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Erwartungen an die Grande Nation

by Céline-Agathe Caro
by Christina Wagner
by Angelika Klein
by Michael Quaas
by Nils Wörmer

Einschätzungen aus vier Ländern

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Vereinigte Staaten: Seit den Vorwahlen der bürgerlich-konservativen Partei Les Républicains (LR) am 27. November 2016 wird der französische Präsidentschaftswahlkampf nun auch in den USA intensiv beachtet. Die meisten Kommentare aus den Medien und Think-Tanks konzentrieren sich auf die beiden Kandidaten, die als Favoriten für die Stichwahl am 7. Mai 2017 gelten: auf Marine Le Pen vom Front National (FN) und den konservativen Kandidaten und früheren Regierungschef François Fillon. Ihre jeweilige Popularität und ihre Programmschwerpunkte sowie Erfolgschancen und Bedeutung für die transatlantische Partnerschaft werden nicht zuletzt im Kontext des Wahlausgangs in den USA erörtert.

Nach dem Brexit-Votum und Donald Trumps Erfolg traut sich, auch in den USA, niemand mehr, einen Sieg von Le Pen auszuschließen. Amerikanische Beobachter unterstreichen, dass harte Positionen gegenüber Migranten, Globalisierungskritik und der Elitenverdruss auch in Frankreich an Popularität gewinnen. Es wird festgestellt, dass der Triumph Trumps dem FN Rückenwind gegeben habe. Der Sieg Fillons bei den LR-Vorwahlen wird als Rückzug aus der politischen Mitte und Rechtsruck unter den konservativen Kernwählern interpretiert. Kommentare merken an, dass auch der ehemalige Premierminister viele Themen anspreche, die ebenfalls im US-Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt hätten. Seine Islam- und Einwanderungskritik, seine Reden zu nationaler Identität, französischen Werten und katholischen Traditionen – und nicht zuletzt seine Forderung nach Respekt und Nationalstolz – könnten den FN viele Stimmen kosten, so der Grundtenor. Es bleibe aber abzuwarten, ob Fillons wirtschaftsliberales Programm die Mittelschicht und die Arbeiterklasse nicht eher abschrecken werde.

Außenpolitisch wird unter den amerikanischen Experten oft spekuliert, dass die Pflege der transatlantischen Beziehungen seitens der Europäischen Union (EU) künftig dem Tandem Merkel-Fillon zufallen könnte. Dabei werden vor allem drei Herausforderungen für eine enge Kooperation zwischen Paris und Berlin innerhalb der EU und gegenüber Washington gesehen: In europapolitischen Angelegenheiten wird auf Fillons ausgeprägte intergouvernementale Haltung sowie seinen Willen, nationalstaatliche Vorrechte zu erhalten, hingewiesen. In Bezug auf die USA wird daran erinnert, dass der Ex-Premier sich mehrmals gegen das Freihandelsabkommen TTIP ausgesprochen habe und die gaullistische Tradition einer starken und unabhängigen französischen Außenpolitik vertrete. Schließlich wird aber seine offene Haltung gegenüber Russland am meisten kommentiert. Dabei wird betont, dass Fillons Einzug in den Élysée-Palast die Strategie der Europäer gegenüber Moskau komplett ändern könne, unter anderem in Bezug auf die EU-Sanktionen, aber auch im Hinblick auf die Ukraine und auf Syrien. Dies hätte in einer Zeit, in der parallel auch die neue US-Regierung versuchen könnte, sich dem Kreml anzunähern, unvorhersehbare Konsequenzen. Sollte Russland in diesem Kontext versuchen, osteuropäische Länder zu destabilisieren, könnte es gegebenenfalls Angela Merkel sogar dazu zwingen – so befürchten einige Experten –, sich zwischen Ost- und Westeuropa zu entscheiden.

