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Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Arbeit unter Gleichstellungsaspekten

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Die Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen in den Führungspositionen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen wird unter anderem auch dem allgemein postulierten Erfordernis der 100-prozentigen Verfügbarkeit von Wissenschaftler (inne)n zur Erfüllung ihrer Aufgabe zugeschrieben. Das Selbstverständnis dieser Berufsgruppe trägt dem Spannungsverhältnis zwischen Erwerbstätigkeit und Berufung nach wie vor Rechnung, wie die Aussage „Man muss dafür glühen …“ in einer aktuellen Untersuchung der Technischen Universität Dortmund zeigt (www.zhb.tu-dortmund.de/hd/mobile_dropouts). Andererseits wachsen die Widerstände von Nachwuchswissenschaftler(inne)n, sich diesem Diktat zu unterwerfen.

Annette Schavan hat 2008 in dieser Zeitschrift konstatiert: „Wissenschaft braucht den Menschen ganz. Fest steht aber auch: Wissenschaft und Forschung brauchen ganze Menschen“ (Nr. 459, Februar 2008). Sie folgerte daraus, dass die Forschungsstrukturen einer besseren Organisation bedürften, um die Verschiedenheit von Lebensentwürfen besser unterstützen zu können.

 

Was passiert wissenschaftspolitisch?

Seitdem sind fünf Jahre vergangen, in denen wichtige Maßnahmen von Bund und Ländern ihre Wirkungen entfaltet haben: Offensive für Chancengleichheit, Professorinnen-Programm des Bundes und der Länder, Hochschulpakt 2020, forschungsorientierte Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Pakt für Forschung und Innovation, Zielquoten-Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK).

Insgesamt haben diese Programme in den wissenschaftlichen Einrichtungen eine positive gleichstellungspolitische Dynamik entfaltet, die es weiter zu stabilisieren und auszubauen gilt. Gemeinsam ist diesen Programmen allerdings auch, dass sich die darin vereinbarten Ziele und Vorgehensweisen als zu wenig verbindlich und ihre Erreichung als zu wenig überprüfbar herausgestellt haben, wie etwa ein Rechtsgutachten von Susanne Baer konstatiert (www.bmbf.de/pub/massnahmenfoerderung_chancengleichheit_wissenschaft.pdf). Diese Erkenntnis spiegelt sich in den aktuellen Empfehlungen des Wissenschaftsrates wider: „Die gleichstellungspolitischen Ziele sind konkreter als 2006 zu formulieren, überprüfbarer zu strukturieren und mit organisationsinternen finanziellen Anreizen auszugestalten“ (www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2218-12.pdf).

 

„Gender Pay Gap“

 

Der Frauenanteil an den Professuren in Deutschland hat sich über alle Besoldungsgruppen und Fächer hinweg in der Dekade 2000 bis 2010 insgesamt von 10,6 Prozent auf 19,2 Prozent erhöht, die vier außeruniversitären Forschungsorganisationen Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), Helmholtz-Gemeinschaft (HGF), Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und Leibniz-Gemeinschaft (WGL) wiesen in ihren Führungspositionen im selben Zeitraum eine Steigerung von 5,7 Prozent auf 11,3 Prozent auf (www.gwk-bonn.de/fileadmin/ Papers/GWK-Heft-29-Chancengleichheit.pdf). Vor dem Hintergrund der langjährigen, zahlreichen und vielfältigen Gleichstellungsbemühungen von Bund und Ländern können diese Steigerungsraten nicht befriedigen. Bei gleichbleibendem Tempo würden sie bedeuten, dass erst gegen Ende dieses Jahrhunderts eine Geschlechterparität an deutschen Hochschulen eintreten würde. Hinzu kommt, dass bei einer genauen Analyse des GWK-Datenmaterials durchaus auch negative Details und Tendenzen zutage treten.

Herausgenommen seien hier nur die Differenzen bezüglich des Frauenanteils bei den aktuell sechs möglichen Besoldungsstufen für Hochschulprofessuren. Die Zahlen aus dem Jahr 2010 geben Aufschluss darüber, wie sich der Gesamtanteil von Frauen – 19,2 Prozent (absolute Zahl: 7.769) – verteilt: C-4 Professuren besetzen Frauen mit 10,6 Prozent, W 3 mit 19,0 Prozent, C 3 mit 15,2 Prozent, W 2 mit 25,0 Prozent, C 2 mit 21,1 Prozent und W 1 mit 37,8 Prozent.

