Allgemeine Maßnahmen
Bereits sehr früh, im Januar 2020, hatte Taiwan begonnen, mit seinem nationalen Seuchenkontrollzentrum (Central Epidemic Command Center) umfassende Eindämmungsmaßnahmen zu treffen, um eine Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern – mit großem Erfolg. Größere Infektionsherde konnten durch einen Mix an strengen Quarantäne-Bestimmungen, einem ausgeklügelten Kontakt-Nachverfolgungssystem, klarer und transparenter Kommunikation und einem modernen und gut ausgestatteten Gesundheitssystem verhindert werden. Die rasche Entwicklung von PCR- und Schnelltests und der Ausbau der heimischen Produktion von Mundschutzmasken innerhalb weniger Wochen garantierten einen umfassenden Schutz der Bevölkerung bei dem Vorhaben, das öffentliche Leben ohne große Einschränkungen aufrechtzuerhalten.
Beschränkungen blieben auf die vorübergehende Einstellung des internationalen Flugverkehrs, eine temporäre Verlängerung der Schul- und Semesterferien im Frühjahr 2020 und nach wie vor geltende strenge Einreisebestimmungen begrenzt. Einen lockdown, wie in der VR China oder vielen Ländern Europas, gab es zu keinem Zeitpunkt der Pandemie. Zwischen Mitte April 2020 und Ende Dezember 2020 gab es über acht Monate lang überhaupt keine lokalen Infektionen. Neue Fälle tauchten lediglich immer wieder mal bei Einreisenden auf, die aber mit effektiven Fiebermesskontrollen am Flughafen, dem Einsatz von „Quarantänetaxis“ für Einreisende, und den strengen Quarantänebestimmungen bereits frühzeitig isoliert waren. Damit konnten weitere Infektionsketten bis auf wenige Ausnahmen verhindert werden.
Erst Mitte Januar 2021 wurde wieder ein größeres Cluster rund um eine lokal aufgetretene Infektion in einem Krankenhaus im Norden Taiwans festgestellt. In der Konsequenz wurden alle Personen, die sich über einen bestimmten Zeitpunkt in dem betroffenen Krankenhaus befunden hatten (mehr als 5000 Personen), in Hausquarantäne geschickt. Auch hier konnte eine weitere Ausbreitung der Infektionsketten verhindert werden. Mit Stand 21. Februar 2021 liegt die Gesamtzahl der Infektionen in Taiwan seit Ausbruch des Virus in Wuhan im Dezember 2019 bei 942 Fällen, wovon neun Menschen mit oder an Covid-19 verstarben.
Durch die stringente Nachverfolgung von Infektionsketten musste das öffentliche Leben in Taiwan bisher nie in größerem Umfang heruntergefahren werden. Dadurch hat das Land die Krise auch wirtschaftlich relativ unbeschadet überstehen können. Für das Gesamtjahr 2020 konnte nach amtlichen Angaben sogar ein Wirtschaftswachstum von knapp 3% verzeichnet werden und übertraf damit erstmals seit 30 Jahren das Wachstum der VR China. Vor allem der Tourismussektor und jene Wirtschaftsbereiche, die durch Unterbrechungen in den globalen Lieferketten betroffen waren, erlitten allerdings heftige Einbrüche und mussten mit mehreren wirtschaftlichen Hilfspaketen aufgefangen werden.
Mit dem Aufkommen neuer, infektiöser Mutationen in Europa und Südafrika verschärfte Taiwans Regierung die Quarantänemaßnahmen Anfang 2021 nochmals und erlaubt Hausquarantäne nur noch unter besonders strengen Auflagen. Üblich sind bei Einreise nun die Unterkunft in einer offiziellen Quarantäneeinrichtung wie ausgewählten Hotels. Für den Fall weiterer lokaler Infektionscluster und einem neuen Ausbreitungsmuster hat Taiwans Seuchen-Kontrollzentrum einen Maßnahmenkatalog angelegt, der dann unter anderem gezielte Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorsieht und schrittweise zur Anwendung kommen würde.