Wissend, dass Marine Le Pen ebenfalls prorussisch eingestellt ist, wird in den USA oft betont, dass 2017 ein entscheidendes Jahr für die EU und die transatlantischen Beziehungen sein wird.

Céline-Agathe Caro

Auslandsbüro Washington der Konrad-Adenauer-Stiftung

Mali: Die Beziehungen Malis zu Frankreich reichen bis in die Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts zurück. In den 1880er-Jahren drängten die Franzosen von Senegal aus in den heutigen Westen Malis hinein und besetzten von dort aus das gesamte heutige malische Territorium, das Teil der Kolonie Französisch-Sudan war. Aus dieser Region, der Region Kayes, stammen die meisten der heute in Frankreich lebenden Malier. Auch die bis 2002 die malische Politik steuernden Politiker, wie der erste Präsident des seit 1960 von Frankreich unabhängigen Landes, Modibo Keïta, kamen aus Kayes. Französisch wurde zur offiziellen Sprache des Landes, und die meisten Gesetze wurden aus dem französischen ins malische Recht übertragen. Außenpolitisch wandte sich Mali nach seiner Unabhängigkeit der Sowjetunion und China zu; das Verhältnis zu Frankreich kühlte ab, obgleich Frankreich nach wie vor durch seine Berater Einfluss auf die malische Politik nahm. Auch viele malische Militärs, insbesondere Unteroffiziere, erhielten ihre Ausbildung in Frankreich. Dies ist politisch nicht unbedeutend, weil einige von ihnen 2012 am Militärputsch gegen die malische Regierung beteiligt waren.

Einen Wendepunkt in den Beziehungen zu Frankreich stellten die Militäroperationen Serval und Barkhane ab 2013 dar. Diese Einsätze der französischen Streitkräfte erfolgten auf Anfrage der malischen Regierung. Serval diente zur Befreiung des von Tuareg-Rebellen und islamistischen Gruppen besetzten Norden Malis. Die spätere Operation Barkhane trug den Antiterroreinsatz Frankreichs in den Sahel- und Sahararaum hinein. Die französischen Einheiten werden von 750 deutschen Soldaten bei der Aufklärung unterstützt.

Von einer neuen Françafrique wurde gesprochen, obwohl sich Frankreichs Präsident François Hollande von dieser Politik zu Beginn seiner Amtszeit im Jahre 2012 lossagte. Allerdings ließ die Begeisterung aufseiten der Malier nach, als es den Franzosen misslang, neben Timbuktu und Gao auch die Tuareg-Hochburg Kidal zu befreien. Die Malier werfen den Franzosen vor, die dortigen Tuareg aufgrund eigener Interessen in der Region zu unterstützen. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2015 wünscht sich die malische Regierung von den Franzosen mehr Unterstützung im Friedensprozess, insbesondere in der unruhigen Region Kidal, wo die Franzosen einen gewissen Einfluss auf die bewaffneten Gruppen haben. Im Hinblick auf den Friedensprozess und den Wiederaufbau erwartet Mali von seinem Alliierten auch weitreichendere technische und finanzielle Unterstützung. Ohne Zweifel kann und möchte Mali nicht auf die Expertise Frankreichs im Kampf gegen den Terrorismus verzichten. Zur Unterstützung seiner Wirtschaft wünscht sich Mali mehr französische Investoren. Mit dem Gipfel Afrique-France, der im Januar 2017 in Malis Hauptstadt Bamako stattfand, erhält das Land die Möglichkeit, größere Aufmerksamkeit für seine Interessen zu erlangen – sicherlich ein Grund, warum gerade Mali als Austragungsort für dieses Großereignis gewählt wurde.

