Seit drei Jahren diskutieren Parteien, Medien und Öffentlichkeit die Frage nach dem „Umgang mit der AfD“. Die Wahlergebnisse der Landtagswahlen im März 2016 und der Programmparteitag der AfD Ende April haben diese Debatten erneut befeuert. Parteigremien, Fachkonferenzen und Talkshows suchen nach Antworten: Wie hältst du es mit der AfD? Wie „umgehen“ mit der Partei und ihren Wählern?
Die Frage wird zuweilen mit einer derartigen Intensität diskutiert, dass der Eindruck entstehen könnte, die neue rechtspopulistische Partei, die in bundesweiten Umfragen derzeit bei bis zu fünfzehn Prozent liegt, sei das zentrale Problem der Bundesrepublik. Der AfD wird das recht sein.
Dabei mutet schon die Fragestellung seltsam an. Ist seinerzeit etwa über den „Umgang mit der Piratenpartei“ diskutiert worden? Oder rätseln wir beständig über den „Umgang mit der Partei Die Linke“?
Die Diskussion des „Umgangs“ lebt im Kern von der Annahme, man könne politisch etwas tun, sagen oder beschließen, was dazu führen würde, dass die AfD wieder von der politischen Landkarte verschwindet. Dabei operieren die meisten handelnden Akteure immer noch mit Kategorien wie „unsere Wähler“, „konservativ“, „links“ und „rechts“. Mit einer rechtspopulistischen Partei des „Dagegen“, die in Programm und Attitüde aktuelle Ängste der Bürger mit Varianten von „Früher war alles besser“ beantwortet, sind ironischerweise Parteien konfrontiert, die sich ihrerseits nach dem Parteiensystem von früher sehnen.
Dabei geben die zurückliegenden drei Jahre mehr als genügenden Aufschluss darüber, wie die Thesen über den „Umgang“ zu widerlegen oder zu bestätigen wären. Die AfD ist erkennbar weder „die gute alte CDU“ noch Ausdruck eines „Rechtsrucks“ der deutschen Gesellschaft oder gar eines politischen „Dunkeldeutschland“. Sie ist eine opportunistische Protestpartei. Mit politischen Positionsverschiebungen entlang eines Links-rechts-Spektrums wird man die AfD nicht bekämpfen können, auch nicht mit rhetorischen Urweisheiten à la „Rechts von der Union darf es keine Partei geben“. Diese Kategorien sind Protestwählern schlicht gleichgültig. Die AfD wird gewählt, weil Protestwähler diffusen Unmut zum Ausdruck bringen wollen, weil vielfältige Ängste in der Gesellschaft zugenommen haben, weil sich viele Menschen globalen Entwicklungen hilflos ausgeliefert fühlen und sich nach Abschottung, Übersichtlichkeit und Beschaulichkeit sehnen.
Die hohe Beweglichkeit der Wählerschaften in Deutschland macht vor diesem Hintergrund den Erfolg neuer Parteien möglich. Für die neuen Bundesländer gilt das ganz besonders. In individualisierten, pluralistischen Gesellschaften, in denen Medienpublika sich fragmentieren und das Medienkonsumverhalten zunehmend Echokammern hervorbringt, sind Auswirkungen auf das Parteiensystem zu erwarten. Dass durch eine Große Koalition im Bund kleinere und auch außerparlamentarische Parteien Auftrieb bekommen, ist auch keine neue Erkenntnis. Die AfD gehört zudem gemeinsam mit der FDP zu den ungebundenen Oppositionsparteien, während Grüne und Linke an Landesregierungen beteiligt sind. Ein gewisser Grad an Gelassenheit wäre vor dem Hintergrund dieser strukturellen Faktoren hinsichtlich der Wahlergebnisse der AfD also angebracht.
Wer sich von Populisten treiben lässt, verliert
Das soll nicht heißen, dass man sich wegen des autoritären Geistes der AfD, der fortwährenden Tabubrüche, der gezielten Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas und der völligen Abwesenheit konstruktiver Problemlösungsansätze in dieser Partei keine Sorgen machen müsste. Hysterie und erschrecktes Starren auf die AfD sind jedoch genau das, was die Populisten zum Überleben brauchen. Wenn Politiker mehrerer Parteien jetzt argumentieren, man müsse dieses und jenes beschließen „wegen der AfD“ oder „weil sonst die AfD …“, laufen sie in eine klassische Falle der Rechtspopulisten: Wer sich von Populisten treiben lässt, löst keine relevanten Probleme mehr. Werden die relevanten Probleme nicht gelöst, stärkt das die Populisten.
Ohnehin ist die Adaption der populistischen Rhetorik oder das „Eingehen auf die Sorgen und Ängste der Bürger“, bei dem man den Populisten ungewollt recht gibt, nachweislich gescheitert. Der öffentliche Widerstand des CSU-Chefs Horst Seehofer gegen die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin hat nicht zu schlechteren Ergebnissen der AfD bei den Landtagswahlen im März 2016 geführt. Das gelang übrigens auch nicht dort, wo Seehofer selbst im Wahlkampf im Einsatz war. Die Haltung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, für eine „Obergrenze“ der Flüchtlingszuwanderung und „nationale Maßnahmen“ hat die AfD in diesem Bundesland nicht geschwächt. Niemand wird ernsthaft argumentieren wollen, die AfD hätte sogar noch mehr als 24,2 Prozent der Stimmen erhalten, wenn Haseloff sich anders positioniert hätte. Die taktische Absetzung der Spitzenkandidaten Julia Klöckner und Guido Wolf von der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage hat die Zustimmung zur AfD nachweislich nicht gesenkt.
