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#FeesMustFall

Netzaktivismus in der südafrikanischen Protestkultur

Flora Hartmann, ehemalige Praktikantin beim Medienprogramm Subsahara-Afrika, schreibt über die Studentenproteste in Südafrika und die Rolle der sozialen Medien in Protestbewegungen der "born free"-Generation.

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2015 war ein anstrengendes Jahr für Studentenvereinigungen in Südafrika. Im März 2015 begannen Studenten an der University of Cape Town (UCT) gegen die 1934 enthüllte Statue des ehemaligen Imperialisten und Rassentheoretikers Cecil Rhodes auf dem Universitätscampus zu protestieren. Als höhnischen Gruß aus der Apartheidszeit sei das Denkmal im heutigen Südafrika nicht länger tolerierbar, argumentierten sie. Nachdem die Statue am 9. April 2015 entfernt wurde, weitete sich der Protest gegen ähnliche Symbole an weiteren Universitäten im Land und später auch international aus. Das Anliegen der „Rhodesmustfall“-Bewegung ist die „Dekolonialisierung“ des südafrikanischen Bildungssystems.

In einer zweiten Protestwelle forderten die Studenten ab Oktober 2015 die landesweite Abschaffung der Studiengebühren. Wieder gingen die Studenten mit Pappschildern wie im Europa der 60er Jahre auf die Straße, forderten „FeesMustFall“ (in etwa: „die Gebühren müssen fallen“), sangen und tanzten im landestypischen Toyi-Toyi-Stil, einer Art Protesttanz.

Am Vorabend der ersten freien Präsidentschaftswahlen 1994 hatte der African National Congress (ANC), bis heute stärkste Partei im Land, freie und gleiche Bildung für alle Bürger versprochen. In der Realität ist freie Schulbildung zwar vorhanden, allerdings ist die Qualität verglichen zu Privatschulen schlecht und bedeutet geringere Chancen, sich überhaupt für höhere Bildungsmaßnahmen zu qualifizieren. Universitäten bleiben eine elitäre Domäne; nur verhältnismäßig wenige Studenten aus einkommensschwachen Verhältnissen können studieren, und das oftmals nur unter enormen Belastungen für die Familie. Nun legten Studenten den Lehrbetrieb für mehrere Wochen lahm und forderten den Wandel.

Digitaler Aufbruch

Der feine Unterschied zu den Protesten der 1960er Jahre ist die Form der Botschaften: Hashtags zieren die Plakate, in knappe Worte geronnene Forderungen mit Raute, dem Social Media-Symbol. In der Republik am Kap muss in diesem Jahr alles Verkrustete fallen – „mustfall“ ist zum universellen Widerstandsmantra für südafrikanische Protestbewegungen der sogenannten „born free“-Generation geworden. #Rhodesmustfall, #FeesMustFall, #ParliamentMustFall. Online koordinierte Massenproteste sind der politische Aktivismus von heute.

Die „born free“-Generation wurde nach den ersten freien Wahlen 1994 in Südafrika und damit nach dem Ende des Unrechtsregimes der Apartheid geboren. Nun ist diese Generation zu jungen Erwachsenen geworden und zieht die traditionell lebhafte südafrikanische Protestkultur mit ihren bildungspolitischen und egalitären Anliegen hinüber in die digitale Welt.

Die Zahl der aktiven Internetnutzer in Südafrika ist innerhalb eines Jahres um 24% auf fast 25 Millionen Menschen gestiegen. Und auch die Nutzerzahlen für Social Media Angebote konnten einen ähnlich hohen Anstieg verzeichnen, Prognose steigend. Tatsächlich besitzt Südafrika eine aktive Twitterszene. Im Vergleich zu Deutschland, wo sich der Microbloggingdienst vor allem als Sprachrohr im professionellen Bereich und für Personen des öffentlichen Interesses, Journalisten und Medienfachleute etabliert hat und 7% der Bevölkerung den Dienst nutzen, twittern ganze 13% der Südafrikaner. Mit 6,6 Millionen Nutzern hält das Land damit die Spitzenposition im afrikanischen Vergleich.

  1. BornFreePayLater? “born free” und 68er

Die „born free“-Generation lebt in einer anderen Welt als ihre Eltern, für die Rassismus und Diskriminierung sowie die Privilegierung einer weißen Minderheit trauriger Alltag war. Sie ist vergleichbar mit der ersten Nachkriegsgeneration im Deutschland Mitte des 20. Jahrhunderts. Als „68er“ wird in Deutschland eine ganze Generation bezeichnet, die nach dem Kriegsende auf die Welt kam und in den 60er Jahren erwachsen wurde, ebenfalls ca. zwanzig Jahre nach einem einschneidenden Ereignis in der Landesgeschichte.

