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Länderberichte

Das Jahr der Entscheidungen

von Claudia Crawford

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Mit etwa 10 Millionen Einwohnern ist Serbien und Montenegro das größte Land auf dem Balkan. Damit hat die Entwicklung dieses Landes einen großen Einfluss auf die Entwicklung des gesamten Balkans. Der Demokratisierungsprozess, der erst nach der Zeit Milosovic ab Oktober 2000 beginnen konnte, hat eindeutig Fortschritte gemacht. Die Institutionen wie Präsidentenämter, Regierungen, Parlamente, Gerichte, Parteien und Medien nehmen ihre Aufgaben allerdings in unterschiedlicher Qualität wahr. Das Bemühen, die Annäherung an die EU zu vollziehen, ist zu merken. Viele entsprechende Gesetze sind von den Parlamenten verabschiedet worden.

In Serbien und Montenegro bestehen die gleichen Probleme wie in allen Transformationsländern: die Wirtschaft ist noch auf einem niedrigen Niveau, dementsprechend drückt die hohe Arbeitslosigkeit (vor allem im Kosovo mit fast 50%). Die Infrastruktur ist zum Teil schlecht (vor allem schlechte Straßen, im Kosovo besteht das Problem der Energiesicherstellung). Ebenso besteht das Problem der Korruption. Die Parteienlandschaft ist noch sehr fragil und profilierte, überzeugende Politiker sind eher eine Ausnahme. Die Arbeit der Abgeordneten und der Parlamente ist immer noch von Anfangsschwierigkeiten gekennzeichnet.

Als ein Sonderproblem im Vergleich zu anderen Transformationsländern kommt die ungeklärte Staatengemeinschaft zwischen Serbien und Montenegro und die ungeklärte Statusfrage des Kosovo hinzu. Alle Seiten nehmen dabei eine sehr entschlossene Haltung ein, was die Verhandlungen sehr kompliziert macht. Entscheidungen sind in beiden Fällen dringend geboten, da derzeit alles andere dadurch blockiert ist.

Seit Oktober 2005 befindet sich Serbien und Montenegro im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess mit der EU, der, so die Erwartungen in Serbien, Ende des Sommers im Abschluss eines Stabilitäts- und Assoziationsabkommen (SAA) enden soll. Dabei ist vereinbart worden, dass Serbien und Montenegro in getrennten Wegen mit der EU verhandeln. Seit dem sind vor allem in Montenegro die Bemühungen zur EU Annäherung deutlich gestiegen.

Ein erfolgreicher Abschluss eines SAA hängt für Serbien unmittelbar mit der Bereitschaft zur Kooperation mit dem Haager Tribunal und konkret mit der Auslieferung von Ex-General Mladic zusammen. Serbiens Präsident Kostunica hat inzwischen Kommissar Rehn Garantien für eine Auslieferung bis Ende April gegeben.

Serbien:

Serbien steht im gewissen Sinne vor einem Scheideweg: Richtung EU bzw. Europäisierung oder Richtung Vergangenheit zum Nationalismus. Die Radikale Partei, deren Vorsitzender Scheschel sich derzeit in Den Haag verantworten muss, hat in aktuellen Umfragen eine Unterstützung von etwa 34%. Man sagt, dass die Wählerschaft sich vor allem aus einfachen Leuten, aus den ländlichen Gebieten und aus den Flüchtlingen zusammensetzt.

Seit der Wahl 2003 regiert eine Minderheitsregierung, deren größte beteiligte Partei die Demokratische Partei Serbiens (DSS) ist und von Herrn Kostunica als Ministerpräsident geführt wird. Die DSS ist assoziiertes Mitglied in der EVP. Aufgrund der Gegebenheiten ist sie immer wieder auf die Unterstützung durch die Sozialisten, Milosovic Partei, oder die Radikalen angewiesen.