Erfolgsfaktoren für Taiwans Pandemieeindämmung
Taiwans Krisenmanagement im Jahr 1 der Pandemie kann als Vorbild für Länder weltweit herangezogen werden. Bei der aktuellen Debatte um Lösungen für eine aktive Nachverfolgung von Infektionsketten, lassen sich am Beispiel Taiwan drei entscheidende Erfolgsfaktoren identifizieren:
1.) Ein effektiver Austausch und die Integration von Reise- und Gesundheitsdaten aus den Datenbanken verschiedener Behörden. Auf zentraler Ebene sind dies insbesondere die Personendaten der Einwanderungsbehörde (National Immigration Agency) und der Nationalen Krankenversicherung (National Health Insurance); auf Landkreis- bzw. lokaler Ebene, die der Gesundheitsämter und der lokalen Polizei.
2.) Strenge und stringente Quarantänebestimmungen, die eine zweiwöchige Haus- bzw. Hotelquarantäne umfassen und bei Einreise ins Land die aus der Quarantäne entlassenen Personen zu einer weiteren Woche (zu manchem Zeitpunkt während der Pandemie auch zwei weitere Wochen) eigener Gesundheitsüberwachung (self-health management) anhalten. Während dieser Phase sollten u.a. öffentliche Ansammlungen gemieden; konsequentes Tragen von Mundnasenschutz praktiziert; und im Beruf keine Termine mit physischer Anwesenheit wahrgenommen werden.
3.) Ein umfassender Zugriff per Handy-Ortung auf die Standortdaten jener Bürger und Besucher des Landes, die sich bei Einreise ins Land oder im Fall eines Kontakts mit einem Verdachtsfall bzw. bestätigten Infektionsfall in Quarantäne begeben müssen.
Taiwans „intelligenter digitaler Zaun”
Bereits in der Frühphase der Covid-19-Ausbreitung im Februar 2020 stellten Taiwans Behörden ein mit Hilfe der Telekommunikationsanbieter im Land gemeinsam entwickeltes digitales Kontrollsystem per Funkzellenüberwachung vor, das die drei oben beschriebenen Faktoren optimal verknüpft. Mit dem Digital Fence Intelligence Monitoring System werden die Standortdaten aller Personen, die sich in Quarantäne bzw. Selbstisolierung befinden, in einer digitalen Karte abgebildet.
Die persönlichen Daten werden bei Einreise nach Taiwan in einem elektronischen Formular hinterlegt: Name, Wohnort, Reise-Historie sowie die Mobilfunknummer. Die von der Einreisebehörde erfassten Daten werden an die Zentrale Gesundheitsbehörde übermittelt. Entscheidend ist dabei die Information, an welchem Standort die Person ihre Quarantäne/Selbstisolierung durchführt.
Dies muss bei Einreise / Quarantäneanweisung angegeben werden. Der exakte Standort wird anhand der Mobilfunkzelle erfasst. Sobald eine Person ihren Quarantänestandort verlassen würde und ein anderer Mobilfunkmast die Mobilfunknummer erfasst, erscheint ein Warnsignal im System, woraufhin sowohl der Betroffene als auch die lokalen Behörden informiert werden. Befindet sich die Person nicht sofort wieder an ihrem Quarantänestandort, erfolgt ein Besuch der Polizei. Der „intelligente digitale Zaun“ begrenzt also den Bewegungsspielraum auf einen kleinstmöglichen Radius, der in Städten häufig nur wenige Meter außerhalb des Hauses beträgt.
