Asset-Herausgeber

von Wolfgang Bergsdorf

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Der 11. September 2001 hat der Welt ihre Verwundbarkeit vor Augen geführt. Diese Zäsur zeigt, dass der Terror globalisiert und der Krieg privatisiert wurde. Während die Globalisierung des Terrorismus offenkundig gelungen ist, kann man nur formal von der Privatisierung des Krieges sprechen. Ohne wohlwollende Duldung durch die staatlichen Strukturen des Taliban-Regimes in Afghanistan hätte kein bin Laden eine Chance zum Großangriff auf die Vereinigten Staaten gehabt. Deshalb musste der Sturz des TalibanRegimes das erste Ziel sein. Seine Entstehung beleuchtet der ungemein informative Essay von Willi Steul in dieser Ausgabe.

Bin Laden hat die Vereinigten Staaten end gültig davon überzeugt, dass ein Paradigmenwechsel der amerikanischen Politik im Inneren und Äußeren notwendig ist. Was der erste Anschlag auf das World Trade Center und die folgenden Attacken auf amerikanische Einrichtungen in Afrika und Arabien nicht vermochten, ist dem terroristischen Netzwerk El Kaida am 11.September endgültig gelungen: Dem Kampf gegen den Terrorismus im Inland und im Ausland gebührt nun absolute Priorität. Die innenpolitischen Auseinandersetzungen werden zurückgestellt, enorme Haushaltsmittel für Militär, Zivilschutz und Geheimdienste werden bereitgestellt, die NATO erklärt den Bündnisfall, die Vereinten Nationen verabschieden eine einhellige Verurteilung des Terrorismus. Die Vereinigten Staaten schmieden eine weltweite Allianz gegen Terrorismus und Terrorismus duldende und fördernde Staaten.

Es ist ziemlich kurios, dass in Europa viele Politiker und Kommentatoren sich der Illusion hingeben, der vom US-Präsidenten Bush erklärte Krieg gegen den Terrorismus sei zuvörderst eine amerikanische Angelegenheit. Dies wird massive Auswirkungen auf die jeweilige Innen- und Außenpolitik der europäischen Länder haben. Dass Sinn-Fein-Chef Gary Adams nun die Entwaffnung der IRA fordern kann, ohne sich selbst aufzugeben, ist einer der positiveren Effekte dieses wahrscheinlich langwierigen Kampfes gegen den unsichtbaren Feind. Die bisherigen Aktivitäten bin Ladens haben – wie der kenntnisreiche Aufsatz von Thomas M. Wandinger über das Terrornetzwerk EI Kaida klarmacht – zweierlei verdeutlicht: Zwischen den Großanschlägen seit dem ersten Angriff auf das WTC lag jeweils -bedingt durch die professionelle Planung -ein Zeitraum von zirka zwölf Monaten. Wir können uns also darauf einstellen, dass in der zweiten Jahreshälfte 2002 ein neuer terroristischer Großangriff erfolgt, falls die Amerikaner bin Laden in Afghanistan nicht fassen sollten. Sie zeigen zweitens, dass von ihm und seinem terroristischen Netzwerk vor allem die Vereinigten Staaten oder ihre Botschaften und Militäreinrichtungen im Ausland bedroht sind. Das muss so nicht bleiben. Seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre nehmen die Selbstmordanschläge zu. Deutschland diente bin Laden und seinen terroristischen Helfern seit den neunziger Jahren als Ruhe- und Vorbereitungsraum für noch nicht tätige Terroristen. Neben den El-Kaida-Zellen leben derzeit 800 Sympathisanten der Hisbollah in Deutschland. Für sie ist bin Laden ein Held oder – als Märtyrer – ein Vorbild. Auch für Deutschland bildet der 11. September einen tiefen Einschnitt. Seine fortwährenden Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik, aber auch auf die Innenpolitik sind heute noch nicht einmal in ihren Ansätzen zu erkennen. Dass Bundeskanzler Schröder am 16. November die eigene Mehrheit nur mit außergewöhnlichen Mitteln erzwingen konnte, ist nichts mehr als ein Präludium für dramatische Veränderungen der kommenden Monate.

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Wolfgang Bergsdorf, Chefredakteur

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