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Assads afghanische Söldner

von Nils Wörmer

Der Einsatz der Fatemiyoun in Syrien

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Es erscheint wie ein Treppenwitz der Geschichte: Ausgerechnet Kämpfer aus Afghanistan – jenem Land, das der Westen über siebzehn Jahre in seinem Sinne zu ordnen versucht hat – haben eine nicht unwesentliche Rolle dabei gespielt, das Regime Baschar al­Assads zu stützen. Dabei waren es doch westliche Regierungen, die den Sturz des Diktators seit 2011 zum Kernanliegen ihrer Syrien­Politik erklärt hatten.


Das Scheitern in Syrien verdeutlicht einmal mehr, wie schwierig es für Europa und die USA geworden ist, im Nahen Osten Interessen durchzusetzen. Vor allem gegenüber dem Mullah­Regime in Teheran, dem Erzrivalen der USA in der Region und dem wichtigsten Verbündeten Damaskus’, scheint der Westen hilflos, wie der iranisch koordinierte Einsatz von Assads afghanischen Söldnern eindrücklich aufzeigt. Hinzu kommt, dass vor allem europäische Regierungen mit dem im Juli 2015 erzielten Nuklearabkommen die Hoffnung verbanden, man könne auf dieser Grundlage auf anderen Konfliktfeldern, gerade auch in Afghanistan und Syrien, zu mehr Kooperation mit dem Iran gelangen und die iranischen Hegemoniebestrebungen einhegen. In der Rückbetrachtung lässt sich feststellen, dass Teheran nach der Einigung vom Juli 2015 seine subversiven und gegen westliche Interessen gerichteten Aktivitäten in Syrien und Afghanistan sogar deutlich ausgeweitet hat.


Das alawitisch dominierte Regime in Damaskus stellt bereits seit Ende der 1970er­Jahre den wichtigsten strategischen Verbündeten Teherans in der arabischen Welt dar. Folglich zielt die iranische Politik in Syrien seit Beginn des Bürgerkrieges im März 2011 auf den Machterhalt Baschar al­Assads. Eine umfassende, offene und mit regulären militärischen Kräften geführte Intervention in Syrien war angesichts der zu hohen Kosten und politischen Risiken für die iranische Regierung gleichwohl ausgeschlossen. Stattdessen stehen die paramilitärischen Pasdaran (Sepāh-e Pāsdārān-e Enqelāb-e Eslāmī', „Korps der Wächter der Islamischen Revolution“) und insbesondere deren für exterritoriale Operationen spezialisierten Quds­Einheiten (Nīrū-ye Quds oder Sepāh-e Quds, „Quds-Kräfte“ oder „Quds-Brigaden“) seit der Frühphase des Bürgerkriegs in Syrien im Zentrum der iranischen Strategie. Etwa 2.000 bis 3.000 Angehörigen der Pasdaran, vornehmlich aus den Quds-Einheiten, und einigen wenigen Spezialisten aus der regulären iranischen Armee kommt hierbei die Aufgabe zu, den Kampf der ausländischen schiitischen Milizen aufseiten des Assad-Regimes zu organisieren.


