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Veranstaltungsberichte

Weniger, älter, ärmer? Die demographische Herausforderung

Politischer Salon am 20. April 2013 - Auftaktveranstaltung der Reihe "Handlungsauftrag Demographie"

Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Handlungsauftrag Demographie“ hatte das Bildungswerk der Konrad-Adenauer-Stiftung nach Mainz eingeladen, um den Gästen die Möglichkeit zu bieten sich durch die Expertise der Referenten einen Überblick über den derzeitigen Status quo der demographische Entwicklung zu verschaffen und mit diesen ins Gespräch zu kommen. Flankiert wurden die Beiträge und Gesprächsrunden von musikalischen Beiträgen Burkhard Engels, der in seiner gewohnt augenzwinkernden Art, dem Publikum die Thematik näherbrachte.

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Karl-Heinz B. van Lier, Leiter des Bildungswerks Mainz und Landesbeauftragter der KAS für Rheinland-Pfalz, erläuterte zu Beginn der Veranstaltung die Intention der Veranstaltungsreihe, die noch bis in das kommende Jahr hineinreichen wird: „Es geht um das Wissen um einen Auftrag . Wir sind aufgerufen zu handeln und aktiv zu werden!“. Angesichts Vergreisung Deutschlands sehen wir uns einem bislang noch weitgehend unsichtbaren Problem gegenübergestellt: die Gefährdung des gesamten Sozialsystems. Den Begriff der ‚demografischen Chance‘ sieht van Lier als eine Verniedlichung an. „ Es geht um Handlungsbedarf und um eine klare Definition dessen, was wir tun müssen“, lautete sein Appell an die Teilnehmer. Daher sollen im Zuge der Veranstaltungsreihe die Ursachen und Möglichkeiten der Überwindung des Geburtenmangels geprüft werden.

Das Grußwort an diesem Vormittag sprach der Generalsekretär der rheinland-pfälzischen CDU Patrick Schnieder, MdB. Den demographischen Wandel stellte er hierbei als DAS Thema, das Gesellschaft und Politik in der Zukunft fordern und herausfordern wird, dar. In einzelnen Bereichen, so Schnieder, seien bereits Entscheidungen gefallen. In der Tiefe und Bandbreite scheinen die notwendigen Entscheidungen allerdings bei den politischen Entscheidungsträgern noch nicht angekommen zu sein, bemängelte er. Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass viele der Forderungen gar nicht mehr aus dem Weg geschafft werden können, da viele Mütter nicht geboren wurden um wiederum Kinder zu gebären. Daher nütze es seiner Auffassung nach nichts, die Lage euphemistisch zu verbrämen. Bezüglich der Herausforderungen für die Sozialsysteme und die Infrastruktur stellte Schnieder fest: „Nicht nur Anpassungsprozesse sind notwendig sondern auch die Fragestellung, was in einer schrumpfenden Gesellschaft überhaupt passiert, die Frage also nach der Innovationsfähigkeit“. Der Bundestagsabgeordnete äußerte daher abschließend den Wunsch, dass ein Bewusstsein für die Problemlagen geschaffen werden müsse, um eine breite Akzeptanz für die dringend nötigen, vielfach sicherlich auch schmerzhaften, Umstrukturierungsprozesse herzustellen.