Die Demokratische Partei (DS) stellt den Präsidenten, Herrn Tadic. Lange Zeit hat sie sich der Mitarbeit im Parlament verweigert, weil zwei ihrer Abgeordneten die Lager gewechselt hatten. Sie arbeiten derzeit in den Ausschüssen mit, aber nicht im Parlament. Sie haben Mitte März der DSS ein umfangreiches Angebot für eine Zusammenarbeit gemacht. Sie würden in wichtigen Feldern, der Regierung die Mehrheit sichern. Begründet ist dies mit der Notwendigkeit, als Demokraten bei der Lösung der derzeit großen Probleme zusammenzuarbeiten. Daran wurde aber die Bedingung geknüpft, am Ende des Jahres Neuwahlen durchzuführen. Die DSS, die prinzipiell für eine Zusammenarbeit ist, lehnte diese Konditionierung ab. Viele der Parteien haben derzeit kein Interesse an einer Wahl, da die Umfragen für sie ungünstig sind. Vor allem die kleinen Parteien wie G17+ und SPO müssen damit rechnen, nicht wieder in das Parlament einzuziehen. Nach derzeitigem Stand hätten die demokratischen Parteien in der Summe keine Mehrheit. Zudem würde eine Wahl am Ende des Jahres mitten in die Abschlussphase der Statusverhandlungen zum Kosovo fallen.

Trotzdem ist das Thema Neuwahl nicht von der Hand zu weisen. Sollten alle Entscheidungen, Kosovo und Montenegro, gefallen sein, könnten zügig die Beratungen zu einer neuen Verfassung beendet werden. Dafür gibt es bereits Vorarbeiten. Ebenso gab es dazu auch schon Verhandlungen zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Eine Neuwahl wäre in diesem Fall dann sogar geboten.

Anfang Oktober 2005 hat die EU mit den Verhandlungen zu einem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) begonnen. Die EU hat dabei einen erfolgreichen Abschluss von der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal abhängig gemacht, die seitens Serbiens immer sehr zögerlich war. Als letzten Termin für die Auslieferung Mladic wurde von Präsident Kostunica Ende April zugesichert. Die Befürchtungen, dass der Tod von Milosovic und seine Umstände sich ungünstig auswirken würden, waren groß. Allerdings sind das politische Kapital und die Mobilisierung zugunsten der Sozialisten bzw. Radikalen deutlich geringer als die Betroffenen gehofft hatten. Die Umfragen nach diesen Ereignissen lassen keinen Anstieg für diese Parteien erkennen. Um so empfindlicher wird auf Äußerungen europäischer Politiker reagiert, die eine Mitgliedschaft in ferne Zukunft rücken lassen. So ist man sehr beunruhigt durch den Beschluss innerhalb des Europäischen Parlaments seitens der deutschen SPD vom 8.3.06, den Beschluss des Parlaments vom 18.1.06 und den Bericht von Elmar Brok vom 3.2.06 zum Strategiepapier der EU zur Erweiterung, aber auch aufgrund des Pressegesprächs von Herrn Wissmann. Alles, was den Eindruck erweckt, die EU-Mitgliedschaft der Balkanländer ist aus welchen Gründen auch immer nicht mehr erwünscht, führt zu Enttäuschungen und bremst den Annäherungsprozess erheblich. Vor allem gibt diese Debatte den Radikalen Auftrieb. Die Feinheiten, dass es vielen Deutschen Politikern vor allem erstmal um die inneren Reformen geht, aber man nicht grundsätzlich gegen eine weitere Erweiterung ist, werden hier nicht wahrgenommen.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen von Montenegro werden nicht gerne gesehen, aber würden auf der Grundlage der getroffenen Regeln akzeptiert werden. Demgegenüber ist die Frage nach der Unabhängigkeit des Kosovo sehr emotionalisiert. Leider hat sich keine Partei der Verantwortung gestellt, der Realität ins Auge zu blicken (de facto ist das Kosovo unabhängig) bzw. mal zu erläutern, was ihr Angebot, „mehr als Autonomie, weniger als Unabhängigkeit“, bedeutet. Alle demokratischen Parteien halten allerdings einen Abschluss der Statusverhandlungen zum Kosovo noch in diesem Jahr für unmöglich. Sie machen unisono deutlich, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo für Serbien unerträglich sei und die Region in keiner Weise stabilisiere. Für beide Problembereiche, Montengro und Kosovo, scheint es keinerlei „Planspiele“ zu geben, das heißt, einen Fahrplan für die Zeit nach den unterschiedlich denkbaren Entscheidungen gibt es nicht.

