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Die tragenden Säulen der Europäischen Union

von Prof. Dr. Günter Rinsche
Das ist der Vortrag von Prof. Günter Rinsche, der während des Zukunftsforums in Cadenabbia vom 14. bis 17. März gehalten wurde. Günter Rinsche (geb. 1930) studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.In der 5. und 6. Wahlperiode des Deutschen Bundestages war er im Wahlkreis Lüdinghausen direkt gewähltes Mitglied (1965-1972). Von 1979 bis 1999 war Rinsche Mitglied des Europäischen Parlamentes und von 1995 bis 2001 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Die tragenden Säulen der Europäischen Union

Verehrte Gäste, liebe Freunde, lieber Herr von Below,

namens unseres Vorsitzenden Prof. Dr. Bernhard Vogel und des Vorstandes der Konrad-Adenauer-Stiftung möchte ich Sie hier in der Villa La Collina herzlich willkommen heißen.

Wir sind hier in einem Raum, in dem der größte deutsche Staatsmann des 20. Jahrhunderts Konrad Adenauer mit hochrangigen Gästen aus Europa und Amerika über die Zukunft Europas diskutierte. Damals – im Zeitraum von 1959 bis 1966 – erschien die Einigung ganz Europas im Frieden und Freiheit als irreale Utopie. Für Konrad Adenauer war die europäische Integration schon damals keine Utopie, sondern eine Vision, die mit der politischen Vernunft, richtiger Politik und mit Geduld und langem Atem realisiert werden konnte.

Als wir im Vorstand der KAS im Jahre 1977 den Beschluss fassten, die Villa La Collina und dieses wunderschöne Anwesen zu kaufen, da hatten wir schon damals den Wunsch und die Hoffnung, dass hier eines Tages eine europäische Begegnungsstätte für alle Europäer entstehen würde. Adenauers Leitsatz „Europa muss geschaffen werden“ ist für uns sein Vermächtnis und unser Auftrag.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen, liebe Freunde, herzlich danken, dass Sie unsere Einladung angenommen haben und wir gemeinsam über „Die tragenden Säulen der Europäischen Union“ diskutieren können.

Liebe Freunde,

zu den schönsten Erinnerungen an meine 20-Jährige Tätigkeit im Europäischen Parlament gehört der Tag des 8. Mai 1985. Damals sprach der 40. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan, zu uns europäischen Abgeordneten. In seiner großen Rede sagte er u.a.:

„Es ist mein sehnlichster Wunsch, dass es im nächsten Jahrhundert ein ganzes, ein freies Europa geben wird.“

Und er sagte dann: „Vor uns liegt viel Arbeit, die dem Bau eines großen Kathedrale gleicht. Meine Freunde! Diese Kathedrale ist Europa und sie strahlt noch immer.“

Was sind die tragenden Säulen dieser Kathedrale?

Wie sehen ihre Baupläne aus?

Was sind die Zielsetzungen, die Chancen, die Erfordernisse?

Was wollten und was wollen die Baumeister, die Bewohner und die Besucher?

Diese Fragen stehen in einem Zusammenhang mit den Grundbedürfnissen und den vitalen Erfordernissen des Menschen. In den Ergebnissen der Meinungsforschung weltweit wird sichtbar:

Die Menschen wollen - auf einen einfachen Nenner gebracht - Sicherheit und Wohlstand (security and prosperity).

Sicherheit bedeutet: Frieden und Freiheit, Schutz vor Gewalt und Unterdrückung, garantierte Menschenrechte Rechtsstaatlichkeit und funktionsfähige Demokratie. Wohlstand bedeutet: bestmögliche Nutzung der knappen Ressourcen einer Gesellschaft durch Arbeitseffizienz und politische Stabilität, Wohlstand ist kein Selbstzweck sondern eine sozio-ökonomische Grundlage für Lebensqualität, kulturellen Fortschritt und weltweite humanitäre Hilfsaktionen der Europäer.

Um diese Erfordernisse für ein menschenwürdiges Leben der Europäer dauerhaft erfüllen zu können, haben die Architekten und Baumeister der Europäischen Union vier Bauprinzipien für die Gestaltung des gemeinsamen Hauses der Europäer erdacht und als tragende Säule erbaut:

1)Die Rechtstaatlichkeit als Grundlage der Humanität und zur Sicherung der Menschenrechte

2)Die parlamentarische Demokratie, d.h. Legalität und politische Partizipation der Unionsbürger

3)Der föderalistische Staatsaufbau, d.h. Subsidiarität und Aufbau von unten nach oben („building from below“)

4)Die soziale Marktwirtschaft, d.h. Effizienz und Solidarität

Diese Säulen und die Ordnungsprinzipien der EU sind notwendige, aber nicht hinreichende Grundlagen und Stabilisatoren für ein menschenwürdiges Leben der Europäer im 21. Jahrhundert. In unsere Betrachtung einzubeziehen sind ebenfalls die spezifischen Erfordernisse und Begründungen der Integration sowie die Probleme und die Perspektiven der absehbaren Zukunft

Die Logik (Vernunft und Folgerichtigkeit) der Europäischen Integration

Das lateinische Wort für integratio hat den Sinn der Wiederherstellung eines Ganzen. Im sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch ist Integration der Gegenbegriff zu Verfall und Stagnation.

