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Regierungskrise in Tunesien

von Lukas Kupfernagel, Ghaydaa Thabet

Punischer Krieg oder karthagischer Frieden?

„Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.“ Mit diesen Worten bat Cato der Ältere den römischen Senat, Karthago zerstören zu dürfen. 2018 wird in Karthago um die politische Zukunft Tunesiens verhandelt und aller Voraussicht nach wird es erneut großen Schaden nehmen. Nur drei Wochen nach den ersten freien Kommunalwahlen – solche, die eigentlich für einen politischen Wendepunkt sorgen sollten – stürzt Tunesien in eine weitere Regierungskrise.

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Youssef Chahed | © ITU / J. Marchand / Flickr / CC BY 2.0 © ITU / J. Marchand / Flickr / CC BY 2.0
Youssef Chahed | © ITU / J. Marchand / Flickr / CC BY 2.0

Der, von einem Großteil der Bevölkerung unterstützte, Premierminister Youssef Chahed befindet sich im Kreuzfeuer verschiedener Akteure – und vor allem seiner eigenen Partei Nidaa Tounes.

Nach den für alle politischen Parteien unbefriedigenden Kommunalwahlen (nur knapp 34 Prozent Wahlbeteiligung und eine bahnbrechende Mehrheit für unabhängige Wahllisten) bewegt sich die tunesische Politik in eine weitere Krise. Im Zentrum stehen der Exekutivdirektor der Partei Nidaa Tounes, Hafedh Caid Essebsi, und der Regierungschef Youssef Chahed. Nachdem aus Kreisen seiner eigenen Partei Nidaa Tounes bereits seit Monaten Kritik an seiner Regierungsführung, seiner Ministerwahl und seiner Distanz zur Partei zu hören war, forderte der kommissarische Exekutivdirektor Nidaa Tounes‘, Hafedh Caid Essebsi, über die sozialen Medien den Rücktritt des Premierministers. Chahed fehle es an Visionen sowie an der Fähigkeit Krisen zu bewältigen. Seine Regierung sei am massiven Wertverfall des Dinars und der schwachen Kaufkraft der Tunesier schuld, so Caid Essebsi. Nachdem bereits die Gewerkschaft UGTT in den letzten Monaten am Stuhl des Regierungschefs gesägt hatte, führte der Entzug der Rückendeckung durch den Exekutivdirektor seiner eigenen Partei zu einer weiteren Schwächung des Agraringenieurs, der 2016 als jüngster Premierminister der Geschichte Tunesiens das Zepter in die Hand genommen hatte. In einem Interview mit der Tageszeitung „La Presse“ nannte der Generalsekretär der Gewerkschaft UGTT die Regierung „eine Ansammlung von inkompetenten Amateuren.“ Es entstand zeitweise auch der Eindruck, dass auch der Staatspräsident Béji Caid Essebsi von seinem Regierungschef abgerückt sei, den er zuvor noch am 14. Mai öffentlich unterstützt hatte. Diese Vermutung bewahrheitete sich jedoch nicht. „Eine Umbildung des Kabinetts und eine Diskussion um den Premierminister stehe nicht auf der Tagesordnung“, ließ er im Vorfeld des Gipfels um den Pakt von Karthago ausrichten. Zwei Wochen später musste der Staatschef den Pakt von Karthago auf Eis legen. Mit dem Abbruch der Verhandlungen um einen neuen Vertrag ist noch nicht klar, ob dies zu einem Rücktritt des Premierministers führen wird.

Dass der Abbruch der Verhandlungen jedoch ein neues Krisenkapitel der jungen Demokratie Tunesiens einleitet, ist unbestritten.

Ein Rückblick ins Jahr 2016 – Wiederholt sich die Geschichte?

Ernüchtert durch Terroranschläge und Wirtschaftskrisen verkündete Staatspräsident Essebsi im Juni 2016 den sogenannten Pakt von Karthago – ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgebern, welches den Entwicklungen im Land neuen Elan geben sollte. Die schwache Regierung sollte durch den Pakt gestärkt und wirtschaftliche, soziale, sowie politische Probleme angegangen werden.

Die Bilanz zwei Jahre nach der feierlichen Unterschrift im Präsidentenpalast von Karthago ist mehr als bescheiden. Das Land befindet sich noch immer in einer politischen Lethargie, die weder Regierung noch Opposition brechen konnten. Die politischen Parteien verlieren sukzessive an Unterstützung und die Einheitsregierung der säkularen Sammlungsbewegung Nidaa Tounes, der islamistischen Ennahda und kleineren Parteien steht weiterhin auf tönernen Füßen. Der schwelende Konflikt zwischen dem Arbeitgeberverband UTICA und der Gewerkschaft UGTT lähmt die ohnehin schwache Wirtschaft Tunesiens weiterhin und soziale Unruhen und Streiks geschehen monatlich.

