Länderberichte
Eine extrem niedrige Wahlbeteiligung von 30,04% zeigte deutlich, dass Europa in Lettland vornehmlich ein Elitenprojekt ist. Der Wahlkampf stand vor allem unter dem Thema der Ukraine-Krise. Die klare Haltung der regierenden bürglich-konservativen Partei Vienotība vermochte die eigenen Wähler zu mobilisieren während die Wählerschaft der größten Oppositionspartei Saskaņas Centrs (Harmoniezentrum, SC) die uneindeutige Haltung der Parteiführung abstrafte.
Mit 46% wurde das höchste Ergebnis einer Partei bei einer landesweiten Wahl erzielt. Damit gewann die Vienotība vier Mandate für die EVP im Europäischen Parlament. Das ist ein Mandat mehr als der Parteienzusammenschluss bisher inne hatte. Die Mandate werden von hochrangigen Politikern bekleidet. Mit Valdis Dombrovski, dem ehemaligen Premierminister, der ehemaligen Außenministerin und EU-Kommissarin Sandra Kalniete und dem ehemaligen Außen- und Verteidigungsminister Artis Pabriks ist Lettland im Europäischen Parlament durch bekannte und erfahrene Persönlichkeiten vertreten. Auch Krišjānis Kariņš konnte sein Europamandat verteidigen.
Große Verluste für Saskaņas Centrs
Den deutlichsten Verlust musste die größte Oppositionspartei der Saeima (Lettisches Parlament) hinnehmen. Während noch 2010 bei den Parlamentswahlen fast ein Drittel der Wahlberechtigten für Saskaņas Centrs stimmten, überzeugte das vor allem auf soziale Probleme fixierte Programm in diesem Jahr nur 13% der Wähler. Somit ist der gemäßigte ehemalige Journalist Andrejs Mamikins der einzige, der ein Mandat erreichte. Auch im Vergleich zu den Europawahlen 2009 musste das Harmoniezentrum eine deutliche Niederlage einstecken. Für die unklaren Wahlsaussagen besonders zur Ukraine-Krise wurde das Harmoniezentrum mit einem Minus von 6,57% abgestraft.
Die weiteren Sitze der acht Plätze Lettlands im Europäischen Parlament gehen jeweils an Nacionālā Apvienība (Nationale Vereinigung, Roberts Zīle) und die Zaļo un Zemnieku Savienība (Vereinigung der Grünen und Bauern, ZZS). Besonders auffällig war, dass Iveta Grigule (ZZS) ihr Mandat nach einer massiven Wahlkampagne erreichte, bei der sie nach eigenen Angaben 150 000 Euro investierte. Unklar ist die Finanzierung der Wahlkampagne. Bisher ist auch offen welcher Fraktion im Europäischen Parlament Iveta Grigule beitreten wird, da die Schnittmengen mit der Franktion der Grünen im Europäischen Parlament sehr gering sind.
Der letzte Platz geht nochmals an Tatjana Ždanoka, die Vorsitzende der Partei Latvijas Krievu Savienība (Lettlands russische Vereinigung, LKS). Sie machte vor allem in der Ukraine-Krise auf sich aufmerksam, in dem sie eine deutliche pro-russische Position bezog und auf Veranstaltungen einer Organisation auftrat, die die UdSSR 2.0 errichten möchte.
Ukraine, Ukraine und nochmals Ukraine
Europapolitische Themen waren im Wahlkampf schwer zu finden. Wenn eine Partei eine Diskussion zu europapolitischen Themen anzustoßen versuchte, wurde dies von anderen Parteien nicht aufgenommen. Auf Grund der personellen Expertise, schaffte es Vienotība am ehesten, europäische Themen zu platzieren. Sicherheitspolitische Fragen, die nur auf europäischer Ebene gelöst werden können, standen im Vordergrund. Die Ukraine-Krise war und ist immer noch das dominierende Thema in der lettischen Öffentlichkeit. In Anbetracht der möglichen Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland wurden verschiedene Methoden diskutiert, wie die lettische Wirtschaft vor den Folgen dieser Sanktionen geschützt werden kann. Hier herrscht die Meinung vor, dass nur eine konkrete Solidarität in Europa diese Herausforderung bewältigen kann. Bis auf das Harmoniezentrum und die Lettische Russische Vereinigung gab es im Wahlkampf einen Konsens, dass ein härteres, in Europa koordiniertes, Vorgehen gegenüber Russland nötig sei.
Des Weiteren wurde die Frage nach der Energiesicherheit gestellt. Da Lettland zu 100% von russischem Gas abhängig ist, wurden intensiv energiepolitische Fragen diskutiert.
Wahlbeteiligung: Schlechtes Omen für die Parlamentswahlen?
Am 5. Oktober finden in diesem Jahr nationale Parlamentswahlen statt. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl kann als schlechtes Vorzeichen für die nationalen Parlamentswahlen gewertet werden. Die geringe Wahlbeteiligung von nur knapp 30% steht außerhalb jeder Diskussion. In Lettland gab es die Möglichkeit schon von Mittwoch bis Samstag seine Stimme in den Wahllokalen abzugeben. Diese 30% lassen sich auch nicht auf das schöne Wetter schieben, bei dem Letten sich sehr gerne außerhalb ihres Wahlkreises aufhalten. Hier müssen sich alle Parteien verstärkt engagieren, um allen Wahlberechtigten die Bedeutung von Wahlen klar zu machen und eine programmatische Positionierung im Vorfeld vorzunehmen.