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Länderberichte

Palästinensische Schismen

von Felix Dane, Jörg Knocha

Die innenpolitische Situation in den Autonomiegebieten nach der Absage der Kommunalwahlen

Die palästinensischen Kommunalwahlen, welche die Regierung von Ministerpräsident Salam Fayyad für den 17. Juli angesetzt hatte, sollten ein Symbol für die Entwicklung demokratischer Strukturen in den Autonomiegebieten sein. Doch die tiefen Spaltungen zwischen Fatah und Hamas, Fayyad und Fatah bzw. innerhalb der Fatah selbst führten zu einer Absage der Wahlen.

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Diese drei Schismen konstituieren ein Hindernis für die ambitionierten Reformpläne der Regierung Fayyad. Auch die Politisierung der Kommunalwahlen ist diesen Plänen hinderlich, da die Lokalräte für die alltäglichen Dienstleistungen zuständig sind und in dieser Aufgabe politisch unabhängig agieren sollen. Bereits bei den letzten Kommunalwahlen 2004/2005 waren vergleichbare Prozesse zu verzeichnen. Diese führten dazu, dass während der Abhaltung der mehrstufigen Wahlen das Wahlrecht geändert wurde und dass die Kandidaten plötzlich nicht mehr als Unabhängige antreten mussten. Das konnte aber nicht verhindern, dass die Hamas in Dutzenden Gemeinden siegreich war. Die letzte Wahlrunde wurde dann nie abgehalten. Vor diesen Wahlen wurden jahrzehntelang überhaupt keine Gemeinderäte gewählt.

Die Absage der Wahlen ist aber auch Indiz für einen erneuten Versuch, die Autonomiegebiete politisch wiederzuvereinen. Die Hamas lehnte die Abhaltung der Wahlen nämlich von Beginn an ab. Jegliche Vorbereitungen wurden von ihr boykottiert, so dass z.B. die palästinensische Wahlbehörde nicht in Gaza tätig werden durfte. Die Weigerung teilzunehmen und eigene Kandidaten aufzustellen, wurde damit begründet, dass diese umgehend - entweder von Israel oder der Autonomiebehörde - festgenommen werden würden. So könnte die Wahlabsage als ein Zugeständnis in Richtung der Islamisten interpretiert werden. Dies würde auch deshalb Sinn machen, da es momentan intensive Bemühungen gibt, eine hochrangige Fatah-Delegation nach Gaza zu entsenden, um mit der Hamas über Schritte zu einer Aussöhnung zu diskutieren. Diese Initiative, die bereits zu Gesprächen zwischen beiden Gruppen führte, wurde von einem bekannten palästinensischen Geschäftsmann und Politiker, Munib Masri, ins Leben gerufen. Aus dem Zentralkomitee der Fatah war bereits zu vernehmen, dass eine Anerkennung Israels keine Vorbedingung für Gespräche mit der Hamas sei.

Die drei Dimensionen interner Machtkämpfe

Die Absage der Kommunalwahlen durch die Regierung ist nach offizieller Lesart der politisch-geographischen Trennung der Autonomiegebiete geschuldet. Diese Begründung ist durch den Regierungsbeschluss zur Abhaltung der Wahlen vom Februar 2010, in dem Wahlen in allen Lokalräten im gesamten Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde erwähnt werden, gedeckt. Dennoch ist diese Entscheidung multikausal und hat mindestens zwei weitere Ursachen.

Neben einem Macht- und Personalstreit zwischen der Regierung und der Fatah spielt auch die immer größere Beliebtheit des Ministerpräsidenten eine Rolle, der besonders bei den westlichen Geberländern über ein großes Ansehen verfügt. Die Fatah befürchtet dadurch auch im Westjordanland politisch marginalisiert zu werden. Daneben dürften die Gräben innerhalb der Fatah, die durch die sechste Fatah-Generalkonferenz im letzten August in Bethlehem nicht überwunden werden konnten, ebenfalls eine zentrale Rolle in der Wahlabsage gespielt haben. Die alte und junge Garde, die Heimgekehrten und Exilanten haben unterschiedliche weltanschauliche Vorstellungen, die weit über den Streit zwischen Pragmatikern und Reaktionären hinausgehen.

