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Veranstaltungsberichte

Das Ende einer deutschen Diktatur oder letzte Berichte aus dem Zentrum der Macht

Günter Schabowski und Siegmar Faust sprachen zum Thema 20-Jahre Mauerfall

Der Vortrag von Günter Schabowski, der am 9. November die entscheidende Neuregelung der Reisefreiheit verlas und dem Schriftsteller Siegmar Faust am letzten Dienstag war sehr gut besucht. Die Referenten begeisterten die Teilnehmer mit ihren persönlichen Berichten und Erfahrungen rund um das Jahr 1989. Lesen Sie hier den Veranstaltungsbericht.

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Schabowski zeigte sich beeindruck von der großen Teilnehmerzahl und beginnt seinen Vortrag damit, dass auch wenn die DDR nur ein „kleines Ländchen“ gewesen sei, allein das Endzeitjahr schon mehr als einen Abend füllen würde. Deswegen beschränkt er sich zunächst auf die Darstellung des 2. Mai 1989, dem Tag an der die Ungarn anfingen an Ihrem „Stacheldrahtzaun herumzufummeln“. Schabowski sagt weiter, dass auch die Titanic unsinkbar schien und die Schiffskapelle bis zuletzt spielte, so war es auch bei der DDR, niemand glaubte, dass das System nicht funktionieren würde und bis zum endgültigen Absturz der SED gestand man sich das Scheitern nicht ein. Der Referent sagt in diesem Zusammenhang über sich selbst, dass er kein objektiver Historiker oder Wissenschaftler sei, vielmehr sei er als „Abtrünniger“ der Partei „einer der schlimmsten“, die über das Thema sprächen. Über eine kurze Darstellung von Marxismus und Philosophie, betonte Schabowski, dass nicht alles was wir denken richtig sei und dass der Platz der Philosophie in unserer Gesellschaft nicht zu nah an der Macht aber nah genug an der Öffentlichkeit sein sollte. Die Philosophie von Marx, so der Referent bestimmte die Richtung der Partei, doch was wusste Marx im 19. Jh. von neuen Technologien? Und trotzdem wurde seine Theorie zur Staatsphilosophie erhoben; Marx Klassenkampf ist zu „Klassenmord“ geworden. Mit dem Mauerfall war somit die Wiedergewinnung von Selbstbestimmung und Grundwerten einhergegangen. Um auf den 2. Mai zurückzukommen, beschrieb Schabowski diesen Tag, ein Dienstag, als üblichen Tag, an dem Sitzung des Politbüros stattfand, dem er angehörte. Nach der Verlesung des Protokolls hätte Honecker dann eingeworfen, dass die Ungarn den Zaun zu Österreich aufgeschnitten hätten. Auf Nachfrage an die Genossen in Budapest, was das denn solle, erhielt das Politbüro die Antwort, dass die Armee die Westgrenze festhalten werde, diese „dicht bleibt“. Honecker begnügte sich mit dieser Zusage. Schabowski betonte, dass zu dieser Zeit 300-500 Menschen pro Tag aus der DDR flohen. Die Angelegenheit schien der SED-Führung jedoch nicht in Ruhe zu lassen, so dass ihr Außenminister nach der Sitzung des Politbüros nach Moskau flog, um nach den Hintergründen des Alleingangs Ungarns zu fragen. Dort war die Antwort, dass man mit Ungarn anders umgehen müsse als mit der DDR, da Ungarn keine Republik in dem Sinne sei und außerdem hätte sie ja eh nur einen Zaun und keine Mauer, dieser müsse halt ständig ausgetauscht werden, gab der Referent die Situation wieder. Man konnte jedoch spüren, dass das Handeln Ungarns das Denken gegen die DDR beflügelte frei unter dem Motto „jeder ist sich selbst der Nächste und dann rette sich wer kann“ so Schabowski. Die Annäherung, die an die BRD zu dieser Zeit stattfand war somit sehr gewollt; die BRD war gewissermaßen die Bestandssicherheit der DDR (vor allem finanziell). Es durfte also nichts passieren, dass das Verhältnis zu der BRD verschlechterte, so Schabowski. Dennoch sah sich die SED zusehends mit dem Druck der Öffentlichkeit konfrontiert und richtete ihr Handeln danach aus. Auch Schabowski, wie er selbst zu verstehen gab, wollte am 9. November nicht die Wiedervereinigung sondern vielmehr lediglich einen guten Willen zeigen, sich der BRD ein stückweit annähern, um weiter mit ihrer Hilfe die DDR zu halten. Denn trotz alle dem (Demonstrationen, Ungarns Grenzöffnung) betrachtete sich die Führung der SED weiter als „Herr der Lage“. Erst mit seinem Rauswurf aus der Partei, der nach dieser Aktion schnell folgte, fing auch Schabowski an sich Gedanken, um die Machenschaften der SED während der DDR-Diktatur zu machen und ihre Existenz in Frage zu stellen.

