Der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen in dieser Legislaturperiode kommt eine große Bedeutung zu. Die derzeitigen Regelungen des Bund-Länder-Finanzausgleichs wurden 2001 einvernehmlich vom Bund und von allen Ländern vereinbart. Sie sind seit 2005 praktisch unverändert.
Die derzeitigen Ausgleichsströme und das Volumen der Umverteilung sind in erster Linie ein Spiegelbild der fortbestehenden Steuerkraftunterschiede zwischen den Ländern. So liegt heute die Steuerkraft in den ostdeutschen Ländern – ohne Umsatzsteuer – und ihren Gemeinden nach wie vor bei weniger als zwei Dritteln des Bundesdurchschnitts und bei lediglich knapp der Hälfte des Niveaus der aktuellen Zahlerländer im Länderfinanzausgleich. Folglich geht auch der überwiegende Teil der Ausgleichsleistungen in Richtung ostdeutsche Länder. Die Steuerkraftunterschiede sind dabei weitgehend durch die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Länder bestimmt. Wie die Entwicklung seit der letzten Reform zu Beginn des Jahrhunderts zeigt, wird sich an diesen grundsätzlichen Unterschieden der Wirtschafts- und Steuerkraft innerhalb Deutschlands kurzfristig nicht viel ändern. Dieser grundsätzliche Befund ist also auch den Beratungen über eine Neuordnung nach 2019 zugrunde zu legen.
Die einschlägigen Gesetze zum Bund-Länder-Finanzausgleich laufen Ende 2019 aus. In den Beratungen von Bund und Ländern über eine Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen nach 2019 sollte eine Balance zwischen der im Grundgesetz verankerten Solidarität im Bundesstaat einerseits und der Effizienz, Transparenz und Gerechtigkeit des Systems sowie der Eigenverantwortung der Länder andererseits angestrebt werden. Dabei wird es insbesondere um die Frage gehen, wie die ökonomischen Anreize des heutigen Systems verbessert werden können, ohne dabei das verfassungsrechtliche Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse infrage zu stellen.
Insgesamt geht es den Ländern besser als dem Bund
Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition ist festgelegt, dass die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch die Voraussetzungen dafür schaffen soll, dass eine nachhaltige Konsolidierung der Länderhaushalte erfolgen und die ab 2020 für alle Länder verbindlich geltende Schuldenbremse dauerhaft aus eigener Kraft eingehalten werden kann. Das sollte jedoch nicht zu voreiligen Rufen nach weiterer Unterstützung durch den Bund verleiten. Für eine Einigung zulasten des Bundes sehe ich keinen Spielraum. Davon unabhängig stellen sich die sechzehn Länder aus Bundessicht – nicht nur mit Blick auf die ostdeutschen Länder – keineswegs als ein notleidender, monolithischer Block dar. Vielmehr geht es den Ländern in ihrer Gesamtheit finanzwirtschaftlich gut und besser als dem Bund, auch wenn es in einigen Ländern noch Anpassungshilfen gibt, um das Ziel der Schuldenbremse ab 2020 zu erreichen.
Ungeachtet der Vorgabe des Grundgesetzes, nach der Bund und Länder gleichmäßigen Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben durch laufende Einnahmen haben, zeigt die Finanzentwicklung von Bund und Ländern seit Langem eine deutliche Schieflage zulasten des Bundes. Diese hat sich als Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise in den letzten Jahren verstärkt und kumuliert in einem Schuldenstand des Bundes, der zum Jahresende 2013 mit 1.109 Milliarden Euro mehr als das Doppelte der Schuldenlast der Länder betrug.
Der Bund musste 2013 31,3 Milliarden Euro für Zinszahlungen leisten. Dies entspricht 10,2 Prozent des Bundeshaushalts. Im Durchschnitt der Landeshaushalte werden dagegen nur 5,7 Prozent der Ausgaben für Zinsen aufgewendet. Dem Ziel nominal ausgeglichener Haushalte sind die Länder mit einem Defizit ihrer Kernhaushalte von insgesamt 2,3 Milliarden Euro deutlich näher als der Bund, der im vergangenen Jahr ein Defizit von 22,3 Milliarden Euro auswies. Über die Sozialversicherung vermittelt, wird der Bund auch in den nächsten Jahrzehnten deutlich stärker als die Länder Aufgaben unserer älter werdenden Gesellschaft zu übernehmen haben. Auch das wird man bei Verhandlungen über die Zeit nach 2019 in den Blick nehmen müssen.
