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Strafgerichtshof in Den Haag spricht Vojislav Šešelj aus Mangel an Beweisen frei

von Norbert Beckmann-Dierkes, Steffen Kawohl
Am 31. März sprach der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag das Urteil im Prozess gegen Vojislav Šešelj. Der Anführer der Serbischen Radikalen Partei wurde wegen Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien in den 90er Jahren angeklagt. Das Gericht sprach Šešelj in allen neun Anklagepunkten aus Mangel an Beweisen frei und löste mit diesem Urteil unterschiedliche Reaktionen auf serbischer, kroatischer und bosnischer Seite aus.

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„Vojislav Šešelj ist nun ein freier Mann“, verkündete der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti nach der Verlesung des Urteils. Šešelj wurde damit von allen neun Punkten der Anklage freigesprochen. In dem Strafprozess, der im Jahr 2003 vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag begann, wurden dem Anführer der serbischen nationalistischen Partei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Vertreibung und Verfolgung während der Kriege auf dem Balkan in den 90er Jahren vorgeworfen. So soll Vojislav Šešelj an der Besetzung von Städten und Dörfern in Kroatien und Bosnien-Herzegowina und der anschließenden Vertreibung der nicht-serbischen Mehrheitsbevölkerung aus diesen Gebieten beteiligt gewesen sein. Die Ankläger versuchten nachzuweisen, dass er nicht nur den militärischen Arm der Serbischen Radikalen Partei mobilisierte, sondern auch weitere reguläre serbische Streitkräfte dazu anstiftete, Kroaten und bosnische Muslime zu verfolgen. Richter Antonetti begründete das Urteil jedoch damit, dass es der Anklage nicht gelang, eine direkte Verbindung zwischen Šešeljs nationalistischen Reden und Kriegsverbrechen an zehntausenden Kroaten, Muslimen und anderen Nicht-Serben nachzuweisen. Die serbische Menschenrechtsaktivistin Nataša Kandić kritisierte daraufhin die Urteilsbegründung der Richter. Ihrer Meinung nach seien bestimmte Aspekte der Begründung des Freispruchs mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Auch der Direktor des Zentrums für Regionalismus in Novi Sad, Aleksandar Popov, erklärte, dass den Opfern ethnischer Verfolgung mit diesem Freispruch keine Gerechtigkeit widerfährt.

Das Urteil wurde in Abwesenheit Šešeljs verkündet. Die Richter entließen ihn im November 2014 aus der Untersuchungshaft, damit er sich in Belgrad der Behandlung seiner Krebserkrankung unterziehen konnte. Im Mai 2015 forderte das Gericht ihn zwar auf, zurückzukehren, doch Vojislav Šešelj weigerte sich und kehrte nicht nach Den Haag zurück.

Nach Verkündung des Urteils wies er auf einer Pressekonferenz in Belgrad erneut jegliche Schuld für die Geschehnisse während der Kriege in den 90er Jahren von sich. Seine Meinung gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof habe sich trotz dieses Freispruchs nicht geändert. Für ihn sei das Tribunal in Den Haag nach wie vor ein anti-serbisches Gericht, so Vojislav Šešelj.

Der serbische Premierminister Aleksandar Vučić reagierte besonnen auf Šešeljs Freispruch. Einen Tag nach Verkündung des Urteils erklärte der Premierminister, die serbische Regierung wolle auf den Inhalt des Urteils nicht eingehen, da es nicht die Aufgabe einer Regierung sei, sich in die Urteilsfindung eines Gerichts einzumischen.

Dennoch ließ Aleksandar Vučić verlauten, die Richter hätten mit ihrem Urteil ihr Ziel verfehlt, die Aussöhnung und den Respekt zwischen den Völkern auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zu fördern. Der serbische Staat sei in der Pflicht, das Leid der muslimischen und kroatischen Opfer und ihrer Angehörigen zu respektieren und anzuerkennen.

Der kroatische Premierminister fand indes weniger versöhnliche Worte nach dem Freispruch. Tihomir Orešković bezeichnete das Urteil als Niederlage für die Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofes und eine Blamage für das Gericht insgesamt. Vojislav Šešelj habe Gräueltaten begangen, für die er nie Reue gezeigt habe. Orešković erinnerte daran, dass Vojislav Šešelj auch heute noch bei öffentlichen Auftritten die Flagge Kroatiens oder der Europäischen Union verbrenne. Der kroatische Premierminister sieht nun die serbische Regierung in der Pflicht. Hinsichtlich der EU-Beitrittsverhandlungen müsse Belgrad nach diesem Urteil zeigen, dass es sich in die richtige Richtung bewege.

Premierminister Vučić machte bereits nach der Verurteilung Radovan Karadžićs zu 40 Jahren Haft durch den Internationalen Strafgerichtshof deutlich, dass seine Regierung niemandem erlauben werde, Gerichtsurteile zu nutzen, um Serbien oder die Teilrepublik Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina zu zerstören. Von einigen Seiten hat es bereits Androhungen gegeben, Šešeljs Freispruch anzufechten und bei dem Urteil in Revision zu gehen. Die Menschenrechtsaktivistin Nataša Kandić, ist sich sicher, dass der Freispruch ein solches Berufungsverfahren nicht überstehen würde. Aleksandar Vučić brachte zum Ausdruck, dass solche Maßnahmen die Stabilität in der Region gefährden würden und sicherte Bosnien-Herzegowina zu, als Partner und Freund miteinander zu sprechen.

Der Freispruch von Vojislav Šešelj verleiht auch den bevorstehenden Parlamentswahlen am 24. April eine neue Brisanz. Denn den Freispruch führt der Anführer der serbischen nationalistischen Partei nun als Beweis für seine Unschuld an. Während Šešeljs Serbische Radikale Partei (SRS) nach den Wahlen im Jahr 2012 nicht mehr im Parlament vertreten ist, nimmt die Partei bei den vorgezogenen Neuwahlen nun einen erneuten Anlauf, in das serbische Parlament zurückzukehren. Die Radikale Partei verfolgt nach wie vor das Ziel eines Großserbiens. Premierminister Vučić ist der Ansicht, dass sich Serbien mit dieser von Vojislav Šešelj propagierten Forderung isolieren würde und kündigte an, sich mit seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) vehement gegen eine solche Politik zu stellen.

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Norbert Beckmann-Dierkes

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Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, Niederlande | Foto: ICTY / Flickr / CC BY 2.0 ICTY / Flickr / CC BY 2.0

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