Asset-Herausgeber

scholacantorum | Pixabay

Unabhängige Richter als wichtiger Pfeiler des Rechtsstaats

Nach den ersten beiden Beiträgen zur Komplexität der geltenden Gesetzeslage und den strukturellen Problemen im Justizsystem wollen wir in diesem dritten und letzten Blogpost zum Video "Vor Gericht" die Perspektive der Bevölkerung beleuchten. Und hier gibt es erfreuliche Nachrichten, denn: Das Vertrauen in die Justiz ist in der Bevölkerung ungebrochen groß.

In Deutschland gibt es circa 22.000 Richterinnen und Richter – so die letzte Erhebung aus dem Jahr 2020.[1] Sie sind unabhängig, also frei in ihrer Entscheidungsfindung und nur an Recht und Gesetz gebunden. Richterinnen und Richter üben eine wichtige Kontrollfunktion aus, sind notwendiges Gegengewicht zur Gesetzgebung und zur Exekutive und bilden das Rückgrat eines funktionierenden Rechtsstaats. Ihnen kommt eine herausragende Bedeutung im Staatswesen zu.[2] Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass das Richteramt mehr als nur ein Beruf ist und dass es mit einem Höchstmaß an Verantwortung einhergeht. Nicht nur für das Funktionieren eines demokratischen Staatswesens im Allgemeinen, sondern ganz konkret in jedem Einzelfall. Es wird über Menschen entschieden, Menschen mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten. Und nicht selten stellen Richterinnen und Richter Weichen für den weiteren Lebensweg. Ein vertrauensvoller Umgang bei Gericht ist also unerlässlich.

Dr. Jens Blüggel ist einer der 22.000 Richterinnen und Richter in Deutschland. Im zweiten Video unseres Projektes „Recht ist Erfahrung“ berichtet er aus seinem Berufsalltag am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. „Man hat manchmal Mühe zu erklären, warum die Regeln so sind“, so Dr. Blüggel. „Das ist aber […] wichtig, weil davon die Akzeptanz abhängt!“ Akzeptanz von Entscheidungen und Vertrauen in ein Rechtssystem entstehen, wenn Gerichtsverfahren als fair und Richterinnen und Richter als unabhängig wahrgenommen werden. Die Bilanz für die deutsche Justiz kann sich sehen lassen. 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben laut Roland Rechtsreport 2022 sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Gerichte. Die Zahl derer, die den Gesetzen vertrauen ist genauso hoch.[3] In den vergangenen zehn Jahren lag die Zustimmung konstant zwischen sechzig und siebzig Prozent. Noch mehr Vertrauen genießen lediglich kleinere, mittlere Unternehmen und die Polizei.

Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 12047

Internationaler Vergleich

Ähnlich gute Ergebnisse erzielt Deutschland im Rechtsstaatsbericht der Europäischen Kommission, der im Sommer 2022 zum dritten Mal erschienen ist.[4] Er ist ein Instrument, um einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit in der EU vorzubeugen. Ursprünglich wurde er wegen der besorgniserregenden Entwicklungen in Ungarn und Polen ins Leben gerufen; er nimmt aber alle EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen unter die Lupe.[5] Danach bewerten 76 Prozent der Deutschen die Unabhängigkeit ihrer Gerichte und Richter als „ziemlich oder sehr gut“. Im europaweiten Vergleich liegt Deutschland nach Finnland, Dänemark, Österreich, Luxemburg und den Niederlanden auf Platz sechs. Auf EU-Ebene gibt es allerdings keinen Grund zum Jubeln. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich in mehr als der Hälfte der Mitgliedsstaaten die Wahrnehmung, die Justiz sei unabhängig, verschlechtert.

Eurobarometer (95)

Auch in weltweiten Umfragen gehört Deutschland zu den Spitzenreitern, wenn es um die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geht. Im Rule of Law Index 2022 des World Justice Projects liegt Deutschland auf Platz sechs von 140 untersuchten Ländern.[6]

 

Was kann man besser machen – in Deutschland

Auch wenn Deutschland vergleichsweise gut dasteht, es gibt auch Kritik: 81 Prozent der Befragten im Roland Rechtsreport haben den Eindruck, Verfahren würden zu lange dauern. 59 Prozent sind der Auffassung, wer sich einen namhaften Anwalt leisten könne, würde seine Erfolgsaussichten erhöhen. 58 Prozent halten die Rechtsprechung für uneinheitlich – Urteil und Strafmaß unterschieden sich von Gericht zu Gericht. 55 Prozent bemängeln, die Gesetze seien zu kompliziert und bezweifeln, dass normale Bürger sie verstünden. Und 49 Prozent empfinden Urteile allgemein als zu milde.[7] Trotz des eingangs beschriebenen großen Einverständnisses der Bevölkerung mit den deutschen Gerichten, sind nicht wenige unzufrieden: mit der Verfahrensdauer, der Gleichbehandlung vor Gericht, der Komplexität von Gesetzen und dem Strafmaß.

Einige der der angesprochenen Probleme sind mit mehr Personal lösbar. Mehr Personal bedeutet mehr Arbeitskraft, um der Verfahrensflut Herr zu werden. Die Europäische Kommission hat in ihrem Rechtsstaatsbericht bereits konkrete Empfehlungen ausgesprochen: Deutschland solle seine Bemühungen im Rahmen des neuen „Pakts für den Rechtsstaat“ fortsetzen und angemessene Ressourcen für das Justizsystem bereitstellen, vor allem finanzielle Mittel für eine angemessene Besoldung. Qualität kann nur gesichert werden, wenn auch die Quantität stimmt.

Gerade in Krisenzeiten ist der Staat auf den Rückhalt in der Gesellschaft angewiesen. Dass die deutsche Bevölkerung der Justiz grundsätzlich sehr vertraut, ist beruhigend. Schlechte Bewertungen in Einzelfragen, in denen es nicht selten um die konkrete Umsetzung geht, sollten als Aufforderungen zum Handeln verstanden werden. Es bleibt also noch einiges zu tun.

 

 

[1] Anzahl der Richter in Deutschland nach Gerichtsart 2020 | Statista, zuletzt aufgerufen am 25.01.2023.

[2] Tiefergehend in Auslandsinformationen 4/2019 (kas.de).

[3] 20220222-rechtsreport_2022.pdf (roland-rechtsschutz.de), S. 10, zuletzt aufgerufen am 25.01.2023.

[4] 2022 Rule of law report (europa.eu), zuletzt aufgerufen am 25.01.2023.

[5] Näher hierzu Zwingende Unabhängigkeit | Internationale Politik, zuletzt aufgerufen am 25.01.2023.

[6] WJP Rule of Law Index | Global Insights (worldjusticeproject.org), zuletzt aufgerufen am 25.01.2023.

[7] S. Roland Rechtsreport 2022 (Fn. 3), S. 7.

comment-portlet

Asset-Herausgeber