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Verfassungsprinzipien zur Diskussion gestellt

von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio
2009 jährte sich das Bestehen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland zum 60. Mal. Aus diesem Anlass haben die Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften und die KAS in Peking ein Symposium über Grundbegriffe der Verfassungen durchgeführt. Zwei der Beiträge, von Herrn Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio und Herrn Prof. Dr. Felix Ekardt, werden hier vorgestellt.

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Vorwort

Die Volksrepublik China und die Bundesrepublik Deutschland haben sich Verfassungen gegeben. Deutschland verabschiedete sein „Grundgesetz“ 1949 gleichsam als Teil der Republikgründung. China bekam damals eine vorläufige Verfassung. 1954 trat die erste Verfassung der Volksrepublik in Kraft. 1984 wurde sie grundlegend novelliert. In Deutschland hat die Verfassung in hohem Maße Identität stiftenden Charakter. Regelmäßig werden Gesetze und Gerichtsurteile auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Viele Deutsche empfinden ein patriotisches Gefühl gegenüber der Verfassung mehr als gegenüber ihrem Vaterland. Das Selbstverständnis des modernen Deutschland soll in der Verfassung klar zum Ausdruck kommen und allzeit Orientierung bieten.

Chinesische und deutsche Kultur sowie Geistesgeschichte unterscheiden sich deutlich. Die jüngeren historischen Erfahrungen in der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland waren seit der jeweiligen Republikgründung vor 60 Jahren so unterschiedlich, dass auch daraus sehr unterschiedliche Impulse auf die Gesellschaften gewirkt haben. Während des Kalten Krieges waren die Beziehungen der beiden Staaten eingeschränkt. Seit Beginn der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik sind sie immer enger geworden. Heute sind China und Deutschland die größten Exportnationen der Erde und der bilaterale Handel hat einen Wert von 100 Milliarden US Dollar überschritten. Die bilateralen Beziehungen umfassen alle Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur. Beide Seiten profitieren von diesem Austausch. Interessenkongruenz herrscht in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen.

Dennoch blieben die unterschiedlichen Menschenbilder, Weltsichten sowie Gesellschafts- und Staatsprinzipien fremd. Das nach wie vor von den Prinzipien des demokratischen Zentralismus und der Führerschaft der Kommunistischen Partei geprägte Verfassungsverständnis in China stößt in Deutschland auf Unverständnis und weitgehende Ablehnung. Das Primat eines „freien Individuums“ im Deutschen Grundgesetz bietet die Grundlage für ein anderes Staats- und Gesellschaftsverständnis, das in China keine starke Tradition hat. In diesem Band soll dieses deutsche Denken, das in vielen Ländern des so genannten Westens ähnlich ausgeprägt ist, anhand von grundlegenden Verfassungsgütern erläutert und zur Diskussion gestellt werden. Damit soll ein Beitrag zum besseren Verständnis von weltanschaulichen Grundlagen der unterschiedlichen Konzeptionen von Staat und Gesellschaft zwischen China und Deutschland geleistet werden.

Die beiden Autoren dieses Bandes sind Juristen aus unterschiedlichen Generationen. Sie setzen in ihrer Argumentation unterschiedliche Schwerpunkte. Udo Di Fabio wurde 1954 geboren, Felix Ekardt 1972. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an philosophischen und sozialwissenschaftlichen Aspekten ihres Faches. Udo Di Fabio ist seit 1999 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Er lehrt seit 1986 an verschiedenen deutschen Hochschulen. Zuvor hatte er in einer Stadtverwaltung (1970 – 1980) und als Richter am Sozialgericht (1985 – 1986) gearbeitet. Er gehört zu den bekanntesten deutschen Rechtsgelehrten. Zahlreiche seiner Beiträge werden öffentlich breit diskutiert. In seinem Buch „Die Kultur der Freiheit“ untersuchte er Zustand und Perspektiven der deutschen (und westlichen) Gesellschaften mit Blick auf Leitwerte des Grundgesetzes. Dabei betont er über gängige Grundrechte hinaus die Bedeutung von sozialen Institutionen für die Gesellschaft. Während gängige Grundrechte wie die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Meinungs- und Bekenntnisfreiheit oder Eigentumsrecht - als persönliche Freiheitsrechte gegenüber Übergriffen des Staates zu verstehen - in Deutschland zufriedenstellend gewährleistet sind, hat die Bedeutung individueller Verpflichtungen gegenüber sozialen Institutionen abgenommen. Di Fabio befasst sich mit Folgen dieses Trends, die auch Schwächung von gesellschaftlicher und kultureller Identität und Vitalität einschließen. In China wird der Blick auf das Kollektiv gegenüber individuellen Freiheitsrechten stärker betont. Insofern verdient Di Fabios Beschreibung und Analyse eines wichtigen Trends in Deutschland in China Aufmerksamkeit.

Felix Ekardt ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock und leitet die Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Er setzt sich insbesondere mit der Theorie der Gerechtigkeit, mit der Theorie der Nachhaltigkeit, mit der Klimapolitik und mit Fragen der politischen Steuerung in der Weltgesellschaft auseinander. Auf seiner Homepage beschreibt er als „Kernaufgabe des 21. Jahrhunderts die Idee eines dauerhaften und global lebbaren Lebensstils, und zwar in politischer, moralischer und rechtlicher Hinsicht. Genau dafür steht der Begriff Nachhaltigkeit. Dabei ist der Klimawandel das wichtigste Handlungsfeld. Er bedroht wie nichts zuvor unsere Existenz, unser Wirtschaftssystem und den Frieden. Damit stellt er zugleich unsere moralischen Überzeugungen auf die Probe.“ Felix Ekardt ist als Berater für Ministerien gern gesehen. Seine Meinung findet in den deutschen Medien breite Aufmerksamkeit. Ekardt war einer von fünf „Nachwuchswissenschaftlern des Jahres” des Deutschen Hochschulverbandes und der ZEIT 2007.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung bedankt sich bei den beiden Autoren für die Texte und für ihre Beteiligung an Workshops, Vortragsveranstaltungen und Fachgesprächen in Peking im September 2009. Unser besonderer Dank gilt der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und der Peking Universität für die außergewöhnlich gute Zusammenarbeit bei diesem deutsch-chinesischen wissenschaftlichen und politischen Dialog.

Wolfgang Meyer

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