Schieflage zulasten des Bundes
Trotz der auch vom Bundesrechnungshof jüngst bestätigten Schieflage zulasten des Bundes unterstützt der Bund die Länder und Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben erheblich. Die Förderung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erfolgt in erster Linie aus dem Bundeshaushalt. Selbst die durch die Einbeziehung der ostdeutschen Länder in den Länderfinanzausgleich gestiegenen horizontalen Transfers trägt letztlich der Bund, indem er den Ländern Einnahmen aus der Umsatzsteuer abgetreten hat.
Ferner hat der Bund die Länder und Kommunen in der vergangenen Legislaturperiode in großem Umfang zusätzlich finanziell entlastet – und für diese Legislaturperiode sieht der Koalitionsvertrag weitere Schritte vor. So werden die Länder etwa bei der Finanzierung von Bildungsaufgaben um zusätzliche sechs Milliarden Euro entlastet: Unter anderem werden die Ausgaben für den Ausbau von Kitas und Krippen weiter erhöht. Der Bund wird den Hochschulpakt fortführen sowie ab 2015 den Finanzierungsanteil der Länder am BAföG in Höhe von 35 Prozent übernehmen und damit das BAföG vollständig allein finanzieren. Das eröffnet den Ländern dauerhaft neue Spielräume für zusätzliche Bildungsinvestitionen. Über die sechs Milliarden Euro für Bildungsaufgaben hinaus stellt der Bund in dieser Wahlperiode drei Milliarden Euro zusätzlich für die außeruniversitäre Forschung zur Verfügung.
In diesem Jahr erfolgt darüber hinaus die letzte Stufe bei der Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund. Das bedeutet eine zusätzliche Entlastung der Kommunen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Die Kommunen werden außerdem bei der Eingliederungshilfe für Behinderte ab 2015 um eine Milliarde Euro jährlich und nach Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes im Umfang von fünf Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Hinzu kommt die Ausweitung der Städtebauförderung des Bundes um 600 Millionen Euro in dieser Legislaturperiode.
Das alles sind wirkungsvolle Beiträge. Sie zeigen klar und deutlich, dass der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung auch gegenüber den Ländern und Kommunen gerecht wird und einen mehr als fairen Finanzierungsanteil übernimmt, zumal es sich hierbei überwiegend um Aufgaben handelt, die nach unserer verfassungsmäßigen Ordnung den Ländern und Kommunen obliegen.
Worüber verhandeln?
Zu den zentralen Herausforderungen für unseren föderalen Staat gehört die voranschreitende Integration auf europäischer Ebene. Als Konsequenz der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde in den letzten Jahren die europäische Wirtschafts- und Währungsunion in Richtung einer „finanzpolitischen Stabilitätsunion“ weiterentwickelt. Die Vorgaben des Europäischen Fiskalvertrags und des erweiterten Stabilitäts- und Wachstumspakts gelten für Deutschland als Gesamtstaat. Das schließt also die Länder mit ein. Allerdings spiegelt sich die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die Einhaltung der finanzpolitischen Verpflichtungen gegenüber Europa noch nicht genug in unserem föderalen Gefüge wider. Wir wollen deshalb auch darüber beraten, wie die Verantwortung der Länder im Rahmen des EU-Fiskalregimes gestärkt werden kann. Dazu könnten beispielsweise die Kompetenzen des Stabilitätsrats erweitert werden, damit dieser die Einhaltung der europäischen Vorgaben wirksamer überwachen kann.
