Peter Davis lebt und arbeitet im Süden von Manchester. Er porträtiert Menschen. Und er malt mit Acrylfarben. Seinen „Modellen“ begegnet er auf der Straße, oder sie geben bei ihm ein Bild in Auftrag. Sei es in den Porträts oder den „urban landscapes“, wie er seine Bilder von Menschen in der Stadt nennt, tragen seine Protagonisten ein Smartphone bei sich und richten ihren Blick darauf.
Seine meist kleinformatigen Bilder, oft nur 35 auf 45 cm, sind hyperrealistische Darstellungen von Menschen und Alltagsszenen. Er konzentriert sich immer auf eine zentrale Figur, die nur über ein Smartphone mit der Welt interagiert. Der Blick des Betrachters entschleunigt sich unwillkürlich. In den schnelllebigen Bildformaten, die unsere Wahrnehmung dominieren, den Selfies und anderen Social Media-Genres, sieht man nie den Protagonisten und sein Smartphone, vielmehr tritt das Auge des Betrachters an die Stelle der Linse. Peter Davis nennt es „personal technology“. Diesen intimen Moment des Austauschs hält er fest. Nicht umsonst heißt die Bildstrecke, an der er bereits seit zehn Jahren arbeitet, Zeitgeist.
Peter Davis, dessen Bilder die 592. Ausgabe der Politischen Meinung, mit dem Titel „Tik Tok. Prekäre Plattform“ illustrieren, hat sich für uns Zeit genommen und für den Blog der Zeitschrift Fragen beantwortet:
Du arbeitest seit 2015 als professioneller Künstler. Dein Hauptthema sind Menschen in Alltagssituationen. Immer ist das Smartphone der Begleiter deiner Protagonisten. Du hast diese – nicht wirklich symbiotische – Beziehung schon vor Corona entdeckt. Hat die Pandemie deine Kunst verändert oder denkst du, dass sie die Beziehung zwischen Menschen und digitalen Angeboten verändert hat?
Peter Davis: Wir leben in der Vierten Industriellen Revolution, einer Zeit, in der Smartphones die Grenzen zwischen unserer physischen und digitalen Welt verwischt haben und uns dazu zwingen, neu zu definieren, was es heißt, Mensch zu sein. Menschen, die an ihren Geräten kleben, sind uns inzwischen so vertraut, dass wir sie kaum noch bemerken. Das war in den späten 2010er Jahren anders: Ich erinnere mich, wie ich auf einem Bahnsteig stand und feststellte, dass jeder um mich herum den Kopf gesenkt hatte und in einen Bildschirm vertieft war. In diesem Moment lag etwas, das zentral für meine Arbeit werden sollte.
2015 begann ich mit einer Porträtserie über unsere wachsende Abhängigkeit von Smartphones. Diese Geräte, die unser Leben sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn erhellen, sind in allem darauf ausgelegt, unwiderstehlich zu sein. Diese Technologieabhängigkeit hat sich still und leise durchgesetzt. Inzwischen rekonstruieren wir einen Großteil unserer Welt in digitalen Ökosystemen. Henry Miller schrieb einmal: „Was der Maler sieht, ist er verpflichtet mitzuteilen. Für gewöhnlich lässt er uns sehen und fühlen, was wir normalerweise ignorieren oder wogegen wir immun sind.“ Das deckt sich mit meiner Intention: sichtbar zu machen, was durch Übervertrautheit unsichtbar geworden ist.
Die Pandemie hat meine künstlerische Ausrichtung nicht grundlegend verändert. Aber die Beziehung zwischen Menschen und ihrem digitalen Leben hat sie deutlich beschleunigt. Smartphones waren nicht mehr nur einfache Begleiter, sie wurden nachgerade lebenswichtig. Sie waren Werkzeuge der Kommunikation, der Arbeit, der Unterhaltung und des Eskapismus. Mich fasziniert immer noch, wie schnell die Technologie unser Verhalten und unsere Emotionen umgeformt hat. Nehmen wir das IRL/URL-Paradigma, den Zusammenhang zwischen unserem „In Real Life“-Selbst und unseren digitalen Identitäten. Je stärker die Abhängigkeit, desto größer die ethischen und existenziellen Fragen in Bezug auf unseren persönlichen Technologiezugang und die Auswirkungen auf unsere Lebensqualität.
Deine Bilder von Menschen und ihren Smartphones unterscheiden sich: Die Porträts, die nur die Person mit einem leeren Hintergrund zeigen, betonen die Emotion der Porträtierten. In den urbanen Bildern liegt der Fokus mehr auf einer Situation. Aber alle haben ein Smartphone in der Hand. Als sei es ein selbstverständlicher Teil der Kleidung.
Peter Davis: Die smarten Geräte lenken ab, sie haben unsere Aufmerksamkeitsspannen verkürzt, unsere Beziehungen zersplittert – sie haben uns nicht nur untereinander entfremdet, sondern entfremden uns auch auch von unserer Umgebung. Deshalb habe ich angefangen, die urbanen Landschaften zu erkunden. Die Menschen in diesen Kompositionen sind Freunde von mir, manchmal auch Fremde, die ich beobachtet habe, oder Personen, die ich auf der Straße gecastet habe. Ich fertige unterwegs Skizzen an, aber ich mache auch Hunderte von Fotos. Im Studio untersuche ich verschiedene Kompositionen, verschiebe Elemente, füge Details hinzu oder entferne sie, bis ich mit der Erzählung zufrieden bin. Komposition ist entscheidend für das Erzählen der Geschichte.