Die Sachlogik der Integration

Die Integration als Erneuerung oder Wiederherstellung eines Ganzen wird notwendig, wenn die Teile des Ganzen ohne Integration nicht mehr sinnvoll und optimal existieren können, Die Sachlogik der europäischen Integration ist auf diese Notwendigkeit zurückzuführen. Im Zeitalter der Globalisierung sind Nationalstaat und nationale Volkswirtschaft nicht mehr der ausreichende und optimale Handlungsraum für Lösungen grenzüberschreitender Probleme. Beispielhaft können genannt werden:

1)Probleme, deren Größenordnung nationale Möglichkeiten und Ressourcen überfordern, (z.B. Großforschung)

2)Probleme, die ihrer Natur nach grenzüberschreitend sind (z.B. Umwelt)

3)Probleme, bei der die Gemeinsamkeit der Interessen mehrerer Staaten auch gemeinschaftliche Problemlösungen sinnvoll und erforderlich machen. (z.B. Terrorismus, internationale Kriminalität, usw.)

Die historische Logik der Integration

Die sachliche Folgerichtung der europäischen Einigung steht neben der historischen Logik, die sich aus dem Ablauf und der Lehren der Geschichte ergibt. Im Jahr 1784 hatte der große Philosoph Immanuel Kant seine Schrift „Zum ewigen Frieden“ publiziert. In diesem großen Werk der europäischen Geistesgeschichte fordert er einen Friedensbund (foedus pacificum), der sich vom bloßen Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterscheidet, „dass dieser bloß einen Krieg, jeder aber alle Kriege auf immer zu endigen sucht.“

Die europäische Union ist ein Friedensbündnis (pactum pacis) im Sinne von Immanuel Kant. Nach den grausamen Bürgerkriegen in den kriegerischen Jahrhunderten der europäischen Geschichte ist der europäische Friedensverbund heute eine unverzichtbare und schützenswerte Säule der Europäischen Integration.

Die ökonomische Logik der Integration

In seinem 1776 in London publizierten Buch über die „Ursachen des Wohlstandes der Nationen“ beschreibt der schottische Moralphilosoph und Nationalökonom Adam Smith die Arbeitsteilung als eine wesentliche Grundlage für steigende Produktivität und sozio-ökonomischen Fortschritt. Intensität und Nutzen der Arbeitsteilung steigen mit der Größe des Marktes. Der gemeinsame Markt der Europäischen Union in Verbindung mit einer stabilen und gemeinsamen Währung wird damit zu einer tragenden Säule der EU Ludwig Erhard, der Gestalter der sozialen Marktwirtschaft, hat gesagt: „Der Wert menschlicher Arbeit wächst mit der Weite des Wirtschaftsgebiets“ Die Bündelung und gemeinsame Nutzung der fortschrittsfördernden Kräfte, z.B. in einer europäischen Forschungspolitik, werden somit zu einem Erfolgsfaktor im weltweiten Wettbewerb.

Europa im Zeitalter der Globalisierung

Wandel, Wettbewerb, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit sind Schlüsselworte der viel kritisierten, aber durch nichts zu verhindernden Globalisierung. Die Zukunft der Europäer beruht nicht nur, aber auch auf der globalen Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die Vorteile des europäischen Binnenmarktes heute resultieren aus

-einer produktivitätsfördernden Arbeitsteilung

-einer relativ guten Infrastruktur, die aber noch erheblich verbessert wie ausgebaut werden muss,

-einer gemeinsamen Rechtsordnung und

-einer gemeinsamen Währung, deren Stabilität aber noch besonders geschützt werden muss

Diese Erfolgsfaktoren sind heute und morgen unverzichtbare Voraussetzungen für eine weltweite Wettbewerbsfähigkeit.

Globaler Wettbewerb ist heute:

1.Ein Kosten- und Preiswettbewerb

2.Ein Innovations- und Qualitätswettbewerb

3.Ein Zeitwettbewerb

Die damit verbundenen Fragen lauten:

1.Wer arbeitet effizienter?

2.Wer hat Kreativitäts-, Technologie- und Qualitätsvorsprünge?

3.Wer ist am schnellsten auf dem Markt, bietet produktive Problemlösungen und hat bessere Marktstrategien?

Für alle diese Aufgaben und Zielsetzungen aber gilt die Feststellung des großen europäischen Gelehrten Thomas von Aquin (1224-1274), der schon vor 740 Jahren schrieb: „Vereinte Kraft ist zur Herbeiführung des Erfolges wirksamer als zersplittert und geteilt!“

Europa – gestern und morgen

Vor 100 Jahren besaßen oder kontrollierten die europäischen Kolonialmächte 80 % der Erdoberfläche. Der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung betrug 25%. Jeder vierte Mensch war Europäer.

In 50 Jahren werden – wenn die Bevölkerungsprognosen sich als richtig erweisen – rund 10 Milliarden Menschen auf unserer Erde leben, davon rund 500 Millionen Europäer. Sollte es dann ein Weltparlament mit einer 5%-Sperrklausel geben, so wären die Europäer wahrscheinlich in diesem Parlament nicht mehr vertreten. Spekulationen dieser Art sind mit Vorsicht zu betrachten. Auch hier gilt ein Wort von Wilhelm Busch:

„Stets findet Überraschung statt,

da, wo man es nicht erwartet hat“

Europa ist mehr als eine Quantität. Die europäische Weltordnung ist qualitativ und nicht quantitativ zu beurteilen. Dies gilt nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft.

So sind z.B. die Gedanken über eine zukünftige nordatlantische Zoll-Union von Nordamerika (USA und Kanada) und der Europäischen Union heute noch nicht aktuell, könnten es aber in 20 oder 30 Jahren werden.

Europa war immer eine dynamische Kraft

Das soll auch in Zukunft so bleiben.

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