Der Graben zwischen Fatah und Hamas

Als die Hamas im Juni 2007 in einer präzise vorbereiteten Gewaltkampagne die Fatah aus Gaza vertrieb, war dies die politische Ausweitung einer schon bestehenden geographischen Teilung der Autonomiegebiete. Neben der von Ismail Haniyeh angeführten Hamas-Regierung in Gaza existiert seitdem auch eine von Präsident Mahmoud Abbas ins Leben gerufene und von Fayyad angeführte Regierung mit Sitz im Westjordanland.

Die darauf folgende Verschärfung der israelischen Blockade Gazas führte aber nicht zu einem Aufstand gegen die neuen Machthaber. Stattdessen sitzt die Regierung Haniyeh weiter fest im Sattel. Diese Konsolidierung beruht auch auf den politischen Fehlern der externen Kräfte, die nie eine kohärente Politik gegenüber der Hamas-Regierung entwickelten. Aber auch die Anpassungsfähigkeit der Regierung sowie die Effektivität ihrer Verwaltung bzw. das Ausschalten interner Gegner haben dazu beigetragen. Den Balanceakt zwischen pragmatischen Entscheidungen im täglichen Regierungshandeln und der Beibehaltung ihres Charakters einer militant-islamistischen Widerstandsbewegung meisterte die Bewegung ohne innerlich zu zerbrechen.

Diese Leistungen der Hamas-Regierung werden auch durch die Umfragen des KAS-Partners PSR (Palestinian Center for Policy and Survey Research) bestätigt. Im März 2010 befanden über 44 Prozent der im Gazastreifen Befragten, dass die Regierung von Haniyeh eine sehr gute bzw. gute Arbeit leistet. Die PSR, die von Dr. Khalil Shikaki geleitet wird, kann auch das Argument widerlegen, dass dieses Ergebnis der Angst vor Repressalien geschuldet ist. In der Fatah-Hochburg Westjordanland, die allerdings nicht direkt durch die Maßnahmen der Hamas-Regierung betroffen ist, bewerten nämlich immerhin noch 36 Prozent die Leistung der Hamas-Regierung als sehr gut/gut. Die Regierung Fayyad erreicht in der gleichen Umfrage nur leicht bessere Resultate.

Die zweifellos diktatorischen Methoden der Hamas gegenüber kritischen Kräften in Gaza werden von den Islamisten als Reaktion auf die Behandlung von Hamas-Anhängern im Westjordanland beschönigt. Die Islamisierung Gazas und der stetige Strom an neuen Regularien sind ein erklärtes langfristiges Ziel der Hamas. In ihrer Gründungscharta ist nicht umsonst von der Herrschaft des Islam, einer religiösen Erziehung und den islamischen Pflichten die Rede. Dennoch muss die Implementierung dieser Ziele auch als Reaktion auf die Entstehung von noch radikaleren salafitischen Gruppen im Gazastreifen gesehen werden.

Diese Gruppen attackieren nicht nur immer wieder Israel, sondern liefern sich auch blutige Gefechte mit der Hamas. Daher stellen sie eine ernsthafte Herausforderung für die Nationalislamisten der Hamas dar. Ihre Aktionen reichen dabei von der Verteilung von Flugblättern über Bombenanschläge auf Internetcafes bis hin zur offenen Infragestellung der Hamas-Herrschaft. Im August 2009 rief die Gruppe Jund Ansar Allah – „Soldaten der Unterstützer Gottes“ – in einer Moschee in Rafah ein Islamisches Emirat in Gaza aus. Bereits zuvor hatte die Gruppe der Hamas Nachgiebigkeit im Bezug auf die Durchsetzung der Scharia-Vorschriften vorgeworfen. Kämpfer der Hamas stürmten anschließend das Gotteshaus. Bei den anschließenden Kämpfen wurden Dutzende Palästinenser getötet oder verletzt. Was die Hamas vom Aktionismus dieser Gruppen unterscheidet, ist das Denken über bedeutend größere Zeiträume. In der Charta der Hamas ist daher auch immer wieder von generationenübergreifenden Plänen die Rede.

Allerdings findet auch innerhalb der Hamas ein Autoritätsstreit statt. Die Machtbalance zwischen der Regierung Haniyeh, des mächtigen Schura-Rates in Gaza und dem Politbüro des im Damaszener Exil lebenden Khaled Mashal ist äußerst fragil. Gerade Mashal ist es, der versucht, die Aussöhnungsversuche mit der Fatah unter seine Kontrolle zu bringen, um sie positiv wie negativ beeinflussen zu können. Dahinter steckt seine Befürchtung, dass die Entstehung einer Einheitsregierung die dortige Führung auf Kosten der Exilanten stärken würde. Die Hamas kann sich trotz dieser Fraktionierung auf eine loyale, wenn auch dezimierte, Wählerschaft in Gaza verlassen. Laut der PSR-Umfrage vom März 2010 würden in Parlamentswahlen etwa 30 Prozent der Einwohner Gazas erneut für die Hamas stimmen.

