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Veranstaltungsberichte

"Je eher, desto besser"

von Reinhard Wessel

Die militärische Führung Deutschlands und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs

Nach der "Fischer-Kontroverse" in den sechziger Jahren kommt die Debatte, wer für den Ausbruch des 1. Weltkriegs Verantwortung trägt, erneut in Fahrt. Das gilt vor allem auch für Deutschland. Mit der Veröffentlichung seines Buches "Die Schlafwandler" traf der in Cambridge lehrende Historiker Christopher Clark offenbar den Nerv der Zeit vor allem in Deutschland, das in der Öffentlichkeit als "Entlastung" Deutschlands verstanden wurde.

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Demgegenüber weisen einige deutsche Historiker - darunter auch der Referent des Abends, Prof. Dr. Michael Epkenhans - darauf hin, Clark habe die Rolle der deutschen und militärischen Führung eher dilatorisch und ohne ausreichende Kenntnis der Quellenlage dargestellt habe.

Zu Beginn seines Vortrags schilderte der Referent deshalb ein Gespräch zwischen dem Staatsekretär des Auswärtigen Amts, Gottlieb von Jagow, und dem Generalstabschef Helmuth von Moltke, vom 19. Mai 1914 in dem dieser seine Einschätzung der militärischen Lage darstellte. Der Chefdiplomat fertigte darüber 1919 eine eigenhändige Niederschrift, die wie kaum eine andere Quelle die Denkstruktur der deutschen militärischen Führung am Vorabend des 1. Weltkriegs illustriert. Dort hieß es: „Die Aussichten in die Zukunft bedrücken ihn (von Moltke) sehr. In 2 – 3 Jahren würde Russland seine Rüstungen beendet haben. Die militärische Übermacht unserer Feinde wäre dann so groß, dass er nicht wüsste, wie wir ihrer Herr werden könnten. Jetzt wären wir ihnen noch einigermaßen gewachsen. Es bliebe seiner Ansicht nach nichts anderes möglich, als einen Präventivkrieg zu führen, um den Gegner zu schlagen, solange wir den Kampf noch einigermaßen bestehen könnten. Der Generalstabschef stellte mir gegenüber anheim, unsere Politik auf die baldige Herbeiführung eines Krieges einzustellen.“

Bereits einen Tag zuvor, also am 18. Mai hatte der Oberquartiermeister des Großen Generalstabs, Generalmajor von Waldersee, seinem Chef eine Denkschrift zu aktuellen militärischen Lage überreicht, die einen ähnlichen Ton anschlug: „Die Zeichen mehren sich, dass die Gegner unablässig rüsten und Vorbereitungen auf den verschiedensten Gebieten treffen, um zu gegebener,…, den Dreibund,…, mit überlegener Macht von allen Seiten anzufallen. Dass gerade dieses Jahr den Gegnern Deutschlands einladend sei, gegen den Dreibund vorzugehen, kann nicht gesagt werden. Im Gegenteil, für den Augenblick kann keinem der Hauptbeteiligten etwas daran liegen, einen Waffengang herbeizuführen.“ Deutschland habe allerdings keinen Grund, „in irgendeiner Lage einem Konflikt aus dem Wege zu gehen“ Vielmehr lägen „die Aussichten, einen großen europäischen Krieg schnell und siegreich zu bestehen, heute noch sehr günstig“. Diese Lage würde sich angesichts der massiven Aufrüstung der potenziellen Kriegsgegner - vor allem Russland und Frankreich - in den kommenden Jahren für Deutschland dramatisch verschlechtern, daher sei ein großer Krieg "je eher, desto besser" zu führen.

Diese Einschätzungen prägten auch das Verhalten und Taktieren der politischen Führung des Reiches während der Julitage 1914. Dabei wies Prof. Epkenhans darauf hin, dass bis zur Übergabe des vorsätzlich als unannehmbar konzipierten Ultimatums Österreich-Ungarns an Serbien am 23. Juli die Krise nicht viel schlimmer als andere außenpolitischen Streitfälle der vorangegangen war. In den folgenden Tagen und Stunden bemühte sich die Reichsregierung, einen möglichen Krieg auf Österreich-Ungarn und Serbien zu begrenzen und Bethmann-Hollweg suchte nach Möglichkeiten herauszufinden, ob Russland tatsächlich seine Bündnisverpflichtungen gegenüber Serbien angesichts der indirekten Kriegsdrohung Deutschland erfüllen würde. Danach ging er fest davon aus, dass weder Russland noch Frankreich einen Krieg in Kauf nehmen würden.

Neben dieser gescheiterten Politik des "kalkulierten Risikos" sei die „eigentliche Katastrophe“ – so Epkenhans – gewesen, dass der deutsche Große Generalstab nur einen einzigen Mobilisierungs– und Aufmarschplan ausgearbeitet hatte, den sog. „Schlieffen-Plan“. Er sah vor, zuerst durch Belgien hindurch Frankreich anzugreifen und nach dessen schnellen Zusammenbruch das vermeintlich langsamer mobilisierende Russland zu schlagen. Den Automatismus des Planes hätte wohl nur von Wilhelm II. gestoppt werden können. Er versuchte tatsächlich, den Aufmarsch im Westen anzuhalten und brachte damit seinen Generalstabschef an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Letztlich setzte er sich nicht durch und das brandgefährliche Vabanquespiel von Kaiser, Reichskanzler und Generalstabschef nahm seinen Fortgang – mit den bekannten Folgen. In diesem Zusammenhang von einer "Kriegsschuld" Deutschland zu sprechen, sei unangemessen und unsinnig, das die deutsche Reichsleitung allerdings ein gerüttelt Maß an Verantwortung für die fatale Entwicklung in den letzten Julitagen des Jahres 1914 zu tragen habe, sei durch die Quellenlage eindeutig belegbar.

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Prof. Dr. Michael Epkenhans (lks.) mit dem Standortältesten Lüneburg, OTL Tim Grünewald KAS Hannover

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