Asset Publisher

Nur ein Weg führt aus der Schuldenmisere

Asset Publisher

Wer kennt sie nicht, die Erzählung von Münchhausen, dem es gelungen war, sich mitsamt seinem Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen? Etliche Politiker, denen die Staatsschulden bis zum Hals stehen, scheinen sich ein Beispiel an dem fantasiebegabten Baron zu nehmen. Ob in Paris, Rom oder Düsseldorf – vielerorts buhlen heutzutage die Verantwortlichen als finanzpolitische Geschichtenerzähler um die Wählergunst. Mit immer höheren, kreditfinanzierten Ausgaben der öffentlichen Hand werde sich der Staat selbst aus dem Schuldensumpf befreien, sagen sie. Wirtschaftswachstum auf Pump heißt ihre politische Losung, die einen scheinbar schmerzfreien Pfad aus der Misere aufweisen soll. Doch anders als bei Münchhausen wird auf solch wundersamem Wege die Rettung im wirklichen Leben niemals gelingen. So mühsam es ist: Der Sumpf muss trockengelegt werden, sonst geht man darin unter.

Eine langfristig erfolgreiche Wirtschaftspolitik basiert nun einmal auf einem soliden Haushalt. Die hohe Kunst besteht darin, Schulden abzubauen, ohne die Wachstumskräfte zu erdrosseln. Nötig ist vielmehr ein Reformkurs, der neue Dynamik in der Wirtschaft freisetzt. Im Interesse künftiger Generationen lohnt es sich, für diesen – zugegeben schwierigen – Politikansatz zu werben. Das gilt gleichermaßen für jedes einzelne Bundesland, für Deutschland insgesamt sowie für die Europäische Union im Allgemeinen und alle Euro-Mitglieder im Besonderen.

 

Die verdeckten Schulden

Den meisten Bürgern ist gar nicht klar, in welchem Umfang wir auf Kosten unserer Kinder und Enkel wirtschaften. So zeigt die offiziell ausgewiesene Staatsschuldenquote Deutschlands von über achtzig Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung nur einen Teil der Hypothek. Hinzu kommen noch die verdeckten Schulden in den Sozialversicherungen. Denn die Ansprüche an das Rentensystem, die Pflegeversicherung oder das Gesundheitswesen sind nicht mit Kapitalreserven gedeckt, sondern müssen später von den zukünftigen Beitragszahlern finanziert werden. Schließlich alimentieren in all diesen Sozialversicherungen die Jüngeren die Älteren, weshalb die Systeme in den kommenden Jahrzehnten vor einer enormen Belastungsprobe stehen. Die sogenannte Nachhaltigkeitslücke, also die Summe aus expliziter und impliziter Verschuldung, beträgt mit 3,5 Billionen Euro eine wahrhaft schwindelerregende Höhe.

Innerhalb des Euro-Clubs gehört Deutschland dennoch zu den Musterschülern. Denn vor allem die Südeuropäer weisen nicht nur einen höheren Schuldenstand auf, sondern leisten sich überdies völlig überdimensionierte Wohlfahrtsstaaten. Im Verhältnis zur jeweiligen Wirtschaftskraft ist die Nachhaltigkeitslücke Frankreichs beispielsweise dreimal so groß wie die deutsche. Spaniens Gesamtverschuldung beträgt gar das Sechsfache. Hierzulande wurden insbesondere in der Rentenversicherung erhebliche Leistungskürzungen beschlossen, um die Alterssicherung demografiefest zu machen. Die Bundesrepublik startete zudem mit der Agenda 2010 vor einem Jahrzehnt ein wirtschaftliches Fitnessprogramm, das die krisengeschüttelten Euro-Partner noch vor sich haben. Dabei ging es auch, aber keineswegs nur um eine Sparpolitik. Zwar war das Streichen staatlicher Leistungen – etwa die Kürzung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau oder Einschnitte im Leistungskatalog der Krankenkassen – ein zentraler Baustein.

Doch von entscheidender Bedeutung war nicht zuletzt das Aufbrechen des zuvor verkrusteten Arbeitsmarktes. Die ungeliebten Hartz-Reformen haben einen beispiellosen Beschäftigungsboom ausgelöst. Überdies stärkten die erheblichen Steuersenkungen die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.

 

Die Politik des billigen Geldes

Deutschland, das einst als „kranker Mann Europas“ belächelt wurde, ist heute mit seinem robusten Arbeitsmarkt, dem funktionierenden Sozialstaat und vergleichsweise soliden Finanzen die Wachstumslokomotive im Euroland. Trotz des Erfolges der Agenda-Reformen lehnen deren Väter – die Grünen ebenso wie die Sozialdemokraten – es ab, dieses Rezept in den europäischen Krisenstaaten anzuwenden. Für Deutschland wollen sie die Reformen zumindest teilweise zurückdrehen. In Frankreich oder Italien gilt Sparen gleichfalls als wachstumsfeindlich. In Paris und Rom setzt man vielmehr große Hoffnungen in die Politik des billigen Geldes: Die Europäische Zentralbank (EZB) soll im Kampf gegen die Krise die Notenpresse anwerfen. Tatsächlich sorgt die EZB bereits mit dem Aufkauf von Anleihen der Krisenstaaten dafür, dass dort die Zinslast trotz hoher Verschuldung nicht allzu schwer wird. Allerdings kauft die Zentralbank damit nur Zeit, löst aber die Strukturprobleme nicht.