Christina Wagner

Auslandsbüro Mali der Konrad-Adenauer-Stiftung

Polen und Frankreich verbindet eine lange und wechselhafte Beziehung, die bis heute voller Erwartungen, aber auch mancherlei Spannungen ist: Napoleons Errichtung des Herzogtums Warschau, die große Emigration der polnischen Eliten nach Paris sowie der Kampf der sogenannten Haller-Armee – polnischer Streitkräfte, die während des Ersten Weltkriegs in Frankreich gebildet wurden und auf der Seite der Entente kämpften – waren zentrale Momente in Polens Kampf zur Wiedererlangung der staatlichen Souveränität, deren Erfüllung sich die polnischen Patrioten auch durch die Hilfe Frankreichs versprachen. Diese Etappen des Freiheitskampfes sind im polnischen Kollektivbewusstsein ebenso präsent wie der später gegen Frankreich gerichtete Vorwurf, es habe Polen beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht zur Seite gestanden. Die Erinnerung daran beeinflusst bis heute die Grundlinien der Außen- und Sicherheitspolitik.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs war auch für die beiden Länder der Moment gekommen, ihre Beziehungen neu zu gestalten: Im Rahmen des Weimarer Dreiecks wurden Polen und Frankreich, zusammen mit Deutschland, zum wesentlichen Motor der europäischen Integration. Zwar wurde das Format anfänglich durch die Haltung der französischen Regierung belastet, die den Beitritt Polens in die NATO befürwortete, jedoch mit der Osterweiterung der Europäischen Union (EU) eine Verschiebung des politischen Zentrums befürchtete. Letztendlich aber führte der 1991 begonnene Trialog Polen an die westlichen Bündnisse NATO und EU heran. Auch nach dem EU-Beitritt blieb das Verhältnis nicht frei von Ambivalenzen, die jedoch im Rahmen des Weimarer Dreiecks selbst bei akuten Krisen überbrückt werden konnten. Nachdem Kritiker das Fehlen zukunftsfähiger Impulse moniert hatten und der französische Staatspräsident François Hollande bei seinem Antrittsbesuch in Warschau 2012 von einer strategischen Partnerschaft mit Polen gesprochen hatte, sollte ein Neustart in den Beziehungen erfolgen. Beide Länder kündigten beispielsweise an, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu vertiefen.

Doch im Herbst 2016 traten in den Beziehungen zwischen Warschau und Paris heftige Turbulenzen auf: Der französische Präsident sagte seinen geplanten Besuch in Warschau ab, strich die französisch-polnischen Regierungskonsultationen von der Agenda und ließ das für Anfang November 2016 geplante Treffen der Regierungschefs des Weimarer Dreiecks ausfallen. Die Ursache? Vor dem Hintergrund der befürchteten zunehmenden Bedrohung aus dem Osten hatte die polnische Regierung beschlossen, neue Militärhubschrauber zu beschaffen, und führte darüber mit dem französischen Unternehmen Airbus Exklusivverhandlungen. Im Gegenzug wollte Airbus in Polens Luft- und Raumfahrttechnik investieren. Der Zuschlag fiel auf fünfzig Helikopter vom Typ Caracal, das Milliardengeschäft galt als gesichert. Nach einjährigen Verhandlungen über den Umfang des Auftrags ließ die neue polnische Regierung den Auftrag platzen und kündigte stattdessen an, Black-Hawk-Helikopter zu bestellen, die im polnischen Mielec produziert werden sollen – für Frankreich ein beispielloses Vorgehen, für Polen eine beispielhafte Durchsetzung nationaler Interessen. Tatsächlich justiert Polens nationalkonservative Regierung seit Übernahme der Regierungsgeschäfte Ende 2015 die außenpolitischen Beziehungen zu ihren europäischen Partnern neu. So sucht sie vor allem mit denjenigen Staaten eine enge Zusammenarbeit, die mehr nationale Souveränität gegenüber Brüssel einfordern. Auch das Verhältnis zu Russland gilt als entscheidend – eine russlandfreundliche Politik Frankreichs stünde in ihren Augen polnischen Interessen entgegen. Daher wird Polen genau hinschauen, wenn die französische Bevölkerung demnächst an die Wahlurne tritt, um ihren künftigen Staatspräsidenten zu bestimmen: Das französisch-russische wird auch das polnisch-französische Verhältnis beeinflussen.

