Vor bald einhundert Jahren stellte Max Weber in seinem Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“ die „plutokratische“ Universitätslaufbahn in Deutschland der „bürokratischen“ in den Vereinigten Staaten gegenüber und resümierte hinsichtlich der „äußeren Bedingungen des Gelehrtenberufs“ in Deutschland: „Das akademische Leben ist ... ein wilder Hasard.“ Ob man je nicht nur für, sondern auch von der Wissenschaft leben könne, hänge in der Wissenschaft mehr als anderswo von glücklichen Zufällen ab, und guten Gewissens könne man niemandem raten, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Webers Resümee wird auch heute noch immer wieder zitiert, obwohl sich die Laufbahnen in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland verändert haben. Ein Vergleich ist jedoch auch heute instruktiv.
In den Vereinigten Staaten stellt schon die Entscheidung zu promovieren eine erste Entscheidung für eine wissenschaftliche Laufbahn dar. Zwar bleibt nur weniger als die Hälfte der Promovierten längerfristig an Universitäten, doch ist der Anteil erkennbar höher als in Deutschland. An die Promotion schließt sich häufig und zumal in den Naturwissenschaften eine kurze Phase von wenigen Jahren als Postdoctoral Researcher (Postdoc) an, die als Mitglied einer Arbeitsgruppe an einer Forschungsuniversität verbracht wird und dazu dient, die eigenen Kenntnisse zu erweitern und das eigene Forschungsprofil zu schärfen. Grundsätzlich aber berechtigt die Promotion dazu, sich an allen Universitäten außer der, an der man promoviert wurde, auf Stellen als Assistant Professor zu bewerben. Diese Stellen bilden die sogenannte Junior Faculty; sie sind auf meist sechs Jahre befristet, aber der Senior Faculty – den unbefristet beschäftigten Professoren – in den Aufgaben gleichgestellt. In der Regel sind Stellen als Assistant Professor mit einer Tenure-Track-Option ausgestattet, die es ermöglicht, nach einer formalen Evaluation gegen Ende der Laufzeit in eine unbefristete Stelle als Associate Professor übernommen zu werden; die Evaluation kann dabei an Forschungsuniversitäten durchaus anspruchsvoll sein, die Evaluationskriterien sind allerdings transparent. Nach meist weiteren sechs Jahren besteht die Möglichkeit eines Aufstiegs zum Full Professor.
In Deutschland beginnt die Universitätslaufbahn eigentlich erst nach der erfolgreichen Promotion; kaum jeder zwanzigste Promovierte verbleibt längerfristig an der Universität. Die Zahl der jährlich abgeschlossenen Promotionen übersteigt die der Professuren an Universitäten, wenngleich auch nur gering. Darin drückt sich zum einen aus, dass in Deutschland vergleichsweise viele Studienabgänger promovieren (wie viele genau, ist unbekannt, bekannt ist nur die Zahl der abgeschlossenen Promotionen); zum anderen spiegelt sich in dieser Zahl wider, dass die Promotion nicht immer mit Blick auf eine Universitätslaufbahn begonnen wird – im Fachbereich Chemie etwa ist sie sogar Voraussetzung zum Einstieg in außeruniversitäre Berufe.
Die Promotion gilt nicht als Lehrbefähigung; diese wird durch den Nachweis „weiterer wissenschaftlicher Leistungen“ erbracht. Der traditionelle Nachweis besteht in der Habilitation als Assistent oder Mitarbeiter an einem Lehrstuhl. Neben die Habilitation sind im letzten Jahrzehnt mit der Juniorprofessur und der Nachwuchsgruppenleitung weitere mögliche Laufbahnen getreten.
Die Juniorprofessur ist eine auf sechs Jahre befristete Professur; eine erfolgreiche Zwischenevaluation nach drei Jahren gilt als Nachweis habilitationsäquivalenter Leistungen. Mit ihrer Einführung im Jahre 2002 verband sich unter anderem die Zielsetzung, dem akademischen Nachwuchs eine frühe Selbstständigkeit zu ermöglichen, das durchschnittliche Erstberufungsalter zu senken. Zudem sollte durch die Möglichkeit von Tenure-Track-Optionen – der Möglichkeit der Übernahme auf eine unbefristete Professur – nach amerikanischem Vorbild die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren gesteigert werden. Diese Ziele wurden nur teilweise erreicht: Der Grad der Selbstständigkeit schwankt; Juniorprofessoren sind bei Auslaufen der Stelle nicht wesentlich jünger als habilitierte Forscher; nur ein kleiner Anteil der Juniorprofessuren verfügt über eine Tenure-Track-Option. Die Zahl von Juniorprofessuren stagniert auf einem niedrigen Niveau.