 

Gigantische Risiken

Im Gegenteil: Die Zentralbanker machen es überhaupt erst möglich, dass die Wackelkandidaten weiterhin über ihre Verhältnisse leben können. Noch immer führt Griechenland mehr Waren ein, als es ins Ausland exportiert. Und noch immer gibt die Regierung in Athen mehr Geld aus, als sie Einnahmen generiert. Das Gleiche gilt für Portugal und für Frankreich, das längst ebenfalls in eine Schieflage geraten ist. Die EZB-Politik bedeutet eine Umverteilung innerhalb der Eurozone von Nord nach Süd. Es werden gigantische Risiken aufgehäuft, die der politischen Kontrolle entzogen sind. Hinzu kommt noch die Haftung über die Euro-Rettungsschirme, die Brüssel aufgespannt hat.

Zwar hat die permanente Notfallhilfe die Finanzmärkte beruhigt. Vor allem das Versprechen des EZB-Chefs Mario Draghi, den Krisenländern notfalls unbegrenzt Geld zu leihen, wirkte. Doch die Gefahr ist groß, dass die Länder die gekaufte Zeit nicht nutzen werden, um ihr Haus in Ordnung zu bringen. Dann werden die Märkte früher oder später von Draghi nicht nur Worte, sondern Taten verlangen und die unbegrenzte Hilfe einfordern. Die Folge wäre die Überforderung der bislang noch soliden Zahler. Am Ende könnte die Politik des billigen Geldes in eine übermäßige Inflation münden.

 

Teure Industriepolitik

Über den richtigen Kurs in der Krise sind die Euro-Partner heillos zerstritten. Auf den letzten Gipfeltreffen der EU wurde dieser Konflikt durch vage Formulierungen verschleiert. Die Regierungschefs bekannten sich einerseits zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. Andererseits will man Wachstumsimpulse setzen. Vor allem Paris und Berlin haben völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie sich die kriselnde Wirtschaft im Euroland ankurbeln lässt. Die Bundesregierung plädiert für einen Sanierungskurs: Sozial- und Arbeitsmarktreformen sollen die Wettbewerbsstärke der Krisenländer erhöhen und dadurch auf längere Sicht die Staatseinnahmen verbessern. Auch Einsparungen gelten in Berlin als unabdingbar. Im Süden Europas ist indes die Haltung der Franzosen populärer, die auf eine expansive Ausgabenpolitik drängen. Der Staat soll in große Infrastrukturvorhaben investieren, um die erlahmte Konjunktur anzustoßen. Mit öffentlichen Mitteln könnten zudem strategisch wichtige Wirtschaftszweige aufgepäppelt werden. Dabei setzen manche auf klassische Industrien, andere wiederum auf vermeintlich zukunftsträchtige Branchen wie etwa die Solar- oder die Windenergie. Solche Industriepolitik ist teuer – und im Regelfall nicht erfolgreich. Dies zeigt die Erfahrung mit dem Transrapid, der zum Milliardengrab wurde.

 

Irrsinnige Subventionitis

Auch die irrsinnige Subventionitis im Bereich der erneuerbaren Energien ist ein Beispiel für staatliche Fehllenkung, die den Bürger teuer zu stehen kommt. Die Idee einiger Politiker, Griechenlands marode Wirtschaft ließe sich dadurch ankurbeln, dass die Nordstaaten den Aufbau einer Solarindustrie in dem Krisenland finanzierten, ist absurd. Denn niemand weiß, ob eine solche Energiegewinnung jemals rentabel sein wird. Auch Frankreichs kriselnde Autoindustrie ist ein warnendes Beispiel dafür, dass es den Betrieben auf Dauer nichts nutzt, wenn der Staat ständig Hilfe leistet. Mit Abwrackprämien und anderen Subventionen unterstützt Paris seit vielen Jahren seine Autofirmen und hat sie dadurch träge werden lassen. Im internationalen Konkurrenzkampf fallen die Franzosen immer weiter zurück.

Es gilt der alte Leitspruch liberaler Ökonomen: Der Staat ist am Markt als fairer Schiedsrichter gefragt, nicht als Mitspieler. Politik kann Rahmenbedingungen verändern und damit die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Aber das Wachstum unter Einsatz von Steuergeldern nachhaltig beschleunigen kann der Staat ebenso wenig wie sichere Arbeitsplätze außerhalb des öffentlichen Sektors schaffen. Subventionen für eine Branche verschaffen einigen Betrieben Vorteile, die im Regelfall jedoch zulasten der Konkurrenz gehen. Am Ende ist der wirtschaftliche Schaden größer als der Nutzen. Häufig profitieren von der staatlichen Zuwendung die im Lobbyismus versierten Großunternehmen auf Kosten der Kleinen. Das wichtigste Argument gegen staatlichen Interventionismus aber ist, dass die Beamten in den Ministerien keineswegs klüger sind als der Markt, der letztlich nichts anderes ist als die Summe von Millionen von Kaufentscheidungen.

