Betrachtet man die deutsche Stipendienkultur im internationalen Vergleich, so wird schnell deutlich, dass es hierzulande noch einen großen Nachholbedarf gibt. In den USA beispielsweise ist ein Stipendienwesen bereits seit Jahren etabliert; ein Großteil der Studierenden wird dort durch Stipendien unterstützt. Die Förderung junger Talente durch Unternehmen aus der Wirtschaft, aber auch durch Privatpersonen oder Alumni ist dort keine Seltenheit und ermöglicht oft erst die Aufnahme eines Studiums. Es ist richtig, dass sich dies nun auch in Deutschland – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – ändern soll. Hier hat die Bundesregierung den Grundstein für die Entwicklung einer neuen Stipendienkultur gelegt. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg dieses Programmes ist, dass die Förderung von talentierten jungen Menschen hierzulande als eine dringende gesellschaftliche Aufgabe anerkannt wird und neben den Hochschulen auch Gesellschaft und Politik dazu bereit sind, sich für Bildung zu engagieren. Eine Stipendienkultur, in der die Spitzenkräfte von morgen Unterstützung finden können und für ihre sehr guten Noten und ihre harte Arbeit im Studium belohnt werden, stellt unbestritten eine langfristige Investition in die Zukunft Deutschlands dar. Auf diese Weise können wirtschaftliche Entwicklung und Innovationskraft langfristig gestärkt werden, denn die Studierenden erhalten so Anreize, ihr Studium weiter erfolgreich zu betreiben.
Am Beispiel der Stiftung Studienfonds OWL, einer gemeinsamen Stiftung der fünf staatlichen Hochschulen in Ostwestfalen-Lippe, wird schon heute deutlich, welche Vorteile sich für die beteiligten Partner ergeben: Stipendiaten erhalten finanzielle, persönliche und berufliche Entwicklungsförderung. Förderer bieten ein ideelles Förderprogramm mit Seminaren, Workshops und beruflichen Perspektiven. Sie tragen zur langfristigen Bindung der Stipendiaten als Arbeitnehmer und engagierte Bürger bei und schaffen somit auch einen Mehrwert für die Region. Die Hochschulen profitieren durch die Erhöhung der Attraktivität des Studienortes und steigern somit ihre allgemeine Reputation. Das Programm der Stiftung zeigt, wie gut die ideelle Förderung funktioniert und zur Persönlichkeitsentwicklung und Berufsfindung beitragen kann. Bereits 900 Stipendiatinnen und Stipendiaten hat die Stiftung seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hervorgebracht. Viele von ihnen sind heute in der Region tätig.
Weit gefasster Leistungsbegriff
Auch das Deutschlandstipendium wird diese Erfolge zeigen: Durch das Stipendienprogramm werden Studierende, deren Werdegang herausragende Leistungen in Studium und Beruf erwarten lässt, mit 300 Euro im Monat gefördert. Sie erhalten neben der finanziellen Unterstützung durch den engen Kontakt zu ihren Förderern eine intensive Betreuung, etwa in Mentorenprogrammen oder Patenschaften. Das neue Bündnis aus zivilgesellschaftlichem Engagement und staatlicher Förderung soll mittelfristig bis zu acht Prozent aller Studierenden an deutschen Hochschulen zugutekommen. Der Leistungsbegriff, der dem Stipendium zugrunde liegt, ist bewusst weit gefasst: Gute Noten und Studienleistungen gehören ebenso dazu wie die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, oder das erfolgreiche Meistern von Besonderheiten im eigenen Lebens- und Bildungsweg. Darunter fallen zum Beispiel Engagement in Vereinen, die Erziehung eigener Kinder, die Pflege von Angehörigen oder die Mithilfe im elterlichen Betrieb. Entscheidend sind auch herausragende Leistungen in der Schule oder im Studium sowie Auszeichnungen und Preise, wie beispielsweise eine Auszeichnung des Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“. Es geht bei dem Deutschlandstipendienprogramm nicht nur um die Studienfinanzierung, sondern auch darum, Studierende zu ermutigen, ihr Ziel weiterhin fest im Auge zu behalten – und das mit finanzieller und ideeller Unterstützung.
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten erhalten das Stipendium für mindestens zwei Semester und höchstens bis zum Ende der Regelstudienzeit unabhängig von ihrem eigenen oder dem Einkommen ihrer Eltern. Eine verlässliche Förderung ist während der gesamten Studienzeit ebenso gewährleistet wie ein intensiver Kontakt mit Förderern und Mentoren über die gesamte Studienzeit hinweg.