Verbunden mit den linksgerichteten Bürgerrechtsbewegungen in Europa entwickelte diese Generation eine aktive Protestkultur. Hausbesetzungen, Straßenumzüge, Auseinandersetzungen mit der Polizei bis hin zum Vandalismus wurden Teil der vielschichtigen Bewegung, die maßgeblich von der Studentenschaft getragen wurde. Ihr Ursprung lag in tieferliegenden Spannungen zwischen den Generationen. Die junge Generation forderte eine Aufarbeitung der Schrecken und Verbrechen des Naziregimes durch die aus ihrer Sicht zu passiven Elterngeneration. Auf der Suche nach einem gemeinsamen gesellschaftlichen Wertekompass, der im Schreckensregime der Nazis verloren gegangen war, leiteten die 68er einen umfassenden kulturellen und gesellschaftlichen Transformationsprozess ein.

Verborgene Lebenswelten

Solch eine Bruchstelle zwischen den Generationen findet sich nun auch in Südafrika. Die junge Generation, die die Apartheid nicht miterlebt hat, jedoch in eine tiefe gesellschaftliche Spaltungen hineingeboren wurde, beginnt für ihre Rechte zu protestieren, aber auch gegen die Ohnmacht ihrer Eltern vor verbleibenden ethnischen Ungerechtigkeiten des politischen Systems.

Sisonke Msimang hat die medienwirksamen Studentenproteste in einem Kommentar in der südafrikanischen Wochenzeitung Mail & Guardian als einen Einblick in verdeckte Lebenswelten der südafrikanischen Gesellschaft beschrieben. Schwelende Konflikte, die Probleme marginalisierter Gesellschaftsgruppen und ungelöste soziale Missstände erkämpfen sich durch Proteste einen Platz im öffentlichen Bewusstsein. Dies ist ein sehr wichtiger Prozess für die Aushandlung und Modernisierung gesellschaftlicher Normen, aber auch für die Aufarbeitung alltäglicher Erlebnisse von Diskriminierung und Chancenungleichheit. Die sozialen Medien bieten den Raum für persönliche Geschichten und für Interessengruppen, die ihre Erfahrungen in Echtzeit und für die Ewigkeit archiviert austauschen können. Vielleicht, so die Autorin, bringt die #feesmustfall - Bewegung diesen Prozess der Aufarbeitung zwischen physischer und virtueller Welt in Gang und führt zu einem aktiveren Dialog zwischen den Gesellschaftsgruppen über Probleme und Herausforderungen des täglichen Lebens.

Aktivismus in der hypermemetischen Logik des Social Webs

Große Protestbewegungen brauchen heutzutage eine Art Erkennungszeichen, ein digitales Branding, das ihre Mission in einem kurzen, prägnanten Satz oder Symbol zusammenfasst. Unmittelbare Erkennbarkeit und Erinnerungswert sind die Schlüssel, um im immensen Nachrichtenstrom der Netzöffentlichkeit sichtbar und relevant zu bleiben.

Die #feesmustfall-Bewegung war auch deshalb so medienwirksam, weil sie die Twitterraute als Formel des Protests genutzt hat. Dahinter steckt eine koordinierte Verschlagwortung, die persönliche Geschichten, Diskussionsbeiträge, Kommentare, man könnte sagen einfach Alles zum Thema sammelt und digital archiviert. Darum ist eine Initiative umso erfolgreicher, je einheitlicher ihr Hashtag verwendet wird. Und damit macht die Bewegung sich die Funktionslogik der sozialen Medien zunutze, um ihrem Protest über Pappschilder auf dem Campus hinaus Tiefe und Reichweite zu verschaffen.

Virals vs. Meme

Inzwischen lässt sich in Puncto Nachrichtendiffusion im Netz zwischen viralen und memetischen Entwicklungslinien unterscheiden. Ein virales Ereignis zeichnet sich durch die explosionsartige Steigerung seines Bekanntheitsgrads aus, die kaskadenförmig über die Verbreitung durch vernetzte Menschen in sozialen Netzwerken geschieht. Es handelt sich dabei immer um einen einzelnen Medieninhalt wie ein Foto oder Video, das sich in unzähligen Kopien weiterverbreitet.

