Länderberichte
Der chinesische Staatschef Hu Jintao zog insgesamt eine positive Bilanz. So fanden seine im Vorfeld bereits mit Nachdruck vertretenen Standpunkte zum Umgang mit Handelsüberschüssen und der eigenen Währungspolitik bei wichtigen Gipfelteilnehmern wie der Exportnation Deutschland großen Anklang und erlaubten die weitestgehende Durchsetzung chinesischer Interessen, insbesondere gegenüber den USA.
Schlagabtausch im Vorfeld des Gipfels
Dabei war es noch vor Beginn des Gipfeltreffens zu einem öffentlichen Schlagabtausch zwischen China und den USA gekommen. Die Vereinigten Staaten werfen der Volksrepublik bereits seit Jahren vor, den Wechselkurs des Yuan künstlich niedrig zu halten, um sich Wettbewerbsvorteile im Export zu verschaffen. Im Juni lockerten die Chinesen zwar die Bindung der landeseigenen Währung zum US-Dollar. Dass der Yuan anschließend lediglich zwei Prozent zulegte, war den Amerikanern allerdings deutlich zu wenig: Sie drohten Peking schließlich mit Handelssanktionen.
Empörte Reaktionen von chinesischer Seite ließen nicht lange auf sich warten. Peking warf den amerikanischen Verantwortlichen vor, eine zu lockere Geldpolitik zu betreiben, die einer indirekten Wechselkursmanipulation gleichkäme. Dass die amerikanische Notenbank Fed plane, 600 Milliarden US-Dollar in den amerikanischen Markt zu pumpen, sei geradezu verantwortungslos. Diese Maßnahme erhöhe – so der Vize-Finanzminister der Volksrepublik – die Gefahr für Schwellenländer, Opfer von Spekulationsblasen zu werden. Eine Sichtweise, die u.a. auch von der deutschen Bundeskanzlerin geteilt wurde. Als Reaktion auf die angekündigten Maßnahmen der Notenbank stufte die chinesische Ratingagentur Dagong Global Credit Rating die Kreditwürdigkeit der USA von AA auf A-plus herab, und setzte damit das chinesisch-amerikanische Kräftemessen vor Beginn des Gipfeltreffens fort.
Chinesische Harmoniebestrebungen
An anderer Stelle vollzog Peking hingegen einen auf Harmonie zielenden Kurs: Noch vor dem Startschuss zum koreanischen Gipfeltreffen war Hu Jintao Anfang November zu einer mehrtägigen Reise nach Frankreich aufgebrochen, das den G20-Vorsitz im Jahr 2011 inne haben wird. Hu sprach sich für den Ausbau der bilateralen Beziehungen zu den Franzosen und für die Stärkung einer strategischen Partnerschaft zwischen beiden Ländern aus. Damit signalisierte er Präsident Nicolas Sarkozy seine Bereitschaft, auf dem nächsten Gipfel als starker Partner an Frankreichs Seite auftreten zu wollen. Untermauert wurden die guten Beziehungen durch den Abschluss von Wirtschaftsverträgen in Milliardenhöhe.
An den Frankreich-Besuch Hus schloss sich ein eintägiger Aufenthalt in Portugal an. Seinem portugiesischen Amtskollegen sicherte Hu Hilfsmaßnahmen im Umgang mit der nachwirkenden Finanzkrise zu. Beiden Seiten bekräftigten ihren Wunsch, die bilateralen Beziehungen zu intensivieren und betonten das gemeinsame Vorhaben, globale Fragestellungen mit Bedeutung für folgende G20-Gipfel in Zukunft stärker gemeinsam zu erörtern. Auch der Portugal-Aufenthalt des chinesischen Staatsoberhauptes ging mit der Unterzeichnung diverser Handelsverträge einher.
Machtverschiebungen innerhalb der G20
Die deutliche und mitunter konfrontative Positionierung der Volksrepublik China in Richtung USA, sowie der 'Schmusekurs' mit ausgewählten EU-Akteuren im Vorfeld des G20-Forums zeigte – wie schon im Juni dieses Jahres auf dem kanadischen Gipfel –, dass sich China als einflussreicher Akteur auf der internationalen Bühne und im multilateralen Dialog versteht. Das Selbstverständnis der Volksrepublik spiegelte sich in der chinesischen Berichterstattung über das Gipfeltreffen wider. Diese war erneut umfangreich und stellte häufig auf das Durchsetzungsvermögen Hu Jintaos insbesondere gegenüber den USA ab.