Afghanische Fatemiyoun und Verbündete


Als Militärberater unterstützen die iranischen Offiziere Einheiten der regulären syrischen Armee, Assad-loyale syrische Milizen sowie Einheiten der libanesischen Hisbollah und irakischer schiitischer Milizen vor allem in den Bereichen Planung und Koordinierung.3 Deutlich umfassender ist die Unterstützung der afghanischen und pakistanischen Kontingente, deren Rekrutierung, Aufstellung, Ausbildung, Versorgung und Führung im Gefecht von den Quds-Einheiten organisiert wird. Der aus afghanischen Staatsbürgern schiitischen Glaubens aufgestellte, übergeordnete Verband wird unter der Bezeichnung Fatemiyoun-Brigade oder ­Division (arabisch Liwā’ al-Fāamiyūn oder persisch Lashkar-e Fātemiyūn) seit Ende 2013 in Syrien eingesetzt und hatte in den vergangenen Jahren je nach Quelle eine durchschnittliche Personalstärke von 6.000 bis 10.000 Mann. Die Gesamtzahl der afghanischen Kämpfer, die bis heute in Syrien zum Einsatz kamen, wird auf über 20.000 geschätzt. Der aus schiitischen Pakistanern rekrutierte „Schwesterverband“, die Zainabiyoun-Brigade (Liwa Zainabiyoun), wird als eigenständiger Verband seit Anfang 2015 in Syrien eingesetzt, hat jedoch mit einer Personalstärke von durchschnittlich wahrscheinlich unter 1.000 Kämpfern nie die Größenordnung des afghanischen Kontingents erreicht.


In der syrischen Propaganda wird oft eine direkte Verbindung zwischen der Abu Zar-Brigade über diverse schiitische Gruppierungen, die in den 1980erund 1990er­Jahren gegen die sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan und später gegen die Taliban gekämpft haben, zur Fatemiyoun-Brigade gezogen. Faktisch besteht allerdings kein organisationsstruktureller Zusammenhang zwischen diesen Gruppierungen und den Fatemiyoun, selbst wenn einige wenige Veteranen der genannten Gruppen 2012 zu den ersten afghanischen Syrien-Kämpfern gehörten. Die Masse der afghanischen Rekruten, die zunächst noch bei irakischen Milizen ab Ende 2013 im Rahmen der Fatemiyoun in Syrien zum Einsatz kamen, bestand aus sehr jungen, mittellosen Afghanen, die in der Mehrzahl unter der afghanischen Flüchtlingsgemeinde im Iran und teilweise innerhalb Afghanistans, vor allem im Hazaradschat, in Kabul, Herat und Masar­e Scharif, rekrutiert wurden.


In der iranischen Propaganda wird die ideologische Motivation der Rekruten, die schiitischen Heiligtümer in Syrien, in erster Linie den Schrein Zainab bint Alis in Damaskus, zu verteidigen, stark herausgestellt und suggeriert, dass dies freiwillig im Dschihad erfolge. In Wirklichkeit wenden die Pasdaran für die Rekrutierung der Afghanen Methoden an, deren Bandbreite von materiellen Anreizen bis zur Erpressung reicht. Mit Blick auf die offene Anwerbung im Iran und die verdeckte Rekrutierung in Afghanistan wird von monatlichen Soldzahlungen zwischen 400 und 800 US-Dollar berichtet.


Struktur, Führung und Einsätze


Die Fatemiyoun werden auf Ebene der Teileinheiten und Einheiten (Gruppen, Züge, Kompanien oder Äquivalente) von ihren eigenen Unteroffizieren und Offizieren geführt, auch wenn iranisches Personal auf den niedrigen Führungsebenen beratend zum Einsatz kommt. Führung und Planung von Operationen oberhalb der Kompanieebene obliegt offenbar gänzlich den iranischen Militärberatern. In erster Linie wurden die Fatemiyoun als leichte Infanterie häufig im Orts- und Häuserkampf sowohl defensiv als auch offensiv in allen großen Operationen der vergangenen Jahre eingesetzt. Während der Schlacht um Aleppo von Juli bis Dezember 2016 waren ganze Frontabschnitte beziehungsweise Stadtviertel in den Händen der Fatemiyoun. Teilnehmer an den Kampfhandlungen berichteten, dass phasenweise in manchen Gegenden über Funk nur noch Persisch und nicht mehr Arabisch gesprochen wurde.


