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1. Ausgabe "Rheinischer Merkur"

von Markus Lingen
Am Sonntag den 23. Januar 1814 erscheint die von Joseph Görres herausgegebene erste Ausgabe des „Rheinischen Merkur“.

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„Dafür sind die Zeitungen bestellt, daß sie aussprechen, worüber alle einverstanden sind; und daß wie keiner Völkerschaft mehr die rechte Gesinnung fehlt, so keiner auch der passende Laut abgehe Haben sie sich selbst der Nation erst werth gemacht, dann wird diese sie auch lieb gewinnen, sie wird sie als ihre Sprecher ehren, und das Schild der öffentlichen Meinung wird sie gegen jegliche Gefahrde schützen.“ (Joseph Görres im Rheinischen Merkur, 3. Juli 1814)

Joseph Görres, 1776 in Koblenz geboren, unterrichtet bis 1806 Naturwissenschaften an der Koblenzer Sekundarschule und widmet sich intensiven, nicht nur naturphilosophischen, sondern auch literaturhistorischen und philosophischen Studien. Von 1806 bis 1808 hält er Vorlesungen über Ästhetik, Altdeutsche Literatur und Naturphilosophie an der altehrwürdigen Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität. In diesen Jahren tritt er in engste Verbindung mit führenden Vertretern der Romantik wie Achim von Arnim, Clemens Brentano und Joseph von Eichendorff, denen er wesentliche Eindrücke vermittelt, wie er selbst wiederum romantische Einflüsse, vor allem die Naturphilosophie Friedrich Wilhelm Joseph Schellings, aufnimmt und für seine eigene Weltsicht weiterverarbeitet.

Diese „romantische Periode“ seines Lebens ist bestimmend für seine Abkehr vom aufklärerisch-rationalistischen Denken, die sich auch darin ausdrückt, dass er die deutsche Kultur des Mittelalters für sich entdeckt und sich intensiv mit mittelalterlicher Dichtung, Philosophie und Theologie befasst. 1808 kehrt er, da er in Heidelberg keine feste Anstellung erhalten hat, nach Koblenz in den Schuldienst zurück. Hier setzt er jedoch nicht nur seine wissenschaftlich-literaturhistorischen Studien fort, sondern gibt zwischen 1814 und 1816 den bald in ganz Deutschland verbreiteten, höchstes Ansehen genießenden „Rheinischen Merkur“ heraus, der zum Sprachrohr der deutschen Intelligenz während der Befreiungskriege wird. Görres' Koblenzer Haus wird in diesen Jahren zu einem Mittelpunkt des rheinischen und deutschen Geisteslebens; zu seinen Besuchern zählen u.a. Goethe, der Freiherr vom Stein, Savigny und die Brüder Grimm.

Nach dem Sturz Napoleons glaubt Görres, Deutschland hat „endlich wieder eine Geschichte gewonnen“. Die öffentliche Meinung ist ihm eine wesentliche Komponente dieses Prozesses. Görres verkörpert die Nahtstelle zwischen der bescheidenen revolutionären Zeitschriften-Publizistik in Deutschland um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert und der ihr folgenden konservativen Reaktion. Er hat wie wenige seiner Zeitgenossen den Geist seiner Zeit in sich aufgenommen, repräsentiert und alle Wandlungen mitgemacht. Vom Revolutionär des „Roten Blattes“ und des „Rübezahls“ über den preußisch-nationalen, antifranzösischen „Rheinischen Merkur“ bis zu den „Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland“, die der nunmehr ganz auf den Konservativismus zurückgezogene Görres 1838, zehn Jahre vor seinem Tode, gründet und von seinem Sohn redigieren lässt, hat er alle Wege und Irrwege seiner Epoche beschritten.

 

Die Stimme des Rheinlandes: Der „Rheinische Merkur“

1814 glaubt die preußische Verwaltung, durch die Gründung einer Zeitung die Rheinlande dem „Deutschtum“ zurückzugewinnen und eine neue Waffe gegen Napoleon schmieden zu können. Die Aufgabenstellung dieser neuen Zeitung, die drei- bis viermal wöchentlich erscheint, ist damit eine ganz andere als die der traditionellen deutschen Blätter.

