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Die Assistierte Ausbildung bietet Chancen für eine inklusive berufliche Bildung

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Betriebliche Ausbildung wird bislang selten als Prozess angesehen, der pädagogischen oder sozialen Gesichtspunkten folgt. Auch junge Menschen auszubilden und zu fördern, die die gestellten Anforderungen nicht auf Anhieb erfüllen, scheint im Widerspruch zu den ökonomischen und betrieblichen Erfordernissen zu stehen. Das Modell der Assistierten Ausbildung weist einen Weg, die scheinbaren Interessengegensätze auszugleichen. Es flankiert die Ausbildung durch unterschiedliche Dienstleistungen und ermöglicht so, die Ausbildung individuell und flexibel zu gestalten. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist eine Ausweitung des unter anderem in Baden-Württemberg erprobten Modelles vorgesehen.

Der Ausbildungsmarkt in Deutschland war viele Jahre von einem Bewerberüberschuss geprägt. Er führte zu Wettbewerb und brachte steigende Anforderungen mit sich. Standards wurden in einem Kriterienkatalog für die Ausbildungsreife festgeschrieben. Was als Verständigungsbasis der Beteiligten am Übergang von der Schule zum Beruf gedacht war, wirkt unter Inklusionsgesichtspunkten als zu hohe Messlatte. Vielen jungen Menschen versperrte sie den Zugang zur „normalen“ Ausbildung und somit zu gesellschaftlicher Teilhabe.

Ein erheblicher Teil der jungen Generation kam in Übergangsmaßnahmen statt in Ausbildung. Jugendliche, die beim Wettbewerb um Ausbildungsplätze im Nachteil waren, wurden zu Jugendlichen „mit Förderbedarf“ oder „mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen“ erklärt. Dies wurde mit persönlichen Defiziten begründet, die durch besondere Maßnahmen kompensiert werden sollten. Aber auch diejenigen, deren einziger Nachteil darin bestand, keinen Ausbildungsplatz gefunden zu haben, wurden mit negativen Etiketten versehen. Sie landeten in der Förderkategorie „Marktbenachteiligte“ oder „Altbewerber/-innen“. All diesen Gruppen wurde die außerbetriebliche Ausbildung angeboten. Dieses Konzept war insbesondere nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern ausgeweitet worden. Es war bereits in den 1980er-Jahren im Rahmen der „Benachteiligtenförderung“ entstanden. Der ihm zugrunde liegende Gedanke der sozialpädagogisch orientierten Ausbildung stellte unter Beweis, dass mit passenden Konzepten auch diejenigen Jugendlichen eine Ausbildung erfolgreich abschließen können, die ungünstige Voraussetzungen mitbringen. Faktisch wurde die außerbetriebliche Ausbildung aber ein neues Sondersystem. Die Konzentration auf bestimmte Zielgruppen verstärkte die Ausgrenzung.

Die gegenwärtig diskutierte Inklusion lässt sich als Herausforderung verstehen, auch in der beruflichen Bildung auf normative Zuschreibungen wie „benachteiligt“ oder „ausbildungsreif“ zu verzichten und die bisherige Sonderförderung infrage zu stellen. Über die Inklusionsdebatte hinaus wird auch im Zuge der Fachkräftedebatte die Verdrängung junger Menschen als Vergeudung wichtiger volkswirtschaftlicher Potenziale kritisiert und das Ausschöpfen der Begabungsreserven als neues Ziel in der beruflichen Bildung gefordert. Dementsprechend fordert der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB): „Es besteht die Notwendigkeit, die Ressourcen und Talente aller Jugendlichen in den Blick zu nehmen und dabei junge Menschen individuell besser zu fördern“ (BIBB 2011, Seite 1).

 

Alternative zur außerbetrieblichen Ausbildung

Die Lage am Ausbildungsmarkt erscheint widersprüchlich: Ausbildungsstellen können einerseits nicht besetzt werden, andererseits finden viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Es klafft eine Lücke zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen vieler Jugendlicher. Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt auch die hohe Zahl der gelösten Ausbildungsverträge: Das betrifft aktuell rund ein Viertel aller Verträge.

An diesen Schwachstellen setzt das Modell der Assistierten Ausbildung an: Für junge Menschen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen schafft es Zugänge in eine reguläre Berufsausbildung und stabilisiert die Ausbildung durch umfassende Unterstützungsfunktionen.

Bei der Assistierten Ausbildung handelt es sich nicht um einen feststehenden Begriff, sondern mehr um eine Idee, die unter anderem im Modellversuchsförderschwerpunkt „Neue Wege in die duale Ausbildung – Heterogenität als Chance für die Fachkräftesicherung“ des Bundesinstituts für Berufsbildung aufgegriffen worden ist. Mehrjährige Erfahrungen liegen aus Baden-Württemberg vor; hier wurden seit 2004 die Modelle „diana“ und „Carpo“ durchgeführt, an denen sich die Beschreibung orientiert.