Der Einsatzwert der Fatemiyoun gilt als hoch, allerdings nur, solange die Einheiten nicht selbstständig agieren müssen. In Situationen, die ein hohes Maß an Flexibilität erforderten, haben sich die fehlenden Sprachkenntnisse und das niedrige Bildungsniveau der afghanischen Kämpfer offenbar negativ auf taktisches Handeln ausgewirkt. Die Standfestigkeit im Nahkampf resultiert vermutlich aus der Angst der schiitischen Kämpfer vor Gefangennahme durch radikale sunnitische Gruppen und anschließende Folter. Diese berechtigten Ängste sind Berichten zufolge von den iranischen Kommandeuren gezielt instrumentalisiert worden. Je nach Quellenangabe belaufen sich die Verluste der Fatemiyoun mittlerweile auf über 2.000 getötete und bis zu 8.000 verwundete Kämpfer. Der weit überwiegende Teil der in Syrien getöteten Afghanen wurde im Iran bestattet, wo die Hinterbliebenen häufig aufwendig entschädigt werden.


Reaktionen in Afghanistan, Wahrnehmung in Syrien


Einzelne Vertreter der afghanischen Regierung und des Parlaments verurteilen die Rekrutierung ihrer Staatsbürger durch iranische Stellen bereits seit Anfang 2014 immer wieder scharf. Gleichzeitig haben führende schiitische Politiker (aus der Volksgruppe der Hazara) den Einsatz ihrer Landsleute und Glaubensbrüder in Syrien offen gewürdigt und als heroischen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ oder Dschihad zur Verteidigung des Islam bezeichnet. Nicht nur Kritiker des Einsatzes, sondern selbst manche Befürworter räumen ein, dass die quasi offene Unterstützung Assads durch schiitische Afghanen die religiösen Gegensätze in dem überwiegend sunnitisch geprägten Land am Hindukusch verstärken und den seit Langem auf afghanischem Boden stattfindenden Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien anheizen könnten. Zudem fürchten sie, dass schiitische Einrichtungen in das Visier radikaler sunnitischer Gruppierungen geraten könnten.


Bis dato ist nicht bekannt, ob Syrien-Rückkehrer in Afghanistan strafrechtlich verfolgt worden sind. Die großen politischen Lager in Kabul sind weiterhin auf die Unterstützung schiitischer Koalitionspartner angewiesen und werden auch bei den anstehenden Parlaments-und Präsidentschaftswahlen um die Stimmen der schiitischen Minderheit buhlen. Folglich ist kaum damit zu rechnen, dass die Regierung einen Konflikt riskiert und Syrien-Rückkehrer künftig belangen wird. Immerhin sind die Sicherheitsbehörden gegen Angehörige des Rekrutierungsnetzwerkes vereinzelt vorgegangen.


Aus Damaskus wird immer wieder berichtet, dass hochrangige syrische Funktionäre im Staatsund Sicherheitsapparat den Wert der indirekten iranischen Intervention zwar keineswegs verkennen, den eigenen Machtverlust infolge der russischen und iranischen militärischen Dominanz jedoch nur schwer akzeptieren können. Dies hat wiederholt zu Spannungen in der russisch-iranisch-syrischen Militärkooperation geführt. Noch größere Befindlichkeiten auf der syrischen Seite ruft offenbar die vom Iran forcierte starke Beeinflussung im kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Bereich hervor. Die stärkere Sichtbarkeit schiitischer Symbole im Alltag, die zunehmende Praktizierung des schiitischen Ritus an zentralen islamischen Feiertagen und Maßnahmen, die einer Schiitisierung strategisch bedeutender Gebiete gleichkommen, stoßen in der weit überwiegend sunnitischen Bevölkerung Syriens auf Misstrauen oder gar Abneigung. Da diese Entwicklung mit der Ankunft Zehntausender schiitischer Milizionäre – unter denen Afghanen das größte Kontingent bilden – einherging, wird die Fatemiyoun-Brigade selbst unter den Anhängern Assads zwar wegen ihrer militärischen Fähigkeiten geschätzt, doch zugleich als ein Fremdkörper skeptisch wahrgenommen.


