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„Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder“

von Constanze Brinckmann

Filmvorführung und Diskussion mit Regisseurin Claudia Funk

Im Altersheim Hetzeldorf im rumänischen Siebenbürgen leben 30 Männer und Frauen zwischen 55 und 93 Jahren in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft zusammen. Gemeinsam bewirtschaften sie zwölf Hektar Ackerland, kümmern sich um Kühe, Schafe und Hühner oder packen bei den täglichen Arbeiten im Haus an. Jeder hilft auf seine Weise mit - in seinem eigenen Tempo und so gut er eben kann. Regisseurin Claudia Funk zeigt uns mit ihrem feinsinnigen und warmherzigen Film, wie das Zusammenleben in dieser Senioren-WG aussieht und wie wichtig das Gefühl ist, auch im hohen Alter noch gebraucht zu werden.

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Filmemacherin Claudia Funk gelingt es mit ihrer Dokumentation, gleich mit zwei Vorurteilen aufzuräumen. Zum zeigt sie ein Rumänien fernab der gängigen Vorurteile wie Armut, kriminelle Banden oder Korruption. Funk hat das südosteuropäische Land während eines Familienurlaubs ganz anders erlebt und zeigt Hetzeldorf und seine Umgebung als ländliches Idyll inmitten von grünen Hügeln, Felder und Wiesen. Zum anderen lernen wir ein Altenheim kennen, das so anders ist als wir es hier in Deutschland kennen. Hetzeldorf ist nicht grau und nicht steril, die Fußböden sind nicht aus Linoleum wie im Krankenhaus, und die Bewohner warten nicht einsam auf ihr Ende. Das Altenheim in Hetzeldorf ist voller Leben, die Bewohner sitzen draußen vor dem Haus, unterhalten sich miteinander und rauchen, während Hühner oder Schafe über den Hof laufen. Ständig gibt es etwas zu tun – Kühe müssen gemolken oder Gemüse für das Mittagessen geputzt werden. Die Bewohner des Altenheims sind eine verschworene Gemeinschaft, in der es (wie überall) manchmal Streit gibt, aber am Ende halten sie doch alle zusammen. Der Film „Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder“ ist trotz des ernsten Themas und der bewegenden Schicksale der Bewohner ein Film voller Optimismus und Lebensfreude. Er zeigt, wie man auch in der heutigen Zeit mit Selbstachtung und Würde altern kann.

Mikrokosmus Siebenbürgen

Die Bewohner des Hetzeldorfer Altenheims zählen zu den Siebenbürger Sachsen. Die deutschsprachige Minderheit in Rumänien ist „ein eigener Mikrokosmos“, wie es der Botschafter Rumäniens, S.E. Emil Hurezeanu, in seiner Begrüßungsansprache umschreibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Machtübernahme durch die Kommunisten wurden zehntausende (nicht nur) deutschstämmige Männer und Frauen als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion verschleppt. Die zurückgebliebenen Sachsen wurden entweder enteignet oder mussten den landwirtschaftlichen Kollektiven beitreten. Nur durch ihren starken sozialen Zusammenhalt und ihre Traditionspflege konnten die Siebenbürger Sachsen überleben. Von den ehemals 120.000 Sachsen sind nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu nur noch 9.000 in Rumänien geblieben. Der Großteil wanderte nach 1989 nach Deutschland oder Österreich aus. Zurück blieben die Alten und Schwachen, die meist keine Familie mehr haben. In Hetzeldorf haben diese Menschen, die sich nicht mehr selbst versorgen können, ein neues Zuhause gefunden. Claudia Funk stellt uns in ihrem Film einige dieser Menschen genauer vor. Georg ist 58 Jahre alt und trägt am liebsten seine Mütze vom FC Bayern München. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, die Mutter verbringt ihr ganzes Leben in der Nervenheilanstalt. Er wächst bei seinem Großvater auf, und als auch dieser stirbt, schlägt er sich mit 9 Jahren alleine durch. Heute versorgt Georg die Kühe auf dem Hof. Bereits seit 22 Jahren lebt Johann in Hetzeldorf. Der 83-Jährige kümmert sich um die Schafe und steigt bei Gewitter auf den Kirchturm im Ort, um die Glocken zu läuten. Johann ist fest davon überzeugt, dass er durch das Läuten der Kirchglocken den Hagel vertreibt. 22 Jahre ohne Hagel scheinen ihm Recht zu geben. Obwohl er keine Zähne mehr hat, lacht er über das ganze Gesicht, wenn er von seinen Tieren oder der Kirche, deren Schlüssel er verwahrt, erzählt. Die Bewohner des Altenheims sind allesamt einfache Leute: Sie haben ihr Leben lang hart gearbeitet, entweder auf dem Feld oder in der Fabrik. Eine staatliche Rente erhält kaum einer von ihnen. Das Leben hat bei allen Bewohnern tiefe Spuren hinterlassen. Der 55-jährige Georg sieht genauso alt aus wie der 83-jährige Johann, besonders viele Zähne hat eigentlich keiner der Bewohner mehr, ganz zu schweigen von anderen Errungenschaften der modernen Medizin wie künstlichen Gelenken aus Titan, Rollator und Co. Dennoch scheinen die Bewohner mit dem, was sie haben, zufrieden zu sein. Sie nehmen jeden Tag so, wie er kommt und freuen sich selbst über die kleinen Dinge des Lebens.