Gezielter, aber effektiver Datenzugriff der Behörden
Während der Quarantäne erfolgen jeden Tag automatische Kontrollanrufe durch die nationale Gesundheitsbehörde. Dabei wird überprüft, ob die Person auch wirklich ihr Handy bei sich hat und sich somit am übermittelten Standort befindet. Nimmt die Person mehrmals nicht ab, kommt es zu einem Kontrollbesuch. Zusätzlich sind während der 14-tägigen Quarantäne jeden Tag kurze Updates zum eigenen Gesundheitsbefinden an einen eigens zugeteilten Mitarbeiter des örtlichen Gesundheitsamtes per Telefon oder Messenger zu übermitteln. Dazu gehört tägliches Fiebermessen und die Überprüfung anderer Corona-typischer Symptome. Sollte man während der Quarantäne Symptome entwickeln, ordnet das Gesundheitsamt entsprechende PCR-Tests an.
Quarantänemaßnahmen: Mit Zuckerbrot und Peitsche
Sollte während der obligatorischen Quarantänezeit gegen die Auflagen verstoßen werden, drohen empfindliche Geldstrafen. Gleichzeitig bestärken die lokalen Gesundheitsbehörden durch den täglichen direkten Kontakt das gegenseitige Vertrauen. Sie stellen eine persönliche Verbindung her und informieren persönlich oder über Chatbots über zusätzliche Hygieneempfehlungen. Während der Zeit, als alle internationalen Flüge eingestellt waren und die Anzahl der Personen in Quarantäne überschaubar war, waren kurze Besuche, das Überbringen von Lunchpaketen und das Zahlen einer Kompensation für die Einhaltung der Quarantäne in Höhe von umgerechnet 30 Euro pro Tag ein zusätzliches Mittel, um die Personen zur Einhaltung der Quarantäne zu motivieren.
Rechtliche Grundlagen
Die weitreichenden Kompetenzen des Nationalen Seuchenkontrollzentrums (CECC) beruhen auf zwei Gesetzesgrundlagen. Dem „Gesetz zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ (Communicable Disease Control Act) und dem „Sondergesetz zur Verhinderung von Covid-19, Entlastung und Wiederherstellung“ (Special Act on Covid-19 Prevention, Relief and Restoration). Auf Basis dieser beiden Gesetze werden auch die persönlichen Einschränkungen und Überwachungsmaßnahmen der Menschen in Quarantäne begründet. Mit dem 2015 überarbeiteten Personal Data Protection Act aus dem Jahr 2010, wird staatlichen Behörden und weiteren dazu befugten rechtlichen Personen nämlich nur ein vorübergehender Zugriff auf die persönlichen Daten von Bürgern gewährt, wenn „die Pflichten und Aufgaben der betroffenen Behörden“ nicht anders wahrgenommen werden können. Gleichzeitig müssen „angemessene Sicherheits- und Wartungsmaßnahmen“ gewährleistet sein, die einen Missbrauch bei der Sammlung und Verwendung der Daten effektiv verhindern.
Auch wegen der hier klar vorgeschriebenen Ausnahmen bekommt nur eine ausgewählte Anzahl an Personen im Nationalen Seuchenkontrollzentrum vollumfänglichen Zugang zu den Daten. Lokale Behörden haben zunächst nur Einblick auf die Adress- und Kontaktdaten der Quarantänepflichtigen. Apotheken, Kliniken und Arztpraxen können beim Besuch eines Patienten durch die Verknüpfung der Krankenversicherungsakte mit den Daten der Einreisebehörde aber nachvollziehen, ob sich die Person in den vergangenen vierzehn Tagen in einem Hochrisikogebiet befunden hat. Gemäß den Gesetzesvorgaben sind die Behörden dazu verpflichtet, die Daten zwei Wochen nach Beendigung der Quarantäne zu löschen.
