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Vertraute Fremde – Muslime in Bulgarien (Teil VI)

Von Politikern und Medien

Für eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia in Auftrag gegebene journalistische Recherche haben der Photograph Christian Muhrbeck und Frank Stier Anfang April 2015 von Muslimen besiedelte Provinzen bereist. 'Wie leben Muslime in Bulgarien und wie praktizieren sie ihren Glauben?' lautete ihr Erkenntnisinteresse. Außer mit Muslimen - Muftis, Imamen und Gläubigen – haben Muhrbeck und Stier auch mit Journalisten und Wissenschaftlern gesprochen, die einen Expertenblick auf das Thema haben.

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Nahe des landschaftlich schönen Dospat-Sees in den Rhodopen liegt das Städtchen Sarnitsa mit seinen rund dreitausend muslimischen Einwohnern. Wenn im Sommer viele Touristen auch aus dem Ausland kommen, erhöht sich seine Bevölkerung beträchtlich. Die Gäste sind vor allem Christen. „Wir Muslime in Sarnitsa haben heute mit Christen ebenso wenig Konflikte wie unseres Vorfahren“, sagt Said Mehmed Mutlu, Imam in Sarnitsa. Er ist in erster Instanz des Pasardschik-Prozesses wegen Verbreitung anti-demokratischer Ideologie zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. „Die Leute hier in Sarnitsa kennen mich gut und wissen, was ich predige“, sagt er in einer freundlichen und besonnenen Art. Tatsächlich kann man ihn sich schwer als Hassprediger vorstellen.

Imam Mutlu hält Politiker und Medien für verantwortlich für Spannungen zwischen religiösen und ethnischen Volkgruppen, stets seien die Probleme von den Mächtigen gekommen, damals beim Wiedergeburtsprozess, heute mit dem Pasardschik-Prozess. Wie die meisten seiner Kollegen auf der Anklagebank hat er an einer arabischen Elite-Universitäten studiert, in Medina, einer heiligen Stadt des Islams. Darin sieht er den Vorwand für die gegen ihn erhobene Anklage: „Sie klagen uns an, weil sie annehmen, dass wir aus Saudi-Arabien eingeführte Ideen verbreiten, die die nationale Sicherheit gefährden. Das ist aber nicht so und deshalb haben sie auch keinerlei Beweise gegen uns.“

„Es wird viel Lärm darum gemacht, dass bulgarische Muslime zur Ausbildung ins arabische Ausland gehen und von dort angeblich einen Bulgarien fremden radikalen Islam mitbrächten“, sagt NBU-Professorin Evgenia Ivanova. Würde sich der Staat bereit zeigen, ein Institut zur Ausbildung Geistlicher finanziell zu unterstützen, müssten diese nicht zur Ausbildung nach Saudi-Arabien oder sonstwohin gehen, gibt sie zu bedenken. In dem geringen Strafmaß in der ersten Instanz des Pasardschik-Prozesses – für den Tatvorwurf angeblicher Verbrechen gegen die demokratische Republik, für den das Strafgesetzbuch bis zu zwanzig Jahren Haft vorsieht, wurden Bewährungsstrafen und Geldbußen verhängt – sieht Ivanova ein Indiz dafür, dass es sich bei ihm weniger um eine juristische Sanktionierung tatsächlicher Vergehen handelt als um ein politisches Szenario.

„Die Angeklagten haben niemals geleugnet, Salafisten zu sein. Salafismus bedeutet zunächst aber eine orthodoxe Auslegung des islamischen Glaubens und nicht gleich islamistischer Extremismus und Terrorismus“, erklärt Evgenia Ivanova. Ständig schrieben die Medien von „radikalem Islam“, obwohl dieser Begriff in den Prozessakten gar nicht vorkäme, weil dies auch kein juristischer Straftatsbestand sei, sondern eine Glaubenskategorie wie etwa „radikales Christentum“ oder „radikaler Buddhismus“. Die wenigsten Medien würden verstehen, dass sie eigentlich politischen Islam meinten und dessen extreme Form des Islamismus, wie er von terroristischen Gruppierungen wie Al Quaida oder dem Islamischen Staat betrieben werde. „Solch einen Islamismus aber gibt es in Bulgarien nicht“, ist Professorin Ivanova überzeugt. Experten wie Anthony Georgieff und Juliana Metodieva teilen diese Meinung.

„All das kam von außen zu uns herein“, erwähnt Ivanova ein vor wenigen Jahren durch Wikileaks publik gemachtes Telegramm des US-Botschafters John Beyrle aus dem Jahr 2005 an seine Regierung. Darin hatte Beyrle über eine angebliche Anfälligkeit vor allem der Pomaken für islamistisches Gedankengut berichtet. Danach sei der bulgarische Mitarbeiter des Hudson Institute Alex Alexiev durch die Fernsehstudios getingelt und habe die Menschen mit seinen Thesen von furchterregendem „radikalem Islam“ und „schlafenden Zellen“ erschreckt. „Als ich ihn gelegentlich gefragt habe, wo er radikalen Islam und schlafende Zellen sieht, hat er mir geantwortet, ich solle die niederländischen Geheimdienste fragen. Damit war die Diskussion beendet“.

„Wer einen Menschen tötet, für den soll es sein, als habe er die ganze Menschheit getötet. Und wer einen Menschen rettet, für den soll es sein, als habe er die ganze Welt gerettet", zitiert der ehemalige Großmufti Fikri Sali im Gespräch mit uns das in Sure 5 Vers 32 des Korans festgeschriebene Tötungsverbot für Muslime, als wir ihn zu seiner Haltung zum Problem des islamistischen Terrors auf der Welt befragen. Immer wieder hören wir von unseren Gesprächspartnern die Botschaft dieser Sure als unmissverständliche Distanzierung von jeglicher Art religiösen Terrors. Zu ihrem Leidwesen teilen die bulgarischen Muslime mit der absoluten Mehrheit ihrer Glaubensbrüder auf der Welt das Schicksal, oft und zu unrecht mit den Taten kleiner extremistischer Minderheiten identifiziert zu werden.

Islamismus sei eher ein Phänomen in westeuropäischen Staaten an, wo sich manche muslimische Immigranten als Bürger zweiter Klasse fühlten und mit radikalisiertem Gedankengut reagierten, ist Evgenia Ivanova überzeugt. „Sollte sich die bulgarische Gesellschaft aber weiterhin anti-muslimischer Stimmungen hingeben, könnte so etwas wie Islamismus auch in Bulgarien entstehen“, warnt sie. „Ich hoffe natürlich, dass dies nicht geschieht. Die Gefahr, dass sich die Muslime von der Mehrheitsbevölkerung entfremden und einkapseln könnte, sehe ich aber schon.“

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Thorsten Geißler

Thorsten Geißler

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

thorsten.geissler@kas.de +359 2 943-4388 +359 2 943-3459

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