Dies ließ sich zuletzt im Januar 2018 beobachten, als Teile der Bevölkerung teilweise gewaltsam gegen neue Einsparungen der Regierung und das neue Finanzgesetz demonstrierten. Die schnelle Eskalation konnte nur durch ein Versprechen von 100 Millionen Dinar für benachteiligte Gesellschaftsschichten vermieden werden. Das Problem: Die tunesischen Kassen sind leer.

In Anbetracht der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, die in einer überaus enttäuschenden Kommunalwahl endete, sah sich der Staatspräsident Béji Caid Essebsi gezwungen, den Pakt von Karthago neu zu verhandeln und mit den Partnern neue Richtlinien festzulegen.

Der zweite Pakt von Karthago

Im Gegensatz zum ersten Pakt von Karthago, der vor allem als Symbol der Einigkeit hat gelten sollen, sollte die Neuauflage des Vertrages ein Fingerzeig in die Zukunft werden. Eine selbstständige Kommission sollte die wichtigsten Probleme, die das Wachstum Tunesiens hemmen, identifizieren und Lösungsansätze vorgeben. Diese Lösungsansätze sollten gleichzeitig als Bilanz der letzten zwei Jahre und als Evaluation der Regierung Chahed gelten.

Im Zuge dieser Bewertung forderte der Exekutivdirektor von Nidaa Tounes, Hafedh Caid Essebsi, analog zum Generalsekretär der Gewerkschaft UGTT Noureddine Tarboubi, Chahed auf, seinen Posten zu räumen und den Weg für eine Regierungsumbildung freizumachen.

Bereits vor Monaten hatten Essebsi und Tabourbi Premierminister Chahed aufgefordert, im Falle einer Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 als Regierungschef zurückzutreten. Dieser hatte jedoch bis zuletzt betont, dass er Béji Caid Essebsi unterstützen werde und jetzt nicht für den Posten des Staatspräsidenten zur Verfügung stehe.

Der unterschriftsreife Vertrag beinhaltete 64 Punkte. Nach zügigen Verhandlungen kam man bei 63 Punkten inhaltlicher Natur, wie beispielsweise einer gemeinsamen Strategie zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise, zu einer Übereinstimmung. Lediglich der letzte Punkt, in Abwesenheit des Staatspräsidenten von Hafedh Caid Essebsi und Noureddine Tabourbi aufgenommen, sorgte für den Bruch. Dies war der Plan einer Regierungsumbildung ohne Youssef Chahed als Premierminister.

Der Staatspräsident, Vater des Exekutivdirektors von Nidaa Tounes, aber auch Fürsprecher seines Premiers hatte sich in den letzten Tagen zurückgehalten, nachdem er Chahed am 14. Mai noch den Rücken gestärkt hatte. Für viele ein Zeichen, dass Chahed im Lager der „Nidaaisten“ (StP Essebsi ist Mitbegründer der Partei und immer noch Symbol von Nidaa Tounes, auch wenn er seit Amtsantritt kein Amt mehr in der Partei ausführt) jetzt auch seinen prominenten Fürsprecher verloren hat.

So war auch die Aufkündigung des Paktes von Karthago von Seiten des Staatspräsidenten keine Überraschung mehr.

Die Rolle der anderen Partner

Es ist klar, dass Chahed in den letzten Monaten einen großen Vertrauensverlust innerhalb der Partner des Paktes von Karthago hat hinnehmen müssen. Tabourbi hat in der Vergangenheit den Premierminister mehrfach massiv angegriffen. Letztmalig war dies im April 2018 der Fall, als Chahed sich öffentlich für ein Ende des Lehrerstreiks aussprach und Tabourbi ihn deshalb beschuldigte, „die Eltern gegen die Gewerkschaften zu mobilisieren“.

Überraschenderweise hat sich in den letzten Tagen ein anderer Partner des Paktes von Karthago für den Verbleib Chaheds ausgesprochen. Die islamistische Ennahdha Partei, Koalitionspartner von Nidaa Tounes, betonte in Person des politischen Direktors der Partei Noureddine Arbaoui, dass Stabilität und Kontinuität enorm wichtig seien und dass die aktuelle Regierung und damit auch der Premierminister nur bedingt für die Krisen verantwortlich zu machen seien.

