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Spotlights: Innovation global - Teil II

by Anja Czymmeck
by Franziska Hübner

Brasilien

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Brasilien: Von insgesamt 129 Staaten belegt Brasilien im Jahr 2019 den 66. Platz (minus zwei im Vergleich zu 2018) im Global Innovation Index (GII). Dieser misst jährlich den Innovationsgrad und die Innovationsfähigkeit von Staaten anhand von achtzig Indikatoren. Im regionalen Vergleich bringt die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt weniger Innovationen hervor als Chile (Platz 51), Costa Rica (55), Mexiko (56) und Uruguay (62). Als Ganzes betrachtet, steht die Region Lateinamerika hinter Nordamerika, Europa, Nordafrika und Westasien sowie Südostasien und Ozeanien lediglich an fünfter Stelle. Als weniger innovativ gelten an sechster Stelle nur Subsahara-Afrika sowie das Schluss­licht Zentral­ und Südasien.

Die Gründe für das schlechte Abschneiden Brasiliens und für fehlende herausragende Innovationen des Landes bei Patenten, Produkten, Dienstleistungen oder Technologien liegen offensichtlich in den unzureichenden Rahmenbedingungen begründet, auch bekannt als Custo Brasil. Damit wird ein Aufpreis für Wirtschaftstätigkeit in Brasilien bezeichnet, der sich aus der schlechten Logistikinfrastruktur, hohen Steuern, hohen Finanzierungskosten oder dem hohen Lohnniveau verbunden mit Fachkräftemangel im Land ergibt.

Mit einer mangelhaften Infrastruktur, einem unzureichenden Bildungssystem und folglich eher schlecht ausgebildeten Arbeitskräften, überbordender Bürokratie, sehr hohen Steuerlasten für Unternehmen und Privatpersonen, mit für protektionistische Wirtschaften typischen hohen Export­ und Importzöllen, Patentprozessen mit einer durchschnittlichen Bearbeitungsdauer von zehn Jahren sowie einer Kultur der Korruption und Vorteilsnahme findet die Wirtschaft ein schlechtes Investitionsklima vor.

Potenzial für Innovation wäre in dem „Land der Zukunft“, wie der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig Brasilien 1941 beschrieb, durchaus vorhanden. Die Universität von São Paulo (USP) gehört zwar weltweit zu den Top­10-­Forschungsinstituten der Staaten mit mittleren Einkommen (middle-income economies). Den Spitzenplatz verdankt die USP dem GII zufolge vor allem der Lehrqualität der Universität. Insgesamt betrachtet, hat die brasilianische Forschungslandschaft gemessen am Weltniveau der Forschungs- und Lehrinstitute jedoch noch Luft nach oben und bedarf großer (finanzieller) Investitionen, um zur Weltspitze auf­ schließen zu können.

Zwar schafft der Staat aktiv kein hinreichend gutes Innovationsklima, ebenso wenig bringt er – von einigen sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – selbst Innovationen hervor. Gleichzeitig setzt der öffentliche dem privaten Sektor bei Innovationen jedoch auch kaum bis gar keine Handlungsgrenzen. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) – aufgrund seiner Chancen und Risiken für den Staat, Unternehmen, Verbraucher und die Gesellschaft eine der relevantesten technologischen Innovationen in Brasilien – gibt es beispielsweise keine ethischen oder strategischen Richtlinien, welche die Entwicklung oder den Gebrauch von KI regulieren. Durch die Passivität beziehungsweise faktische Abwesenheit des Staates hat der Privatsektor freie Hand bei der Entwicklung und Bereitstellung von Dienstleistungen, die auf KI beruhen.