Weder die Blockade noch der Krieg haben also zu einem Sturz der Hamas-Regierung geführt. Stattdessen hat es die Hamas selbst unter diesen schwierigen Bedingungen geschafft, die Bevölkerung mit dem Grundlegenden zu versorgen.

Die Fatah und die Erfolge der Regierung

Im August 2009 präsentierte Fayyad einen Zweijahresplan zur Schaffung eines palästinensischen Staates. Zu den Kernelementen gehören die Beendigung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Israel, die Schaffung eines einheitlichen Rechtssystems, die Verkleinerung des Regierungsapparats sowie Verbesserungen in den Bereichen Wohnungswesen und Bildung. Da diese Initiative bereits nach wenigen Monaten spürbare Erfolge zeitigte, verwundert es nicht, dass die Amtsführung der Regierung in den Meinungsumfragen der PSR mittlerweile fast genauso positiv bewertet wird, wie die von Präsident Abbas. Im Dezember 2008 war der Rückstand der Regierung auf Abbas noch zweistellig. Bereits in den vorangegangenen Jahren war die Regierung in der Lage durchschlagende Reformen zu implementieren, Teile des Korruptionsmorastes trocken zu legen, Recht und Ordnung im Westjordanland durchzusetzen sowie die Wirtschaft anzukurbeln. Selbst Präsident Abbas konzedierte in einem Gespräch mit Felix Dane, Leiter des Auslandsbüros Ramallah, die Fortschritte der letzten Jahre, also während der Amtszeit von Fayyad.

Zu den Prestigeprojekten im Bereich Korruptionsbekämpfung gehört dabei die monatliche Veröffentlichung eines Finanzberichts. Auf der Internetseite des Finanzministeriums kann jeder Interessierte den umfassenden und in englischer Sprache verfassten Bericht durchgehen. Durch die Publikation von Einnahmen und Ausgaben bzw. von externen Hilfen entstand ein effektives Mittel, um Transparenz zu schaffen.

Mit diesen Reformen will sich der parteilose Pragmatiker als Macher mit einer politischen Vision präsentieren. Dadurch tat sich ein tiefer Graben zwischen Fayyad und der Fatah auf. Neben der offensichtlichen Frustration vieler Fatah-Offizieller darüber, dass die wichtigsten Ministerien (Finanzen, Bildung, Außenbeziehungen) unter der Leitung von unabhängigen Technokraten stehen, spielt auch die volle Unterstützung westlichen Geberländer für die Regierung eine Rolle. Daher befürchtet die Fatah, dass bei einer Nichtteilnahme Abbas´ an den nächsten Präsidentschaftswahlen (und dies scheint wegen seiner augenscheinlichen Gesundheitsprobleme wahrscheinlich), Fayyad der aussichtsreichste Kandidat sein könnte.

Der Neid der Fatah auf die Erfolge der Regierung ist nachvollziehbar, da sich die Partei nach Jahrzehnten der Alleinherrschaft und nach mehreren verheerenden Wahlniederlagen im Zangengriff zwischen der islamistischen Hamas bzw. der technokratischen Fayyad-Regierung befindet.

Fatah vs. Fatah

Die Angst vor einem schlechten Abschneiden bei den Kommunalwahlen liegt aber auch an der Zerstrittenheit der Fatah selbst. Nicht nur, dass die Fatah an der Erstellung von Wahllisten für die Kommunalräte scheiterte, es zeichnete sich auch ab, dass Fatah-Mitglieder gegeneinander antreten würden. Besonders prominent ist das Beispiel Nablus. In der Stadt im Norden des Westjordanlandes wären bei einer Abhaltung der Kommunalwahlen gleich eine ganze Reihe von Listen mit Fatah-Mitgliedern gegeneinander angetreten. Des Weiteren befürchtete die Fatah eine niedrige Wahlbeteiligung, die als Protest gegen die mangelnden Fortschritte im Bereich politischer Freiheiten hätte interpretiert werden können.