Insofern sind die Erwartungen Polens an die Grande Nation im Jahr 2017 vielfältig und komplex: Wirtschaftliche wie politische Kooperationen bleiben erwünscht, müssen aber „polnischen Interessen“ entsprechen. Deren Formulierung wird allerdings nach „nationalen Kriterien“ erfolgen und somit – wie im Falle von Airbus – weder eindeutig benennbar noch einsichtig sein.

Angelika Klein, Michael Quaas

Auslandsbüro Polen der Konrad-Adenauer-Stiftung

Syrien: Das Verhältnis Syriens zu seiner ehemaligen Mandatsmacht Frankreich ist vorbelastet. Während sich in der Mandatszeit von Anfang der 1920er-Jahre bis zur Unabhängigkeit Syriens 1943 eine frankophile Elite herausbildete, die heute nur noch klein, aber weiterhin eng mit der

„Grande Nation“ verbunden ist, gestalteten sich die Beziehungen Damaskus’ zu Paris nach der Machtübernahme Hafiz al-Assads 1970 schwierig. Dies setzte sich trotz einiger kurzer Phasen der Entspannung unter Baschar al-Assad fort, wobei die territoriale Fragmentierung Syriens im Bürgerkrieg ab 2011 zu einer verstärkt polarisierten Wahrnehmung Frankreichs in Syrien beigetragen hat. Eine einheitliche Perzeption gibt es daher nicht, vielmehr lassen sich gemäß den Hauptakteuren – diversen politischen und militärischen Oppositionsgruppen, dem Assad-Regime und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) – drei Sichtweisen unterscheiden.

Die syrischen Rebellen und die Exilopposition sehen Frankreich als wichtigste moralische Stütze im Kampf gegen das Assad-Regime. Frankreich hat sich seit Ausbruch des Konflikts als entschiedenster Befürworter eines Sturzes Assads in Europa positioniert, war der erste westliche Staat, der die Opposition als legitimen Vertreter Syriens anerkannt und sich mehrfach für eine militärische Intervention in Syrien ausgesprochen hat. Paris hat seinen Worten allerdings oftmals keine Taten folgen lassen, weshalb die syrische Opposition Frankreich mittlerweile politisch und militärisch keine größere Rolle mehr zumisst. Zudem hat die Marginalisierung der von Frankreich mit Waffen unterstützten „Freien Syrischen Armee“ und der Aufstieg salafistischer Gruppierungen, die von der Türkei, von Saudi-Arabien und Katar ausgerüstet werden, dafür gesorgt, dass der Blick der Rebellen heute stärker nach Riad, Doha und Ankara gerichtet ist als nach Paris.

Seit der Schließung der französischen Botschaft in Damaskus im März 2012 gibt es keine offiziellen Beziehungen mehr zwischen Frankreich und dem Assad-Regime. Die Franzosen werden als Gegner des Regimes wahrgenommen. Damaskus hat Paris mehrfach vorgeworfen, „Terroristen“ in Syrien zu unterstützen und durch seine entschiedene Haltung gegenüber dem Assad-Regime zum Aufstieg des IS beigetragen zu haben. Der Blick Assads geht eindeutig in Richtung Teheran und Moskau. Aus ideologischen Gründen stellt Frankreich auch für die dschihadistische Terrororganisation IS ein Feindbild dar. Spätestens durch die seit September 2014 beschlossenen Luftschläge gegen den IS befindet sich Frankreich im Fadenkreuz der Dschihadisten, die den Krieg durch Anschläge in Paris und Nizza nach Frankreich gebracht haben.

Nils Wörmer

Auslandsbüro Syrien/Irak der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Beirut (Libanon)

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