Montenegro:

Das bestimmende Thema hier ist das Referendum am 21. Mai zur Frage der Unabhängigkeit. Ob die von der EU durchgesetzten 55% Ja-Stimmen (man rechnet mit einer hohen Beteiligung von über 80%) erreicht werden, ist sehr unsicher. Allerdings scheint man sehr gewillt, auch bei einem Ergebnis drunter, so es über 50% liegt, die Unabhängigkeit zu vollziehen. Je höher die Wahlbeteiligung, umso kritischer dürfte es für die Unabhängigkeitsbefürworter sein, da Wählerpotential nur noch bei den Unionsbefürwortern zu mobilisieren ist. Nebenbei sei erwähnt, dass die Mehrheit der muslimischen und albanischen Minderheiten für die Unabhängigkeit ist. Die große Minderheit der Unionsbefürworter stammt aus der Gruppe der in Montenegro lebenden Serben.

Auch in Montenegro gibt es keine Klarheit über die Zeit danach, weder für den Fall der Unabhängigkeit noch für den Fall des Scheiterns des Referendums. Zudem ist in Montenegro von allen drei Parlamenten in Serbien und Montenegro das schwächste. Die Regierung wird von zwei mitte links Parteien, der DPS (ehem. Kommunisten) und der SDP (sozialdemokratisch, Mitglied in der Sozialistischen Internationale), gebildet. Die Volkspartei bildet die stärkste Oppositionspartei.

Schwierig dürfte die wirtschaftliche Situation für Montenegro im Falle der Unabhängigkeit werden. Die meist genannten Wirtschaftszweige, Tourismus und Landwirtschaft, werden im europäischen Wettbewerb einen schweren Stand haben. Anderes muss erst neu aufgebaut werden. Das Thema Korruption wird außerhalb des Landes deutlich kritischer gesehen als im Land.

Kosovo:

Auch hier das bestimmende Thema: die Statusfrage. Ein Verbleib in Serbien wird hier als undenkbar angesehen. Auffallend in Prishtina ist die hohe internationale Präsenz. Es gibt ihr gegenüber eine große Dankbarkeit. Aber es wird auch klar angesprochen, dass jetzt die Zeit soweit ist, dass man mehr selber machen kann und die Kompetenzen von UNMIK zunehmend auf die kosovarische Regierung und das Parlament übertragen werden müssten.

Die LDK hat hier wesentliche Führungspositionen inne. Sie stellt den Präsidenten, den stellv. Ministerpräsidenten und den Parlamentspräsidenten. Sie ist zusammen mit der AAK in einer Koalition. Der Präsidentenwechsel aufgrund des Todes von Präsident Rugova und infolge dessen der Wechsel im Ministerpräsidentenamt und an der Parlamentsspitze wird durchgängig positiv gesehen. Man erwartet eine entschlossenere Regierungsführung und bessere Aussichten bei den Statusverhandlungen.

Auffallend ist der große Optimismus und Aufbauwille. Kriegsschäden sind kaum noch sichtbar, dafür eine erhebliche Bauaktivität. Leider ist die Infrastruktur, Straßen, Energieversorgung, Sozialversicherungssysteme, total marode. Die Schäden sind zum Teil schon sehr langfristig. Bei etwa 50% Arbeitslosigkeit stellt sich hier die Frage nach dem wirtschaftlichen Aufbau im Besonderen, bei dem die internationale Gemeinschaft sicher nicht nur Zuschauer spielen kann.

Die Lösung der vier derzeit zentralen Themen könnten in diesem Jahr erfolgen: Die Klärung der Staatengemeinschaft mit Montenegro, die Statusfrage Kosovo, die Kooperation mit dem Haager Tribunal und den Abschluss des SAA. Das bedeutet aber nicht, dass die eigentlichen Probleme, die die Menschen hier betreffen, gelöst sind. Die interessieren sich vielmehr für die wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Land. Sie hoffen, dass die Annäherung nach Europa zu einer Verbesserung ihres Lebensstandards führt und sie ein erleichtertes Visaregim erhalten.

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Norbert Beckmann-Dierkes

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Leiter der Auslandsbüros Bulgarien

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