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Nichts ist so alltäglich wie ein Apfel, nichts so sinnbildhaft – zumal beim Thema „Wissen“. Ein bayerischer Pfarrer, Korbinian Aigner (1885 bis 1966), hat zeitlebens Äpfel gemalt: paarweise, Sorte für Sorte, Stängel- und Restblütenansicht, insgesamt 600 Apfel- und 278 Birnen-Bilder. Auf der letzten documenta gelangten sie zu unverhofften Ehren. „Früchte des Muts“, kommentierte ein Journalist treffend, hatte sich Pfarrer Aigner doch selbst in mehrjähriger Dachauer Lagerhaft nicht von den Nazis kleinkriegen lassen. Er legte zwischen den Baracken sogar heimlich eine winzige Baumschule an. Aus der Sämlingsauslese ging später eine neue Sorte hervor: der „Korbiniansapfel“ oder „KZ-3“, wie Aigner ihn nannte (links abgebildet, siehe auch Fotostrecke). Als ob nichts geschehen wäre, setzte er nach dem Krieg seine Apfel-Studien fort – sammelte, malte und dokumentierte. Kann die Freude an der Erkenntnis und ihrer Vermittlung ein Leben tragen? Einen Menschen vielleicht sogar unangreifbar machen?

Von moderner Wissenschaft scheint das Lebenswerk Aigners Lichtjahre entfernt. Uns stehen dabei labyrinthische Apparaturen beispielsweise von Genlabors oder Teilchenbeschleunigern vor Augen. Die Resultate entführen in scheinbar fantastische Sphären – so weit entrückt, dass sie die Vorstellungskraft der meisten übersteigen. Ist es nicht so, dass wir an einem Punkt angelangt sind, wo die ungeheure und zugleich wunderbare Komplexität der Welt nur noch anhand von einfachen Dingen greifbar wird? Beispielsweise anhand von Äpfeln?

Dass Wissenschaft und Forschung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands überlebenswichtig sind, ist offenkundig und hat in den letzten Jahren auf politischer Ebene zu besonderen Anstrengungen geführt. Wenn auf die guten Jahre keine schlechteren folgen sollen, braucht eine wissenschaftsfreundliche Politik ein entsprechendes gesellschaftliches Klima, das allerdings – wie etwa Umfragen zeigen – nicht unbedingt vorhanden ist.

Nicht kämpferische Fortschrittsskepsis, sondern eine laue Distanziertheit scheint die allgemeine Haltung zu charakterisieren. Dabei ist unsere Umwelt, ob wir wollen oder nicht, wissenschaftsgeprägt. Nur sieht kaum einer, wie viel Erfahrung und genaue Beobachtung, wie viel beharrliches Probieren und Testen in den kleinsten Alltagsgegenständen stecken. Die „Wissensgesellschaft“, die wir werden müssen, braucht auf Seiten der Laien eine andere Art der Wahrnehmung und seitens der Experten eine andere Darstellung und Vermittlung. Man könnte sich beispielsweise an einem Obstregal entgegenkommen.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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