Der Länderfinanzausgleich läuft 2019 ersatzlos aus. Insofern ist eine Ersatzregelung politisch erforderlich. Der Blick auf den föderalismuspolitischen Diskurs zeigt bisher vor allem die bekannten Positionierungen zwischen Geber- und Empfängerländern sowie zwischen ausgleichs- und anreizorientierten Grundpositionen. Hier sind kaum innovative Überlegungen zu verorten. Beide Seiten kann man verstehen. Sicher braucht das Saarland einen Ausgleich für die durch Einpendler hervorgerufene Schieflage in der Steuerverteilung. Und sicher ist die hohe Zahllast Bayerns den Bürgern – nicht nur in Bayern – politisch schwer zu vermitteln. Auch oder vielleicht gerade weil jedes Bundesland über einen Ansatzpunkt zur Begründung höherer Finanzausgleichsansprüche nachdenkt, wird von der Reform derzeit kaum ein „großer Wurf“ erwartet. Keiner darf sein Gesicht verlieren. Die Verluste müssen sich in Grenzen halten. Der finanzielle Spielraum für Umverteilungsgewinner ist deutlich eingeschränkt. Auch wenn alle Länder auf den Bund schauen: Sein finanzielles Befriedungspotenzial ist – bedingt durch die finanziellen Lasten der EU-Staatsschuldenkrise – beschränkt. Insiderberichte aus früheren Verhandlungsrunden deuten auf einen sehr engen Veränderungskorridor hin.
Politisch bedeutsamer ist die Frage, ob dieser umverteilungspolitische Diskurs die staats-, föderalismus- und finanzpolitischen Herausforderungen Deutschlands genügend aufnimmt. Die eine oder andere Verschiebung zwischen den Ländern löst kaum eines der anstehenden Probleme, vom abflachenden Wirtschaftswachstum bis zum demografischen Wandel und der hohen Staatsverschuldung. Der auf Umverteilungsfragen fixierte Blick verhindert die freie Sicht auf die zentralen Herausforderungen.
Grenzen des Schuldenstaates
Erschwerend kommt hinzu, dass die aktuelle finanzpolitische Lage zwar Entspannung und eine Tendenz zum Haushaltsausgleich bei Bund, Ländern und Gemeinden signalisiert. Aber parallel dazu nehmen die fiskalischen Disparitäten zu, sind einzelne Länder und zahlreiche Kommunen deutlich überschuldet und setzt sich der staatliche Schuldenzuwachs weiter fort. Die Bonität hoch verschuldeter Länder und Kommunen wird neu eingeschätzt. Die Kreditwirtschaft verändert ihre Kreditvergabepraxis. Das Zinsänderungsrisiko bleibt hoch, und die Konjunkturfestigkeit von Schuldenbegrenzungen und Konsolidierungsmaßnahmen wird in den nächsten Jahren erst getestet. Eine Steigerung der Zinsen um wenige Prozentpunkte würde die Finanzierbarkeit des „Schuldenstaates“ an ihre Grenze führen. Konjunkturelle „windfall profits“ dürfen nicht mit strukturellen Reformen verwechselt werden.
Darüber hinaus sind Gerechtigkeits- und Gleichheitsfragen in den letzten Jahren immer dominanter geworden. Insgesamt hat man sich stärker auf die Bedarfs- und Ergebnisgerechtigkeit konzentriert, während bei der Leistungsgerechtigkeit ein massiver Bedeutungsverlust zu beobachten ist. In Deutschland leistet man sich in vielen Politikbereichen eine Umverteilungs- und Ausgleichspolitik mit hohen Streuverlusten und vernachlässigt die Finanzierung investiver Aufgaben einschließlich der Instandhaltungsaufgaben. Die Kraft zur Aufgabenkritik ist insgesamt nur schwach ausgeprägt, und neue Aufgaben werden weitgehend über Verschuldung finanziert.