Ebenfalls gescheitert ist allerdings auch der Ansatz einer vollkommenen Ausgrenzung der neuen Partei. Mit einer politischen „Einheitsfront“, die von einem moralischen Sockel aus argumentiert, wird man die AfD nur weiter stärken und bei Protestwählern sehr wahrscheinlich Trotzreaktionen hervorrufen. Daher ist eine pauschalisierende Abstempelung der AfD und ihrer Wähler als „rechtsradikal“ ein Fehler. Eine Ausgrenzung der AfD wird, wie in den vergangenen drei Jahren erlebt, schon allein deshalb nicht gelingen, weil die Lust am Tabubruch und der rhetorischen Grenzüberschreitungen in klickoptimierten Medien leicht Resonanzräume finden. Zudem gibt es viele interessierte Seiten, die eine Ausgrenzung scheitern lassen. Vermeintlich „Konservative“ in der Union, die mit dem Kurs der Partei unzufrieden sind, benutzten die AfD ebenso als Instrument wie politische Wettbewerber, die darauf hoffen, die Dominanz der CDU und Angela Merkels dadurch zu brechen, dass die AfD sich zu einer Art „Linkspartei-Problem“ der CDU entwickelt. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Wählerwanderungen zur AfD seit der ersten Wahlteilnahme bei der Bundestagswahl 2013 eine klare Sprache sprechen. Wie bei jeder Protestpartei, übrigens auch bei den Piraten, kommen die Wähler der AfD zu etwa einem Drittel aus dem ehemals bürgerlichen Lager, zu einem Drittel aus dem ehemals linken Lager und zu einem Drittel von den Nichtwählern. Trotz dieser Fakten hält sich das Leitmotiv, die AfD sei ein exklusives Problem der Unionsparteien, obwohl der Verlust der Protestwähler an die AfD beispielsweise für die Linkspartei existenzielle Fragen aufwirft und die SPD ihr Wahlergebnis im März in zwei Bundesländern halbierte.
Wie sich Protestverhalten abbauen lässt
Noch einmal: Die AfD ist eine Protestpartei. Sie wurde nicht wegen ihrer programmatischen Aussagen oder wegen ihres führenden Personals gewählt. Die Wahlergebnisse der AfD sind ein Kommunikationsversuch im Sinne eines Denkzettels an alle etablierten Parteien und das politische System der Bundesrepublik. Um das Protestverhalten abzubauen, werden die Parteien Wege finden müssen, um an die Wähler zurückzukommunizieren: „Ja, wir haben gehört und wir haben verstanden.“
Die dauernde Frage nach dem „Umgang mit der AfD“ ist falsch, weil man mit ihr umgehen muss wie mit anderen Parteien auch. Man muss die AfD argumentativ stellen. Das beschlossene Programm bietet dafür jetzt konkretere Möglichkeiten. Die AfD hatte sich lange vor einer Festlegung programmatischer Positionen gescheut, um Projektionsfläche für möglichst viele unterschiedliche Protestwähler zu bieten. Durch das Programm verkleinert sie die Projektionsfläche und macht sich angreifbar. Viele der Positionen des Grundsatzprogramms der AfD sind schon in der Analyse falsch, viele der im Programm formulierten Forderungen sind in der Vergangenheit bereits gescheitert oder völlig aussichtslos. Es braucht jetzt argumentationsfähige Persönlichkeiten in den etablierten Parteien, die dies offenlegen und die Argumentation führen – sowohl medial vermittelt als auch vor Ort.
Die argumentative Auseinandersetzung mit der AfD ist außerdem eine gute Gelegenheit, sich der eigenen politischen Grundlagen noch einmal bewusst zu werden. Die Problemlagen in Europa und der Welt und das Aufkommen der Populisten weisen eindeutig darauf hin, dass grundsätzliche Fragen stärker besprochen, ihre Antworten gut begründet und verteidigt werden müssen: Warum gewähren wir Asyl? Was bedeutet es, ein guter deutscher Bürger zu sein, und wie kann man einer werden? Was bedeutet Religionsfreiheit als Grundrecht? Wie verhalten wir uns zu Religion im öffentlichen Raum?
Warum wollen wir die Europäische Einigung? Warum sind wir Mitglied der NATO? Was ist der besondere Wert der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie? Die Angriffe der Rechtspopulisten der AfD auf die von ihnen so genannten „Konsensparteien“ zielen genau auf diese Fragen. Will man sie abwehren, muss man von den Grundlagen her argumentieren können.
Die Hysterie um die Wahlergebnisse der AfD sollte vor allem aber nicht vom zentralen Punkt wegführen. Das Erstarken der migrationsfeindlichen und europafeindlichen Populisten in ganz Europa hat mit der mangelnden Handlungsfähigkeit der Europäischen Union (EU) angesichts globaler Herausforderungen zu tun. Die Populisten reagieren mit dem Streben nach nationaler Verschachtelung auf ungelöste europäische Probleme. Die Staatsschuldenkrise im Euroraum mit der Zuspitzung in Griechenland, die schleppenden Reaktionen auf die Annexion der Krim und Russlands Intervention im Donbass sowie die Probleme bei der Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung sind Iterationen der mangelnden Handlungsfähigkeit der EU. Es wäre wünschenswert, wenn nach dem Referendum in Großbritannien, den Präsidentschaftswahlen in Frankreich und den Bundestagswahlen 2017 die führenden Mitgliedstaaten gemeinsam eine Initiative zur Stärkung der politischen Handlungsfähigkeit der EU ergreifen würden. Das wäre der richtige Umgang mit Populismus.
Nico Lange, geboren 1975 in Berlin, Stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung und Leiter der AG „Zukunft der Volksparteien“.