Die 2006 verlorenen Parlamentswahlen, bei denen die Hamas-Liste „Veränderung und Reform“ eine absolute Mehrheit der Mandate erreichte, liegen also weiterhin bleiern auf den öffentlich geäußerten Bekenntnissen der Fatah zu Demokratie und Rechtsstaat. Die Angst vor einer erneuten Wahlniederlage und die Kontrolle über die für Urnengänge maßgeblichen Institutionen bilden eine unheilvolle Kombination. Erst wenn die Fatah sicher sein kann, aus Wahlen auch als Sieger hervorzugehen, wird sie diesen zustimmen. Da dies mit den populären Reforminitiativen der Regierung nicht in Einklang zu bringen ist, entsteht innerhalb der Wählerschaft eine Unzufriedenheit, die das Ansehen der Fatah weiter schmälert und Wahlen in noch weitere Ferne rücken lässt. Dass diese Angst der Fatah nicht unbegründet ist, wird wiederum durch das PSR bestätigt. Im März 2010 war die Fatah weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Dabei spielt auch eine Rolle, dass nur wenig mehr als ein Viertel der Befragten die von Abbas und Fayyad geschaffene Regierung als legitim betrachten. Die im Juni 2007 an die Macht gekommene Fayyad-Regierung war eine Notstandsregierung und hätte innerhalb von 30 Tagen durch einen Parlamentsbeschluss bestätigt werden müssen, was aber nie geschah. Präsident Abbas ernannte daraufhin eine Übergangsregierung unter der Leitung von Fayyad. Ob er dazu überhaupt das Recht hatte, ist unter palästinensischen Rechtsexperten umstritten.

Die Wahlabsage als Möglichkeit zur Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas

Dennoch könnte die Nichtabhaltung der Wahlen auch zu positiven Entwicklungen führen. Bisher scheiterten alle Initiativen, eine Einigung zwischen den beiden Gruppen zu erreichen. Auch der letzte Versuch Ägyptens war nicht erfolgreich, da die Hamas sich weigerte, versprochene Hilfsgelder in Höhe von über vier Milliarden US-Dollar unter die Kontrolle von Abbas zu stellen. Diese Mittel, die bei der Kairoer Geberkonferenz im März 2009 zugesagt wurden, waren primär dazu gedacht, den Gazastreifen nach dem Krieg zwischen Israel und der Hamas wiederaufzubauen. Die Hamas kritisierte, dass geplant war, die mit den Geldern finanzierten Projekte allein durch die Autonomiebehörde von Abbas zu koordinieren. Die in Gaza alleinherrschende Hamas sollte dabei Außen vor gelassen werden, was diese als Unterminierung ihrer Herrschaft betrachtete. Daher lehnte sie den Versöhnungsplan unter diesen Bedingungen ab.

Eine Annäherung der beiden Gruppen wird allerdings auch durch externe Faktoren behindert. Die Klassifizierung der Hamas als Terrororganisation durch Israel und den Westen behindert die Entstehung einer Einheitsregierung, in welcher die Hamas prominent vertreten wäre. Um dies zu verhindern, müsste eine an der Regierung beteiligte Hamas die drei von der internationalen Gemeinschaft formulierten prinzipiellen Forderungen erfüllen (Anerkennung des Existenzrechts Israels, Anerkennung aller bisherigen Abkommen, Gewaltverzicht). Erst dann wären eine internationale Anerkennung und die fortlaufenden Zahlungen der westlichen Geberländer sichergestellt. Zurzeit ist die Hamas aber nicht willens diesen Forderungen nachzukommen. Was aber wäre, wenn diese westlichen Geber auf die Forderung, dass die Hamas selbst den Prinzipien zustimmt, verzichten würden und sich damit zufrieden gäben, dass eine Einheitsregierung diese als Ganzes akzeptiert?

Auf Grund der genannten Schwierigkeiten ist ein Abkommen zwischen Fatah und Hamas kurzfristig nicht zu erwarten. Um ein solches zu erreichen, müssten die beiden Gruppen erst ihre inneren Dispute lösen. Außerdem wäre es notwendig, dass sie einen internen Diskurs über ihr Verhältnis zu einem auf Partizipation basierenden demokratischen Rechtsstaat führen. Solange dies nicht geschieht, ist die Durchführung von Kommunalwahlen im gesamten Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht vorstellbar, da diese die Spaltung der Palästin ensergebiete weiter vertiefen und den Friedensprozess mit Israel zusätzlich erschweren würden.

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