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Nachhaltigkeit global: Bericht aus der Arktis

von Gabriele Baumann

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Arktis: Die Folgen des Klimawandels in der Arktis sind dramatisch und haben zu unumkehrbaren Veränderungen geführt. Die fortschreitende Erderwärmung vollzieht sich mehr als doppelt so schnell wie in anderen Weltregionen. Messbar ist dies unter anderem an der schwindenden Ausdehnung und Dicke des Meer- und Landeises – ein Frühwarnsystem des Klimawandels. Große Teile des Nordpolarmeers lagen früher ganzjährig unter einer dichten Eisschicht; Grönland galt als das Land des ewigen Eises, in dem grüne Landstriche, im Gegensatz zur eigentlichen Bedeutung des Namens, nur selten zum Vorschein kamen. Das rasante Abschmelzen des grönländischen Eisschildes führt zur Freilegung dieser Flächen und zum Anstieg des Meeresspiegels.

Die zunehmende Eisfreiheit steigert die ökonomische Bedeutung der Arktis. Die Ausweitung von Berg- und Tagebauvorhaben ist nun ebenso möglich wie die Öl- und Gasexploration sowie der verstärkte Seeverkehr in Gebieten, die zuvor eisbedeckt waren.

Aufrührendes Symbol der klimatischen Veränderungen sind die Eisbären: Ihr Lebensraum „schmilzt“ im wörtlichen Sinne. 22.000 bis 31.000 dieser Tiere leben heute in der Arktis. Im Eis jagen sie Robben und Walrosse und bringen ihre Jungen in Schneehöhlen zur Welt. Eisbären sind auf das Meereis angewiesen, das in den letzten Jahrzehnten dünner geworden ist. Je früher im Jahr das Eis bricht, desto weniger Nahrung können die Eisbären erbeuten.

Die Arktis – auf ihrem Gebiet leben vier Millionen Menschen (mit Kanada, den USA und Russland) – ist keine homogene Region, sondern umfasst sehr unterschiedliche Ökosysteme und Lebensräume. Besonders die subarktischen Regionen im Norden Norwegens, Schwedens und Finnlands sind von urbanen Industrie- und Wissenschaftszentren wie Tromsø, Kiruna und Rovaniemi geprägt. Nachhaltige Strategien sind somit in allen Bereichen gefragt. Dabei geht es ebenso um gute Unternehmens- und Regierungsführung wie um Umweltfragen in einer sensiblen ökologischen Zone sowie um die sozialen Belange der Menschen.

Das arktische Meereis spielt nicht nur eine wichtige Rolle im globalen Klimasystem, es ist auch seit Jahrhunderten Bestandteil des Lebens der indigenen Gesellschaften wie der Inuit als Fischer und Jäger und der Sami als Rentierzüchter. Eine nachhaltige Entwicklung schließt damit den Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes und Lebensraums der indigenen Völker ein. Der besonders geschützte Status der Sami als Rentierherdenhalter gerät in Nordschweden einerseits immer wieder in Konflikt mit den Interessen der Bergbauindustrie, wenn Letztere mit ihren wirtschaftlichen Aktivitäten in Gebiete expandieren wollen, die traditionelles Weideland der Rentierherden sind.

Andererseits wird die Bergbauindustrie in diesen Breitengraden als wichtiger Wirtschaftsfaktor für eine nachhaltige Entwicklung der Region erachtet, da sie Arbeitsplätze und Wohlstand schafft. Seit 2014 werden große Anstrengungen unternommen, um einen Teil der Stadt Kiruna umzusiedeln und an anderer Stelle wiederaufzubauen, da unter dem alten Stadtkern reiche Vorkommen an Eisenerz vermutet werden. Eine nachhaltige Vorgehensweise bedeutet wie im Fall Kiruna, dass die Einkommen, die in der Region generiert werden, auch dort bleiben sollen, damit die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in der Kommune gehalten wird und die Region konkurrenzfähig bleibt.

Die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Ausbeutung von Bodenschätzen, die durch längere und wärmere Sommerperioden begünstigt wird, bestimmen und steuern die jeweiligen Kommunen und Provinzen (im Fall Grönlands die autonome Regierung). Es handelt sich also nicht um unkontrollierbare Dynamiken.