Nachwuchsgruppen an Universitäten sind drittmittelgeförderte Forschungsprojekte, die auf meist fünf Jahre befristet sind; 1996 legte die Volkswagen-Stiftung erstmalig ein entsprechendes Förderformat auf. Sie sollten ebenfalls eine frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit und zugleich den Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe ermöglichen. Eine Tenure-Track-Option besteht für Nachwuchsgruppenleiter an Universitäten nicht.
Die akademischen Laufbahnen in den Vereinigten Staaten und Deutschland unterscheiden sich in mehreren, teilweise miteinander zusammenhängenden Punkten. Beide Länder kennen ein formales Berufungsverfahren, wobei dieses in den Vereinigten Staaten nach der Promotion, in Deutschland nach der Habilitation (beziehungsweise äquivalenten Leistungen) stattfindet. Dem deutschen Hausberufungsverbot entspricht in Amerika die Forderung, nicht den eigenen Nachwuchs zu berufen.
Mehr oder weniger planbar
In den Vereinigten Staaten wie in Deutschland fällt die Entscheidung über den Verbleib auf einer unbefristeten Stelle vergleichsweise spät (anders als etwa in Frankreich oder Großbritannien). Wenn man also konstatiert, in Deutschland sei die wissenschaftliche Laufbahn weniger planbar als in Amerika, so ist dies weniger dem Unterschied zwischen einem Habilitations- und einem Tenureverfahren geschuldet, sondern dem Umstand, dass in Amerika das Berufungsverfahren der Entscheidung über eine unbefristete Anstellung vorausgeht: In den Vereinigten Staaten gilt die Promotion als hinreichende Qualifikation für eigenständige Forschung und Lehre, in Deutschland hingegen schließt sich eine weitere Qualifikationsphase an.
Der Unterschied zwischen der Bewährung als Forscher und der Qualifikation zum Forscher spiegelt sich in der Zahl der Wissenschaftler auf den verschiedenen Qualifikationsstufen wider. Mehr als vier Fünftel des wissenschaftlichen Personals in den Vereinigten Staaten sind Professoren, die meisten davon entfristet; daneben gibt es eine geringere Zahl von Wissenschaftlern auf drittmittelfinanzierten Forschungsstellen. (Postdocs werden – als nur kurzzeitig beschäftigte (Gast-)Wissenschaftler – in der Statistik nicht erfasst.)
In Deutschland hingegen stellen Professoren weniger als ein Fünftel des Personals; ihnen stehen mehr als viermal so viele Assistenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und sogenannte Lehrkräfte für besondere Aufgaben gegenüber, von denen nur ein kleiner Teil unbefristet beschäftigt ist. Wenn man bedenkt, dass Professuren bei einem durchschnittlichen Erstberufungsalter von über vierzig Jahren für einen Zeitraum von etwa 25 Jahren besetzt bleiben, lässt sich leicht erkennen, dass das Verhältnis von Nachwuchsforschern zu Professuren in Deutschland deutlich ungünstiger (für die Nachwuchsforscher) ist. Es ist vor allem dieses im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ungünstigere Verhältnis von befristeten zu unbefristeten Stellen an Universitäten, in dem sich die größere Unsicherheit der universitären Laufbahn ausdrückt; die Einrichtung zusätzlicher befristeter Stellen im Rahmen der Exzellenzinitiative hat dieses Verhältnis in den vergangenen Jahren noch einmal merklich verschoben. Die Zahlen differieren allerdings je nach Fachgebiet stark.
Dass diese Lage von vielen als unbefriedigend empfunden wird, ist bekannt; sie beeinflusst die Attraktivität einer wissenschaftlichen Laufbahn in Deutschland gegenüber Karrieren außerhalb der Wissenschaft, aber auch gegenüber einer wissenschaftlichen Karriere im Ausland. Besonders für Frauen stellt sich die Frage, ob sich eine wissenschaftliche Karriere mit einer Familiengründung vereinbaren lässt, und die immer noch geringe Anzahl von Professorinnen in Deutschland resultiert auch daraus, dass viele Frauen diese Frage für sich verneinen: Es werden zwar mehr Frauen auf eine Professur berufen, als ihrem Anteil an den Bewerbungen entspräche, zugleich aber weniger, als es angesichts ihres Anteils an berufungsfähigen Forschern zu erwarten wäre.