Kein grauer Alltag

Der Alltag der Heimbewohner unterscheidet sich deutlich vom Tagesablauf in einer deutschen Senioreneinrichtung. Claudia Funk zeigt die Bewohner nicht einsam oder isoliert in ihren Zimmern, sondern fast immer draußen in der Natur und in Gesellschaft anderer Menschen. Wenn sie sich nicht im Hof aufhalten oder auf der Treppe vor dem Haus sitzen, um Klatsch und Tratsch auszutauschen, sind sie im Garten, auf dem Feld oder im Stall. Jeder Bewohner hat seine Aufgaben, die er so gut erledigt, wie er es bewerkstelligen kann. Die körperliche Arbeit lenkt die Bewohner ab – von der Einsamkeit etwa oder den Gedanken an die Vergangenheit- und hält sie fit. Die Arbeit auf dem Hof gibt dem Tag eine feste Struktur, und die kleinen Erfolgserlebnisse geben den Bewohnern das Gefühl, nützlich zu sein und gebraucht zu werden. Ursula Pintican, Vorsitzende der Evangelischen Diakonie Mediasch und gute Seele des Heims, erzählt, wie die Bewohner sich in der kalten Jahreszeit auf den Frühling freuen, wenn sie wieder nach draußen gehen und auf dem Hof mitanpacken können. Fast ein Drittel der Kosten erwirtschaften die Bewohner des Altenheims durch die Landwirtschaft z.B. durch die Produktion von Milch, Käse und Getreide.

Wie wollen wir alt werden?

Claudia Funk wechselt in ihrem Film gekonnt zwischen den ernsten und den heiteren Tönen. Sie zeigt das einfache Leben der Bewohner ohne den Fokus zu sehr auf Themen wie Krankheit oder Leid zu legen. Während des gesamten Films sehen wir kein medizinisches Equipment, kaum Pflegepersonal oder Ärzte. Die Filmemacherin war bei ihrem ersten Besuch in Hetzeldorf selber fasziniert „von der Würde, die diese Menschen ausstrahlen“. In der Diskussion im Anschluss an die Filmvorführung beschäftigt die Teilnehmer des Filmgesprächs sowie das Publikum vor allem die Frage, inwieweit sich das Hetzeldorfer Modell auch auf Deutschland übertragen lässt. Einige erfolgreiche Beispiele, z.B. von Senioren-WGs oder Mehrgenerationenhäusern, gibt es immerhin auch bei uns in Deutschland. Dr. Bernd Fabritius, Mitglied des Deutschen Bundestags und Präsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland kritisiert die Altenpflege in Deutschland als eine „auf die Sekunde getaktete Industrie“, die in großen Teilen anonym und unmenschlich geworden sei. Für Fabritius strahlt der Film von Claudia Funk eine wohlige Wärme aus, „die man heute kaum mehr findet“. Norbert Kartmanns Familiengeschichte ist eng mit Hetzeldorf und seinen Bewohnern verknüpft. Das Gebäude, in dem das Altenheim heute untergebracht ist, war das Elternhaus seines Vaters und gehörte seiner Familie. Der CDU-Politiker und Präsident des Hessischen Landtags gibt jedoch zu bedenken, dass ein Seniorenheim nach dem Vorbild Hetzeldorfs bei uns in Deutschland nur schwer zu realisieren sei. Die Qualitätsstandards in der Pflege und die Lohnkosten seien in Deutschland einfach wesentlich höher als in Rumänien. Einig sind sich jedoch alle Teilnehmer des Filmgesprächs und die Gäste im Publikum, dass das Altenheim in Hetzeldorf ein einmaliges Projekt ist.

Das Altenheim in Hetzeldorf wird vom Evangelischen Diakonieverein Mediasch e. V. getragen. Die Löhne der Angestellten werden zum Großteil durch Spenden finanziert. Wenn Sie das Altenheim in Hetzeldorf unterstützen möchten, finden Sie hier weitere Informationen.

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Kontakt

Rita Schorpp

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