Anschließend an diese kurze, sachliche Darstellung Schabowskis, kam Siegmar Faust zu Wort, der aus seiner Sicht die Dinge im und um das Jahr 1989 schilderte. Er begann damit, dass er sich anders als Schabowski, der dem exklusiven Club des Politbüros der SED angehörte, einem exklusiven Club im Westen, nämlich in dem man noch an die Wiedervereinigung glaubte angliederte. Doch bevor er diese Meinung vertrat, war Faust Jungmarxist – was ist also geschehen, dass er sich nicht vom Zeitgeist der BRD hat einrieseln lassen. Als er noch jung war, so der Referent, gab es in Dresden wo er aufwuchs selbstverständlich kein Westfernsehen und er beschäftigte sich mit vielen verschiedenen Denkrichtung, wie beispielsweise mit Nietzsche oder dem Buddhismus. So herrschte zeitweise sogar ein gewisses Wirrwarr in seinem Kopf. 1968 lernte er dann den Dichter Wolfgang Helbig, der als einer der wenigen Künstler noch an der Tatsache der Mauer litt und sich damit nicht abfinden konnte, kennen. In einem seiner Gedichte kommt dieses Leiden und die Hassliebe des Lebens in einer Diktatur zum Ausdruck, derer die sich mit der Situation nicht abfinden wollen ausgesetzt sehen. Dies, so Faust, ist sein frühestes Erlebnis, welches ihn zum Nachdenken anregte und neben dem das Entsetzen darüber, dass man im Westen zum größten Teil die DDR als normalen Staat angesehen hat (man wolle einfach nicht wahrhaben, „dass Leipzig im Ausland liegt“). Nachdem Faust 1976 von der BRD freigekauft wurde, arbeitete er freiberuflich als Schriftsteller. Ein Angebot des Springer Verlags dort als Journalist und Redakteur zu arbeiten lehnte er ab, da er freier Schriftsteller bleiben wollte, um Abhängigkeiten und Korruption zu entgehen. In den 80er Jahren aber, nachdem er Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wurde, sagte Faust für den Posten als Chefredakteur der Zeitung des IGFM „DDR-Heute“ zu. In dieser Position musste sich Faust nun sehr intensiv mit der DDR auseinandersetzen und veröffentlichte bald einen Artikel zum Thema „Die Mauer muss weg“. Da er sich in Gesprächen mit „Genossen“ und während Recherchearbeiten mit dem Thema SED-Diktatur beschäftigte, merkte er schnell, das die DDR bereits Anfang der 80er am Ende war. Für Faust bedeutete die Arbeit im Westen am Anfang zum einen, dass er sich, nach Meinung der Ostdeutschen, den Faschisten im Westen angeschlossen hat und gegen die Genossen im Osten arbeitet zum anderen hatte er wenig Freunde, da ihm die Westdeutschen skeptisch gegenüberstanden. Den „Fall der Mauer“ sah Faust zunächst im Fernsehen und konnte es zuerst gar nicht glauben. Auch wenn er bereits absehen konnte das so etwas geschehen wird, waren Angst und Ungewissheit zunächst die vorherrschenden Emotionen. Abschließend erwähnte der Referent noch, dass so eine Freiheitsbewegung wie sie im Jahre 1989 stattgefunden hat, einmalig für Deutschland sei und dennoch das Mitwirken am Fall der Mauer von linken Politikern auch heute noch abschätzig bewertet würde. Es dürfe bei all dem nicht vergessen werden so Faust, dass die Philosophen (also auch Marx) die Welt nur interpretieren würden und nicht anhand ihrer Entwicklung analysieren.

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