anderem den Kirchen und religiösen Gemeinschaften, besteht. Dies kam vor allem bei der Bewältigung quarantänebedingter sozialer Herausforderungen zutage. Es geht um (Seel-)Sorge für Mediziner und ältere Menschen, die Verpflegung von Obdachlosen, Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt, etc. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Gesellschaft trat auch Ende April in Erscheinung, als bei der Bekämpfung von Waldbränden in der Sperrzone rund um das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl und im Oblast Schytomyr religiöse Gemeinden und freiwillige Helfer die Feuerwehr und von den Bränden betroffene Menschen unterstützten.
Ähnliche positive Beispiele der gesellschaftlichen Einheit waren in den Jahren 2014 bis 2016 zu verzeichnen, als die Kirchen und die Öffentlichkeit gemeinsam mit der Regierung der russischen Aggression während der intensiven Kriegshandlungen im Donbas widerstanden. Die Tatsache, dass die ukrainische Gesellschaft im Angesicht ernsthafter gesellschaftlicher Probleme ihre Fähigkeit zur Konsolidierung und Zusammenarbeit immer wieder gezeigt hat, zeugt von der Formierung einer verantwortungsvollen Zivilgesellschaft im Land, welche die Regierungsinstitutionen sowohl kontrollieren, aber auch unterstützen kann, wenn harte Zeiten es erfordern.


Aus dem Ukrainischen übersetzt von Jurij Silvestrow.

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