Das Deutschlandstipendium bietet einen neuen Ansatz und ist eine wichtige zusätzliche Säule, die die bestehenden Studienfinanzierungsmöglichkeiten sinnvoll ergänzt. Dass das einkommensunabhängige Fördergeld zusätzlich zu den BAföG-Leistungen vergeben wird und die Mittel nach dem BAföG und das Deutschlandstipendium als zwei sich ergänzende Programme gewertet werden, bei denen die geförderten Studierenden beide Fördermöglichkeiten gleichzeitig ohne Abschläge in Anspruch nehmen können, sorgt vielfach für Kritik. So wird immer wieder gefragt, warum nicht lieber solidarisch das BAföG erhöht werde, anstatt das Geld punktuell in die Förderung besonders begabter Studierender zu stecken. Auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit wird dabei laut. Betrachtet man die BAföG-Thematik jedoch genauer, so fällt auf, dass die für das Deutschlandstipendienprogramm zur Verfügung stehenden Mittel kaum eine spürbare Erhöhung des BAföG auslösen könnten.
Mehrwert durch Bindungen, Motivation und Netzwerke
2011 wurden laut Erhebung des Statistischen Bundesamtes insgesamt 643.578 Studierende durch BAföG gefördert, wobei der finanzielle Aufwand dafür 2.269.706 Euro betrug. Vergleicht man dies mit den für das Deutschlandstipendienprogramm aufgewendeten Mitteln – 2011 wurden 5.375 Stipendien vergeben, dafür wurden laut Statistischem Bundesamt 3.427.986 Euro aufgewendet, zudem unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Hochschulen beim Fundraising mit einer Akquisepauschale von sieben Prozent der maximal einzuwerbenden Mittel –, so wird deutlich, dass eine Erhöhung des BAföG um diesen Betrag für die einzelnen Geförderten nur einen kaum merklichen Unterschied darstellen würde. Dies gilt auch unter der Bedingung, dass die Zahl der zu vergebenden Deutschlandstipendien in den nächsten Jahren gesteigert werden soll. 2012 hat sie sich bereits auf rund 11.000 geförderte Studierende mehr als verdoppelt, zum kommenden Wintersemester 2013/14 soll die Quote der zu vergebenden Stipendien (diese wird gemessen an der Anzahl der Studierenden pro Hochschule) auf 1,5 Prozent erhöht werden. Demgegenüber bieten die Stipendien einen großen Mehrwert an Bindungen, Motivation und Netzwerken, die zu besseren Studienbedingungen und Studienergebnissen führen.
Die bereits nach einem Jahr rasant angestiegene Zahl verdeutlicht zudem, dass sich das Deutschlandstipendium bereits an den Hochschulen etabliert hat. Der Kritik, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel nicht genutzt und somit verfallen würden, wurde bereits entgegengewirkt: Ungenutzte Mittel können auf Länderebene an andere Hochschulen umgeleitet werden, die die eigentliche Höchstquote an zu vergebenden Stipendien eigentlich schon erreicht haben. Diese Umverteilung zeigt auch die flexible Gestaltung des Stipendienkonzepts, das eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen möglich macht.
Nachhaltiges Investment
Das Konzept des Deutschlandstipendiums besticht zudem dadurch, dass eine Hälfte der Stipendiengelder aus Mitteln des Bundes und die andere Hälfte aus Privatmitteln finanziert wird und der Zusammenhalt und die Vernetzung zwischen Hochschulen und Gesellschaft deutlich gestärkt werden. Der Austausch zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Wirtschaft und Wissenschaft kann Türen öffnen und neue Möglichkeiten ergeben. Neben den Stipendiatinnen und Stipendiaten wird die gesamte Hochschule von den neu entstandenen Kontakten profitieren. Bereits viele Unternehmen, Stiftungen und Privatpersonen beteiligen sich am Deutschlandstipendium und schaffen so mit ihrem Geld ein nachhaltiges Investment; sie fördern die Entwicklung junger Talente und leisten damit einen wichtigen Beitrag gegen den wachsenden Fachkräftemangel. Zudem bekommen sie die Möglichkeit, bereits früh an potenzielle Fachkräfte heranzutreten und sich als Arbeitgeber zu präsentieren. Für den Aufbau eines Stipendienwesens in Deutschland ist die Einführung des Deutschlandstipendiums ein Schritt in die richtige Richtung. Jeder erhält die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und sich als Förderer für Bildung und junge Talente von morgen zu engagieren, während diese dabei unterstützt werden, ihre Potenziale zu entfalten. Unbezahlbar sind zudem die neuen Impulse, die beide Seiten durch den persönlichen Austausch gewinnen können. Somit entsteht eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Inzwischen bieten schon zwei Drittel der deutschen Hochschulen das Deutschlandstipendium an, rund hundert konnten 2012 die entsprechenden Mittel einwerben und die Förderhöchstquote von 1,0 Prozent zugunsten ihrer Studierenden ausschöpfen. Zukünftig erkennen sicherlich noch weitere Hochschulen sowie potenzielle Förderer die Chancen des Stipendienprogramms. Das Deutschlandstipendium ist auf dem besten Wege, eine Erfolgsgeschichte zu werden.
Nikolaus Risch, geboren 1949 in Lemgo, Präsident der Universität Paderborn und Vorsitzender der Stiftung Studienfonds OWL.