Prozentual ist der in der vergangenen Dekade gestiegene Frauenanteil in den Besoldungsgruppen wesentlich höher, die 2006 eingeführt wurden und im Grundgehalt geringer bezahlt werden (W 3, W 2 und W 1). Die W-Besoldung verstärkt daher paradoxerweise die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, den sogenannten gender pay gap bei wachsendem Frauenanteil. Frauen kommen zu einem Zeitpunkt verstärkt in solche Führungspositionen, deren Dotierung und Reputation sinken. Sogar die raren Spitzenpositionen in der Wissenschaft bieten also keine außergewöhnlichen Verdienstperspektiven für Nachwuchswissenschaftler/-innen (mehr).

 

Was tun?

In der aktuellen Situation muss Gleichstellung als strategische Aufgabe in den wissenschaftlichen Einrichtungen verankert werden. Es sollten möglichst konkrete Entscheidungen getroffen werden; im Vordergrund steht dabei Folgendes: Die Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sollten über das Jahr 2013 hinaus in der übergeordneten Zuständigkeit der DFG verbleiben, um die hohe Reputation dieser Wissenschaftsorganisation für das Gleichstellungsthema zu nutzen. Die Standards sollten im Rahmen des Umsetzungsprozesses qualitativ weiterentwickelt und die Förderentscheidungen der DFG – auch im Rahmen der Exzellenzinitiative – an die Bewertung der Umsetzung der Gleichstellungskonzepte gebunden werden. Außerdem ist der Beschluss gefasst worden, das Professorinnen-Programm von Bund und Ländern von 2013 bis 2017 weiterzuführen, um der positiven Evaluation seiner grundlegenden gleichstellungsfördernden Impulse Rechnung zu tragen und die nachhaltige Wechselwirkung mit den DFG-Gleichstellungsstandards fortzuführen (siehe Karin Zimmermann, www.hof.uni-halle.de/dateien/ab_6_2012.pdf).

Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sollten dazu verpflichtet werden, flexible, am Kaskadenmodell orientierte verbindliche Zielquoten zu implementieren. Ihre Einführung und Überprüfung muss transparent sein, und Misserfolge bei der Zielerreichung sollten in der regulären Mittelzuweisung angemessen berücksichtigt werden. Das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (Center of Excellence Women and Science – CEWS) hat zu dieser Empfehlung ein ausführliches Positionspapier mit konkreten Umsetzungsvorschlägen vorgelegt (www.gesis.org/cews/fileadmin/cews/www/download/CEWS-Position-Quote_2-12.pdf). Der Monitoring-Bericht 2010 des Paktes für Forschung und Innovation hält fest, „dass aktive Rekrutierungsbemühungen und Zielquoten für die forschungsorientierte Förderung von Frauen unverzichtbar sind und die Anwendung des Kaskadenmodells – Orientierung an der Frauenquote in der jeweils darunterliegenden Qualifikationsstufe – bei der Besetzung von Beschäftigungspositionen unbedingt erforderlich ist“ (GWK-Page siehe oben, Heft 23). Auch der Wissenschaftsrat kommt 2012 auf dieses unbedingte Erfordernis zurück, nachdem er sich bereits in seinen Empfehlungen 1998 für Zielquoten nach dem Kaskadenmodell ausgesprochen hat.

Die Beschäftigungsbedingungen für Wissenschaftler/-innen unterhalb der Beschäftigungskategorie Professur müssen verbessert werden, um eine bessere Planbarkeit der Karrierewege zu gewährleisten. Das bedeutet im Einzelnen, dass mehr unbefristete Stellen für promovierte Wissenschaftler/-innen geschaffen werden sollten, die Laufzeiten von befristeten Arbeitsverträgen zu verlängern sind und vermehrt Tenure-Track-Modelle angeboten werden sollten. Dem gender pay gap im Wissenschaftsbereich sollte durch eine transparente Professorenbesoldung, die Einführung eines Wissenschaftstarifvertrags und die angemessene Ausstattung von Sonderprogrammen entgegengewirkt werden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat die umfassenden Erfordernisse eines attraktiven Arbeitsplatzes Wissenschaft im Jahr 2012 im sogenannten Herrschinger Kodex vorgelegt (www.gew.de/Binaries/ Binary92222/Bro_Hersch_Kodex_web.pdf).

Aktive Rekrutierungsbemühungen durch die Wissenschaftsorganisationen sollten die Maßnahmen ergänzen.