Erheblicher Anteil an der Rückeroberung


Zwei Faktoren haben wesentlich dazu beigetragen, den sich im Verlauf des Jahres 2015 abzeichnenden Zusammenbruch des Assad-Regimes abzuwenden: zum einen die russische Intervention und vor allem die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte im September desselben Jahres sowie zum anderen die etwa zeitgleich erheblich ausgeweitete, indirekte Bodenintervention des Iran mittels ausländischer schiitischer Milizen. Ohne Letztere wäre das Blatt für Assad trotz russischer Luftunterstützung kaum noch zu wenden gewesen. Die verbliebenen syrischen Kräfte waren im fünften Kriegsjahr in weiten Teilen ausgezehrt und demoralisiert. Sie verfügten kaum noch über Kräfte, die zu offensiven Operationen in der Lage gewesen wären. So waren es neben wenigen verbliebenen Verbänden der regulären syrischen Armee ausländische Einheiten, vor allem die libanesische Hisbollah und die afghanischen Fatemiyoun, die die Hauptlast bei der Rückeroberung von weiten Teilen Syriens für das Regime seit Ende 2015 bis heute trugen. Obwohl die Fatemiyoun der Hisbollah und einigen irakischen Formationen qualitativ nicht ebenbürtig ist, haben die afghanischen Kämpfer aufgrund ihrer schieren Anzahl in Kombination mit Standfestigkeit und Kampfeswillen einen erheblichen Anteil an den militärischen Erfolgen der Assad-Koalition in den vergangenen drei Jahren.


Inwieweit afghanische Kämpfer in Syrien an Kriegsverbrechen beteiligt waren und ob sich unter den seit 2014 nach Europa geflohenen Afghanen auch Veteranen der Fatemiyoun befanden, sind immer wieder aufgeworfene Fragen, zu denen die Quellenlage allerdings ebenfalls extrem dürftig ist. Derzeit richtet sich das Interesse an den Fatemiyoun vor allem auf die Frage, wie es mit der Organisation weitergeht. Abwegig scheinen Berichte, die Fatemiyoun könnten zur Unterstützung der Huthis in den Jemen oder als geschlossene Einheit für den Kampf gegen den „Islamischen Staat Khorasan Provinz“ (ISKP) nach Afghanistan verlegt werden. Wahrscheinlicher erscheint eine Teildemobilisierung der Fatemiyoun, wobei einige Einheiten und Grundstrukturen erhalten bleiben und zur weiteren Sicherung der vom Regime zurückeroberten Gebiete in Syrien eingesetzt werden.


Für die ins Zivilleben entlassenen Kämpfer ergeben sich Möglichkeiten der Rückkehr in den Iran, wie es in zahlreichen Fällen als „Belohnung“ vertraglich vereinbart worden war, oder nach Afghanistan, was deutlich weniger attraktiv erscheint. Als dritte Option wurde vereinzelt spekuliert, dass ehemalige Angehörige der Fatemiyoun als Arbeitskräfte in Syrien verbleiben würden oder sich sogar – im Rahmen einer verstärkten „Schiitisierungskampagne“ – mit ihren Familien dauerhaft dort ansiedeln könnten. Dieses Szenario, für das es noch keine Belege gibt, erscheint aus der Sicht Teherans lukrativ – afghanische Flüchtlingsfamilien verlassen Iran und stützen Assad –, angesichts der politischen Realitäten in Syrien jedoch schwer vorstellbar.


Anmerkung des Autors: Die Quellenlage zum Einsatz afghanischer Kämpfer in Syrien ist diffus. Zahlenangaben und Details selbst seriöser offener Quellen weichen teilweise erheblich voneinander ab. Die hier getroffenen Einschätzungen basieren neben der Auswertung offener Quellen auch auf Gesprächen des Autors in Beirut und Kabul im Frühjahr 2018.


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Nils Wörmer, geboren 1978 in Duisburg, ehemaliger Leiter des Auslandsbüros Syrien/Irak, seit September 2018 Leiter des Teams Außen-, Sicherheits- und Europapolitik, Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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