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Marcel Philipp, der Aachener Oberbürgermeister, äußert sich aus kommunalem Blickwinkel

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Herr Oberbürgermeister: Unsere Gratulation zu Ihrer Wiederwahl! Wie glücklich sind Sie – auch über Aachen hinaus – mit dem Abschneiden der Union bei der Kommunalwahl in NRW? Vielleicht möchten Sie auch eine Bemerkung zur „Großstadtproblematik“, siehe Düsseldorf, machen.

Marcel Philipp: Die Union ist die stärkste Kraft in der Kommunalpolitik, das hat sich auch bei dieser Wahl nicht verändert.

Wir sind in vielen Bereichen der Gesellschaft gut vernetzt und kümmern uns um die Anliegen der Menschen und um ihre Erwartungen an eine angemessene Entwicklung ihres direkten Lebensumfeldes. Das ist unsere Stärke.

Oberbürgermeisterwahlen sind aber in erster Linie Persönlichkeitswahlen. Das Vertrauen in die jeweilige Person entscheidet. In Mönchengladbach haben wir überraschend gewonnen, in Düsseldorf verloren. Dort, wo es nicht gut gelaufen ist, hat die CDU die Aufgabe, die Gründe zu analysieren und bei der nächsten Wahl die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

 

Sie sind bis 2020 gewählt. Können Sie sich angesichts der finanziellen Situation Aachens überhaupt auf wegweisende Gestaltungsaufgaben freuen?

Marcel Philipp: Natürlich, wie auch in den letzten fünf Jahren, die ja finanziell bereits eng waren, hat sich Aachen deutlich sichtbar weiterentwickelt. Die Maßgabe für die nächsten Jahre muss sein, wie bisher genehmigungsfähige Haushalte zu erarbeiten, aber zugleich die Wirtschaftskraft zu stärken, die Familienfreundlichkeit weiter zu verbessern und die Lebensqualität zu erhalten.

 

Wie sehr schreckt Sie die Schuldenbremse, die ab 2020 in den Ländern über Sie kommt? Fürchten Sie, dass die Finanzzuweisungen des Landes zurückgehen werden und Sie Bäder und/oder Theater schließen müssen? Oder beruhigt es Sie, dass NRW bisher keine Schuldenbremse in der Verfassung hat?

Marcel Philipp: Eine Schuldenbremse kann ein gutes Mittel sein gegen die wundersame Aufgabenmehrung, die in der Kommunalpolitik oft zu beobachten ist. Wir können es nicht jedem recht machen und alle wohlklingenden Vorschläge umsetzen und uns dann später wundern, dass das Geld nicht reicht. Das Ziel muss lauten, Prioritäten zu setzen und Aufgabenkritik ernst zu nehmen. Ohne Schuldenbremse wird das nicht gelingen. Ob es mit Schuldenbremse gelingt, wird von der Ausgestaltung im Detail abhängen.

 

Wie beurteilen Sie die Finanzkraft der deutschen Kommunen insgesamt und warum ist sie gerade in Nordrhein­ Westfalen so schlecht? Nirgendwo anders ist das Überschuldungsproblem größer.

Marcel Philipp: Für die Finanzausstattung der Kommunen ist das Land zuständig. Auch auf dieser Ebene wäre es also hilfreich, Prioritäten zu setzen, die Landesaufgaben auf den Prüfstand zu stellen und die pflichtgemäße Finanzierung der Kommunen zu stärken. Stattdessen gibt es Jahr für Jahr Themen, bei denen sich das Land aus der Finanzierung zurückzieht und den Kommunen die Kosten aufbürdet, weil die Leistung an sich nicht gekürzt werden kann.

 

Behandelt beispielsweise der Freistaat Bayern seine Kommunen besser?

Marcel Philipp: Die Statistik lässt das vermuten, aber wahrscheinlich ist auch dort nicht alles Gold, was glänzt!

 

Wie beurteilen Sie den sogenannten „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, den die Landesregierung aufgelegt hat? Halten Sie es beispielsweise für richtig, dass dabei auch die finanzstärkeren Städte einen Beitrag für die finanzschwachen leisten sollen?

Marcel Philipp: Der Stärkungspakt ist eher ein Akt der Hilflosigkeit als eine nachhaltige Neuordnung der Kommunalfinanzen in NRW. Er ist zwangsläufig ungerecht. Aachen ist zwar insofern nicht betroffen, als wir uns weder im Nothaushalt befinden noch Abundanzkommune[1] sind, also auch bisher nicht in den Topf einzahlen mussten. Allerdings verzerrt der Stärkungspakt die geordneten Verhältnisse und Anreize. Die inzwischen erkennbaren Auswirkungen sind eine stärkere Einflussnahme des Landes auf kommunale Entscheidungen und der Zwang zur deutlichen Erhöhung von Gewerbesteuer und Grundsteuer. Dem Wirtschaftsstandort NRW wird das langfristig schaden und der kommunalen Selbstverwaltung ebenso.