Meine Arbeit sind Zeitdokumente. Das moderne Leben und unsere Abhängigkeit von Smartphones bilden das verbindende Gewebe zwischen meinen Porträts und meinen urbanen Landschaften.
In den Porträts möchte ich, dass meine traditionell gemalten Kompositionen technisch schön wirken und gleichzeitig unsere Abhängigkeit von digitaler Technologie betonen. Es gibt einen bewussten Kontrast zwischen dem zeitgenössischen Thema und meinem traditionellen, akribischen Malprozess. Indem ich eine stark ausgearbeitete Figur vor einen flachen, reduzierten Hintergrund setze, hoffe ich, den Betrachter dazu zu bringen, einen zunächst banal wirkenden Moment neu zu betrachten: Ich will Isolation, Distanzierung oder Introspektion sichtbar machen.
Das Smartphone ist ein wiederkehrendes Motiv, weil es zu einer Erweiterung des Körpers geworden ist. Es wegzulassen, würde sich unehrlich für die Zeit anfühlen, in der wir leben. Indem ich es einbeziehe, fordere ich die Betrachter auf, darüber nachzudenken, wie nahtlos – und vielleicht unkritisch – wir dieser Technologie erlaubt haben, unser Verhalten, unsere Körperhaltung und unsere Präsenz in der Welt zu formen.
Es scheint, als hättest du einen grundsätzlich freundlichen Blick auf die Gesellschaft und auf die Menschen. In deinen Bildern gibt es keine Szenen, in denen Menschen nebeneinandersitzen und statt sich anzuschauen nur Augen für ihr Smartphone haben. Diese „dunkle Seite“ zeigst du nicht. Bei dir ist das Gerät immer eine Art Begleiter.
Peter Davis: In meinen urbanen Landschaften interessiert mich die stille Spannung zwischen der gebauten Umgebung und der einsamen Figur, die sich darin bewegt und in ihr Gerät vertieft ist. Bevor es Smartphones gab, haben sich die Menschen um sich geschaut, haben andere beobachtetet, ihre Umgebung wahrgenommen. Heute ist die Standardhaltung ein nach unten gebeugter Kopf, verloren in digitalen Welten.
Ich zeige die „dunkle Seite“ nicht an Menschen, die einander ignorieren, aber ihre Isolation und Entfremdung, die will ich schon zeigen, nur etwas subtiler. Manchmal ist das Smartphone in meinen Bildern auch ein Schutzschild, zwischen dem Einzelnen und der ihn umgebenden Stadt.
Ich möchte diesen Verhaltenswandel dokumentieren, damit künftige Generationen unsere Zeit verstehen. Wie der ukrainisch-amerikanische Maler Louis Lozowick (1892 – 1973) sagte: „Der wahre Künstler wird in Summe die dominierende Erfahrung unserer Epoche in plastischen Begriffen objektivieren, die mehr als nur für diese Epoche Wert besitzen.“ Mich hat das überzeugt. Es wird faszinierend sein zu sehen, wie meine Bilder in 10 oder 20 Jahren interpretiert werden. Starren wir dann noch wie Zombies auf unsere Geräte, oder ist die Technologie so tief in uns integriert, dass unsere heutige Wirklichkeit seltsam altmodisch erscheint?
Du bist in den sozialen Medien sehr aktiv. Für viele Menschen ist das Netz ein Raum, um an Popularität zu gewinnen, aber man muss auch mit Hatern umgehen. Ist das ein Problem für dich? Wie bringst du als Künstler das reale Leben und soziale Medien zusammen?
Peter Davis: Mir ist sehr wohl bewusst, wie meine Arbeit in den sozialen Medien konsumiert wird. Die digitale Reproduktion und die Verbreitung von Gemälden haben explosionsartig zugenommen. Die Plattformen sind für uns Künstler inzwischen unverzichtbar. Traditionelle Galerien sind nicht mehr der erste Begegnungsort von Künstlern und Sammlern. Man findet online zueinander: nicht geografische Nähe, der Algorithmus stiftet Kontakte.
Soziale Medien verändern auch unser Verständnis von visueller Kultur und unseren Umgang mit ihr. Wir sind visuell gebildeter als je zuvor. Plattformen wie TikTok und Instagram ermutigen Menschen mit Bildern und kurzen Videos, Geschichten zu erzählen. Oft ist ihnen gar nicht bewusst, dass sie sich künstlerisch ausdrücken, wie kreativ sie sind.
Der Aufstieg der digitalen Medien und die damit verbundenen Ängste, haben mich bestärkt, wieder mehr mit traditionellen Materialien zu arbeiten. Farbe und Leinwand haben ihre eigene Körperlichkeit, der Künstler schafft eine Geste, hinterlässt eine Spur. Diesen unmittelbaren Ausdruck können digitale Werkzeuge noch nicht nachbilden. Jeder Pinselstrich trägt seine eigene Handschrift. Wenn ich traditionell arbeite, mache ich etwas zutiefst Menschliches, in einer Kultur, die immer automatisierter und bildschirmbasierter wird.
Antonella Schuster, geboren in Augsburg, aufgewachsen im Allgäu. Sie studierte Kunstgeschichte, Alte Geschichte (griechisch./römisch), Mittelalterliche Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg.
Promotionsstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema „Neue Allegorien im 14. Jahrhundert“ bei Prof. Dr. Ulrich Pfisterer. Parallel Tätigkeit für den Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern von 2018 bis 2022. 2023 Mitarbeit in der Direktion des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München.