Die quantitativen Gegebenheiten des demographischen Wandels referierte der Wissenschaftliche Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, Dr. Jürgen Dorbritz, in seinem Vortrag zum Thema „Grundlegende Fragen und Herausforderungen des demografischen Wandels“. Als den Kernprozess dieses Wandels stelle er die Alterung der Bevölkerung heraus. Wenn die Kindergeneration größer ist, als die Elterngeneration, so entsteht Wachstum. „Dies war allerdings letztmalig 1878 in Deutschland der Fall und so muss man von einem Alterungsprozess sprechen“, hielt Dorbritz fest. In Westdeutschland stieg der Trend zur Kinderlosigkeit von 11 auf 24 Prozent, was Westdeutschland zum Land mit der höchsten Kinderlosigkeit auf der Welt macht. In gesamtdeutscher perspektive ergeben sich unterschiedliche generative Verhaltensmuster: Im Osten bleiben die Frauen meist bei einem Kind stehen, im Westen ist die Kinderlosigkeit sehr hoch. „So entsteht ein ähnlicher Durchschnitt“, referierte der Bevölkerungsforscher. Und noch ein Trend sei festzustellen: Je höher die Schulbildung ist, umso größer ist der Wert der Kinderlosigkeit. Aber, so stellte Dorbritz fest, „die Niedrigqualifizierten passen sich dem Trend der Hochqualifizierten in zunehmendem Maße an“. Fest stehe, dass nur durch die Zunahme der Kinderzahl (bis 2050 müsste die Kinderzahl auf 1,9 pro Frau ansteigen) der Entwicklung insgesamt entgegengewirkt werden kann. Zur Überalterung trage auch bei, dass die Lebenserwartung kontinuierlich ansteige. Diesem Trend schreibt Dorbritz verschiedene Ursachen zu. Einerseits sei die Säuglingssterblichkeit derart gering, dass sie keinen statistischen Ausschlag mehr gebe, andererseits werden die Älteren immer älter und blieben infolge dessen auch länger in den Sicherungssystemen. Bezüglich der Erwartung der Pflegebedürftigkeit nannte der Forscher in diesem Zusammenhang noch eine interessante Zahl: Im Jahr 2009 belief sich die durchschnittliche Lebenserwartung auf 80,18 Jahre. Die dementsprechende pflegefreie Zeit betrug durchschnittlich ca. 77 Jahre, die der Pflegezeit ca. 2,5 Jahre. Wenn die Lebenserwartung pro Dekade um 2,5 Jahre steigt, so steigt auch die Dauer der Inanspruchnahme von Pflege proportional, hielt Dorbritz fest. Die demographische Alterung sowie der Rückgang der Bevölkerung, so fasste es der Referent abschließend zusammen, beziehe sich beinahe ausschließlich auf die neuen Bundesländer, wo es noch immer eine zahlenmäßig starke Abwanderung aus den peripheren Regionen gibt. In Westdeutschland beträfe dies lediglich einige ländliche Regionen. „Die Ost-West-Migration ist fast vorbei und die Wanderungsbilanz nahezu ausgeglichen“, beschloss Dorbritz seine Vorstellung der quantitativen Gegebenheiten des demographischen Wandels.

Im Rahmen seines Vortrags „Auf den Hund gekommen“ beschäftigte sich der Journalist und Publizist Matthias Matussek mit den kulturellen Gefahren einer schrumpfenden Gesellschaft. Das politische Handlungsfeld Familie beschrieb er als Katastrophengebiet, um das sich alle kümmern: „Wir begießen es mit Wasser wie in der Sahelzone, aber es will nicht recht sprießen“. Familie, so Matussek weiter, sei ein Armutsrisiko geworden. Die Gründe für die vielfache Entscheidung gegen Kinder und Familie sieht er in einem anthropologischer Umbau: „Wir trauen uns Kinder offenbar nicht mehr zu“. Und auch die Väter als Rollenmodelle seien kaum noch verfügbar, da die Vätergeneration von den 68er als Tätergeneration begriffen wurde. Als Ergebnis kämen heute Kinder meist zwischen zwei Karrierestationen zur Welt. Matussek weiter: „Und die paar Kinder, die wir noch kriegen, sollen es dann auch bringen“. Seine Kritik findet die, seiner Ansicht zufolge in dieser Notsituation des Geburtenmangels stattfindende, Konzentration auf zwei Gruppen: auf die gleichgeschlechtliche Ehe und die Priester. Die Erfolgsaussichten beschreibt Matussek hierbei als ‚zweifelhaft‘. Das von ihm ausgemachte Thema der Stunde „Jeder kann alles, es ist nur noch eine kulturelle Zuschreibung“, lehnt der Publizist ab. Als tatsächliches Problem macht er Kulturprobleme aus, „die Trivialisierung und Banalisierung der Geschlechter und unsere Auffassung von Leben“. Daher lautet seine Appell wieder eine Diskussion über unser Menschenbild anzustoßen und wieder ein neues Gespräch und Verständnis zu organisieren. Matusseks Ansicht nach sollte hierbei vor allem die katholische Kirche als Institution vorausgehen: „Die katholische Kirche, die all dies in ihrem Gepäck und Arsenal hat“. Themen, über die nicht mehr geredet wird, müssen wieder als wirklich wichtige Diskurse aufgegriffen werden, hielt er abschließend fest: „Notwendig ist eine neue Achtsamkeit dem Leben gegenüber“.