Viele gute Werbespots und andere professionelle Inhalte werden viral. Ein internationales Beispiel ist das Werbevideo „The Force“ von Volkswagen, das in der Werbepause des US-amerikanischen Super Bowls gesendet wurde. Ein kleiner Junge erweckt darin als Darth Vader verkleidet durch seine vermeintliche Kraft das Auto zum Leben. Virale Inhalte wie dieser erreichen in ihrem Lebenszyklus einen Punkt der Sättigung, ab dem die Verbreitung stagniert und das Interesse der Medienöffentlichkeit abebbt. Sie lassen sich strategisch planen und sind als Strategie der kontrollierbaren Reichweitengenerierung besonders geeignet für Produkt- und Kampagnenmarketing.

Memetische Inhalte hingegen transportieren eher eine Idee oder ein Gefühl und werden durch verschiedene Arten der Neuverpackung oder Imitation reproduziert. Sie haben deutlich längere Lebenszyklen als Virals und können zu bedeutenden gesellschaftlichen Bewegungen werden. Ein Beispiel aus Deutschland ist die Initiative #Aufschrei, ein Hashtag-Mem, das alltäglichen Vorfällen von Sexismus gegen Frauen ein Diskussionsforum bietet.

Kleine Einführung in die Memetik

Der Hashtag mit dem Suffix „mustfall“ bringt eine Eigenschaft mit, die im Social Web Gold wert ist: die Möglichkeit der assoziativen Variierbarkeit durch kreative Bearbeitung. Dadurch konnte er sich zu einer Art Dachzeile des internationalen Studentenprotestes entwickeln, dessen Grundmission die Überwindung jeglicher Formen von Rassismus in der akademischen Welt von Kapstadt über Oxford bis Berkeley geworden ist.

Wissenschaftlich untersucht wird dieses Phänomen unter dem Schlagwort Memetik. Als Mem werden kulturelle Replikatoren bezeichnet, durch Nachahmung verbreitete kulturelle Informationen wie Verhaltensweisen, Ideen, Schlagworte und Sinnzusammenhänge. Angelehnt ist das Konzept der Memetik an die Genetik, in der sich biologische Erbinformationen durch den Prozess der Evolution verbreiten, im Wettbewerb zueinander stehen und auch aussterben können. Im Internetzeitalter erlebte das bereits 1976 vom Evolutionstheoretiker Richard Dawkins vorgestellte Konzept eine Renaissance. Denn in der Netzwelt scheinen sich virale Inhalte, genau wie schon Sagen und Volkslieder in grauer Vorzeit, nach diesem Schema zu verbreiten. Jeder Social Media Nutzer hat schon mal ein Mem gesehen - die klassische Form sind sogenannte Bild-Makros, Bilder mit darübergelegtem Kommentar in weißer Blockschrift. Der Klassiker sind Katzenbilder, sogenannte „LOLcats“. Wer „Grumpy Cat“ nicht kennt, war vermutlich die letzten drei Jahre nicht mehr online.

Meme - BeispieleEin sehr sehenswertes, umfassendes Archiv aller bedeutenden Internetmeme mit Hintergründen, Entwicklungslinien und beachtenswerten Memversionen ist das sehr wissenschaftlich strukturierte internationale Archiv knowyourmeme.com.

Aus dieser ursprünglich sehr spielerischen Kulturtechnik haben sich ernstere Unterformen entwickelt, die gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen und verarbeiten. Auch jedes größere Weltereignis wird inzwischen von einem Strom von Memen begleitet. Immer häufiger werden diese Meme zu Nachrichteninhalten des klassischen Medienensembles.

Limor Shifman von der Hebräischen Universität Jerusalem gilt als Expertin für gesellschaftlich konstruierte öffentliche Diskurse, die über Meme geführt werden. In ihrem 2014 erschienenen Buch Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter schreibt sie der Memosphäre in repressiven Medienregimen wie China oder Nordkorea ein Potenzial der demokratischen Subversion zu, weil über Meme codierte Botschaften der Austausch kritischer Meinungen unter dem Deckmantel der Popkultur möglich wird. Dabei wandeln sich aktuelle Symbolik und intertextuelle Referenzen der Protestmeme derart schnell, dass sie vor behördlicher Zensur geschützt bleiben. Gleichzeitig beschreibt sie das Mem als transmediale Kulturpraktik und als Kern der Partizipationskultur des Web 2.0-Zeitalters. Man könnte sagen, die Kommunikationsbedingungen der Umgebung Social Web sind quasi zu dieser Darstellungsform geronnen.

