Veranstaltungsberichte
„Meine zweite Heimat ist Deutschland. Ich habe dort studiert, gearbeitet und war Botschafter Chiles in Berlin.“ Mit herzlichen Worten begrüßte Tage vor der Wahl der Innenminister und stellvertretende Präsident Chiles, Mario Fernández Baeza, die Delegation thüringischer Abgeordneter zu einem Gespräch im Regierungspalast La Moneda. „Deutschland hatte einen wichtigen Einfluss auf Chiles Bildungssystem, Militär und Einwanderung“, lobte Baeza. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen charakterisierte der Minister als sehr wichtig, da viele Abgeordnete neu gewählt würden und Chile seine ideologische Ausrichtung für die kommenden Jahre festlege. „Nach Korruptionsfällen in der Vergangenheit haben wir die private Finanzierung von Wahlkämpfen reguliert und vor allem die staatliche Finanzierung gestärkt“, erklärte Baeza. Als Experte für Verfassungsfragen führte Baeza die Reformbedürftigkeit der chilenischen Verfassung aus, um sich final von dem ursprünglich noch aus Diktaturzeiten stammenden Dokument zu trennen. „Dies wird eine Aufgabe der neuen Regierung sein“, formulierte der Innenminister. Im Blick auf Deutschland lobte Baeza abschließend das Handeln der Bundesregierung zur Aufnahme der Flüchtlinge in den vergangenen Jahren als Pioniertat, die allen anderen Ländern der Welt noch bevorstehen würde. „Die Welt ist in Bewegung und dies lässt sich nicht aufhalten“, erklärte der Innenminister.
Im Garten des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Santiago legten die thüringischen Abgeordneten Zeugnis von der deutsch-chilenischen Freundschaft durch eine Ehrung von Bundeskanzler Helmut Kohls ab. „Helmut Kohl, zu dessen Erinnerung wir nun einen Baum pflanzen, war ein herzlicher und anspruchsvoller Politiker“, erinnerte der Landtagspräsident des Freistaates Thüringen anhand von verschiedenen Anekdoten. Der Ex-Minister Chiles und Wahlkampfberater der christdemokratischen Partei Chiles, Jorge Burgos, würdigte den früheren Bundeskanzler als europäischen Staatsmann, Einigungskanzler und große Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. „Chile und die ehemalige DDR, zu der Thüringen gehört, erfreuen sich beide genau seit 27 Jahren der Wiederherstellung der Demokratie. Der Baum in Erinnerung an Helmut Kohl soll symbolisch auch ein Same für die Zukunft der Demokratie sein“, bekräftigte Burgos. Der Leiter des Regionalprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung zur sozialen Marktwirtschaft Gunter Rieck-Moncayo schloss den feierlichen Akt mit einem Diktum Kohls: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“
Die Teilnehmer des Campus Konrad Adenauer vertieften am Nachmittag das Thema „Wahlen und Kampagnen“. „Verantwortung, Seriosität, Bürgernähe und Teamarbeit sind die Hauptakzente unserer Kandidatin Carolina Goic“, erklärte Eugenio Ortega Frei bei dem Workshop mit dem Wahlkampfteam. „Aufgrund von Korruptionsskandalen in der chilenischen Politik, hat die Wahlbeteiligung zuletzt deutlich abgenommen“, deutete Ortega Frei, der zudem Direktor des parteinahen Think-Tanks Zentrum für Gemeinschaft und Demokratie (Cdc) ist. „Charakter, Nähe, Bescheidenheit und vor allem Ethik waren deshalb unsere zentralen Wahlkampfmaximen“, führte der Wahlkämpfer aus.
Die engen Beziehungen zwischen Chile und Deutschland hob auch Botschafter Rolf Schulze am Abend bei einer Begegnung der thüringischen Delegation mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft hervor. „In Chile gibt es 27 deutsche Schulen und über 350.000 deutschstämmige Einwohner“, erklärte Schulze. Die in Thüringen aktive Bergbaugesellschaft K+S etwa, sei auch in Chile stark engagiert. Landtagspräsident Christian Carius präsentierte in seinen Begrüßungsworten Thüringen unter anderem als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort. „Die Teleskope, mit denen der Sternenhimmel vom Norden Chiles aus erkundet werde, kämen häufig von Carl Zeiss aus Jena“, erklärte Carius.