Die in Baden-Württemberg erprobte Assistierte Ausbildung baut auf der dualen Ausbildung auf und steuert deren Erosionserscheinungen entgegen. Damit sind die dargestellten Exklusionsrisiken gemeint, aber auch das Problem der Vereinbarkeit von Ausbildung und Kindererziehung sowie das nach Geschlechtern eingeengte Berufswahlverhalten. Der Ansatz der Assistierten Ausbildung zielt darauf, diese Probleme „vorrangig innerhalb des Systems der dualen betrieblichen Berufsausbildung aufzulösen“ (Nuglisch 2011, Seite 240).

Die Assistierte Ausbildung wird als Alternativmodell zur außerbetrieblichen Ausbildungsförderung und zu Marktersatzmaßnahmen verstanden. Damit will das Projekt der sinkenden Ausbildungsbereitschaft der Betriebe entgegensteuern, die Ausbildungspotenziale der Wirtschaft nutzen und fördern und so eine Win-win-Situation für Betriebe, Berufsschulen und Jugendliche schaffen.

 

Dritter Partner in der Dualen Ausbildung

Die Ausgangsfrage lautet: Was ist in jedem Einzelfall konkret erforderlich, damit eine Ausbildung zustande kommt und erfolgreich verläuft? Der Grundgedanke ist, die betriebliche Ausbildung um Angebote und Dienstleistungen zu ergänzen, die sich an den Bedürfnissen der/des einzelnen Jugendlichen und an den Voraussetzungen des jeweiligen Betriebs ausrichten. Auf diese Weise wird die Ausbildung individualisiert und flexibilisiert. Dazu tritt ein Bildungsträger als dritter Partner bei der Ausbildung hinzu: Er schließt einen Kooperationsvertrag mit dem Betrieb und mit dem/der Auszubildenden. Die Kooperation in diesem Dreieck baut in hohem Maße auf einer vertrauensvollen Beziehung auf.

Die Assistierte Ausbildung umfasst eine individuelle Vorbereitungsphase, die Vermittlung und die Begleitung bis zum erfolgreichen Abschluss der Ausbildung. In der Vorbereitungsphase, die bis zu neun Monate andauern kann, reflektieren die Jugendlichen ihre Stärken und ihre Lebenssituation, lernen verschiedene berufliche Möglichkeiten kennen und trainieren ihre Kompetenzen. In dieser Phase, die individuell variiert, werden auch Hindernisse entfernt, die einer Ausbildung im Wege stehen. So kann die Vorbereitungsphase zum Beispiel im Fall einer alleinerziehenden Mutter dazu genutzt werden, eine verlässliche Kinderbetreuung zu etablieren und eine Teilzeitausbildung einzurichten. Der Betrieb erhält Unterstützung bei der Auswahl der/ des Auszubildenden sowie bei der Einstellung.

Während der Ausbildung können die Jugendlichen eine individuelle sozialpädagogische Begleitung und Beratung sowie Lern- und Trainingsangebote in Anspruch nehmen, zum Beispiel bei der Bewältigung von Alltags- und persönlichen Problemen sowie bei der Existenzsicherung. Nachhilfe, Hilfe bei der Reflexion der Erfahrungen und Begleitung bei Kontakten zur Berufsschule gehören zum Katalog der möglichen Unterstützung. Die Betriebe erhalten bei Bedarf Entlastung beim Ausbildungsmanagement, sie werden im Umgang mit den Auszubildenden beraten und ihr Ausbildungspersonal wird bei der Gestaltung der Ausbildung unterstützt. Bei Konflikten und Krisen hilft der dritte Partner ebenso wie bei der Kooperation zwischen Betrieb und Berufsschule.

Im Modell „Carpo“ erweist sich dieses Konzept als sehr erfolgreich: Der Vermittlungserfolg in assistierte oder andere betriebliche Ausbildung lag mit circa 75 Prozent deutlich höher als bei anderen Vorbereitungsmaßnahmen. Dabei stellten Bewerber/-innen, die sich länger als drei Jahre vergeblich bemüht hatten, über fünfzig Prozent der betreuten Auszubildenden; mehr als ein Viertel hatte Kinder, über die Hälfte einen Migrationshintergrund.

Im Durchschnitt der letzten drei Jahrgänge wurden im Projekt „Carpo“ nur 18,7 Prozent der Ausbildungen vorzeitig beendet – damit liegt die Abbruchquote trotz der ungünstigen Voraussetzungen der Auszubildenden deutlich unter den Durchschnittswerten. Von den Abschlussprüfungen wurden 94,2 Prozent erfolgreich abgeschlossen, dieser Wert übertrifft den Kammerdurchschnitt ebenso, wenn auch nur leicht. Über fünfzig Prozent der jungen Fachkräfte wurden vom Ausbildungsbetrieb übernommen, 25 Prozent gingen in andere Betriebe, sieben Prozent schlossen eine weitere Ausbildung an (vgl. Kierstein 2013, Seite 5).