Nicht anziehend genug
Eine nicht geringe Zahl von Nachwuchswissenschaftlern verlässt Deutschland. Ein Indikator für die Attraktivität Deutschlands als Forschungsstandort ist das Ergebnis der Förderentscheidungen des Europäischen Forschungsrats (European Research Council – ERC) bei der Vergabe von Fördermitteln für jüngere Wissenschaftler (ERC Starting Grants) und etablierte Wissenschaftler (ERC Advanced Grants) – etwa zwei Drittel der Bewilligungen entfallen dabei auf Starting Grants. Betrachtet man die Herkunftsländer der Geförderten, liegt Deutschland an erster Stelle; betrachtet man hingegen die Länder, in denen die beantragten Forschungsvorhaben durchgeführt werden, findet sich Deutschland auf dem dritten Platz nach Großbritannien und Frankreich. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass Forschern in Deutschland attraktive Alternativen zur Beantragung von ERC Grants zur Auswahl stehen, belegt diese Diskrepanz, dass viele gute Wissenschaftler aus Deutschland das Land verlassen haben, Deutschland aber umgekehrt nicht im gleichen Maße Forscher aus dem Ausland anzieht.
Man muss aber nicht nur fragen, ob das Laufbahnsystem gut für (jüngere) Wissenschaftler ist, sondern auch, ob es gut für die Wissenschaft ist – wenngleich beides nicht unabhängig voneinander ist. Für das deutsche System wird angeführt, es diene der Bestenauslese, und es ist nicht unplausibel, zu vermuten, dass sich nach einer langen Qualifikationsphase die Leistung von Wissenschaftlern besser beurteilen lässt als kurz nach der Promotion. Zwar deuten die Erfolge des amerikanischen Wissenschaftssystems nicht darauf hin, dass eine frühe Auswahl notwendig schlechter sein muss. Doch wenn man auswählt, muss es einen Überschuss an Bewerbern geben, damit man tatsächlich eine Wahl hat, und insofern könnte es sinnvoll sein, dass wenigen Professuren eine größere Zahl von Mitarbeiterstellen gegenübersteht.
Doch die Auswahl ist bei einem Berufungsverfahren oft nicht so groß, wie man meinen könnte. Erstens ist ein Teil potenzieller Kandidaten nicht mehr in der Wissenschaft (oder nicht mehr in Deutschland).
Zweitens – und nicht weniger wichtig – bedeutet eine späte Auswahl auch eine Einschränkung der Zahl der potenziellen Bewerber, denn in Frage kommen nur Forscher, die einerseits schon berufungsfähig, andererseits aber noch nicht zu alt sind, um berufen zu werden.
Hinzu tritt drittens in Deutschland ein Umstand, der die Auswahl nochmals einschränkt: Anders als in den Vereinigten Staaten werden Professuren häufig mit einem sehr spezifischen Profil – einer besonderen Forschungsrichtung, bestimmten Schwerpunkten – ausgeschrieben, aber zugleich mit der Anforderung versehen, „das Fach in seiner Breite“ vertreten zu können. Dies war früher oft durch den Wunsch bedingt, den Schwerpunkt einer Professur bei der Neubesetzung fortzuführen. Heute wird dieser Anspruch oft durch die Anforderung begründet, sich in institutionelle Schwerpunkte einzufügen.
Offen und flexibel berufen
In den Vereinigten Staaten können Professuren offener ausgeschrieben werden. Zum einen können Professuren ohne Spezifizierung der Stellung ausgeschrieben und je nach der Erfahrung des erfolgreichen Kandidaten als Assistant Professor, Associate Professor oder Full Professor besetzt werden; zum anderen lassen Ausschreibungen häufig die genaue Spezialisierung und die Forschungsschwerpunkte offen. Diese Art der Ausschreibung ermöglicht es, aus einer großen Zahl von potenziellen Bewerbern auswählen zu können, ohne dass es dafür einer vergleichbar großen Zahl von Nachwuchsforschern wie in Deutschland bedürfte. Zugleich ermöglicht dies Wissenschaftlern, sich auf weniger etablierte Forschungsrichtungen zu spezialisieren, ohne befürchten zu müssen, später nicht in ausgeschriebene Stellenprofile zu passen. Universitäten können umgekehrt umso leichter spezialisierte Forscher berufen und dennoch die Fächer breit vertreten, je höher der Anteil und damit die Zahl von Professuren auf einem Gebiet ist.
Die wissenschaftliche Laufbahn und die Personalstruktur amerikanischer Universitäten einerseits und die Offenheit und Flexibilität der Berufungen andererseits hängen zusammen; von beidem kann man lernen.
Cornelis Menke, geboren 1973 in Kiel, Dilthey-Fellow der VolkswagenStiftung, Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld, Sprecher der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.