In der insgesamt eher kargen brasilianischen Innovationslandschaft gehen technologische Innovationen in erster Linie vom Privatsektor aus. Neben internationalen Unternehmen wie Google, Facebook, IBM, Microsoft, Netflix, Airbnb oder Uber – der Fahrdienst operiert bereits in über einhundert brasilianischen Städten – investieren brasilianische Start­ups in die Schaffung und Optimierung technologischer Innovationen, insbesondere im Bereich KI. Die Nubank ist landesweit eines der bekanntesten Pionierbeispiele im Bereich Online-Finanzdienstleistungen. Das Start­-up stellt seit 2014 eine virtuelle und kostenlose internationale Kreditkarte bereit, die allein über eine App mit den Betriebssystemen Android oder Apple iOS funktioniert. 2018 nutzten bereits fünf Millionen Verbraucher die virtuelle Kreditkarte. 2017 folgte die NuConta, ein digitales Konto der Nubank, welches von den knapp 210 Millionen Einwohnern immerhin schon 2,5 Millionen nutzen.

Auch für andere technologische Dienstleistungen ist die brasilianische Gesellschaft offen: Über 22 Millionen Brasilianer nutzen den Fahr­dienst Uber als Mitfahrer. Über 600.000 Fahrer bieten Fahrten an. International betrachtet, ist Brasilien für Uber der zweitgrößte Markt. Ähnlich stark genutzt werden Apps, die Verkehrsstaus, -unfälle oder gefährliche Stadtgebiete, in denen Schusswechsel oder Polizeieinsätze gegen organisierte Banden gemeldet werden, in Echtzeit ausweisen. Die App Onde-Tem-Tiroteio (deutsch: „Wo-Schießereien-stattfinden“) nutzt in São Paulo, der größten brasilianischen Stadt, ein gutes Viertel der zwanzig Millionen Einwohner der Metropolregion.

Die von privaten Unternehmen bereitgestellten technologischen Innovationen sind im Alltag der Brasilianer präsent. Warum ist das so, neben der eingangs beschriebenen fehlenden staatlichen Regulierung? Erstens besteht eine Notwendigkeit der Information, denn in vielen Bereichen, die in die Zuständigkeit des Staates fallen – in erster Linie Sicherheit – liefert der Staat nicht oder nur unzureichend. Da strukturelle Ursachen der gravierenden Sicherheitskrise in Brasilien nach wie vor ungelöst bleiben, versucht man, sich durch Information bestmöglich zu schützen. Zweitens schätzt ein Teil der Brasilianer die unkomplizierten, immer griffbereiten Onlinedienstleistungen, wie etwa bei Nubank. Auch eine Fahrt von A nach B mit Uber ist angesichts des unzureichend ausgebauten und organisierten öffentlichen Personennahverkehrs eine bequeme Alternative. Drittens: Ein Bewusstsein dafür, dass technologische Innovationen auch Schattenseiten mit sich bringen können, existiert nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung. Dieser Umstand hängt auch mit dem Bildungsniveau zusammen. Dass die öffentliche Meinung von Fake News und Social Bots geformt wird oder staatliche Sicherheitssysteme Cyberangriffen ausgesetzt sein können, ist vielen nicht bekannt. Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass technologische Innovationen wie zum Beispiel GPS-Ortung ebenfalls vom organisierten Verbrechen genutzt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, durch welche Waffen­ oder Drogenlieferungen für die Staatsgewalt noch weniger nachvollziehbar sind.

Wird das „Land der Zukunft“ hinsichtlich seines Innovationsgrades und seiner Innovationsfähigkeit mittel­ bis langfristig aufholen können? Ohne eine Verbesserung der Rahmenbedingungen durch den Staat wird die Antwort auf diese Frage negativ ausfallen. Ein nationaler Innovationsplan wäre zudem zu kurz gegriffen. Für ein Land mit kontinentalen Aus maßen sind One-size-fits-all-Lösungen keine Option. Vielmehr sollten lokale Innovationsstrategien, zum Beispiel für große, mittlere und kleine Städte, entworfen werden.

 

Anja Czymmeck, Franziska Hübner
Auslandsbüro Brasilien der Konrad-Adenauer-Stiftung

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