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Veranstaltungsberichte

Der tunesische Islam

von Hatem Gafsi
Konferenz zu den islamischen Glaubenspraktiken der Tunesier

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In Rahmen des Programmes „die tunesische Identität" veranstalteten die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und Tounes Fatet bereits im Jahr 2016 eine Konferenz zum karthagischen Erbe Tunesiens sowie eine weitere Veranstaltung zum tunesischen Reformismus. Am 4.März 2017 luden sie nun verschiedene tunesische Wissenschaftler ein, um das Phänomen des tunesischen Islams kritisch zu diskutieren.

%Themen der Konferenz waren unter anderem die Vielfältigkeit des Islams in Tunesien, die Rolle der religiösen Institutionen in Tunesien und die Religion in Zeiten der Modernisierung.

Der Philosoph und Anthropologe Youssef Seddik eröffnete die Konferenz mit einem Überblick zur Entwicklung der vier sunnitischen Rechtsschulen. Die Gründer der Rechtsschulen hatten alle ein eher angespanntes Verhältnis zur Staatsmacht und weigerten sich zum Teil, die damals herrschenden Dynastien in der muslimischen Welt anzuerkennen. In Tunesien ist es die malikitische Rechtsschule, die sich politisch und gesellschaftlich durchsetze. Dies führte laut Seddik dazu, dass die religiöse und kulturelle Vielfalt, die in der Region existierte, verloren ging. Heute würde vor allem vor die Herausgabe von Fatwas (islamische Rechtsauskunft) die Hauptaufgabe von religiösen Institutionen ausmachen. Dies könne vor allem für einen modernen und demokratischen Staat aufgrund des Widerspruches zwischen der Scharia und dem positiven staatlichen Recht zu Problemen führen

Taoufik Ben Ameur, Professor für arabische Zivilisation an der Universität Tunis, führte im Anschluss in die Entwicklung des Sufismus in Tunesien ein. Im 8. Jahrhundert begann sich der Sufismus in Tunesien zu verbreiten und stieg, dank der Unterstützung der damals herrschenden Dynastien, den Almohaden und Hafsiden, im 12. und 13. Jahrhundert zu seiner Blütezeit auf. Der maghrebinische Sufismus entwickelte sich aus der Begegnung der nahöstlichen Sufismus-Strömungen (Abdelkader Jilani und Al-Ghazali) und den andalusisch-maghrebinischen Bewegungen (Boumediene al-Ghanth) heraus. Die sufische Tradition war tief im Alltagsleben der Bevölkerung verwurzelt und die Marabouts (islamischer Heiliger in Nord- und Westafrika) besaßen einen großen Einfluss auf die Menschen in Nord- und Westafrika.

Die Periode zwischen dem 14. Jahrhundert und der Unabhängigkeit Tunesiens im Jahr 1956 wird als Epoche der Turuq (Orden im Sufismus) beschrieben und deutet bereits ihre zentrale Rolle im Leben der maghrebinischen Gemeinden an. Die verschiedenen sunnitischen Sufiorden teilten die gleiche islamische Theologie, jedoch unterschiedenen sie sich in den Glaubenspraktiken. Die Orden und Bruderschaften ersetzen zum Teil den schwachen und wenig präsenten Staat in seiner ordnungspolitischen Rolle.

Seit der Unabhängigkeit Tunesiens nimmt der Einfluss der Sufi-Orden aufgrund der Auflösung der gemeinnützigen islamischen Stiftungen (habous im nordafrikanischen Raum) sowie der Modernisierung des Bildungssektors hin zu weltlichen und staatlich kontrollierten Einrichtungen ab.

Hinzu kommt, dass die Revolution in Tunesien im Jahr 2011 neben der Entstehung von demokratischen und transparenten politischen Strukturen auch den Anstieg von salafistischen Strömungen verzeichnete. Ihre Anhänger zerstörten in den Jahren nach der Revolution zahlreiche sufische Kulturstätten, und auch heute noch bekämpfen sie die Präsenz des Sufismus in Tunesien.

Adel Belkahla ging in seinem Vortrag auf die Entwicklung der malikitischen Rechtschule in Tunesien ein. Laut Belkahla muss diese Rechtsschule vor allem aus ihrem ethnologischen Kontext verstand werden, da es der Ritus der Bewohner in Medina im 7.Jahrhundert war. Die Dominanz dieser Rechtsschule hielt mit der Zirid-Dynastie im Maghreb Einzug, da diese sie als Staatsritus annahm.

Die Entwicklung der Zeitouna-Moschee, einer wichtigsten religiösen und religionswissenschaftlichen Zentren in Nordafrika, von einer heiligen Stätte zur Universität war das Thema des Beitrages Monia Alimis, Professorin an der Universität Zeitouna. In der Zeit vor der tunesischen Unabhängigkeit herrschte eine enge Beziehung zwischen der Zeitouna und den Menschen in Tunesien. Dies zeige sich zum Beispiel in der zentralen Rolle, die die Zeitouna in der Bekämpfung der französischen Besatzung spielte. Dies jedoch änderte sich mit den Reformmaßnahmen, die nach der Unabhängigkeit in Tunesien einsetzten, und die unter anderem die Umstrukturierung des Bildungssektors betrafen.

Der Soziologe Esghaier Chamakh referierte zum religiösen Diskurs unter Tunesiens erstem Präsidenten Habib Bourguiba. In den 1980er Jahre wurde die arabisch-muslimische Identität Tunesiens innen- und außenpolitisch stärker herausgestellt und erhielt im politischen und parteipolitischen Diskurs stärkeren Einfluss. Die Haltung Bourguibas zur Religion zeige hingegen Widersprüche: Auf der einen Seite zeigte er sich positiv gegenüber der Religion in offiziellen Reden, übte jedoch auf der anderen Seite Kritik an Glaubenspraktiken.

Issa Jabli, Wissenschaftler in islamischer Zivilisation, schloss die Veranstaltung mit einem Vortrag zum gemäßigten Charakter des tunesischen Islams ab. Politisch wurde der Begriff der Mäßigkeit vor allem als Gegenideologie zum politischen Islam genutzt und in dieser Kapazität von Tunesiens internationalen Partnern unterstützt. Gesellschaftlich ermögliche ein gemäßigter Islam, dass Praktiken des Volksislam wie der Besuch von sufischen Stätten und eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Religion möglich und akzeptiert seien. Zudem stelle er ideologisch dem wahhabitischen Salafismus eine Glaubenspraktik entgegen, die Toleranz und die Akzeptanz von Andersgläubigen propagiert. Jedoch ist eine gemäßigte Religionsausübung noch nicht überall in Tunesien akzeptiert. Er schloss seinen Vortrag mit dem Fazit ab, dass der tunesische Islam nicht nur eine ideologische Fiktion, sondern ein tunesisches Glaubenskonzept sei, das historisch begründet ist.

Über 100 Interessierte nahmen als Zuhörer an der Konferenz teil. Neben zahlreichen jungen Gästen waren auch einige indonesische Studenten präsent. Die Fragen und Diskussionen während der Konferenz beschäftigten sich vor allem mit der Rolle der religiösen staatlichen Institutionen wie dem Mufti der Republik Tunesien, die Beziehung zwischen den sufischen Orden und der Staatsmacht. Eine rege Debatte entstand auch zu der Frage, was die Befreiungstheologie zum religiösen Diskurs beitragen kann.

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