Der Volksrepublik China gelang es, ihr weltpolitisches Gewicht auszubauen und das unipolare System im Dialog mit den Vereinigten Staaten herauszufordern. Tatsächlich hatte sich US-Präsident Barack Obama in vielerlei Hinsicht den Interessen Chinas und anderer G20-Mitglieder beugen müssen. Weder bei der Debatte um chinesische Wechselkursmanipulation noch bei der Limitierung von Handelsbilanzdefiziten und Exportüberschüssen konnten die USA Erfolge erzielen. Zwar wird China seit jeher nicht nur von den USA, sondern auch von anderen Staaten für seine Geldpolitik kritisiert. Diese zogen im Rahmen des Gipfels allerdings nicht mit, so dass die Diskussion um einen unterbewerteten Yuan zu keiner Zeit im Vordergrund der Beratungen stand und es den USA damit nicht gelang, die Volksrepublik zum Sündenbock zu deklarieren.
Ähnliches zeigte sich in Bezug auf die amerikanische Forderung nach Exportquoten. Obama hatte gemeinsam mit seinem Finanzminister Timothy Geithner erklärt, dass Ausfuhrüberschüsse auf 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen seien. Zwar stimmten die beiden größten Exportnationen China und Deutschland überein, dass Handelsungleichgewichte auf lange Sicht hin zu bearbeiten seien. Die von den USA geforderte Deckelung verstoße allerdings eindeutig gegen den Freihandelsgedanken und sei damit nicht tragbar – eine Argumentation, mit der sich die Exportnationen schließlich gegen die Amerikaner durchsetzten.
Die sich andeutende Gewichtsverschiebung zu Gunsten Chinas wurde unterdessen nicht nur von chinesischen Pressevertretern thematisiert. Internationale Medien zählten die Volksrepublik und Deutschland ebenfalls zu den Gipfel-Gewinnern; die USA hingegen wurden zum Verlierer erklärt , auch weil es dem US-Präsidenten zum wiederholten Male nicht gelungen war, ein bereits seit längerem geplantes Freihandelsabkommen mit Südkorea abzuschließen.
Sanftere Töne im bilateralen Dialog
Nach den harten Worten, die in aller Öffentlichkeit zwischen den chinesischen und amerikanischen Lagern ausgetauscht worden waren, stimmten Hu und Obama im Rahmen ihres bilateralen Treffens versöhnlichere Töne an. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua ließ verlauten, dass beide Gesprächspartner gemeinsame Anstrengungen unternehmen wollten, um die vielschichtigen Beziehungen weiter auszugestalten. Hu Jintao bezeichnete den bisherigen wirtschaftlichen und strategischen bilateralen Dialog als positiv und kooperativ. Nun müsse er durch gemeinsame Anstrengungen auf eine neue Stufe gehoben werden. China sei zur weiteren Aufwertung des Yuan grundsätzlich bereit, wies aber darauf hin, dass Reformen nur Schritt für Schritt implementiert werden könnten. Gleichzeitig forderte er Barack Obama in Hinblick auf die amerikanische Geldpolitik einmal mehr dazu auf, immer auch die Auswirkungen wirtschaftlicher Maßnahmen auf die Schwellenländer zu berücksichtigen. Obama bekräftigte seinerseits das Ziel der USA, Impulse für eine nachhaltige Erholung der globalen Wirtschaft setzen zu wollen und unterstrich seine Vorfreude auf den für das kommende Jahr angesetzten Besuch Hu Jintaos in der amerikanischen Hauptstadt.
Neben dem bilateralen Dialog mit den USA führte Hu Jintao Gespräche mit seinen südkoreanischen und russischen Amtskollegen Lee Myung-bak und Dimitry Medvedev. Der südkoreanische Präsident unterstrich die wichtige Rolle Chinas innerhalb der G20 und äußerte seinen Wunsch nach einer weiteren Stärkung der strategischen Partnerschaft. Hu wies darauf hin, dass beide Länder nicht nur geographische Nachbarn, sondern wichtige Partner seien. Als konstruktiver Gefährte leiste China den Südkoreanern gerne Hilfestellung bei der Verbesserung der süd- und nordkoreanischen Beziehungen.
Das Treffen zwischen Medvedev und Hu verlief chinesischen Presseangaben zufolge ebenfalls harmonisch. Einig waren sich die beiden Politiker darüber, dass die BRIC-Staaten einen besonderen Beitrag zur bisherigen Reform des internationalen Währungssystems geleistet hätten. Der Erfolgskurs sollte zukünftig beibehalten werden. Darüber hinaus sei Hu bereit, in Kooperation mit Russland die Reform des internationalen Finanzsystems im Rahmen der G20 weiter voranzubringen und sich für ausgewogene Ergebnisse in der Doha-Welthandelsrunde einzusetzen. Schließlich vereinbarten beide Länder, ihre Zusammenarbeit im APEC-Forum und der Shanghai Cooperation Organization zu intensivieren.
