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Vertraute Fremde - Muslime in Bulgarien (Teil I)

"Seit Jahrhunderten ansässig"

Für eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia in Auftrag gegebene journalistische Recherche haben der Photograph Christian Muhrbeck und Frank Stier Anfang April 2015 von Muslimen besiedelte Provinzen bereist. 'Wie leben Muslime in Bulgarien und wie praktizieren sie ihren Glauben?' lautete ihr Erkenntnisinteresse. Außer mit Muslimen - Muftis, Imamen und Gläubigen – haben Muhrbeck und Stier auch mit Journalisten und Wissenschaftlern gesprochen, die einen Expertenblick auf das Thema haben.

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Spätestens seit der Ansiedlung der Rumelientürken im Zuge der Expansion des Osmanischen Reichs auf der Balkanhalbinsel im 14. Jahrhundert leben in Bulgarien Muslime. Zwar haben nach der Befreiung Bulgariens von Osmanischer Fremdherrschaft im russisch-türkischen Krieg von 1878 und in der Folge zwangsweiser Assimilierungsversuche im 20. Jahrhundert viele Muslime Bulgarien verlassen, doch noch heute stellen ethnische Türken, zum Islam konvertierte Roma und die auch „bulgarische Mohammedaner“ genannten Pomaken einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung des Landes. Wie groß dieser ist, hat auch die letzte Volkszählung aus dem Jahr 2011 nicht ergeben, da bei ihr die Angabe der Religionszugehörigkeit nicht obligatorisch war. Beihan Mehmed, Regionalmufti von Kardschali, taxiert den Anteil der Muslime an der bulgarischen Bevölkerung auf rund ein Viertel. „Wir sind nicht erst seit gestern Teil dieser Gesellschaft, sondern leben seit vielen Jahren hier und arbeiten für ihre Entwicklung“, sagt er.

Auch Evgenia Ivanova, Soziologie-Professorin an der Neuen Bulgarischen Universität (NBU) und Herausgeberin einiger Studien zum Islam in Bulgarien, betont, die bulgarischen Muslime seien im Gegensatz zu ihren Glaubensbrüdern in westeuropäischen Ländern keine Immigranten dritter oder vierter Generation, sondern seit Jahrhunderten hier ansässig. „Wir sollten es gewohnt sein, mit ihnen zu leben“, meint sie. Dominiere aber in ruhigeren Zeiten tatsächlich die Bereicherung durch das Zusammenleben, so reflektiere in letzter Zeit in Bulgarien verstärkt die von gewaltsamen Auseinandersetzungen im Nahen Osten geprägte „Weltkonjunktur“. Periodisch wiederkehrende Verhaftungen von Imamen und religiösen Führern erzeugten zusätzlich Spannungen, kritisiert Ivanova den sogenannten Pasardschik-Prozess gegen zwölf Imame und eine Frau. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft Verbreitung anti-demokratischer Ideologie vor, die Medien berichten von „radikalem Islam“.

„Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid“, sagt Nasmi Djemal Gurdal, Imam im hoch in den Rhodopen gelegenen Dorf Ribnovo, zum Abschluss unseres Gesprächs über das Verhältnis der ethnischen und religiösen Volksgruppen im heutigen Bulgarien. „Es ist wichtig aufeinander zuzugehen und miteinander zu sprechen. Man lernt sich dabei kennen. Das ist besser, als aus der Ferne übereinander zu reden“, spielt er auf die gängige Medienberichterstattung über Muslime in Bulgarien an. Deren Neutralität und Objektivität stellt er wie viele seiner Glaubensbrüder in Frage.

Nicht alle unsere Gesprächspartner begrüßten unsere journalistische Feldforschung so ausdrücklich wie Imam Gurdal, doch waren wir überrascht, wie bereitwillig und offen die meisten von ihnen mit uns sprachen. Vor Antritt unserer Reise hatten wir damit gerechnet, Muftis, Imame und Gläubige könnten zuweilen mit Misstrauen und Zurückhaltung auf unsere Gesprächsanfragen reagieren. Dies war nicht der Fall; die meisten unserer muslimischen Gesprächspartner schienen gerne mit uns über ihren Glauben und ihr Verhältnis zur nicht-muslimischen Mehrheitsbevölkerung zu sprechen. Einige Aussagen begegneten uns im Verlaufe unserer knapp drei Dutzend Gespräche in Variationen immer wieder: „Der Islam ist eine Religion des Friedens“ etwa, oder „das Verhältnis zwischen Muslimen und christlich-orthodoxen Bulgaren ist gut und harmonisch“, und „wenn es überhaupt Spannungen zwischen den religiösen und ethnischen Volksgruppen gibt, so werden sie von außen bzw. obеn erzeugt, von Medien und Politikern“.

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Thorsten Geißler

Thorsten Geißler

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

thorsten.geissler@kas.de +359 2 943-4388 +359 2 943-3459
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22. Juni 2015
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