Das Modell der Assistierten Ausbildung ist gekennzeichnet durch Prinzipien, die einen engen Bezug zur Inklusion erkennen lassen:

- Kompetenzansatz: Das Modell traut jungen Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu, eine betriebliche Ausbildung zu schaffen; es öffnet ihnen den Zugang zum Betrieb, fordert sie und fördert so Motivation und Leistungsbereitschaft.

- Erweiterung von Perspektiven: Die Assistierte Ausbildung sucht nach den Ursachen von Problemen, ermittelt Unterstützungsbedarf nicht nur bei den Jugendlichen, sondern nimmt zugleich die Ausbildungsvoraussetzungen der einzelnen Betriebe in den Blick; sie trägt dazu bei, deren Ausbildungsfähigkeit und Ausbildungsqualität zu verbessern.

- Individualisierung: Die Gestaltung der Ausbildung (und der Dienstleistungen) wird flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse der Jugendlichen und die Voraussetzungen der Betriebe abgestimmt. Es entsteht eine individuelle und flexible Ausbildung, die große Gestaltungsspielräume bietet.

- Normalitätsprinzip: Die Ausbildung findet für alle Auszubildenden, unabhängig von ihren Voraussetzungen, „ganz normal“ im Betrieb statt. Die Ausbildungsverantwortung bleibt im Betrieb; Betrieb und Jugendliche schließen einen Ausbildungsvertrag; der/die Auszubildende erhält eine tarifliche Ausbildungsvergütung.

- Dienstleistungsprinzip: Möglich ist die individuelle Gestaltung der Ausbildung durch unterstützende Angebote eines dritten Partners, der sich als Dienstleister für Jugendliche und Betriebe versteht und somit Jugendliche und Betriebe als zentrale Akteure der Berufsausbildung ernst nimmt und fordert. Das Dienstleistungsverhältnis ist geprägt durch Verlässlichkeit und Kontinuität, auch mittels eines festen Ansprechpartners. Alle Dienstleistungen kommen aus einer Hand und sind flexibel.

Das Modell knüpft an die Sichtweise der Inklusion an, dass Bildungssysteme an die Einzelnen angepasst werden müssen – nicht umgekehrt. Es zeigt, wie es gelingen kann, Heterogenität als Normalfall zu betrachten und Individualität zum Ausgangspunkt der Gestaltung von Ausbildung zu machen. So verstanden, bietet die Assistierte Ausbildung große Chancen, den Herausforderungen der Inklusion auch innerhalb der beruflichen Bildung zu begegnen.

Ob es gelingen wird, diese Potenziale zu nutzen, hängt in hohem Maße von der Gestaltung der Fördermodalitäten ab. Voraussetzung für den Erfolg einer flächendeckenden Ausweitung sind kooperative Fördermöglichkeiten, die vor Ort ansetzen und deutlich mehr Gestaltungsspielräume bieten als die engen Vergabebedingungen im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit.

Petra Lippegaus-Grünau, geboren 1960 in Paderborn, Leiterin des Good Practice Center im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).

 

Literatur

Bundesinstitut für Berufsbildung: Leitlinien zur Verbesserung des Übergangs Schule – Beruf. Empfehlung des Hauptausschusses des BIBB. Bonn 2011 (http://www.good-practice.de/ Empfehlung_BIBB-HA_Leitlinien_zur_Verbesserung_Uebergang_Schule_-_Beruf_2011_06_20.pdf).

Bylinski, Ursula / Rützel, Josef: „Ausbildung für alle braucht eine Pädagogik der Vielfalt“, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (2011) 2, Seite 14–17.

Good Practice Center: Assistierte Ausbildung – ein Zukunftsmodell (http://www.good-practice.de/infoangebote_beitrag4156.php).

Kirstein, Olaf: Assistierte Ausbildung. Betriebliche Berufsausbildung für chancenarme junge Menschen in Baden-Württemberg. Vortrag zum Praxisworkshop „Vertragslösungen/ Ausbildungsabbrüche“, Bundesinstitut für Berufsbildung Bonn, 25.06.2013 (http://www.good-practice.de/Kierstein_AssistierteAusbildung_carpo.pdf).

Nuglisch, Ralf: „Normalität statt Maßnahme. Assistierte Ausbildung für chancenarme junge Menschen“, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Aufstieg durch (Aus-)Bildung.

Der schwierige Weg zum Azubi. November 2011 (http://www.kas.de/upload/dokumente/ 2011/11/Aufstieg_Aus-Bildung/Aufstieg_Aus-Bildung_3-4.pdf).

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