Größter Verlierer der Wahl zum Thüringer Landtag 2014 war mit 12,4 Prozent die SPD, die Grünen kamen nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Trotzdem sind nun beide Parteien verantwortlich dafür, dass in Thüringen bundesweit erstmalig ein Repräsentant der Linkspartei Ministerpräsident wurde.
Was das für das Land bedeutet, werden die nächsten Jahre dieser Rot-RotGrün-Koalition zeigen, auch welche Auswirkungen das auf die Bundespolitik hat. Und auch, ob diese Koalition überhaupt mit einer Stimme Mehrheit bei diesen Beteiligten Bestand haben kann – angesichts der vor dem Land stehenden Probleme, die weit über die finanziellen hinausgehen.
Vorhersehbarer aber ist die Auswirkung auf die Thüringer SPD. Mit einem Blick auf deren Entwicklung bei den Landtagswahlen der letzten 25 Jahre lässt sich das extrapolieren. Das Ergebnis 1990 von 22,8 Prozent mit einem „Westimport“ als Spitzenkandidaten – Friedhelm Farthmann aus Nordrhein-Westfalen – war die Ausgangslage. In den darauffolgenden Jahren bis zum Wahljahr 1994 profilierte sich die Thüringer SPD in der Opposition durchaus und bestritt dann mit einer klaren Ansage den Wahlkampf: Es werde keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der PDS geben. Diese Partei, hervorgegangen aus der moralisch und wirtschaftlich bankrotten SED, war für die Mehrheit der Bürger und auch für mich als damaligen Spitzenkandidaten die Erbin der überwundenen DDR-Diktatur. Die Wähler konnten darauf vertrauen, dass durch ihre Stimme ehemalige SED-Kader nicht über irgendeine Hintertür wieder an die politische Macht gebracht würden.
1994 – gutes Ergebnis durch klare Abgrenzung
Das Ergebnis 1994 von 29,6 Prozent war ein guter Schritt in Richtung Volkspartei. Das vor der Wahl gegebene Versprechen wurde eingehalten. Obwohl ich mich zusammen mit den Stimmen der PDS als Ministerpräsident hätte wählen lassen können, habe ich in meiner Partei darum gerungen, durchaus gegen einigen Widerstand, im Interesse des Landes und aus Respekt vor allen Verfolgten des SED-Regimes keinen Pakt mit der PDS einzugehen und letztendlich in einer Großen Koalition der kleinere Partner zu sein. Meine Strategie war es, durch gute Politik, die das Land voranbringt und dabei eine sozialdemokratische Handschrift erkennen lässt, die SPD zum stärkeren Partner in dieser Konstellation wachsen zu lassen. Dazu bedurfte es harter Arbeit, eben der „Mühen der Ebene“.
Im Verlaufe dieser Regierungskoalition wurden dann in der SPD Stimmen laut, die sagten, man müsse doch noch einmal über Rot-Rot nachdenken und sich eine solche vermeintliche Machtoption eröffnen. Wortführer dieser Bewegung war der aus dem Saarland nach Thüringen gekommene Richard Dewes, der ebenso wie sein Mentor Oskar Lafontaine über die Gabe verfügte, auf Parteitagen große Reden zu halten und sich damit als Spitzenkandidat ins Spiel zu bringen, der die Rot-Rot-Option nicht ausschloss. Diesen Weg ging dann trotz meiner wiederholten und nachdrücklichen Warnungen die Thüringer SPD mit der Folge, dass seither alle Landtagswahlen in einem Desaster endeten; in den folgenden vier Wahlen konnten nicht einmal mehr 19 Prozent erreicht werden. Trauriger Höhepunkt dieses Irrweges war die Wahlaussage 2014 des damaligen Landesvorsitzenden Christoph Matschie, gegebenenfalls auch einen Linken-Politiker zum Ministerpräsidenten zu wählen. Die logische Folge war ein für die SPD beschämendes Ergebnis. Da war es schon erstaunlich, dass überhaupt noch 12,4 Prozent der Wähler der SPD ihre Stimme gegeben haben. Denn wer einen Linkspartei-Ministerpräsidenten nicht haben wollte, der wählte vorsichtshalber nicht mehr SPD. Wer das aber wollte, der wählte gleich die Links-Partei.
Tatenlose Bundesparteiführung
Zwar schließt der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel ein rot-rotes Bündnis auf Bundesebene aus: Die Linkspartei vertrete Positionen, „die Deutschland in die außenpolitische und übrigens auch wirtschaftliche Isolation führen“. Dabei schaute die Bundes-Parteiführung aber tatenlos zu, wie die Thüringer SPD der Linkspartei dazu verhalf, im Bundesrat auf der obersten Ebene der Bundespolitik mit einem Ministerpräsidenten agieren zu können.
Auch das Argument größter inhaltlicher Schnittmengen auf Landesebene ist schwach. In einem offenen Brief an die Thüringer SPD-Mitglieder, den ich gleich am Tag nach der Wahl geschrieben habe und dessen Verbreitung an die Mitglieder mir als ehemaligem Landesvorsitzenden von der gegenwärtigen Landesgeschäftsführung verweigert wurde, heißt es unter anderem: „Die Sondierungsgespräche könnten ergeben, dass Rot-Rot angeblich bei Sachfragen das größte Maß an Übereinstimmung erbringt. Denn die Linkspartei hat ein klares strategisches Ziel: bundesweit den ersten Ministerpräsidenten in Thüringen zu stellen. Dafür wird man bei jeder Sachfrage einlenken, letztendlich auch das Blaue vom Himmel versprechen.“ Auch die Mahnung, „die SPD ist eine stolze Partei mit großer Tradition. Und in dieser Tradition sehe ich neben vielen anderen großen Sozialdemokraten August Bebel, Kurt Schumacher und Willy Brandt, nicht aber Otto Grotewohl oder Oskar Lafontaine“ war wohl mit Blick auf die bevorstehende Mitgliederbefragung unerwünscht.
SPD in der Rolle des Bremsers?
Die nun gebildete Landesregierung will den Haushalt für 2015 im Frühjahr einbringen und dabei keine neuen Schulden verursachen. Das wird der erste Realitätscheck. Angesichts der zahlreichen Ankündigungen zu politischen Projekten, die ja alle Geld kosten, darf man auf die Rollenverteilung in dieser Regierung gespannt sein. Wenn die SPD mit der Übernahme des Finanzressorts diese Aufgabe ernst nimmt und eine seriöse Finanzpolitik betreibt, könnte ihr schnell die Rolle eines vermeintlichen Bremsers zufallen, während andere für das Gute und Wünschenswerte zuständig sind. Sollte sich dann der Trend der SPD-Landtagswahlergebnisse fortsetzen, wäre das ein verhängnisvoller Weg in die Bedeutungslosigkeit. Von dem 1994 schon einmal erreichten Status mit fast dreißig Prozent auf dem Wege zu einer Volkspartei in Thüringen ist die SPD jedenfalls meilenweit entfernt.
Gerd Schuchardt, geboren 1942 in Erfurt, von 1990 bis 2004 Mitglied des Thüringer Landtags, von 1994 bis 1999 stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wissenschaft und Kunst, von Dezember 1994 bis März 1996 Landesvorsitzender der SPD Thüringen.