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Veranstaltungsberichte

20. Jahrestag der Sanften Revolution

Rede des KDH-Vorsitzenden Ján Figeľ

Ján Figeľ zum 20. Jahrestag der Revolution ´89, 17. November 2009, Bratislava, Slowakisches Nationaltheater

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Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren,

die moderne Geschichte hat der Slowakei nur wenige Augenblicke geboten, in denen das Volk vereint war, sich selbst ins Gesicht schaute und so wie im Spiegel den eigenen Charakter betrachten konnte. So geschah es im Revolutionsjahr 1848, später bei der Gründung eines gemeinsamen Staates der Tschechen und Slowaken, im Kampf gegen den Faschismus und später gegen den Kommunismus. Das Volk mobilisierte im entscheidenden Augenblick seine Kräfte und zeigte, dass vor allem die junge Generation eine Lebens- und Hoffnungsquelle darstellt.

Ich möchte meine Dankbarkeit und Hochachtung gegenüber jenen zum Ausdruck bringen, die wie strahlende Sterne den Anderen den Weg vorzeigten. Dank so großer Persönlichkeiten wie Štúr, Štefánik, Hlinka und der Bischöfe Gojdič und Vojtaššák, und nicht zuletzt dank den tausenden Opfern eines Regimes der Unfreiheit, der Lüge und Rechtlosigkeit, und auch dank den Bürgern dieses Landes, die im November 1989 mit brennenden Herzen in die kalten Straßen strömten.

Der November 1989 bedeutete das Ende des Kommunismus. Möge doch der November 2009 und die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise das Ende des Konsumismus, eines übermäßigen Konsums, einer unverantwortlichen Nutzung der Freiheit bedeuten. Jede Krise ist auch eine Krise der Moral, die vor allem das Wertesystem, sowie die Verhaltensregeln und Verhaltensformen auf den Prüfstand stellt. (Ich habe heute ein langes Telefongespräch mit Ivan Hoffman geführt. Erinnern sie sich noch an ihn? Er sagte, dass „die Aufgaben die gleichen geblieben sind“. Und er lässt alle grüßen!)

Die Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich! So wie vor 1989 nur einer kleinen Gruppe von Apparatchiks alles erlaubt war, sehen wir heute wieder, wie die Mächtigen grinsend der Wahrheit trotzen. Korruption und Vetternwirtschaft, intransparente Ausschreibungen oder gekaufte Wählerstimmen und dadurch gekaufte Macht zerrütten nicht nur die wirtschaftlichen Grundlagen und die öffentlichen Finanzen, sondern auch die eigentlichen Fundamente der Demokratie.

Uns helfen keine Wortgefechte darüber, „wer ein Bolschewist ist“ und „wer die Novemberereignisse als sein Privatgut betrachtet“. Fragen der Moral und dass Bestreben um die Gedächtniserneuerung des Volkes, Werte, wie Gerechtigkeit, Menschenwürde, die Einhaltung von Gesetzen, ..., können nicht privatisiert, jedoch relativiert werden. Und derzeit ist in der Slowakei gerade eine Relativierung des Wesens und der Werte des Novembers ´89 im Gange!

War der November eine Revolution oder nur ein Umsturz? Wie ein junger Philosoph einst sagte, «ist eine Revolution entweder moralisch, oder sie ist keine Revolution». Eine Revolution der Moral, des Geistes, schöpft aus der Lebenskraft unseres moralischen Ethos. Liebe Freunde, reicht uns nur die Erinnerung oder sind wir fähig diesen Ethos mit neuen Leben zu füllen? Sind wir fähig, eine engagierte, kreative Gemeinschaft zu bilden, die auch in der Minderzahl die Ideale einer achtbaren und gerechten Slowakei hoch hält? Oder schaffen wir nicht mehr, als die Entwicklung zu kommentieren oder nur über Probleme zu klagen?!

Vor 20 Jahren strömten aus diesem Gebäude, aus Theatern, Universitäten, Kirchen und Kathedralen enthusiastische Menschen – Vorboten der Freiheit, der Verantwortung, der Rückkehr nach Europa. Ich möchte sie alle auffordern, jetzt nicht nur wieder ganz normal nach Hause zu gehen, sondern und vor allem jeden Tag und auf Dauer – den Menschen um uns herum entgegen zu kommen: in unseren Familien, am Arbeitsplatz, in den Kirchengemeinschaften, um den Ethos zu erneuern, der die Grundlage jeder positiven persönlichen und gesellschaftlichen Änderung darstellt! Das Gute lohnt sich! Und die Wahrheit siegt! Wir dürfen aber nicht nur zusehen, es geht doch um uns selbst!

Die Wurzeln und die Identität der Christlich-demokratischen Bewegung KDH sind substantiell mit dem November ´89 verbunden. Wir bestehen als Partei seit 20 Jahren und wollen mit neuer Hoffnung der Slowakei eine Richtungsänderung und die Rückkehr zum tatsächlichen Erbe des Novembers ´89 anbieten. Damals bildeten die Moral und die Politik eine Einheit. Auch deswegen war es möglich, dass bei einer Versammlung mit einer halben Million Teilnehmer alle Menschen – egal ob gläubig oder ungläubig – spontan ein Vater unser wie eine große geistliche Familie gemeinsam beteten! So einen Gemeinsinn brauchen wir auch heute. Kein „entweder Ethik, oder Politik“. Kein „entweder Anstand oder Macht“. Wir brauchen Ethik in der Politik, wir brauchen die Politik als einen verantwortungsvollen Dienst an der Gemeinschaft!

So wie damals streben wir auch heute die wahre menschliche Freiheit an, beginnend mit dem Gewissen, wir wollen die Meinungs- und Medienfreiheit behüten und nicht nur in der Slowakei, sondern auch weltweit für Menschenrechte, für eine wahre Solidarität und Gerechtigkeit eintreten.

Heute müssen wir einen Apell an unser kollektives und individuelle Gedächtnis richten. Die Freiheit hatte ihren Preis, wir haben sie nicht umsonst bekommen. In den letzten Jahren ist jedoch nicht nur das Institut für nationales Gedächtnis, sondern auch unser kollektives, nationales und gesellschaftliches Gedächtnis ins Hintertreffen geraten.

Deswegen wollen wir die Gründung eines Memorials der Übel (Zeit) der Totalität als einer Gedenk- und Bildungsstätte für die slowakische und internationale Öffentlichkeit, besonders für die Jugend, anregen. Mehrere postkommunistische Nachbarländer haben solche Bildungsinstitute gebildet. Der Gedanken einer Stätte der Moralgeschichte und des Kulturgedächtnisses, verbunden mit einem Bildungsauftrag, ist hoch aktuell, besonders im Bezug auf die nachkommenden Generationen.

Gedächtnis und Identität hängen eng zusammen. Wir müssen den Mut aufbringen, über jedes Unheil offen und schonungslos zu sprechen. Nur mit einem Bewusstsein, das offen gegenüber der Erkenntnis ist, und mit einem lebendigen Gewissen können wir nach vorne schreiten und auch die heutige Krise überwinden.

Die Slowakei braucht die Wahrheit, keine Demagogie, sie braucht die Gerechtigkeit und Solidarität, keinen Etatismus und Sozialismus. Die Wahrheit und die Solidarität können auch heute über die Lüge und den Hass siegen. Ein Lippenbekenntnis reicht jedoch nicht, wir müssen als Bürger und als eine verantwortliche, solidarische Gesellschaft auch zu den Trägern dieser Werte werden.

Ich danke ihnen für die Teilnahme. Und ich danke Gott für das Geschenk der Freiheit.

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