Prof. Dr. Georg Milbradt, ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen, wandte sich den „Folgen für Staat und Wirtschaft“ zu. Er prognostizierte, dass 2035 über 30 Prozent der Menschen in Deutschland über 60 Jahre alt sein werden. Diese Entwicklung sei nicht mehr rückgängig zu machen, so Milbradt. Hätte man sich schon in den siebziger Jahren mit der demographischen Entwicklung politisch befasst, so wären die heutigen Voraussetzungen eventuell andere. „So aber, muss man sich der Situation stellen“, erläuterte der ehemalige Ministerpräsident den Status quo. Die umlagefinanzierten Sicherungssysteme werden künftig nicht mehr funktionieren: „Die Änderungen der Altersstruktur bedingt durch den Rückgang der Geburtenziffern und die Überalterung der Gesellschaft haben eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung, den Rückgang von Schülern, Auszubildenden und Studenten und folgerichtig einen Anstieg der Rentnerzahlen, vor allem bei den über 80 Jährigen und bei den Männern, zur Folge“. Diese nicht mehr zu ändernde Situation, so Milbradt weiter, führt zu einer Mehrbelastung der erwerbsfähigen Bevölkerung: „Auf 1000 Erwerbstätige kommen derzeit ca. 700 Empfänger von Unterstützungsleistungen“. Aus der demographischen Entwicklung ergeben sich unweigerlich auch ökonomische Konsequenzen. Die Zahl der Beschäftigten sinke, gleichzeitig auch die Arbeitslosigkeit, aber das Problem der beruflichen Qualifikation bleibt auch weiterhin bestehen. Die Innovationskraft, also die Bereitschaft Risiko zu tragen, einer alternden Bevölkerung ist ebenfalls nicht so ausgeprägt, wie die einer jungen Gesellschaft, gab der Volkswirt zu denken. Das BIP pro Einwohner wird langfristig kaum noch wachsen und letztlich sinken, ebenso das Wirtschaftswachstum und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die demographische Entwicklung hat auch finanzpolitische Konsequenzen. So wird die relative Last der Schulden - selbst wenn keine neuen Schulden hinzu kommen - steigen, da die Pro-Kopf-Verschuldung auf immer weniger Menschen verteilt werden wird, hält Milbradt fest. Angesichts der Entwicklung sind nach seiner Auffassung verschiedene politische Handlungsebenen notwendig geworden: „Notwendig ist vor allem eine saubere und langfristige Analyse der Situation bis jenseits des Jahres 2030, denn Bevölkerung ist ein vorhersehbarer Faktor“. Folgerichtig werden dann Leistungen abgebaut werden müssen, vor allem seitens der Länder, lautet Milbradts Einschätzung. Weiter nötig ist auch die Schaffung eines Problembewusstseins und Werbung um Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung und der lokalen Politik, um die Ursachen der Entwicklung langfristig zu bekämpfen. Aus den gegebenen Umständen sind daher folgerichtig folgende Handlungserfordernisse und Anpassungsstrategien, die politisch nicht leicht zu kommunizieren sind, abzuleiten: eine Notwendigkeit zur Flexibilisierung aller Bereiche („Alles muss auf den Prüfstand!“), ein Personal Ab- und Umbau im öffentlichen Dienst, eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit besonders zur Anwerbung von Hochqualifizierten („Deren Knappheit wird sich dann in den Preisen niederschlagen!“), die Erhöhung der Altersgrenze beim Renteneintrittsalter und vor allem die Schaffung einer offenen Gesellschaft. Allerdings gebe es in der Politik keine Vorbilder und Bevölkerungspolitik ist kein Wahlkampfthema wegen der dringend notwendigen Langzeitperspektive, lautete der abschließende Appell Milbradts.

Die im Anschluss an die Statements von Dr. Hildegard Stausberg, der Vorsitzenden des Kölner Presseclubs und WELT-Journalistin, kenntnisreich moderierte Gesprächs- und Diskussionsrunde, bot den Gästen die Möglichkeit das Gehörte mit den Referenten zusammen noch weiter zu vertiefen. Auf die Frage, ob er darauf setze, dass die 68er aussterben, um der gegenwärtigen Entwicklung besser entgegentreten zu können, antwortete Mathias Matussek, dass es sein Eindruck sei, dass es in der jungen Generation zumindest eine Stimmung gebe, der Entwicklung entgegenzusteuern: „Es gibt Anzeichen für mehr Ehen und eine Bewusstwerdung von Verlusten“. Über die Frage, wie die Fertilitätsrate der höher gebildeten Frauen gefördert werden kann, sprach Stausberg mit Prof. Milbradt. Er sprach sich in erster Linie dafür aus, dass man abkomme von der Ansicht, dass Familienpolitik Sozialpolitik sei: „Unsere Vorstellung ist leider, dass eine Gesellschaft gleich sein muss und es gerecht wäre, wenn alle das Gleiche verdienen“. Seiner Ansicht nach müssten also viel mehr positive materielle Anreize zur Familiengründung geschaffen werden und der Staat sollte lediglich eine Kompensation für diejenigen leisten, die durch Kinder Entbehrungen auf sich nähmen. „Der Staat kann nur einen Teil des Problems lösen, das Hauptproblem sind wir selber!“, lautete sein Fazit.

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Karl-Heinz B. van Lier

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