 

Wie solidarisch sind die Kommunen untereinander? Bei der Gewerbesteuer gibt es einen beinahe ewigen Streit, ob Änderungen notwendig sind.

Marcel Philipp: Über die Schlüsselzuweisungen des Landes gibt es ja bereits ein Ausgleichssystem, das zwar viel diskutiert, aber auch akzeptiert wird. Wenn man die Systematiken verändern will, zum Beispiel bei der Gewerbesteuer, dann muss ein neues System eine sehr breite Mehrheit finden, um durchsetzbar zu werden. Es ist nicht absehbar, dass ein solches besseres System im Konsens gefunden wird, weil es immer Gewinner und Verlierer gibt. Insofern glaube ich nicht, dass es grundlegende Änderungen geben wird.

 

Wenigstens der Bund ist doch eine Stütze der kommunalen Selbstverwaltung, oder? Die Freude über den Koalitionsvertrag, der für 2018 fünf Milliarden Euro für die Kommunen verspricht, müsste doch bei Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen riesig sein?

Marcel Philipp: Die Bundesregierung hat in der Tat die Kommunen stärker in den Blick genommen, als sie eigentlich müsste. Diese lobenswerte Haltung ist aber bei der Bundeskanzlerin deutlich ausgeprägter als beim Koalitionspartner. Leider ist die Kostensteigerung bei unseren Pflichtaufgaben in Summe größer als der Betrag, um den der Bund uns entlastet. Wir müssten viel stärker gemeinsam an der Eindämmung von Aufgaben und Lasten arbeiten.

 

Der Bund sagt, die finanzielle Situation der Kommunen sei so schlecht nicht. Sie sagen, der Bund müsse mehr für die Kommunen tun. Wie begrün­ den Sie Ihre Haltung? Was sind die aktuellen Probleme wie Flüchtlings­ ströme, Zuwanderung und so weiter und was sind die langfristigen Entwicklungen, wie etwa der demografische Wandel, mit denen die Kommunen sich finanziell überfordert sehen?

Marcel Philipp: Die Unterschiede in der Finanzlage der Kommunen sind extrem groß. Sofern externe Faktoren der Grund dafür sind, ist ein Finanzausgleichssystem mit ganzheitlicherem Ansatz hilfreich. Der Anreiz, gut zu wirtschaften, darf aber dabei nicht verloren gehen.

Ein wesentliches Problem ist die immer neue Formulierung von Rechtsansprüchen, die auf höherer Ebene gesetzlich beschlossen werden und von den Kommunen umzusetzen sind. Dabei geht oft Maß und Ziel verloren. Wir werden bei dem bevorstehenden Bundesteilhabegesetz sehen, ob es diesmal gelingt, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Bei der Inklusion sehen wir bereits, dass es teure Fehlentwicklungen zulasten der Städte gibt. Nicht jeder Umbau an jeder Schule ist wirklich sinnvoll und notwendig, aber oft gesetzlich veranlasst.

 

Die im Koalitionsvertrag erwähnte Bund-Länder-Finanzkommission soll demnächst zusammentreten. Sitzen die Kommunen erneut ohne Stimmrecht am Katzentisch? Oder gibt es Anzeichen, dass sie mehr Gewicht bei den Verhandlungen bekommen – laut Koalitionsvertrag ist ja mehr versprochen?

Marcel Philipp: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wichtig ist aber nicht nur, wer am Tisch sitzt, sondern in welchem Geist am Tisch gesprochen wird. Die kommunale Selbstverwaltung sollte allen Teilnehmern wichtig sein, auch wenn sie auf der Landesebene oder auf der Bundesebene agieren.

 

Wie schätzen Sie die Veränderungschancen ein? Gibt es einen heilsamen Zwang zur großen Reform oder sollte man eher bescheidene Erwartungen hegen? Mit anderen Worten, welche Schritte halten Sie für wahrscheinlich?

Marcel Philipp: Für eine größere Reform spricht die Konstellation der Großen Koalition. Eine solche Reform setzt nämlich die Mentalität „Wann, wenn nicht jetzt?“ voraus. Gegen eine größere Reform spricht die Lebenserfahrung, auch wenn ich noch zur jüngeren Politikergeneration zähle.

Marcel Philip, geboren 1971 in Aachen-Burtscheid, Oberbürgermeister der Stadt Aachen.

Das Interview führte Bernd Löhmann.


[1] Abundanz ist im Kommunalrecht die Bezeichnung für Gemeinden, deren Finanzkraft aufgrund normierter Berechnungsgrundlagen höher ist als ihr Bedarf. Sie erhalten daher keine Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich.

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