Wir wollen in den bevorstehenden Beratungen auch die Anreize für solides Haushalten auf allen Staatsebenen stärker als bisher in den Blick nehmen. Neben der Neuordnung der Finanzströme zwischen den Ländern nach 2019 bietet es sich bei dieser Gelegenheit geradezu an, auch die Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung zwischen den föderalen Ebenen zu überprüfen. Hier geht es nicht zuletzt um die Frage, ob die Länder angesichts der fortschreitenden Europäisierung und Globalisierung auch in Zukunft eine selbstbewusste Rolle im föderalen Gefüge einnehmen werden. Für die Länder mag es manchmal bequemer sein, politische Erfolge in erster Linie in der Mitsprache über den Bundesrat und im Durchsetzen finanzieller Ansprüche gegenüber dem Bund ohne echte Übernahme von eigener Verantwortung zu suchen. Jedoch sichert auf Dauer nur ein wesentlicher eigener und vor allem eigenständig wahrzunehmender Verantwortungsbereich der Länder die langfristige Akzeptanz des föderalen Staatsaufbaus in Deutschland. Deshalb wird sich auch die Frage stellen, ob und inwieweit die Verantwortung der Länder bei der Wahrnehmung von Einnahmen und Ausgaben gestärkt werden kann.
Länder dauerhaft stärken
Grundsätzlich gilt, dass die Aufgaben im Bundesstaat jeweils von derjenigen staatlichen Ebene erfüllt und finanziert werden sollten, die das am besten und effizientesten leisten kann. Müssen also beispielsweise unterschiedliche Präferenzen vor Ort in Betracht gezogen werden, sollte die Aufgabe auf Länder- oder Gemeindeebene übernommen werden. Ist hingegen eine einheitliche Erfüllung von gesamtstaatlich bedeutsamen Aufgaben angezeigt, ist der Bund gefragt. Bund und Länder müssen sich fragen, ob diese in abstracto akzeptierten föderalen Ordnungsprinzipien in den letzten Jahrzehnten immer genug beachtet wurden. Der Verlauf von zwei Föderalismuskommissionen im vergangenen Jahrzehnt hat gezeigt, dass an diesem Problem nicht punktuell, sondern mit Geduld und dauerhaft gearbeitet werden muss, wenn unsere föderale Ordnung nicht auf längere Sicht in eine Schieflage geraten soll.
In der wissenschaftlichen Literatur mangelt es nicht an guten Vorschlägen zur Stärkung der Länderkompetenzen: Ein immer wieder genannter Ansatzpunkt für mehr Entscheidungskompetenzen von Ländern und Kommunen könnte in der flexibleren Umsetzung von Vorgaben aus dem Bundesrecht im Sozialbereich liegen – stärker angepasst an die jeweiligen Bedingungen vor Ort. Damit wäre gegebenenfalls auch eine teilweise Überführung der Gesetzgebungskompetenzen verbunden. Vorgeschlagen wird auch, dass Länder und Kommunen über Zu- und Abschlagsrechte bei den Ertragssteuern mehr Einfluss auf ihre Einnahmen haben sollten. Im Gegenzug könne der Bund beispielweise mehr Aufgaben und Kompetenzen als bisher im Bereich der Steuerverwaltung oder der Bildung wahrnehmen.
Bund und Länder müssen sich darüber verständigen, ob sie bereit sind, über derartige Vorschläge einer grundsätzlichen Weiterentwicklung des gelebten Föderalismus zu diskutieren oder ob sie im Wesentlichen nur innerstaatliche Finanzströme nachjustieren wollen. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit den Ländern in dieser Legislaturperiode die Weichen für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen stellen können. Dies wäre ein bedeutendes Signal für eine zukunftsfähige föderale Ordnung, die von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen würde. Zugleich wäre es ein wichtiger Schritt zu einem nachhaltigen Wirken der Schuldenbremse sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Vor allem aber wäre ein Bekenntnis aller föderalen Ebenen zu dauerhafter finanzpolitischer Solidität ein wichtiges Signal in Europa, das gleichfalls nur auf Grundlage solider Haushalts- und Finanzpolitik dauerhaft stark und wettbewerbsfähig bleiben kann.
Wolfgang Schäuble, geboren 1942 in Freiburg, Mitglied im Präsidium der CDU Deutschlands, unter anderem Bundesinnenminister a. D., seit 2009 Bundesminister der Finanzen.