Was #feesmustfall zum Mem macht

Es gibt einige Grundeigenschaften, die ein gutes Mem ausmachen. Es muss eine klare, sofort begreifbare Botschaft haben, die affektive Reaktion auslöst. Die Art des Affektes kann von Belustigung über Ekel, Verwunderung, Bestürzung bis hin zu Konsens oder Dissens mit der persönlichen politischen Einstellung gehen. #feesmustfall fasst in einem Wort zusammen, um was es geht. Gleichzeitig ist es eine deutliche und etwas radikale Forderung, die provokativ wirkt und spontane Zu- oder Ablehnung hervorruft. Emotionalisierung, Zuspitzung, Meinungsbetonung und Polarisierung sind Tendenzen der Online-Kommunikation, die nicht nur bei Twitter und Facebook zu finden sind.

Meme treten nie einzeln auf (sonst wären sie Virals). Sie sind immer eine Gruppe von Varianten, die auf ein Ursprungsmem zurückgehen. Oft werden auch verschiedene Meme miteinand

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er kombiniert oder popkulturelle, gesellschaftliche und tagespolitische Referenzen eingeflochten. Je rekombinierbarer ein Ursprungsmem ist, desto länger wird es aktuell bleiben, weil es in verschiedene Kontexte eingebunden werden kann. Das Fragment „mustfall“ lässt sich sehr breit kombinieren. #Rhodesmustfall und #FeesMustFall sind studentenbezogene Meme, während #ZumaMustFall und #ParliamentMustFall die Regierung in Frage stellen und den Sturz des aktuellen Präsidenten fordern.

Zum südafrikanischen Staatsoberhaupt gibt es zahlreiche weitere Meme, die seine Verfehlungen und Skandale zu Satire verarbeiten. In einer Ansprache an die Partei über die gesunkene Mitgliedzahlen der ANC kämpfte der Präsident im Oktober 2015 mit seiner Schwäche, große Zahlen auf Englisch korrekt auszusprechen, was ihm viel Spott der Netzgemeinde einbrachte. Die Version links hat Bezug auf ein aktuelles Weltereignis (Rugby-Weltmeisterschaft), die Version darunter ist ein Beispiel für die Fusion zweier Meme mit Verbindung zum Studentenprotest.

Meme - Beispiele

Außerdem bergen alle sozialkritischen Meme die Tendenz, Antagonisten hervorzubringen. Damit sind subversive Gegenmeme gemeint, durch die im Diskurs unterschiedliche Meinungen und Identitäten zum Ausdruck gebracht und verhandelt werden. Bildungsminister Blade Nzimade hat sich zu einem solchen Counter-Mem hinreißen lassen, als er auf einer Pressekonferenz der ANC zu den Studentenprotesten vor laufenden Mikrofonen einem Kollegen als Witzelei „studentsmustfall“ (Studenten müssen fallen“) ins Ohr raunte. Dieser Ausspruch wurde von der Studentenschaft entrüstet als Drohung aufgenommen und zeigt, wie Politiker zur Eskalation von Debatten betragen können, wenn sie den unprofessionellen und ungezwungenen Duktus der nutzergenerierten Memosphäre annehmen.

Neben den politischen Varianten der #FeesMustFall Bewegung entstanden auch Versionen, die aktuelle Ereignisse in Südafrika aufgreifen, z.B. die anhaltende Dürre im Land. #RainMustFall ist als Wortspiel eine nicht ganz ernst gemeinte Variante, die die für Meme sehr klassische Hybridform zwischen tagesaktueller Schlagzeile und Spaßcontent verdeutlicht. Der nationale Aktionsmonat zu Diabetes wurde als #SugarMustFall verarbeitet. Die Rugby-Weltmeisterschaft hat ebenfalls eine Version hervorgebracht - #HeynekeMeyerMustFall fordert den Rücktritt des Nationaltrainers, der die Nationalmannschaft in diesem Jahr nur auf den dritten Platz bringen konnte.

Die Online-Kampagnenführung der Studentenproteste ist am Puls der Zeit und zeigt, wieviel innovatives Potenzial in der südafrikanischen Netzgemeinde steckt. Nicht nur technologisch, sondern auch politisch liegt es an der „born free“-Generation, die Zukunft dieses Landes mit schwerem politischem Erbe zu bestimmen. Vielleicht sind die Sozialen Medien ein neuer Diskussionsraum für die Gesellschaft, durch dessen Mittelbarkeit und Eigenschaft als Stimmungsbarometer sich festgefahrene Argumentationsmuster und Narrative mit der Zeit durchbrechen lassen.

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Christoph Plate

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Leiter des Medienprogramms Südosteuropa

christoph.plate@kas.de +359 2 942-4971 +359 2 94249-79

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