Koblenz ist wenige Tage nach dem Jahreswechsel 1814 vom preußischen Feldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher befreit worden. Drei Wochen später schon legt Görres seine neue Zeitung vor. Er schreibt am 17. Februar 1814 an Wilhelm Grimm: „Der schlagenden Arme sind so viele, daß man wohl mit Ehren die seinen schreiben lassen kann, wenn sie nicht zum Schlagen kommen. Ich denke, das Blatt wird Ihnen nicht mißfallen, es wird zu Tausenden hier am Rhein gelesen.“ In so kurzer Zeit hat sich der Rheinische Merkur zur Stimme der Rheinlande entwickelt. Er behauptet das Feld neben der großen „Kölnischen Zeitung“, die stark unter der französischen Herrschaft gelitten hat.

 

Nachrichten- und Meinungsorgan

Der Rheinische Merkur erscheint in der Zeit der großen Hoffnung, die allerseits auf Preußen und seine Erneuerung als Führungskraft zur deutschen Einheit gesetzt wird. Man hat im Rheinland noch keine Erfahrungen mit der neuen preußischen Verwaltung. Görres schreibt den Rheinischen Merkur in dem Bewusstsein, für Deutschland zu handeln, wenn er in den Dienst Preußens tritt. Ihm ist dabei der Dualismus zwischen Süd- und Norddeutschland ebenso fremd wie der zwischen Junkertum und Volk, der wenig später den vormärzlichen Liberalismus beherrscht. Das Neue an Görres` Zeitung ist die Verarbeitung der Nachrichten zu Berichten. Die ordnende Hand des Redakteurs ist von der ersten Nummer an deutlich zu erkennen. Er verwendet eine hymnische Sprache, die „Bilder türmten sich zu riesigen Sprachgebilden“. Jean Paul nennt ihn deshalb einen „Milliardär in Bildern“. Mitarbeiter stehen Görres in großer Anzahl zur Verfügung. Er wendet sich zunächst an seinen Freundeskreis unter den Romantikern: Jakob und Wilhelm Grimm, Achim von Arnim, Karl Müller und schließlich auch an den Freiherrn Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, mit dem Görres dann bis zu dessen Tode 1831 in enger Verbindung bleibt.

Wie den Herausgebern der meisten periodischen Publikationen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Görres der Gedanke einer formalen Trennung zwischen Zeitung und Zeitschrift nicht gekommen. Sein Blatt ist zugleich Nachrichten- und Meinungsorgan. Jede der im Quartformat alle zwei Tage veröffentlichten Ausgaben hat vier Seiten, selten eine Beilage. Von der achten Nummer an erscheint über dem Titel, der ein Drittel der ersten Seite einnimmt, die allegorische Darstellung von Rhein und Mosel als Emblem für den Erscheinungsort. Die Seiten werden zweispaltig umbrochen und in der Mitte durch eine Zierleiste geteilt.

Die einzelnen Nummern beginnen meistens mit einem Leitartikel, der sich oft über die ganze Ausgabe erstreckt, oder mit ausführlichen „Übersichten der Neuesten Zeitereignisse“. Diese Übersichten machen das redaktionelle Prinzip deutlich, nach dem der Zusammenhang des Geschehens herauszuarbeiten ist. Das äußere Bild des Rheinischen Merkurs ist ruhig, klar und wird von Zeitgenossen als „ästhetisch schön“ empfunden. Der redaktionelle Ton wirkt, unter Beachtung eines gehobenen sprachlichen Niveaus, unmissverständlich. Gegner werden nicht geschont, Freunde nicht verwöhnt. Jede Kritik erscheint jedoch dadurch gemäßigt, dass Positives niemals verschwiegen, der Eindruck objektivierenden Abwägens in der Regel erweckt wird.