Grundfragen
Blickt man auf die politischen Reformagenden zum Finanzausgleich, so begegnet man vielen, teils konfliktären Forderungen und Zielen. Begriffe wie „Solidarität“, „Wettbewerb“, „Anreizorientierung“, „Nachhaltigkeit“ und „Transparenz“ haben ein hohes Konsenspotenzial. Wer kann da schon dagegen sein? Erst wenn die Diskussion konkreter wird, treten die Unterschiede deutlicher hervor: Wie wollen wir zukünftig mit Ungleichheiten im Raum umgehen? Wie interpretieren wir das Postulat gleichwertiger Lebensbedingungen in Zeiten von Schrumpfung, Überalterung und räumlicher Konzentration von Langzeitarbeitslosen?
Die skizzierte Lage führt zu weiteren Fragen, die staatspolitisch auf eine grundsätzliche Ebene führen und den Finanzausgleich von hier aus neu beleuchten: Sollte man der einnahmeorientierten Ausgleichsphilosophie, die davon ausgeht, dass die Unterschiede der Ausgabenbedarfe zwischen den Ländern aufgrund des hohen Aggregationsniveaus vernachlässigbar gering sind, weiter folgen? Oder vertikalisiert man die Steuerverteilung, um die Mittel in einem zweiten Schritt zieladäquat und aufgabenorientiert zu verteilen?
Wie ist der Zunahme der ökonomischen, sozialen und fiskalischen Disparitäten zu begegnen? Gerade in Ländern mit altindustriellen Problemkonzentrationen existieren regionale und kommunale Abwärtsspiralen mit hohen gesellschaftlichen Folgekosten.
Was ist zu tun, damit gerade in den Ländern mit geringerer Konsolidierungsbereitschaft der Weg zum Haushaltsausgleich und zum Altschuldenabbau beschritten werden kann? Die Schuldenbremse kann eingehalten werden, aber nur bei konsequentem Handeln im richtigen Ordnungsrahmen.
Damit hängen auch die weiteren Fragen zusammen: Wie können wir Aufgabenkritik und Standardflexibilisierung intensivieren und verhindern, dass immer neue Aufgaben generiert werden, ohne parallel die dauerhaft notwendige Finanzierungsbasis sicherzustellen?
Und schließlich stellt sich die Frage, welche Intensität der Lastenverschiebungen zwischen den föderalen Ebenen, zwischen den Akteuren gleicher Ebene, zwischen Generationen und zwischen sozialen Gruppen zugelassen wird. Der Klageweg – ob im Länder- oder im Kommunalfinanzausgleich – trägt zumeist wenig zur Lösung bei.
Wer hier nach grundsätzlichen finanzausgleichspolitischen Orientierungspunkten sucht, der sei auf das gute, alte Korrespondenzprinzip verwiesen. Würden wir die Korrespondenzen zwischen „Entscheidern“, „Kostenträgern“ und „Nutzern“ im föderalen Staat wieder stärken, dann wäre sehr viel gewonnen. Die Stärkung des Subsidiaritäts-, Äquivalenz- und Konnexitätsprinzips würde den deutschen Föderalismus erheblich verbessern helfen.
Fünf Thesen
Geht man diesen Fragen im Hinblick auf ihre konkreten Veränderungsimpulse nach, so treten zumindest fünf Handlungskomplexe in den Vordergrund:
- Die neuen Länder werden weiterhin eine erhebliche finanzielle Grundaufstockung benötigen. Dies ist zentrales Element des Finanzausgleichs zwischen steuerstärkeren und steuerschwächeren Bundesländern im vereinten Deutschland. Nach einem Vierteljahrhundert ist die Zeit für Übergangs-, Anschub- und Nachholfinanzierung jedoch abgelaufen. Das Leitbild einer gesamtdeutschen Gerechtigkeit erfordert den Blick auf den mittlerweile in den alten Ländern zu beobachtenden Infrastrukturerneuerungsbedarf. Dies ist sachlich geboten und stellt politisch ein wichtiges Signal an die strukturschwachen Länder und Kommunen im Westen dar, die seit Jahren solidarisch mitfinanzieren und dies auch weiterhin tun sollen und werden.
