Veranstaltungsberichte
Das Panel warf unter der Moderation des
ehemaligen griechischen Regierungssprechers
Evangelos Antonaros einen
Blick auf die aktuelle gesellschaftliche und
wirtschaftliche Situation Griechenlands und
diskutierte die denkbaren Szenarien für das
Land nach dem 17. Juni. Der lebhaften und
kontroversen Podiumsdiskussion aus Brüssel
zugeschaltet unterstrich Daniel Gros,
Ph.D., Direktor des Centre for European
Policy Studies, insbesondere die kritische
Bedeutung der nach wie vor nicht wieder
erreichten, finanziellen Unabhängigkeit
Griechenlands. Dieser Umstand frustriere
gleichermaßen die europäischen Partner, die
weiterhin viel Geld zur Stützung des Landes
zur Verfügung stellten, wie die griechische
Bevölkerung, die keine Veränderung zum
Guten registrieren könne. Die Eurozugehörigkeit
des Landes steht nach Gros’ Einschätzung
weit hinter der eigentlich entscheidenden
Frage zurück: Woher sollen
künftig die Gelder zur Stützung der griechischen
Wirtschaft sowie mittelfristig für Investitionen
in Griechenland kommen? Dazu
seien weitere wichtige Anpassungsschritte,
die insbesondere die Exportfähigkeiten des
Landes stärkten, notwendig – eine der größten
Herausforderungen für die neue Regierung
Griechenlands.
Auf die Bedeutung und Qualität des Vertrags
von Maastricht ging Dr. Heribert
Dieter, Senior Research Fellow der Stiftung
Wissenschaft und Politik Berlin,
ein: Dieser Vertrag anerkenne beispielhaft
die Unterschiede innerhalb der europäischen
Gesellschaften und verknüpfe zudem Integrationsfortschritte
mit Verantwortungsübernahme
– dies müsse auch für das Europa
der Zukunft wieder Ziel werden. Er erläuterte
zudem die deutsche Ausgabenzurückhaltung,
für die es ökonomische, demographische
und historische Gründe gebe. Zudem
spiele der IWF bei einem möglichen Versuch
Griechenlands, die Kreditbedingungen neu
zu verhandeln, eine wichtige Rolle: Die Organisation
stehe unter erheblichem Druck
der USA sowie der Schwellenländer und habe
damit nur wenig Spielraum für Anpassungen
der Bedingungen.
Der Journalist Georgios Malouchos von
To Vima wies auf die kritische Bedeutung
des Moments, den Griechenland am kommenden
Wochenende mit der Wahl durchlebe,
hin – und die damit für alle Seiten verbundene
Verantwortung. Nach seiner Einschätzung
drohe die Idee der europäischen
Einigung durch übertriebene Sparmaßnahmen
auf der einen Seite und eine darniederliegende
griechische Parteienlandschaft auf
der anderen Seite gleichermaßen zerstört zu
werden – dies sei in höchstem Maße kritisch
zu sehen.
Michael Martens, Korrespondent der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter
anderem für Griechenland, betonte die ungleiche
Lastenverteilung in der griechischen
Krisenbewältigung: Der öffentliche Sektor sei nach wie vor nahezu unberührt von den
Sparmaßnahmen geblieben und wesentlicher
Leidtragender sei die Privatwirtschaft.
Das Memorandum of Understanding (MoU)
mit der Troika sei zudem nicht gescheitert,
sondern nie richtig angewandt worden – von
keiner Regierung in Verantwortung für Griechenland.
Dies habe auch zusehends das
Vertrauen in den europäischen Partnerstaaten
unterminiert.
Der Politikwissenschaftler Professor Dr.
Kostas Lavdas von der Universität Kreta
nahm insbesondere die neue Spaltung
der griechischen Gesellschaft zwischen pround
antieuropäischen Kräften, die sich in
den kommenden Jahren noch ausweiten
werde, in den Blick. Zudem beleuchtete er
die Rolle des IWF als externe Durchsetzungskraft
in der europäischen Schuldenkrise.
Auf die Isolation Griechenlands in Europa
blickte Wolfango Piccoli, Ph.D., Direktor
des Risikoanalyseinstituts Eurasia in
London, mit Sorge: In Brüssel und Berlin
verliere man die Geduld mit dem Land und
auch sonst machten sich Partner rar. Derweil
seien die ökonomischen und politischen
Kosten des „Durchlavierens“ sowohl Griechenlands
als auch der übrigen involvierten
Staaten extrem hoch. Diese Situation könne
nicht länger anhalten – eine Seite müsse
nachgeben, wobei der Spielraum für Griechenland
extrem klein sei. Die neue griechische
Regierung werde ab dem ersten Tag
vor einer ungeheuren Aufgabe stehen: Sie
soll, so die Erwartungen, das MoU neu verhandeln
und zudem eine „ownership“ für
das Programm entwickeln, um es der eigenen
Verwaltung sowie der Bevölkerung zu
verkaufen – dies sei nahezu unmöglich. Ohnehin
sei eines der zentralen Probleme für
Griechenland, dass sich das Reformprogramm
niemand zu Eigen mache, sondern
die Maßnahmen als Programm der Troika
abgestempelt würden – dabei seien es faktisch
Maßnahmen für Griechenland. Die
größte Gefahr sei ein Euro-Austritt des Landes
als Unfall – denn eine bewusste Entscheidung
für einen Austritt sei absehbar
weder aus Athen, noch aus Berlin, noch aus
Brüssel zu erwarten.