Eine Bedingung stellte Ennahdha dennoch. Im Zuge der Präsidentschaftswahlen 2019 fordert sie, verbrieft im Pakt von Karthago, dass der Premierminister nicht als Präsidentschaftskandidat antreten soll.

Ennahdha, aktuell stärkste Kraft im Parlament, könnte hiermit das Zünglein an der Waage werden, sollte Chahed die Vertrauensfrage stellen oder ein Misstrauensvotum zugelassen werden. Doch auch im Falle eines Votums im Parlament bleibt unklar, wer sich wie positionieren wird. Man kann davon ausgehen, dass es im Falle einer Abstimmung zu Brüchen in allen Fraktionen kommen wird.

Der Arbeitgeberverband UTICA hat sich in den letzten zwei Wochen auffällig zurückhaltend zur Zukunft des Premierministers geäußert. Aus verschiedenen Quellen ist jedoch zu hören, dass man sich eher für den Verbleib Chaheds aussprechen werde.

Wer behält die Oberhand – Wer fällt wem zum Opfer?

Die Entwicklungen im Fall Chahed sind schwer vorhersehbar. Hieß es noch am 15. Mai, dass er fest im Sattel säße, so wurde am 28. Mai erwartet, dass er bis Ende Mai zurücktreten würde.

Bei einer spontanen Fernsehansprache am 29. Mai wendete sich das Blatt erneut. Mit den Worten, dass er „seinem Volk ehrlich gegenüber treten müsse“ erklärte Chahed, dass seine Mission als Regierungschef noch nicht vorüber sei und er nicht zurücktreten werde. Des Weiteren appellierte er an die Sozialpartner, den Sozialdialog nicht einschlafen zu lassen, um das Land aus der Krise zu führen. Er zog seine eigene Bilanz nach knapp zwei Jahren der Regierungsführung. So habe die Regierung seit seinem Amtsantritt den Kampf gegen die Korruption angenommen, Kommunalwahlen und Reformen durchgeführt, die das Land langfristig besser dastehen lassen werden.

An seinen aktuell stärksten Kritiker Hafedh Caid Essebsi verlor Chahed ungewohnt scharfe Worte. So habe Essebsi mit seinem Beraterstab die Partei zerstört, was man an der verlorenen Mehrheit im Parlament und den schwachen Ergebnissen bei den Kommunalwahlen sehen könne. Außerdem sei „Nidaa Tounes nicht mehr die Partei, der ich damals beigetreten bin“, so Chahed. Eine solche Aussage kommt einer offenen Kriegserklärung an Essebsi gleich und setzt ihn und Nidaa Tounes unter Druck. Klar ist, dass Chaheds Aussage in der breiten Bevölkerung auf fruchtbaren Boden trifft. Ein Politikbarometer, welches am 30.5.2018 veröffentlicht wurde, stellt Hafedh Caid Essebsi als unbeliebtesten Politiker des Landes dar, der lediglich eine Zustimmung von 5 Prozent erfährt (Chahed hingegen gilt mit 33 Prozent als einer der beliebtesten Politiker). Auch Abgeordnete von Nidaa Tounes hatten Essebsi bereits im Vorfeld für seinen Alleingang kritisiert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Nidaa Tounes jetzt handeln muss, um nicht weiter an Zustimmung in der Bevölkerung zu verlieren. Dass die Rolle des Parteiführers in einem ordentlichen Parteitag neu festgelegt werden muss, liegt nahe. Ob sich Youssef Chahed als Gegenkandidat zu Hafedh Caid Essebsi zur Wahl stellen wird ist unklar.

Sicher ist auf jeden Fall, dass sich Chahed durch den Frontalangriff weitere Sympathien in der Bevölkerung sichern konnte. Auch wenn er den Machtkampf mit Hafedh Caid Essebsi verlieren sollte, wird er mit erhobenem Haupt aus der Affäre herausgehen.

Der karthagische Frieden wird wohl eher auf Kosten von Nidaa Tounes oder Hafedh Caid Essebsi eingeläutet werden. Ob dies dann tatsächlich die Zerstörung (des Paktes) von Karthago nach sich ziehen wird, bleibt jedoch fraglich.

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Dr. Holger Dix

Dr. Holger Dix

Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Subsahara-Afrika, Interimsleiter des Auslandsbüros Südafrika

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22. September 2017
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