Aus politischer Perspektive ist der 1996 gegründete Arktische Rat, dem die acht Arktisstaaten Dänemark (mit Grönland), Kanada, Norwegen, die Russische Föderation, die USA, Island, Schweden und Finnland angehören, die bedeutendste zwischenstaatliche Institution zur Steuerung einer nachhaltigen Entwicklung in der Arktis. Ziel des Arktischen Rates ist gleichermaßen der Erhalt der einzigartigen Lebensräume sowie die umweltverträgliche wirtschaftliche Ausbeutung der Bodenschätze. Bislang wird die Zusammenarbeit im Arktischen Rat als vertrauensvoll und konstruktiv beschrieben.

Deutschland, das im August 2019 die „Leitlinien deutscher Arktispolitik“ veröffentlichte, hat Beobachterstatus im Arktischen Rat. Neben Umwelt- und Klimaschutz geht es in den Leitlinien besonders um die Forschung. In der Polarforschung nimmt Deutschland eine Spitzenposition ein, wie das internationale Projekt der Expedition MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate, Multidiziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas) unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts 2020 bewiesen hat. Das Forschungsschiff „Polarstern“ bewegte sich ein Jahr lang in der arktischen Eisdrift und stand damit in der Tradition der Expedition des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansen vor über einhundert Jahren.

Die Regierungen der nordischen Länder arbeiten nicht nur im Arktischen Rat, sondern auch im Nordischen Ministerrat, im Nordischen Rat sowie im Barents-Euro-Rat in Fragen, die die Arktis betreffen, zusammen. Der Fokus liegt auf der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in den arktischen Gebieten der nordischen Länder. Entsprechend sind die Gesundheitsversorgung, soziale Fragen und Bildung, die arktische Umwelt und Natur, Klima sowie eine nachhaltige und grüne wirtschaftliche Entwicklung Arbeitsschwerpunkte.

Ziel der Zusammenarbeit ist es, den Norden „grün, konkurrenzfähig und sozial nachhaltig“ zu gestalten. In den nordischen Ländern steigt generell das Bewusstsein, dass die Zusammenarbeit und Koordination verbessert und ausgebaut werden muss, um als relevante und gewichtige Stimme wahrgenommen zu werden. Dies gilt umso mehr für die Arktis angesichts des seit einigen Jahren rauer werdenden sicherheits- und geopolitischen Klimas. Die gestiegenen globalen Großmachtrivalitäten zwischen den USA und China sowie Russland werden zunehmend auch in die Arktis hineingetragen. Russland hat seine militärische Präsenz in der Region seit einem Jahrzehnt sukzessive erhöht.

Bei einem Treffen der fünf nordischen Regierungschefs in Reykjavik im August 2019 wurde auch Deutschland einbezogen und eine Plattform für einen noch engeren Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den sechs Ländern geschaffen, insbesondere in Fragen der Nachhaltigkeit. Die Regierungschefs von Island, Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland beschlossen bei diesem Treffen, die nordischen Länder bis 2030 zur nachhaltigsten Region der Welt zu entwickeln.

Finnland strebt die Klimaneutralität bis 2035 an und will die weltweit erste fossilfreie Wohlfahrtsgesellschaft werden. Die finnische Regierung plant, ihre Maßnahmen zur Emissionsreduzierung massiv zu beschleunigen. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, setzt Finnland – wie auch Schweden – weiter auf die Nutzung der Kernenergie neben dem Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger Reduzierung fossiler Energieträger. Zu Finnlands nachhaltiger und ökologischer Politik trägt die Kernenergie mit einem Drittel des in Finnland erzeugten Stroms bei.

Für Norwegen hat die Arktis durch eine gemeinsame Grenze mit Russland eine wichtige außenpolitische Bedeutung. Norwegen spricht sich deshalb klar für ein größeres Engagement der NATO in der Arktis aus. Innen- und wirtschaftspolitisch schließen sich die Förderung der arktischen Ressourcen sowie der Schutz der Arktis nicht aus. Zu Norwegens Prioritäten gehören eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung mit Öl- und Gasgewinnung, Fischerei, Schifffahrt und Tourismus.

Um eine langfristige verantwortungsvolle und ausgewogene Entwicklung in der Arktis zu ermöglichen, ist es entscheidend, dass sich alle beteiligten und interessierten Akteure – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Arktis – in einem ständigen Dialog und Informationsaustausch befinden. Dies sollte zu einem differenzierten Verständnis der Region führen.

 

Gabriele Baumann, Leiterin des Regionalprogramms Nordische Länder der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Stockholm (Schweden).

 

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