Digitale Lösungsansätze auf Basis offener Kommunikation
Taiwans erste und mittlerweile global zur Berühmtheit gewordene Digitalministerin Audrey Tang hat zusätzlich immer wieder Verbesserungen der Schutzmaßnahmen vorangetrieben. Diese reichten von kreativen und zertifizierten Anleitungen zur Desinfizierung von Mund-Nasen-Schutzmasken bis hin zur Verteilung der Maskenkontingente über eine App, über die die Bestellung und Abholung online organisiert werden kann. Die Identifizierung erfolgt dabei über die persönliche Krankenversicherungsnummer. Dies ist besonders effektiv, da fast alle Menschen in Taiwan über die Nationale Krankenversicherung (National Health Insurance NHI) versichert sind. Über die persönliche Akte in der Datenbank der NHI ist auch vermerkt, ob eine Person bereits die ihr zustehende Ration an Masken bekommen hat oder nicht.
Daneben spielt während der Corona-Pandemie auch die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Gerade in den ersten Monaten kursierten im Internet schnell Falschmeldungen und Gerüchte rund um das Virus oder angebliche Mängel an medizinischem Equipment. Dagegen wurde schnell und gezielt mit Richtigstellungen in Form von online-Initiativen reagiert. Mal mit gut verständlichen und durchaus witzigen Karikaturen, mal mit graphisch sauber dargestellten Infographiken, zur Übermittlung von Fakten. Über einfach zugängliche Online-Portale haben während der Pandemie immer wieder Ideen und Beobachtungen aus der Bevölkerung Eingang in konkrete Verbesserungen der Eindämmungsmechanismen gefunden. Beispielsweise geht die Entwicklung der Masken-App auf die starke Beteiligung von Bürgern und deren Anregungen zurück. Die Schwierigkeiten für manche Arbeitnehmer, Masken bei den zeitlich nur begrenzt zugänglichen Apotheken zu erwerben führte zum Beispiel zum Aufstellen von „Masken-Automaten“ in den zahlreichen Convenience Stores im Land. Offene Kommunikation und die Einbindung der Bürger haben das Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung damit entscheidend erhöht.
Fazit
Welche Rückschlüsse lassen sich nun aus der erfolgreichen Bekämpfungsstrategie Taiwans für Deutschland und Europa ableiten?
• Taiwans Regierung handelte entschlossen und schnell und hat mit dem zentral koordinierenden Center for Disease Control und dem ihr angegliederten Seuchenkontrollzentrum eine sehr leistungs- und handlungsfähige Entscheidungsinstanz auf nationaler Ebene etabliert
• Die stringente Umsetzung von Kontroll- und Eindämmungsmaßnahmen hat ermöglicht, dass Infektionsketten immer effektiv nachverfolgt werden konnten. Sollte deshalb ein lokales Infektionscluster nicht mehr hinreichend kontrollierbar sein, so existiert ein klarer Maßnahmenkatalog zur stufenweisen Verschärfung.
• Taiwan hat den persönlichen Datenschutz für Quarantänepflichtige zugunsten einer effektiven Pandemiebekämpfung für den Zeitraum der Quarantäne deutlich eingeschränkt. Dem gegenüber steht aber, dass andere Eingriffe in die Grundrechte, wie Ausgangssperren und Versammlungsverbote aufgrund der erfolgreichen Eindämmung der Pandemie weitestgehend vermieden werden können. Eine klare und transparente Kommunikation der Maßnahmen und die durch den rechtlichen Rahmen klar vorgegebenen Einschränkungen der Datenzugriffsrechte des Staates, haben das Vertrauen in die Handhabung der Regierung weitestgehend unterstützt.
• Während in Deutschland die Verzahnung der verschiedenen Datenbanken aus rechtlichen Gründen nur schwer vorstellbar ist, könnte eine konsequentere Durchsetzung und Überwachung der Quarantänebestimmungen ein probates Mittel sein, um Infektionen in Deutschland auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren.
• Durch die strengen Quarantänebestimmungen kann eine Übertragung des Virus innerhalb von Familien und Privathaushalten – in vielen Teilen der Welt Hauptquelle eines rasanten Infektionsgeschehens – effektiv verhindert werden. Hierzu bedarf es einer funktionierenden Kommunikation zwischen lokalen Behörden und den Quarantänepflichtigen.
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