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Länderberichte

Serbien im Wahlkampf

von Claudia Crawford

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Am Sonntag, dem 21. Januar, sind rund 6,65 Millionen in Wahllisten eingetragene Wahlberechtigte in Serbien aufgerufen, ihr neues Parlament zu wählen. Die vorgezogene Wahl wurde durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung notwendig. 20 Parteien bewerben sich um die Mandate, darunter sechs Parteien bzw. Listenkoalitionen der Minderheiten, für die die 5-%-Hürde nicht gilt. Sie benötigen nur etwas 12.000 – 15.000 Stimmen je Parlamentssitz.

Aus deutscher Perspektive blieb den Parteien nur wenig Zeit für die Wahlvorbereitung, da lange um den Wahltermin gefeilscht und schließlich erst im November festgelegt wurde. In der serbischen Tradition ist es ein sehr langer Wahlkampf, in den allerdings zweimal Weihnachten und zweimal Neujahr gefallen sind, die orthodoxen Feste jeweils mit eingerechnet. Erst ab dem letzten Wochenende nach dem serbischen Neujahr am 13./14. Januar kehrt wieder das normale Arbeitsleben ein. Seit dieser Zeit gewinnt der Wahlkampf etwas an Schärfe, der von vielen bis dahin als langweilig eingeschätzt wird. Es fehlt auch an wirklich kontroversen Themen. Beim derzeitig wichtigsten Thema der serbischen Politik, dem künftigen Status Kosovos, vertreten alle großen Parteien dieselbe Meinung, wenn auch mit Nuancen in der Rhetorik, mit der das Kosovo verteidigt wird. Ebenfalls bekennen sich alle Parteien zu Europa, selbst die Radikale Parteien fand dazu einige Worte, aber die Vorbedingung für erfolgreiche Verhandlungen zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU, die Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof in Den Haag, vermieden alle Parteien im Wahlkampf zu thematisieren. Damit blieb den einen nur die Verteidigung des Erreichten, den anderen die Kritik.

Letzte Umfragen ergeben folgendes Bild: Radikale Partei (SRS) 28-30%, Demokratische Partei des Präsidenten Tadić (DS) 23-28%, Demokratische Partei Serbien des Ministerpräsidenten Koštunica (DSS) 17-21%, G17plus des ehemaligen Finanzministers Dinkić 6-9%, Liberal-Demokratische Partei (LDP) 5% und Sozialistische Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Milošević (SPS) 4-5%. Alle anderen Parteien, auch die SPO des Außenministers Drašković, liegen deutlich unter 5% und haben damit keine Chance auf einen Einzug in das Parlament. Für die Minderheitsparteien rechnet man mit etwa 10 Sitzen. Allen relevanten Parteien muss man attestieren, dass sie einen ausgesprochen professionellen, amerikanisierten und modernen Wahlkampf führen. Die drei größten Parteien brachten bei ihren Abschlusskundgebungen jeweils 30.000 Menschen zusammen. Es erstaunt dabei, dass die Parteien, vor allem auch die kleinen, soviel Geld für ihren Wahlkampf zusammenbringen konnten.

Die SRS plakatiert mit Slogans wie „Zeit für den Wechsel“ und „50% plus deine Stimme“. Gerade bei dieser Partei überrascht die Modernität, denn die Anhängerschaft der SRS ist deutlich überaltert. Unmittelbar nach dem Ende des Hungerstreiks vom Parteivorsitzenden Šešelj, der sich derzeit in Den Haag verantworten muss, beendete die Partei ihre Šešelj-Rhetorik und stellte wieder Themen wie Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung in den Mittelpunkt der Kampagne. Sie verweist darauf, dass sie im Gegensatz zu anderen keine Skandale in der eigenen Partei zu verzeichnen hat, was Beobachter allerdings eher auf ihre guten Kontakte zu den Medien zurückführen als darauf, dass sie wirklich integer ist.

Der DS wurde es mit ihrem Wahlkampf zu Beginn etwas schwer gemacht, da die Medien sie nur wenig präsentierten. Dann tritt sie gleich mit drei Spitzenkandidaten auf: Dem Präsidenten Tadić, der zwar nicht auf der Liste steht, aber viele Stimmen ziehen kann und deshalb auf fast allen Plakaten zu sehen ist, der Witwe von Đinđić, die den Listenplatz eins innehat und den vor einer Woche vorgestellten Ministerpräsidentenkandidaten, Božidar Đelić. Er ist Ökonom und war früher unter Đinđić Finanzminister. Er genießt einen guten Ruf. Aus seiner Ministerzeit haftet ihm allerdings an, an den Tycoon Karić ohne Parlamentsbeschluss Steuergelder zurückgezahlt zu haben, da ein Gericht diese aufgrund von Verfahrensfehlern für unsachgerecht erklärt hatte. Der Slogan auf den Plakaten ist ein Satz von Djindjić: „Weil das Leben nicht warten kann...“, besetzt werden Wirtschafts- und Sozialthemen.

