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Mit der Scharia

Die Palästinenser sind unterwegs zu einer neuen Verfassung

Was passiert eigentlich, wenn sich Israel tatsächlich einmal aus den besetzten Gebieten zurückziehen sollte? Dem Wunsch der internationalen Staatengemeinschaft entsprechend, soll es dann in Palästina einen souveränen Staat geben, mit einer demokratischen Verfassung. Sie wird zurzeit von einer Verfassungskommission arabischer Rechtsgelehrter ausgearbeitet, die sich auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin aufhielt. "die Kirche" sprach mit dem Juraprofessor der Universität Nablus, Ahmed Mobarak-El Khaldi, über das Verhältnis der geplanten Verfassung zu Religion und Terrorismus.

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Im Nahen Osten sind die meisten Staaten islamisch geprägt, doch in Palästina gibt es auch eine christliche Minderheit. Wie wird es denn Ihre geplante Verfassung mit der Religion halten?

Unsere Verfassung will die Beziehung zwischen der Religion und dem Staat organisieren. Dabei wird es, wie in allen Verfassungen der Welt, eine breite Basis allgemeiner Grundrechte geben. Und unsere Verfassung basiert auf völliger Religionsfreiheit: Jeder in Palästina soll das Recht haben, seine Religion so auszuüben, wie er will.

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Palästinensische Verfassungsdelegation im Deutschen Bundestag

In Europa gibt es gerade einen Streit über den fehlenden Gottesbezug in einer geplanten EU-Verfassung.

Wird es eine Nennung Gottes in der Verfassung Palästinas geben?

Wir haben keinen einzigen Artikel in der Verfassung, der sich an Gott richtet. Aber wir sagen, dass das islamische Recht, die Scharia, eine der möglichen Quellen für unser Recht sein wird. Das heißt nun nicht, dass ein Geistlicher zum Richter wird. Aber das bedeutet, dass Parlamentsmitglieder gewisse Ideen aus dem islamischen Recht übernehmen können, um daraus ein Gesetz zu entwickeln. Wenn das Gesetz im Parlament mit Mehrheit angenommen ist, ist es ein Gesetz wie jedes andere auch.

Aber wie passen denn Religionsfreiheit und die Inhalte der Scharia zusammen?

Doch, sie können gut zusammenpassen. Hier geht es ja nicht um die Grundlagen der Verfassung, wo die Religionsfreiheit festgeschrieben ist, sondern um das tatsächliche, alltäglich gebrauchte Recht. Und wenn das Parlament dafür Teile der Scharia annimmt, ist es eben geltendes Recht.

Nun sind weder die Palästinenser noch ihre derzeitige Autonomieregierung dafür bekannt, eine Vergangenheit als Vorkämpfer der Demokratie zu haben. Wie schwer wird es sein, die Menschen für ihre demokratische Verfassung zu begeistern?

Demokratie ist leider keine Medizin, die ein Patient einnimmt, und dann verwandelt er sich von einem Diktator in einen Demokraten. Er braucht seine Zeit dafür, und Schritt für Schritt kann er viele Ziele der Demokratie erreichen. Bitte vergessen Sie nicht: Unser Volk leidet schon seit einer langen Zeit unter der israelischen Besatzung. Sie sind es nicht mehr gewohnt, sich selbst zu regieren. Wir brauchen einfach etwas Zeit, um Demokratie zu üben.

Wie schützen Sie denn die neue Verfassung vor religiösem Extremismus und Fundamentalismus? Immerhin wird sich Ihr künftiger Staat auch über eine Tradition definieren, in der eine Gruppe von Leuten eine wesentliche Rolle spielt, die ihre Karriere als Terroristen begonnen haben.

Ja, aber das war doch erst nach dem Beginn der israelischen Besatzung. Wenn sie eine Lösung finden, um die Besatzung zu beenden, und einen demokratischen Staat etablieren

können, in dem die Menschen frei miteinander leben können, dann werden sie ihre Meinung ändern. Der kleinste gemeinsame Nenner unseres Staates wird die Freiheit sein - und damit werden sich alle identifizieren können. Dieses Gut wollen alle behalten, egal, wie sie ihre politische Karriere einst begonnen haben.

Von Benjamin Lassiwe

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