- Die Berücksichtigung der Kommunen bei den Reformüberlegungen ist dringend erforderlich. In einigen Bundesländern werden die kommunalen Liquiditätskredite selbst unter günstigen Rahmenbedingungen noch über Jahre zunehmen. Angesichts des hohen Zinsänderungsrisikos tickt hier eine „Zeitbombe“, die zeitnah entschärft werden sollte. Die Programme der Länder zur Stärkung ihrer Kommunalfinanzen (Schutzschirm, Stärkungspakt, kommunaler Entschuldungsfonds et cetera) gehen allesamt von günstigen konjunkturellen Rahmenbedingungen und hohen Konsolidierungspotenzialen (bei unveränderten Aufgaben und Standards) aus.
- Der Umgang mit unterschiedlichen Ausgabenbedarfen (den sogenannten abstrakten Mehrbedarfen) muss neu durchdacht werden. Hier erfordert die divergierende Beanspruchung durch staatlich veranlasste Aufgaben in der Sozial- und Jugendhilfe weitere Reformmaßnahmen. Gerade für Bundesländer mit großen Strukturproblemen ist die anreizkompatible Berücksichtigung von Kostenunterschieden zentral. Die Reform der Eingliederungshilfe und die damit verfolgte finanzielle Entlastung der Kommunen zeigt, wie hochkomplex fachpolitische Fragen mit Bundes-, Länder- und Kommunalbedeutung mittlerweile miteinander verschränkt sind.
- Der Umgang mit der regional und lokal stark divergierenden Bevölkerungsentwicklung bedarf eines neuen Ansatzes. Die Verteilungsströme im Länderfinanzausgleich sind im hohen Maße einwohnerabhängig. Schrumpfung führt zwar unstreitig zu Remanenzkosten – sie entstehen, wenn die Kosten nicht sofort und in gleicher Intensität zurückgehen, wie es der Bevölkerungsentwicklung entspricht, entziehen sich aber nicht alle der politischen Beeinflussung. Hier müssen die höheren Stückkosten in der Grundversorgung bei geringerer Bevölkerungszahl einerseits und die mangelnde Anpassungsflexibilität beim Rückbau andererseits bedacht und Grenzen neu definiert werden.
- Die Altschuldenfrage bedarf dringend der Lösung. Die Verschuldungsvolumina in einzelnen Ländern und vielen Kommunen, aber auch beim Bund sind derart ausgeprägt, dass sie die Politik zu überfordern drohen. Der finanzielle Spielraum für Altschuldenübernahmen – etwa aus frei werdenden Soli-Mitteln – wird gerade für die Deckelung der Spitzenbelastungen reichen. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank suggeriert hier temporär noch niedrige Finanzierungskosten und trägt zur Problemverschiebung bei.
Eile ist geboten
Es geht also darum, die finanzpolitischen Regelungen so zu reformieren, dass sie den Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte standhalten können. Systemverbesserungen sind auch bei begrenztem Umverteilungsspielraum zu realisieren. Änderungen in der Technik der Umverteilung (Umsatzsteuerverteilung in einer Stufe, stärkere Berücksichtigung der gemeindlichen Steuereinnahmen, Berücksichtigung von Sonderbedarfen und vieles mehr) können hier zu mehr Transparenz und Gerechtigkeit, aber auch zur Stärkung der Anreizkompatibilität führen. Die Probleme müssen angegangen werden, bevor Zinsänderungen neue Risiken hervorrufen und die Märkte erneut die Zahlungsfähigkeit des Staates testen.
Martin Junkernheinrich, geboren 1958 in Essen, Inhaber des Lehrstuhls für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie an der Technischen Universität Kaiserslautern und seit Jahren mit den räumlichen Fragen des öffentlichen Finanzsystems befasst.