Die DSS betont demgegenüber stark die nationale Seite. Slogans wie „Es lebe Serbien“ und „Das Volk weiß es am besten“ sollen das Wirgefühl ansprechen, es wird eine ausgesprochene Positiv-Kampagne geführt, wobei nicht vergessen wird, auf die erfolgreichen Projekte der eigenen Regierung zu verweisen. Einen breiten Raum nimmt immer wieder das Kosovothema ein. Zu bemerken ist, dass die DSS einen sehr gut strukturierten Wahlkampf führt und dabei vor allem in Orten von Zentral- und Südserbien präsent ist. Sie ist eine Listenkoalition mit der Partei Neuserbien eingegangen, die regional in Südserbien sehr populär ist. Sie konnte messbar dadurch bei den Umfragen dazugewinnen. Einen starken Mangel hat die DSS im intellektuellen Bereich. Sie hat dadurch viel Unterstützung in Belgrad eingebüßt.

Die Überraschung im Wahlkampf ist G17plus. Ihr Vorsitzender Dinkić führt einen hochmotivierten, stark auf ihn personalisierten Wahlkampf. Er stellt in den Mittelpunkt seiner Kampagne den Ruf „Experten“ vor „Politikern“, und verweist damit auf seine Expertenlaufbahn im Bereich der Ökonomie, die sich von klassischen Politikern unterscheidet. Er bemüht sich nicht, allen zu gefallen, sondern konzentriert sich stark auf einen Sektor der Wählerschaft im Bereich Business und Finanzen. Lange Zeit lag G17plus bei 3,5%, jetzt scheint die Partei sicher über 5% zu liegen.

Nicht ganz so sicher kann sich Čeda Jovanović und seine LDP fühlen. Sie macht technisch gesehen den besten Wahlkampf, zieht viele junge Leute und Frauen an, die auch gezielt angesprochen werden, und tritt kämpferisch, oft auch aggressiv auf. Da die Partei noch jung ist, fehlt ihr ein programmatisches Profil, das sie im Laufe des Wahlkampfes aber zu schärfen vermochte. Sie steht deutlich im linken Spektrum und vertritt soziale Themen und zivile Rechte. Ihr Slogan „Von uns hängt es ab“ macht ihren partizipativen Charakter deutlich. Čeda, der enger Vertrauter von Đinđić war, beansprucht, der eigentliche politische Erbe von Đinđić zu sein.

Einen Abschiedswahlkampf scheint die SPS zu führen. Selbst die Neuwahl des Vorsitzenden konnte am Sinkflug der Partei nichts ändern. Ihre Parole scheint mehr ihr Selbst als den Wählern zu gelten: „Kopf hoch“ heißt es von den Plakaten. Sie bemüht sich sehr um die Rentner, hat dabei allerdings mit der Rentnerpartei als Konkurrenten zu kämpfen. Ansonsten ist nicht viel von der SRS zu spüren, ihre Werbung begann mindestens drei Wochen später als die der anderen Parteien und sie füllt auch keine Arenen mehr.

Inzwischen beschäftigt die Beobachter nicht mehr so der Wahlkampf als vielmehr die möglichen Regierungskonstellationen. Alle gehen davon aus, dass die SRS die stärkste Partei wird, ihr aber die Koalitionspartner fehlen werden. Vorsorglich hat sie selbst schon eine Koalition mit allen relevanten Parteien ausgeschlossen und vorgegeben, sie werde sich auf die Minderheitenparteien stützen. Der DS bleibt ebenfalls kein großer Spielraum. Sie hat nur die DSS als Partner, denn selbst wenn die LDP den Sprung ins Parlament schafft, wird es für die beiden Parteien in der Summe nicht reichen. Es sieht so aus, als dass es keine neue Regierung ohne die Koštunicapartei geben wird. Allerdings gibt es für sie ebenfalls Einschränkungen. Eine Koalition mit den Radikalen ist auch aus ihrer Sicht unattraktiv – nicht, weil es unüberbrückbare inhaltliche Differenzen gäbe, sondern weil sie als Juniorpartner nur an Reputation verlieren könnte. Eine gemeinsame Koalition mit der DS böte sich förmlich an, aber tiefe gegenseitige persönliche Abneigungen stellen ein großes Hindernis dar. Und für eine Regierung nur mit G17plus reicht es nicht. Die LDP ist die einzige Partei, zu der inhaltlich keine Brücke führen würde.

Welche Konstellation am Ende die Wahrscheinlichste ist, lässt sich nicht vorhersagen. Unbestritten versucht die DSS, den Ministerpräsidentenposten für Koštunica zu erhalten. Das taktische Talent von ihm lässt dies sogar für den Fall möglich erscheinen, wenn die DS mehr Stimmen haben sollte als die DSS. Es kann aber auch sein, dass es wieder nur für eine Minderheitsregierung reicht. Dabei ist es egal, ob durch die DS oder DSS. Ohne eine Abstimmung mit Koštunica wird in keinem Fall zu regieren sein. Von daher sollten auch die Hoffnungen, dass sich nach den Wahlen Wesentliches in Serbien verändern wird, nicht zu hochgeschraubt werden.

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