Chinas Forderungen an die zukünftige G20-Strategie
In seiner Rede im Plenum der G20 machte Hu Jintao die Teilnehmer darauf aufmerksam, dass eine endgültige Erholung von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise nur unter Mitwirkung aller Akteure zu gewährleisten sei. Sämtliche wirtschaftliche und politische Maßnahmen müssten sich stets am Interesse der Menschheit orientieren. Das chinesische Staatsoberhaupt schlug einen Vier-Punkte-Plan vor, durch den ein gleichmäßiges Weltwirtschaftswachstum realisiert werden könne: Demnach gelte es zunächst, sich über einen Rahmenmechanismus zu einigen, unter dem die Forcierung eines starken, nachhaltigen und ausgeglichenen Weltwirtschaftswachstum gelingen könne. Darüber hinaus müsse es weitere Liberalisierungen des Handels und Reformierungen des internationalen Finanzsystems geben. Letztlich ginge es darum, das internationale Wirtschaftswachstum ausgeglichen zu gestalten. Dazu sei es notwendig, dass die Industriestaaten bei der Implementierung ihrer makroökonomischen Maßnahmen potentiell negative spillover-Effekte auf die Schwellenländer beachteten.
Die Bedeutung der G20-Beschlüsse für China
Chinesische Medien ließen verlauten, dass die auf dem Gipfel gefassten Beschlüsse die zuvor dargelegten Inhalte und Standpunkte Pekings überwiegend widerspiegelten. Tatsächlich erfuhr das selbstbewusste China durch die Verabschiedung der bereits im Oktober durch die G20-Finanzminister vorbereiteten Reform des IWF ein hohes Maß an Bestätigung. Diese hatten sich über eine mögliche Neuregelung der Machtverhältnisse beraten und vorgesehen, die Stimmrechte von Schwellenländern zu erweitern. Dies war von chinesischer Seite bereits auf dem vorangegangenen G20-Gipfel in Toronto gefordert worden. Durch den Beschluss avanciert die Volksrepublik nun zum drittgrößten Anteilseigner des IWF hinter den USA und Japan und drängt Deutschland damit auf Platz vier.
Das Basel III-Regelwerk zur globalen Finanzmarktregulierung als zweite Schlüsselreform des Gipfels wurde ebenfalls unter chinesischer Zustimmung gebilligt. Basel III benennt die im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht vorgeschlagenen Erweiterungen der als Basel II bezeichneten Eigenkapitalvorschriften für Banken. Laut dem Beschluss sollen die Kreditinstitute zukünftig stärker in die Pflicht genommen und ihre Eigenkapitalvorschriften deutlich verschärft werden.
Darüber hinaus einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf die Entwicklung von Maßstäben zum Umgang mit Ungleichgewichten im Außenhandel. Die Ausarbeitung von entsprechenden Mechanismen soll im kommenden Jahr von den G20-Finanzministern in Kooperation mit dem reformierten IWF erfolgen und sich an verschiedenen Bemessungsindikatoren orientieren. Die Volksrepublik wird an diesem Prozess also maßgeblich beteiligt sein.
Die Konflikte um Exportüberschüsse und staatlich gelenkte Wechselkurse konnten zwar nicht grundlegend gelöst, ein Handels- und Wechselkurskrieg aber verhindert werden. So verpflichteten sich die Teilnehmer dazu, „einen Abwertungswettlauf der Währungen (zu) vermeiden“ und Wechselkurspolitiken flexibler zu gestalten. Außerdem beschlossen die Teilnehmer, auf protektionistische Maßnahmen wie etwa die Erhebung von Strafzöllen zu verzichten.
Nicolas Sarkozy, der das nächste G20-Treffen im kommenden Jahr ausrichten wird, hat bereits angekündigt, die Reform des globalen Währungssystems ganz oben auf die Tagesordnung 'seines' Gipfels setzen zu wollen. Dass die Chinesen bei der Neuordnung des Systems intensiv mitmischen werden, davon ist auszugehen – denn auf dem Gipfel in Seoul haben sie sich bereits als einflussreicher Akteur innerhalb der G20 behauptet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es bei dem Gipfeltreffen der 20 wichtigsten Staats- und Regierungschefs auch dieses Mal – von einigen wenigen konkreten Beschlüssen abgesehen – bei vielen vagen Erklärungen blieb.