Nur zwei Stunden von Santiago, der Hauptstadt Chiles, entfernt, liegt die Weltkulturerbestadt Valparaiso, die auch Sitz des Parlamentes ist und in der die Teilnehmer des Campus Adenauer am zweiten Tag ihren Besuch fortsetzten. „Die ehemals bedeutende Hafenstadt und heutige Touristenmetropole hat aktuell etwa mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen“, erklärte Margit Schmohl, Dolmetscherin und Bewohnerin Valparisos bei der Anfahrt. Im Gespräch mit Claudia Silva Burgos, Mitglied des nationalen Vorstands der christdemokratischen Partei Chiles, konnten die Thüringer Abgeordneten mehr über die Antworten erfahren, die die Partei für die Wähler bereithält. „Vieles konzentriert sich in unserer Kandidatin für das Präsidentenamt Carolina Goic. Sie ist zuerst eine Frau, die beruflich erfolgreich ist, ehrlich und transparent durchs Leben geht und bewiesen hat, dass sie für ein besseres Chile kämpfen und gewinnen kann“, erklärte Silva. „Auch die Facetten einer überwundenen Krebskrankheit, oder ihr Muttersein sprechen verschiedene Wähler an“, ergänzte die Politikerin.
Bei einem Austausch mit der regionalen Leitung der Partei in Valpariso konnten die Teilnehmer mehr über die bevorstehenden Wahlen erfahren. „Die negativen Vorfälle der jüngeren chilenischen Geschichte haben dazu geführt, dass die Parteien nun Einrichtungen öffentlichen Rechts sind, sich alle Mitglieder neu registrieren müssen, die Finanzierung halb-staatlich und kontrolliert ist, sowie auch die Wahlkampfausgaben gedeckelt wurden“, erklärte der Präsident der christdemokratischen Partei in Valparaiso Gustavo Paulsen. Der Präsident der Jugend Sebastían Orellana bemerkte, dass es den traditionellen Parteien im vergangenen Jahr schwer gefallen sei, Jugendliche anzusprechen. „Die Politikverdrossenheit wiegt schwer; dennoch hat unser Kampf für eine ‚ethische Politik‘ sehr viel Aufmerksamkeit erhalten“, führte der Jungpolitiker aus. Albert Weiler, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, berichtet auf Nachfrage von seinem kürzlich beendeten Wahlkampf und den Schwerpunkten seiner Kampagne für mehr Bürgernähe.
Dann kam der Wahltag. Die Teilnehmer des Campus Adenauer besuchten Wahlstationen in den Gemeinden Renca und Paine, wo christdemokratische Bürgermeister ihnen einen Überblick über den Ablauf der Wahl verschafften. „In Chile überwacht das Militär den Wahlprozess und stattet alle Wahllokale mit Urnen aus“, erklärte Claudio Castro, junger Bürgermeister von Renca. Die deutsche Delegation zeigte sich zufrieden mit dem ordentlichen, ruhigen und transparenten Abläufen in den zu Wahllokalen umfunktionierten Klassenzimmern öffentlicher Schulen. In einer Grundschule der Gemeinde Paine tummelten sich zur Mittagszeit hunderte Menschen, so dass man den Eindruck einer hohen Wahlbeteiligung haben konnte.
In der Wahlkampfzentrale der christdemokratichen Partei erwarteten die Abgeordneten am Abend die Hochrechnungen und die Rede der Präsidentschaftskandidatin Carolina Goic. „Die Wahlbeteiligung lag heute nur bei 46 Prozent, ein neuer Tiefstand in der Geschichte Chiles“, erläuterte Jaime Baeza, politischer Analyst, der die hereinkommenden Ergebnisse kommentierte. Am Ende des Abends stand kein eindeutiger Sieger fest. Am 17. Dezember wird es eine Stichwahl zwischen dem konservativen Kandidaten Sebastian Pinera und dem linken Kandidaten Alejandro Guillier geben. Der Senatorin Goic gratulierten die Abgeordneten zu ihrem leidenschaftlichen Wahlkampf -- trotz einer eindeutigen Niederlage. Die Kandidatin zeigte sich gegen Ende des Tages vor der Presse dankbar und entschlossen, auch in den kommenden Jahren ihren Kampf für eine transparente und ethische Politik fortzusetzen.