 

Kampf gegen Napoleon und den Wiener Kongress

In den folgenden Ausgaben des Jahres 1814 bilden das Schwergewicht Aufsätze zur künftigen staatlichen Ordnung Deutschlands, über die Friedensverhandlungen und den Wiener Kongress. Das Blatt vertritt dabei den Standpunkt krasser Opposition. In der Auseinandersetzung darüber, wie Frankreich nach dem neuerlichen Sturz Napoleons zu behandeln sei, kritisierte der Rheinische Merkur besonders norddeutsche Presseorgane. Am 11. Mai 1815 vertritt er die Ansicht, dass die Frage um die Vormachstellung in Mitteleuropa, vornehmlich die Auseinandersetzung mit Frankreich, werde dem deutschen Volk die fehlende Einheit geben, eine Aussage, die sechsundfünfzig Jahre später, unter anderen Umständen, Realität wird. Görres spürt selbst, wie sehr seine Ansichten Anstoß erregen müssen: „Vielen mag, was wir von der Zukunft warnend oder deutend reden, oft allzu keck und verwegen erschienen seyn .

Immer wieder wird die Volksstimmung in den deutschen Landen behandelt; denn Görres betrachtet die öffentliche Meinung als mächtige Bewegung der Geschichte. Er übersieht dabei, dass die Volksstimmung im politischen System der Monarchie keine Chance hat, beachtet zu werden. Die Geheimdiplomatie herrscht weiter wie zu Zeiten des Absolutismus.

In kurzer Zeit kann Görres den Rheinischen Merkur auf die für damalige Verhältnisse hohe Auflage von 3000 Exemplaren bringen. Alle namhaften Zeitgenossen erkennen das Blatt in seiner nationalen Bedeutung. Auch die Resonanz im Ausland, besonders in England, ist groß. Dieser beachtliche Erfolg trägt mit dazu bei, dass die preußischen Behörden zunächst die offene Sprache von Görres dulden. Erst als man in Friedensverhandlungen mit Frankreich steht und Görres die Politik der deutschen Diplomatie tadelt, wird das Blatt in Bayern, Württemberg und Sachsen ein Opfer der Zensur.

 

Verbot der Zeitung

Doch Görres' Kritik an den restaurativen Tendenzen der deutschen Politik nach 1815 stoßen rasch auf den Widerstand offizieller Stellen; bereits ein Jahr später wird der „Rheinische Merkur“ verboten. Eine Kabinettsorder vom 3. Januar 1816 untersagt das weitere Erscheinen des Rheinischen Merkurs, der sieben Tage später seinen Betrieb endgültig einstellen muss.

Immer wieder bedrängt, lehnt es Görres dennoch ab, den Rheinischen Merkur neu herauszugeben. So schreibt er am 25. März 1817 an einen Freund: „Der Merkur ist hier ein Werk nie wiederkehrender Zeitumstände, das einmal vernichtet, sich um keinen Preis wieder herstellen ließ.“

Mit seinen späten politischen Schriften, insbesondere dem „Athanasius“ (1837) und seinen Beiträgen in den „Historisch-politischen Blättern“, wird Görres zum eigentlichen Begründer und bis ins 20. Jahrhundert hinein zur geistigen Leitfigur des politischen Katholizismus in Deutschland, was sich nicht zuletzt in der Begründung der Görres-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1876) ausdrückt.

 

Literatur:

  • M. Fink-Lang: Joseph Görres. Die Biographie, Paderborn (u.a.) 2013, bes. S. 145-189.
  • Joseph v. Görres. Leben und Werk. Aus den Beständen der Stadtbibliothek Koblenz. Franz Grosse zum 60. Geburtstage, hg. v. H. Trapp, Koblenz 1970.
  • W. Helmes: Joseph Görres (1776 bis 1848), in: Vor-Zeiten. Geschichte in Rheinland-Pfalz, hg v. D. Lau und F.-J. Heyen, Bd. 3, Mainz 1987, S. 175-194.
  • H. Raab: Joseph Görres. Ein Leben für Freiheit und Recht, Paderborn (u.a.), München 1978.
  • H. Raab: Joseph Görres, in: Rheinische Lebensbilder, Bd. 8., Köln 1980, S. 183-204.

 

Digitalisierte Ausgabe des Rheinischen Merkur (externer Link)

 

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