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Chinas deutsches Kolonialerbe am Gelben Meer

Namensartikel für die Neue Osnabrücker Zeitung

Der Osnabrücker Johann Fuhrmann leitet seit Juli 2021 das Auslandsbüro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in China. Wegen der strikten Corona-Maßnahmen in Peking arbeitet es derzeit von Qingdao aus. In einem Gastbeitrag schildert er, wie das deutsche Erbe in der ehemaligen Kolonie bis heute gegenwärtig ist.

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Qingdao. Wilhelminische Herrenhäuser, Fachwerk, prachtvolle Kirchen und eine deutsche Brauerei: In der ostchinesischen Millionenmetropole Qingdao begegnet dem Besucher die deutsche Geschichte auf Schritt und Tritt.

Während das „deutsche Hongkong“ bei uns überwiegend in Vergessenheit geraten ist, blickt man in Qingdao mit Stolz auf die Hinterlassenschaften der Kolonialzeit - auch wenn diese für Deutschland alles andere als ein Ruhmesblatt ist.

Zhu Yijie, der als Dozent an der Universität Qingdao lehrt, zählt auf: „Eine der ersten Eisenbahnstrecken in China, die deutsche Kanalisation und die weltberühmte Tsingtao-Brauerei - all dies ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte.“ Der chinesische Wissenschaftler ergänzt: „Wichtiges Ziel war es damals, das ,Schutzgebiet Kiautschou‘ zu einer Musterkolonie des Deutschen Reiches aufzubauen.“

Ein „deutsches Hongkong“

Die heutige Metropole Qingdao mit rund sieben Millionen Einwohnern war vor 120 Jahren nicht mehr als ein kleines von Lehmhäusern geprägtes Fischerdorf, das aufgrund seiner günstigen geografischen Lage am Gelben Meer zum Spielball für die Kolonialbestrebungen der Großmächte wurde.

Geschickt nutzte das wilhelminische Kaiserreich ein tödliches Attentat auf zwei deutsche Missionare für ein Ultimatum an China. Durch die Entsendung eines Kreuzgeschwaders der Kaiserlichen Marine unter der Leitung des aus Minden stammenden Konteradmirals Otto von Diederichs wurden die Gebietsansprüche untermauert.

Das chinesische Kaiserreich musste sich schließlich fügen: Am 6. März 1898 wurde ein Pachtvertrag für 99 Jahre unterzeichnet. Ein prächtiger Gouverneurssitz, Kasernen, Krankenhäuser, Kirchen und Schulen wurden in Rekordzeit errichtet. Knapp 8000 Kilometer Luftlinie entfernt schwärmte Kaiser Wilhelm II. vom „Schaufenster deutschen Könnens“.

Doch bereits im November 1914 endete die deutsche Herrschaft, als die mit Großbritannien verbündeten Japaner die Hafenstadt kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges besetzten.

Deutsche Geschichtsklitterung made in China

Doch viele Spuren der kurzen deutschen Regierungszeit sind geblieben. Die Germania-Brauerei, die 1903 von deutschen und britischen Kaufleuten gegründet wurde, ist ein Touristenmagnet, und ihr Tsingtao-Bier ist auch heute noch eine der ältesten und bekanntesten Biermarken Chinas.

Hier und anderorts wird die Geschichte des deutschen Imperialismus in Qingdao längst zu einem Mythos verklärt. In den zahlreichen Museen der Stadt sucht man oft vergeblich nach Hinweisen auf die Verbrechen der deutschen Kolonialherren.

Zu diesen gehörte etwa der respektlose Umgang deutscher Ingenieure mit chinesischen Grabstätten beim Bau der Shandong-Eisenbahn, der zum erbitterten Widerstand der Landbevölkerung führte. Es folgten deutsche „Strafexpeditionen“, denen hunderte Chinesen zum Opfer fielen.

Dennoch bleibt mehr als Bier und altes Gemäuer. Für den Hochschullehrer Zhu Yijie ist die deutsche Geschichte Qingdaos Teil seiner Heimat. Seine Ersparnisse investiert er in seine Privatsammlung: Tausende von Postkarten, Briefen und Fotoaufnahmen aus der deutschen Kolonialzeit hat er in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf der ganzen Welt erstanden.

Erst kürzlich hat er mit Gleichgesinnten den ersten Reiseführer der Stadt, den „Führer durch Tsingtau und Umgebung“, der 1904 in Wolfenbüttel publiziert wurde, in die chinesische Sprache übersetzt.

Besonders freut er sich auf ein Ende der Corona-Zeit in China, auf den Dialog mit Deutschland und auf Studierende aus der Bundesrepublik. Bei ihm und der einheimischen Bevölkerung sind eine Offenheit und Begeisterung gegenüber Deutschland und den Deutschen erhalten geblieben, die sich durch die unrühmliche Kolonialzeit nicht rechtfertigen lassen – sondern nur durch den Mythos einer gemeinsamen Geschichte, wenn deren Schattenseiten auch zu den beschämenden Kapiteln des deutschen Imperialismus zählen.

Der Text, der im Original am 20. Juli 2022 (online) sowie am 28. Juli 2022 (im Print) in der NOZ erschienen ist, ist hier abrufbar: Link zur Neuen Osnabrücker Zeitung

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