 

Work-Life-Balance

Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) hebt Ende 2012 in seiner Publikation Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben als Voraussetzung für Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt folgende Feststellungen besonders hervor:

 

- Nach wie vor nutzen hauptsächlich Frauen den Anspruch auf Elternurlaub.

- Das festgelegte EU-Ziel von Barcelona eines mindestens 33-Prozent-Anteils von Kindern unter drei Jahren, die sich in formeller Betreuung befinden, wird von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten immer noch verfehlt.

- Die Prozentsätze einer formellen Betreuung von pflegebedürftigen älteren Personen – stationär, semistationär oder zu Hause – sind niedrig.

 

Alle drei Schlussfolgerungen aus europaweiten Untersuchungen gehen auch in Deutschland vor allen Dingen zulasten der Chancengerechtigkeit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen würden in Deutschland eine zwischen Männern und Frauen gleichmäßigere Aufteilung von Betreuungsaufgaben und der Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglichen. Dieser Weg zur besseren Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft wird aber auch in Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus unterschiedlichen Gründen noch nicht in zufriedenstellendem Umfang beschritten. Es gilt deshalb, die Rahmenbedingungen sukzessive zu erweitern und verbindlicher zu gestalten.

Allgemein gesellschaftspolitisch bedeutet das: Das familienpolitische Instrument der Elternzeit hat zu ersten Veränderungen hinsichtlich der gleichmäßigeren Verteilung der Betreuungsarbeit zwischen Müttern und Vätern geführt; diese Entwicklung sollte durch geeignete politische Initiativen weiter vorangetrieben werden. Der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen – insbesondere für unter Dreijährige – sollte wie geplant weiter forciert und gefördert werden. In wissenschaftlichen Einrichtungen muss dabei den besonderen Belangen von wissenschaftlichen Beschäftigten und studierenden Eltern Rechnung getragen werden – unter Wahrung angemessener Qualitätsstandards. Das bereits in Kraft getretene Gesetz zur Familienpflegezeit sollte weiterentwickelt werden, um flexiblere Arbeitszeitregelungen mit einem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und Rückkehr in den Beruf zu gewährleisten. Zudem sollte die pflegebedingte Auszeit nicht allein von den Arbeitnehmer/-innen finanziert werden müssen, wie es bisher der Fall war.

Die familienpolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertrages (§ 2 Absatz 1 Satz 3 WissZeitVg) wird in der Praxis nach wie vor zu selten genutzt; die bisher optionale Regelung sollte in einen Rechtsanspruch der beschäftigten Wissenschaftler/-innen auf Vertragsverlängerung umgewandelt werden, um ihnen und den wissenschaftlichen Einrichtungen eine sichere Rechtsgrundlage zu bieten. Außerdem sollten der Ausfall oder die Teilzeittätigkeit von Mitarbeiter/-innen in einem befristeten Drittmittelprojekt aus familiären Gründen – Mutterschutz, Elternzeit und Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger – durch eine einheitliche Regelung für alle Zuwendungsgeber entsprechend den Standards der bestehenden DFG-Regelungen gesetzlich vorgegeben werden. Das Work-Life-Balance-Konzept muss allerdings weit über familienfreundliche Maßnahmen hinausgehen und zum Beispiel auch Aspekte des lebenslangen Lernens, altersgerechter Arbeitsgestaltung und der Gesundheitsprävention berücksichtigen, um Hochschulen und Forschungseinrichtungen für Mitarbeiter/-innen während einer ganze Lebensspanne attraktiv zu machen. Grundlegend müssen sich vereinbarkeitsrelevante Einstellungen von Vorgesetzten, Mitarbeiter/-innen und Studierenden hin zu größerer Geschlechtergerechtigkeit verändern und in der Folge diesbezügliche Verhaltensmodifikationen im Arbeitsalltag verfestigt werden. Die wissenschaftliche Arbeitspraxis sollte ein ausgewogenes Verhältnis von Berufs-, Familien- und individuellem Privatleben im Interesse aller Beteiligten ermöglichen. Erst wenn die geschlechtergerechte Teilhabe an Führungspositionen in der Wissenschaft erreicht ist, die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler/innen grundlegend verbessert sind, ihre Karriereperspektiven berechenbarer sind und eine gute Balance zwischen ihrem Berufs- und Privatleben gewährleistet ist, könnten wir auf „ganze Menschen“ zählen, die in der Lage und willens sind, in Wissenschaft und Forschung kontinuierlich sehr gute Arbeit zu leisten.

 

Jutta Dalhoff, geboren 1958 in Recklinghausen, seit 2006 Leiterin des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung, GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Köln.