 

Zu viel Konsum, zu wenig Investitionen

Deutschland wird als Zuchtmeister in Europa gefürchtet. Im eigenen Haus aber lehnt man allzu große Strenge ab. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat der Fiskus mehr Geld eingenommen als heute. Trotzdem wächst der Schuldenberg weiter. Dabei profitiert der Finanzminister von den historisch niedrigen Zinsen, zu denen er sich derzeit Geld leihen kann. Sollte Deutschland allerdings seinen Ruf als sicherer Hafen verlieren, wird sich der fehlende Spareifer bitter rächen. Denn dann würde der Schuldendienst viele Milliarden Euro mehr im Jahr verschlingen.

Große Bedeutung für die künftige Haushaltslage hat zudem die wirtschaftliche Entwicklung. Nur wenn die Konjunktur nicht einbricht, dürften es Bund und Länder schaffen, die Vorgaben der 2009 beschlossenen Schuldenbremse in den nächsten Jahren einzuhalten. Die im Grundgesetz verankerte Regel verpflichtet die Kassenwarte zu einem ausgeglichenen Haushalt. Diese Fesseln haben sich die Politiker 2009 selbst angelegt, um eine Konsolidierung zu erzwingen. Doch der Test, ob die Regelung auch eingehalten wird, steht noch aus. 2016 greift die Schuldenbremse auf Bundesebene, dann ist nur noch eine minimale Nettokreditaufnahme zulässig. Die Länder dürfen ab 2020 überhaupt keine neuen Schulden mehr machen.

Um dieses Ziel zu erreichen, kann der Staat seine Einnahmen erhöhen, wie es die Opposition fordert. Man will neue Geldquellen erschließen, um mehr Mittel in Bildung und in die vor allem im Westen vernachlässigte Infrastruktur investieren zu können. Dass höhere Steuerlasten das Wachstum erheblich bremsen können, wird von den Verfechtern einer expansiven Ausgabenpolitik ausgeblendet.

Investitionen in Schulen, Kindergärten, Straßen und Schienen sind in der Tat nötig. Doch ließen sich mit beherzten Kürzungen im Haushalt Spielräume für derartige Zukunftsinvestitionen schaffen, ohne dass die Bürger noch mehr zahlen müssten. Derzeit fließt ein Großteil der Staatsausgaben in den Konsum. Der Bundeszuschuss zur Rente ist der größte Einzelposten im Bundesetat. Auch der Gesundheitssektor und die Alimentation der Erwerbslosen beanspruchen hohe Anteile. Überdies gönnt sich Deutschland 140 unterschiedliche Familienleistungen, und keiner vermag zu sagen, welche Wirkung sie haben. Der überbordende Wohlfahrtsstaat päppelt alle Bürger, aber kassiert auch bei fast allen ab. Die Verteilungswirkungen der unzähligen Finanzströme sind für Wähler und Politiker gleichermaßen undurchschaubar.

Konsumausgaben kommen ausschließlich der heutigen Gesellschaft zugute. Dass über die Schulden ein Teil der Kosten in die Zukunft verlagert wird, ist unfair. Hinzu kommt, dass im Lauf der vergangenen Jahrzehnte der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben stetig schrumpfte. Auch damit schadet man künftigen Generationen.

 

Sparen in guten Zeiten

Einer Gesellschaft, die nach der Devise „Nach uns die Sintflut“ lebt, droht früher oder später ein unsanftes Erwachen in der Realität. In Südeuropa lassen sich die traurigen Folgen einer unverantwortbaren Verschuldung studieren. Sparen ist in Zeiten der Not schmerzhafter als in guten Jahren. Deutschland hat die Chance, ohne große Verwerfungen seinen Staatsetat zu sanieren, indem es seine konsumtiven Ausgaben kürzt und mehr in die Zukunft investiert. Politiker sollten sich dabei stets das weise Wort Ludwig Erhards ins Gedächtnis rufen: „Jede Ausgabe des Staates beruht auf einem Verzicht des Volkes.“ Den öffentlichen Etat neu zu sortieren, stellt eine Herkulesaufgabe dar. Sollte sie gelingen, hätte Deutschland beste Chancen, als Wachstumslokomotive die anderen Euro-Mitglieder in eine Stabilitätsunion zu ziehen.

 

 

Dorothea Siems, geboren 1963 in Berlin, promovierte Volkswirtin, seit September 2010 Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik, „Die Welt/Welt am Sonntag“.

comment-portlet